Manuskript radioWissen SENDUNG: 06.07.2015 9.05 Uhr

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Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 06.07.2015
9.05 Uhr
AUFNAHME:
STUDIO:
Geschichte
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Völkermord in "Deutsch-Südwestafrika"
Namibias tiefe Wunden
AUTOR:
Matthias Hennies
REDAKTION:
Nicole Ruchlak
REGIE:
Martin Trauner
PERSONEN:
Sprecher: Andreas Neumann
Overvoice (männlich): Carsten Fabian
Overvoice (weiblich): Yvonne Hummel
Musik, Atmo, Zuspielungen (O-Töne)
Besondere Anmerkungen:
ED 16.11.2012
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1. O-TON Kemandeo
This tree, it was the hanging tree of the german Truppe…
An diesem Baum erhängten die deutschen Truppen Herero-Krieger, die sie drüben an
der Wasserstelle von Otjihenda gefangen genommen hatten. Wer sich ergeben wollte,
weil er kurz vorm Verdursten stand, dem sagten sie: Keine Verhandlungen. Ihr habt
nichts mehr, keine Rinder, kein Land, nichts. Und sie brachten ihn zu diesem Baum.
...no land, no cattle, nothing and just brought you to this tree.
MUSIK: C112693 012 (00‘33‘‘)
SPRECHER
Die Sonne brennt vom Himmel, der Boden ist ausgedörrt, jeder Schritt wirbelt
Staubschwaden auf. Kapehi Kemandeo <Kápehi Kemándo> , ein Farmer aus dem
Örtchen Okakarara, steht an einem knorrigen, alten Baum in der Savanne OstNamibias. Er zeigt hier Orte, an denen vor gut hundert Jahren der Kolonialkrieg tobte.
Die Erinnerung daran darf nicht untergehen, sagt er, denn sein Volk, die Herero, wäre
im Sommer 1904 beinahe ausgelöscht worden – durch deutsche Soldaten, die Truppen
der damaligen Kolonie "Deutsch-Südwestafrika".
MUSIK ENDE
SPRECHER
Tiefe Spuren hat die Kolonialzeit in Namibia, dem kleinen Land an der Atlantikküste
zwischen Südafrika und Angola, hinterlassen: Ein kollektives Trauma in der Erinnerung
einheimischer Völker – und im Alltagsleben erstaunlich viele Elemente deutscher Kultur.
ATMO 2 Fahrt mit deutschem Radio
"Jingle. Sprecherin: Beim Duschen, beim Autofahren oder beim gemütlichen
Abendessen: Radio gehört gehört…"
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2. O-TON Schelkle
Alle Fassaden sind noch so, wie sie 1909 mal gebaut wurden. Das Orangefarbene, das
war das erste Fotoatelier von Fräulein Hoch, der kleine Laden da vorn war so’n
Geschenkeladen.
SPRECHER
Geschwungene Giebel, Fachwerk-Imitat und Ornamente im Jugendstil: In Lüderitz, am
Südlichen Wendekreis, sehen die Häuser aus wie in einer deutschen Kleinstadt. Nur die
Farben sind kräftiger. Und in den Rinnsteinen und Hauseingängen sammelt sich der
graue Sand, angeweht vom ewigen, eisigen Wind der Wüste.
ATMO 2 Fahrt mit Radio:
"Sprecher: Unser Sendegebiet erstreckt sich durch ganz Namibia…"
3. O-TON Schelkle
Dann haben wir das Gebäude mit den Säulen, das war der Bäcker Becker. Ein
Großonkel von mir, der hat das dann als seine Anwaltskanzlei gebraucht. Ganz unten
sehen wir, wo Barrels drüber steht und heute die Jägermeisterfahne weht, das war ganz
früher ein Gemüsegroßmarkt.
SPRECHER
Marion Schelkle ist in Lüderitz geboren und führt hier ein Touristik-Unternehmen. Sie
gehört zu der kleinen Minderheit der Namibier, die von deutschen Siedlern abstammen
und heute noch etwa 1% der Bevölkerung ausmachen.
