Gesundheitsgespräch Seltene Erkrankungen und Krebs bei Kindern Sendedatum: 27.02.2016 Experte: Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, FA Kinder- und Jugendmedizin, KinderHämatologie und -Onkologie Autorin: Kathrin Hasselbeck Seltene Erkrankungen und Krebs bei Kindern In Europa gilt eine Krankheit dann als selten, wenn höchstens fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Die Widrigkeiten, die so eine Erkrankung mit sich bringt, liegen auf der Hand: Es dauert lange, bis die richtige Diagnose festgestellt ist; ein standardisiertes Therapiesystem gibt es oft nicht, was die Behandlung erschwert; und meistens handelt es sich auch noch um chronische, unheilbare Erkrankungen. Medikamente müssten womöglich erst entwickelt werden, aber Forschungsmittel sind in solchen Fällen selten vorhanden. Betroffen: Kinder Seltene Erkrankungen werden in achtzig Prozent der Fälle durch genetische Faktoren ausgelöst und spielen deshalb schon von Geburt an eine Rolle – Kinder sind also besonders häufig betroffen. Und Kinder bringen als Patienten besondere Herausforderungen mit sich: Sie befinden sich in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung und brauchen ihr familiäres Umfeld, besonders ihre engsten Bezugspersonen, sonst sind sie für die notwendigen Behandlungen nicht stabil genug oder tragen psychische Schäden davon. Auch das Krankenhauspersonal muss speziell geschult sein, um auf die Bedürfnisse von Kinderpatienten eingehen zu können. Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. med. Christoph Klein, dem Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München zugrunde. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Therapeutic orphans - Selten, aber krank Bislang sind über 6.000 seltene Erkrankungen bekannt – jede Woche werden es mehr. Doch bis eine Diagnose feststeht, können Jahre vergehen, in denen Familien von einem Arzt zum nächsten irren und Fehldiagnosen zu fatalen Behandlungsfehlern führen. Sie heißen Morbus Pompe, Wiskott-Aldrich Syndrom oder Trichohepatoenterales Syndrom – aber kaum ein Arzt kennt sie. Denn im Medizinstudium spielen seltene Erkrankungen kaum eine Rolle – wie auch? Schließlich gibt es tausende – betroffen aber sind nur wenige Patienten. In allen medizinischen Fachbereichen kommen seltene Erkrankungen vor: Augenheilkunde, Gastroenterologie, Kardiologie, Neurologie usw. Darüber hinaus erfordern sowohl der Weg zur Diagnose als auch die Behandlung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Denn den einen „Spezialisten für seltene Erkrankungen“ gibt es nicht. Waisen der Medizin „Therapeutic orphans“, Waisen der Medizin, so werden Patienten genannt, deren Erkrankung so selten ist, dass es sich für die Pharmaindustrie nicht lohnen würde, ein Medikament zu entwickeln. Hier sind neue Konzepte gefragt, zum Beispiel seitens der Politik. „Die Entwicklung eines Medikaments kostet viele Millionen Euro – wenn Sie danach nur hundert Patienten weltweit haben, dann lohnt sich das nicht. Das kann man der Industrie so auch nicht zum Vorwurf machen. Wichtig ist es, einerseits über andere Wege an Geld zu kommen, andererseits neue Konzepte der Arzneimittelentwicklung zu erproben. Hier hat sich in den letzten Jahren auch eine positive Tendenz gezeigt: Sowohl die Bundesregierung als auch verschiedene Forschungsförderungsorganisationen haben begonnen, spezielle Förderprogramme aufzulegen, um Therapien für Menschen mit seltenen Erkrankungen zu entwickeln. Das ist ein wichtiges und wertvolles Zeichen.