SPRECHER
Vom Balkon einer alten Jugendstil-Villa aus, hoch über Häusern und Hafen, deutet
Marion Schelkle hinaus aufs Meer.
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4. O-TON Schelkle
Sehen Sie das Häuschen da vorne, das ist die Haifischinsel. Die Spitze der Haifischinsel
diente damals als Gefangenenlager für die Gefangenen aus dem Nama- und
Hererokrieg.
SPRECHER
Auf dem kahlen Felsen in den Wellen des Atlantiks, über den unablässig der kalte Wind
hinwegfegt, richtete die deutsche Verwaltung im Kolonialkrieg ein „Konzentrationslager“
ein – Reichskanzler von Bülow verwendete 1904 erstmals offiziell diesen Begriff.
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber mindestens die Hälfte der Menschen aus den
Völkern der Nama und der Herero, die aus dem heißen Landesinneren auf die HaifischInsel verschleppt wurden, ging dort während des Krieges zugrunde - eines Krieges um
karge Böden und die darauf grasenden Rinderherden, die den Afrikanern gehörten. Das
deutsche Reich hatte sich zu spät am "Wettlauf nach Afrika" beteiligt, in dem die
imperialistischen Großmächte Ende des 19. Jahrhunderts den Kontinent unter sich
aufteilten. Daher konnte es für sich keine reicheren Gebiete mehr ergattern.
5. O-TON Kößler
Zunächst mal handelt es sich ja um ein Stück Land, das keiner wollte. Trocken,
unzugänglich und für die, die da ankamen, sehr enttäuschend, keine Palmenhaine,
sondern Wüste, wenig attraktiv. Auf der anderen Seite muss man das aus der
Perspektive der deutschen Nationalbewegung sehen im 19. Jahrhundert, die eigentlich
konsistent diese koloniale Perspektive im Auge hatte.
SPRECHER
Millionen Deutsche suchten im 19. Jahrhundert ein besseres und freieres Leben in
Amerika, erzählt Professor Reinhart Kößler, Kolonialismus-Forscher am ArnoldBergsträsser-Institut der Universität Freiburg. In den Augen der Nationalisten waren
diese Auswanderer verloren, weil sie nichts zur Stärkung Deutschlands beitrugen. Die
Nationalisten wollten den Auswanderer-Strom auf deutsches Gebiet umleiten und
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setzten den zögernden Reichskanzler Bismarck unter Druck. 1884 ließ Kaiser Wilhelm
schließlich in dem kargen Land zwischen dem portugiesischen Angola und den
Burenstaaten die Kolonie "Südwestafrika" gründen - von Rohstoffvorkommen Namibias
wie Diamanten und Öl wusste man damals noch nichts.
Die Einwanderer sahen sich meist als Farmer. Sie hofften wohl auf den Landbesitz, der
für sie in der hierarchisierten Klassengesellschaft des wilhelminischen Deutschland
unerreichbar war. Die Politik der Kolonialregierung zielte dann auch darauf ab –
6. O-TON Kößler 54-492, 12’10
Dass die Afrikaner das Land verlieren und dann als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Und natürlich auch ihre großen Viehherden den Besitzer wechseln.
MUSIK: C112693 012 (00‘35‘‘)
SPRECHER
Gezielt spielte die deutsche Kolonialverwaltung rivalisierende Völker wie Herero und
Nama gegeneinander aus, betrügerische
Händler pressten verschuldeten Hereroführern große Landflächen ab und deutsche
Siedler, die sich als Vertreter einer Herrenrasse fühlten, vergriffen sich an einheimischen
Frauen. Im Januar 1904 erhoben sich die Herero zum Aufstand.
Die Erinnerung an Helden und Opfer dieses Krieges gegen die hochgerüsteten
deutschen Truppen wird von den Herero heute sorgsam gepflegt - während vorwiegend
weiße Historiker die schriftlichen Quellen ausgewertet haben, halten sie nun die
Erzählungen der letzten lebenden Zeitzeugen fest.
ATMO 3 Schritte im Sand, Dialog auf Otjiherero
SPRECHER
Kapehi Kemandeo schreibt die Geschichten auf, die von Generation zu Generation
weitergegeben werden, und hält die Orte fest, an denen die Kämpfe stattfanden.
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7. O-TON Kemandeo
We see here a big natural waterpan which we call Otjihenda…
Vor uns liegt ein großes natürliches Wasserreservoir, das wir Otjihenda nennen. Es ist
eine der Lebensadern für uns hier, seit vielen Jahren. Heute sammelt sich darin nur das
Regenwasser, aber früher hatten die Herero eine unterirdische Wasserader
hineingeleitet, so dass es das ganze Jahr über Wasser führte.
... to last through all the year.
ATMO 1 Wasserloch
SPRECHER
Zwischen Bäumen und Dornbüschen liegt ein kleiner See. Morgens haben Rinder und
Ziegen die matschigen Ufer zertreten, jetzt drängen sie sich im Schatten der Akazien.
Nur das Summen der Insekten ist in der Mittagshitze zu hören. An diesem Wasserloch
kämpfte der größte Teil des Herero-Volkes um sein Überleben.
Die deutsche Armee, verharmlosend „Schutztruppe“ genannt, hatte die Herero einige
Tage zuvor in der „Schlacht am Waterberg“ beinahe eingekesselt. Nur ein Fluchtweg
war ihnen geblieben: Nach Osten, in die Omaheke, eine menschenfeindliche
Sandwüste. Das Reservoir von Otjihenda war für Krieger und Alte, Frauen, Kinder und
Vieh die letzte große Wasserstelle – aber deutsche Soldaten hatten sie schon besetzt.
8. O-TON Kemandeo
They were shot shot shot, but then they decided …
Die Deutschen schossen, schossen, schossen. Und dann beschlossen die Kämpfer der
Herero, einen Teil ihrer Rinderherden zwischen den deutschen Soldaten
hindurchzujagen. Sie versteckten sich zwischen den Tieren, beschossen die Deutschen
von da aus und kämpften und kämpften und am Ende eroberten sie die Wasserstelle.
… they fight and they fight and they take over the waterpoint.
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SPRECHER
Doch ihnen blieb wenig Zeit. Verstärkung für die „Schutztruppe“ traf ein und sie mussten
fliehen. Wären sie in deutsche Hände gefallen, hätte man sie gehängt, erzählt
Kemandeo. Viele der Bäume mit den ausladenden Ästen, die dafür benutzt wurden,
stehen heute noch.
Den Herero blieb nur der Weg in die Wüste – und das war dem deutschen Kommandeur
Lothar von Trotha gerade recht: Er wollte sie nicht besiegen, er wollte sie vernichten.
Alle erreichbaren Wasserstellen ließ er besetzen, den Wüstensaum von deutschen
Truppen sperren. Männer, Frauen und Kinder verhungerten und verdursteten in der
Omaheke zu Tausenden. Ein Häuflein Herero schaffte es ins angrenzende britische
Betschuanaland, das heutige Botswana.
Den skrupellosen von Trotha trieb nicht nur der Wunsch nach einem militärischen Erfolg,
erläutert der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer:
9. O-TON Zimmerer
Gleichzeitig besitzt er die Vorstellung eines Rassenkrieges zwischen der weißen und
der schwarzen Rasse, bei der es nur eine überlebende Gruppe geben würde.
SPRECHER
Berüchtigt ist Von Trothas Proklamation vom Oktober 1904, als der Krieg längst
entschieden war:
ZITATOR
Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder
ohne Vieh, erschossen.
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SPRECHER
Professor Zimmerer hat sich auf die Untersuchung von Genoziden spezialisiert. Für ihn
besteht kein Zweifel: Im Krieg gegen die Herero begingen die Deutschen einen
Völkermord – den ersten des grausamen 20. Jahrhunderts.
10. O-TON Zimmerer
Genozid wird seit 1948 definiert als konzertierte Aktionen mit dem Ziel, eine Gruppe als
solche zu vernichten. Und dazu gehört also Tötung von Mitgliedern der Gruppe,
Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden und eben, ich
zitiere aus der UN-Konvention: „Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für
die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise
herbeizuführen.“ Und das ist zum einen in den Konzentrationslagern der Fall gewesen
und zum anderen in der Omaheke-Wüste.