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Geld für die Forschung Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert deutschlandweit derzeit zehn Forschungsbündnisse zu unterschiedlichen seltenen Erkrankungen. Dabei geht es vor allem um die Aufdeckung der Krankheitsursachen, denn nur wenn klar ist, wo eine Krankheit entspringt, können eine genaue Diagnose erstellt und eine passende Therapie gefunden werden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 Doch ein Geschäft für die Pharmafirmen Inzwischen konnte auch das Interesse der Pharmaindustrie geweckt werden. Diese entdeckt gerade den Markt für seltene Erkrankungen. Sobald es weltweit einige Hundert Patienten mit einer seltenen Erkrankung gibt, kann sich die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs eventuell schon rentieren – er wird einfach zu extrem hohen Preisen verkauft. Ein Beispiel ist die Enzymersatztherapie bei genetisch verursachten Enzymdefekten. Sie kann im Jahr je nach Krankheitsbild € 100.000 oder mehr kosten. Weitere Forschungsförderung - Druck durch Betroffenenverbände Das Internet ermöglicht es, dass sich Betroffene besser untereinander vernetzen können. Aus der ganzen Welt finden sich Eltern und Ärzte von Kindern, die an seltenen Krankheiten leiden. Sie schließen sich zusammen, tauschen Erfahrungen aus, machen einander Mut. Dadurch entstehen Interessensverbände, die Forschungsmittel auftreiben, aber durchaus auch wirksamen politischen Druck ausüben können. Ein beeindruckendes Beispiel für das persönliche Engagement zur Heilung der seltenen Krankheit Morbus Pompe ist der Film „Ausnahmesituation“ aus dem Jahr 2010. Er basiert auf der wahren Geschichte des Amerikaners John Francis Crowley, der ein Bio-Tech-Unternehmen gründete, um ein Medikament zu entwickeln, damit zwei seiner Kinder, die an Morbus Pompe leiden, behandelt werden können. Ursachenforschung Wie bei jeder Krankheit gilt auch bei seltenen, unerforschten Krankheiten die Devise: Je früher sie erkannt werden, desto schneller und besser kann man sie ggf. behandeln. Doch wie soll das gehen, wenn noch nicht einmal klar ist, welche Ursache hinter den Symptomen steckt? Oft versuchen Ärzte händeringend, die Folgeerscheinungen einer Krankheit in den Griff zu bekommen, ohne überhaupt zu ahnen, woher die Symptome rühren. Beispiel: Riskante Therapie durch fehlende Forschung Allein im Bereich der Immunologie sind über 200 seltene Krankheiten bekannt. Die Kinder leiden an schwersten und lebensbedrohlichen Infektionen und Entzündungen, die nur schwer zu behandeln sind, weil das Immunsystem nicht funktioniert – aufgrund eines winzigen Gendefekts. Viele Immundefekte können durch eine Knochenmarktransplantation dauerhaft geheilt werden. Wenn sich aber bereits Komplikationen durch chronische Infektionen eingestellt haben, wird diese Form der Therapie immer riskanter. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Forderung: Würde bei jedem Neugeborenen durch die Untersuchung eines Blutstropfens ein Screening-Test durchgeführt, um Immundefekte zu erkennen, könnten manche Folgeerkrankungen verhindert werden. Diese Maßnahme wird bereits in vielen Ländern im Rahmen des Neugeborenenscreenings umgesetzt. In Deutschland aber sind die Krankenkassen noch nicht bereit, diese Kosten zu übernehmen – beklagt Prof. Klein: Dabei wäre bei etwa 700.000 Neugeborenen im Jahr und vier Euro pro Test diese lebensrettende Maßnahme mit 2.8 Millionen Euro finanziert. Care-for-Rare-Center Am Haunerschen Kinderspital in München gibt es das Care-for-Rare-Center, ein Zentrum speziell für seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, das sogar weltweit in diesem Bereich koordinativ arbeitet. Die Ärzte im Haunerschen Kinderspital legen hier besonderen Wert darauf, interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Nicht das kranke Kind muss von Termin zu Termin, von