SPRECHER
Überlebende Herero sperrte man in Lagern auf der Haifischinsel bei Lüderitz oder beim
Städtchen Svakopmund ein. Auch Männer, Frauen und Kinder aus dem Volk der Nama,
das im Süden des Landes ebenfalls einen Aufstand begonnen hatte, schaffte man
dorthin. Danach konnte ihr Land unter den Siedlern verteilt werden.
Obwohl der „namibische Krieg“ mittlerweile gut erforscht ist, bleibt die genaue Zahl der
Opfer unklar. Herero-Vertreter sprechen von bis zu 85.000 Toten, 85% ihres Volkes, in
vorsichtigen Schätzungen rechnen Historiker mit 65.000 getöteten Herero. Kaum
umstritten ist, dass die Nama rund 10.000 Menschen verloren, etwa die Hälfte ihres
Volkes. Auf deutscher Seite starben cirka 1.400 Menschen.
SPRECHER
In der deutschen Bevölkerung ist der gesamte Namibische Krieg weithin vergessen. Die
Nachkommen der Opfer, vor allem die Herero, empfinden den Völkermord jedoch als
eine offene Wunde, einen traumatischen Einschnitt in ihrer Geschichte, der noch längst
nicht aufgearbeitet ist.
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11. O-TON Muinjangue
For us, it is not only to reflect and to remember…
Wir wollen nicht nur an die Vergangenheit erinnern. Letztlich geht es uns darum, dass
die deutsche Regierung sich offiziell für die Verbrechen entschuldigt. Und erklärt, welche
Entschädigung sie dafür leisten will.
... and then says how they will repay for the damages.
SPRECHER
Nach den Bestimmungen der Vereinten Nationen muss bei einem Völkermord eine
Entschädigung gezahlt werden, erklärt Ester Muinjangue <Muunjángue> vom
Ovaherero Genocide Committee, dem Völkermord-Komitee der Herero. Doch die
Bundesregierung, Rechtsnachfolgerin der Reichsregierung, weigert sich, diese
Sichtweise anzuerkennen.
So war es zuletzt wieder im September 2011, als eine offizielle Delegation aus Namibia
in Berlin zu Gast war. Den Afrikanern wurden 20 Schädel ermordeter Herero und Nama
zurückgegeben, die nach dem Kolonialkrieg als Forschungsobjekte an die Charité nach
Berlin gebracht worden waren. Bei der Übergabe erklärte Cornelia Pieper,
Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
12. O-TON Pieper
Ich möchte ganz persönlich mein Bedauern und meine tiefe Scham für das, was Ihren
Vorfahren zugefügt wurde, zum Ausdruck bringen. (Zwischenrufe)
SPRECHER
Den anwesenden Namibiern reichte diese Formulierung nicht. Sie forderten erneut eine
formelle Entschuldigung für die Verbrechen der Kolonialtruppen, doch Pieper sagte
stattdessen:
13. O-TON Pieper
Ich bitte im Namen der Bundesregierung das ganze namibische Volk um Versöhnung.
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SPRECHER
Die deutsche Regierung versucht mit dieser Formulierung offenbar, der formalen
Verpflichtung zu Wiedergutmachungszahlungen zu entgehen. Sie verweist auf die hohe
Entwicklungshilfe, die aufgrund der besonderen deutschen Verantwortung an Namibia
gezahlt wird. Wiedergutmachung ist keine freiwillige Hilfe, sondern ein Recht der Opfer,
betont dagegen der Historiker Jürgen Zimmerer, denn sie soll sie für ihr Leid und für den
Besitz, der ihnen unrechtmäßig weggenommen wurde, entschädigen. Und engagierte
Herero wie Ester Muinjangue weisen darauf hin, dass den Nachfahren deutscher Siedler
in Namibia noch immer große Ländereien gehören.
14. O-TON Muinjangue
They inherited these farms from their ancestors...
Sie haben diese Farmen von ihren Vorfahren geerbt – und wo haben ihre Vorfahren sie
her? Sie sind nicht mit dem Land und den Rindern aus Deutschland gekommen. Das
alles haben sie unseren Leuten weggenommen.
... these things were gripped from our people!
MUSIK: C112693 019 (00‘40‘‘)
SPRECHER
Die deutsche Kolonialherrschaft endete 1915, nach 31 Jahren. Im Zuge des Ersten
Weltkriegs übernahm Südafrika faktisch die Herrschaft und regierte Namibia, bis das
Land 1990 nach einem blutigen Bürgerkrieg unabhängig wurde. Dass die
südafrikanische Regierung auch hier die Apartheid durchsetzte, vertiefte die Spaltung
der Gesellschaft, doch der entscheidende Einschnitt war die deutsche
Kolonialherrschaft. Die Folgen kann man auch erkennen, wenn man durch die
Hauptstadt Windhoek fährt.
ATMO 4 Fahrt in Windhoek
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15. O-TON Abe:
Let me draw your attention to those gentlemen on the streetcorner…
Sehen Sie diese Männer an der Straßenecke? Morgens um 4 Uhr brechen sie in den
„informellen Siedlungen“ auf, um hierher zu kommen. Sie können nicht lesen und
schreiben, sprechen weder Englisch noch Afrikaans. Und sie suchen Arbeit.
... they are our job seekers.
ATMO 4 Fahrt in Windhoek Karte IX-6-510, 4’15 unterlegen
SPRECHER
Große, junge Männer warten an den Kreuzungen, dass ihnen jemand Arbeit gibt,
wenigstens für einen Tag, erzählt Abe Karongee <Éybi Karongíi>, der bei Führungen in
Windhoek über soziale Probleme des Landes aufklärt. Die Arbeitslosenrate Namibias
liegt bei 51%, auf dem Land ist sie oft höher. Also ziehen die Menschen in die Städte
und bauen sich Hütten aus Wellblech und Brettern im Umland.
16. O-TON Abe
This area is called „informal settlement“, in the sense...
Dieses Viertel nennen wir eine „informelle Siedlung“, weil sie nicht die übliche
Versorgung hat: In den Häusern gibt es kein fließend Wasser und keinen Strom. Die
Leute siedeln sich anfangs illegal hier an, später schließen sie sich zu Gruppen
zusammen und kaufen von der Gemeinde ein kleines Stück Land.
... negotiate a small piece of land from the municipality.
ATMO 5 Fahrt Windhoek, am Ende Hundegebell
MUSIK: C112693 007 (00‘45‘‘)
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SPRECHER
Von "Slums" zu sprechen, wäre irreführend: Das wild gewachsene Viertel wirkt
erstaunlich geordnet, mit improvisierten Zäunen und mehreren Metern Abstand
zwischen den Hütten. Rund ein Drittel der namibischen Bevölkerung lebt heute in
„informellen Siedlungen“, schätzen Forscher der Universität Windhoek. Doch sie sehen
das größte Problem des Landes nicht in der Armut, sondern in der extremen Kluft
zwischen Arm und Reich: Nirgendwo sonst auf der Welt ist der Besitz so ungleich
verteilt wie in Namibia. Und eine wesentliche Ursache dafür liegt in der Kolonialzeit.
Phanuel Kaapama <F'änjuel Kaapáma>, Politologe an der Universität Windhoek:
17. O-TON Kaapama
Through the process of colonialism most of the indigenous…
Im Zuge des Kolonialismus haben die meisten afrikanischen Gemeinschaften ihren
Landbesitz verloren. Die Land-Frage ist heute der Schlüssel, denn viele Leute meinen,
dass noch keine Gerechtigkeit erreicht worden ist.
...that justice has not been done yet.
SPRECHER
Als Namibia 1990 unabhängig wurde, hat die Regierung ein Umsiedlungsprogramm
beschlossen - ein Projekt, das lange benachteiligten schwarzen Landarbeitern eigenen
Grund und Boden verschaffen sollte.
Die Regierung enteignet dafür niemanden, sondern verteilt nur Land von Farmern , die
sich freiwillig zum Verkauf entschließen. Diese Eigentumsgarantie war Teil des
„paktierten Übergangs“, der Absprachen bei der Machtübergabe an die
schwarzafrikanische Bevölkerungsmehrheit. Sie sollten verhindern, dass die Weißen
massenhaft ausreisten wie etwa Ende der siebziger Jahre im nördlichen Nachbarland
Angola, wo dann Fachkräfte fehlten. Auch der katastrophale Niedergang des östlichen
Nachbarn Zimbabwe, nicht zuletzt eine Folge der aggressiven Kampagnen gegen weiße
Farmer, soll sich im friedlichen Namibia nicht wiederholen. Aber Kaapama übt Kritik an
der Umsetzung des Projekts:
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18. O-TON Kaapama
The resettlement policy is very slow...
Die Umsiedlungspolitik läuft sehr langsam. Und vielen ist der Prozess nicht transparent
genug: Leute aus den Städten, die Arbeit haben, bekommen Land. Und Farmarbeiter,
deren tägliches Leben vom Land abhängt, gehen manchmal leer aus.
...depend on land are in some instances overlooked.
SPRECHER
Andere Namibier werden deutlicher: Leute mit guten Beziehungen zur Regierungspartei
Swapo, die seit der Unabhängigkeit jede Wahl gewonnen hat, hätten bessere Chancen,
eine Farm zu bekommen, hört man dann. Der Sozialwissenschaftler Volker Winterfeldt,
Professor an der Universtität Namibias in Windhoek, sieht darin eine logische Folge von
Kolonialismus und Apartheidsregime:
19. O-TON Winterfeldt
Aufgrund der kolonialen Vergangenheit läuft Zugang zu Ressourcen, zu Kapital,
zunächst mal über den Staat. Wenn Sie 1 1/4 Jahrhunderte ausgeschlossen gewesen
sind von jeglichem Zugang zu Bildung und nennenswerten Arbeitsplätzen,
Arbeitsplätzen, die Ihnen ein bestimmtes Einkommen ermöglicht hätten, dann bleibt
zunächst mal nichts übrig, als die Kanäle zu nutzen in dem Augenblick, in dem Sie über
einen Job beim Staat Zugang zu einem Gehalt haben, dann zu Möglichkeit der
Korruption haben und Zugang auch zu Beschäftigungsbereichen haben, die Ihnen ein
bestimmtes Einkommen erlauben.
SPRECHER
Ergebnis ist eine neue schwarze Bourgoisie, eine „Blackoisie“. Reichtum ist in Namibia
nicht mehr von der Hautfarbe abhängig, eine Oberschicht wohlhabender Schwarzer
entsteht – aber die breite Bevölkerung bleibt nach wie vor vom Wohlstand
ausgeschlossen.
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20. O-TON Winterfeldt
Die Entwicklung seit der Unabhängigkeit geht in die falsche Richtung, sie geht in
Richtung einer Verschlimmerung der Situation. Namibia ist kein armes Land, Namibia
rangiert irgendwo im Mittelbereich, was Pro-Kopf-Einkommen anbelangt-
SPRECHER
- aber daran haben nicht alle Namibier teil. Das kann sich nur durch offene soziale
Auseinandersetzung ändern, meint Winterfeldt:
21. O-TON Winterfeldt
In dem Augenblick, in dem die Perspektive bestünde, dass Armut sich organisieren
kann, ist möglicherweise eine Perspektive für Entwickung im Entstehen.
MUSIK: C112693 002 (00‘25‘‘)
SPRECHER
Bisher spielen die, die zu kurz kommen, in der namibischen Politik keine Rolle. Sie
haben keine Organisation, kein Sprachrohr, keine Partei. Wenn das so bleibt, könnte
sich im friedlichen Namibia ein bedrohliches Konfliktpotential ansammeln, warnt
Kaapama:
22. O-TON Kaapama
The key question is, for how long will they remain patient?
Wie lange werden sie Geduld haben?
ENDE
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