Spezialist zu Spezialist weiterziehen – stattdessen gibt es eine Spezialsprechstunde, in der alle Ärzte zum Kind kommen. Damit auch erwachsene Patienten mit seltenen Erkrankungen besser betreut werden können, wird derzeit das „Münchner Zentrum für Seltene Erkrankungen“ etabliert. Kinder – besondere Patienten Mit einem kranken Kind werden auch immer unweigerlich die Eltern und das nahe familiäre Umfeld zu Betroffenen. Dieser Herausforderung muss sich jede Kinderklinik stellen. Das ist ein Balanceakt, den es zu meistern gilt. Wenn Kinder krank sind, betrifft das ebenso die Eltern, oft auch noch weitere Familienangehörige. Gerade bei seltenen Erkrankungen, die schwer diagnostiziert werden können, die langwierig, weil chronisch sind, bedeutet das für die ganze Familie eine Lebensumstellung. Plötzlich steht nur noch eine Person im Mittelpunkt – für Eltern und Geschwister bedeutet das: Verständnis aufbringen, die eigenen Bedürfnisse zurückschrauben; auf lange Zeit gesehen eine echte Herausforderung. Schwerer Alltag fürs Kind Gleichzeitig sieht sich das kranke Kind mit einer Lebensrealität konfrontiert, die so gar nicht kindgerecht ist: Langes Liegen im Bett, strikte Anweisungen befolgen, in fremder Umgebung wohnen, womöglich weit weg von Familie und Freunden, eine Isolation und nicht selten auch eine Stigmatisierung. Hier ist es die Aufgabe der Kinderkrankenhäuser, so gut wie möglich zu verhindern, dass Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 schwer kranke Kinder zusätzlich noch einen psychischen Schaden davontragen. „Krankheit ist immer mehr als die Summe der Fehlfunktionen von Organen, Zellen oder Genen. Krankheit hat immer auch ein psychische, eine geistige, auch eine soziale Dimension – und das ist bei Kindern noch viel offensichtlicher als bei Erwachsenen. In einer Zeit, in der die Medizin sich oft sehr einseitig auf das naturwissenschaftlich Definierbare, auf die Fehlfunktion von Zellen, begrenzt, vergessen wir, dass Medizin eigentlich viel mehr leisten kann und muss.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Kontakt zu mindestens einem Elternteil Im Haunerschen Kinderspital gilt die Regel, dass immer ein Elternteil beim kranken Kind sein darf - auch nachts. Eltern dürfen ihre Kinder sehen, wann immer sie wollen. Häufig reisen die Familien von weither an, deshalb gibt es dank einer Stiftung (Stiftung Omnibus) eine Elternunterkunft nahe der Klinik, so dass keine Übernachtungskosten entstehen. Die Rolle der Eltern Eltern spielen natürlich nicht nur für ihre kranken Kinder eine wichtige Rolle – auch die Ärzte sind darauf angewiesen, dass sie gemeinsam mit ihnen die besten Entscheidungen zum Wohl des Kindes treffen können. Das ist wesentlich einfacher, wenn für die Eltern im Krankenhaus Räume zur Verfügung stehen, in denen sie sich zwischendurch erholen können. Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind. Manchmal widersprechen sich aber die Vorstellungen von Ärzten und Sorgeberechtigten darüber, was wirklich das Beste ist. Während erwachsene Patienten selbst bestimmen können, welche Therapien angewendet werden sollen, kann diese Frage bei kranken Kindern zu komplizierten Entscheidungsprozessen führen. „Es geht darum, alle in einem Boot zu halten, alle mitzunehmen – in ihren Sorgen und Ängsten, aber auch in einer gemeinsamen Ausrichtung auf Therapieansätze. Wenn die Eltern nicht wollen, dass das Kind Tabletten nimmt, dann werden die Kinder auch keine Tabletten nehmen. Wenn das Kind aber z.B. Antibiotika braucht, dann haben wir ein Problem. Aber das kennt jeder Kinderarzt, und hier gilt es eben, gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 Warum ist gute Zusammenarbeit so wichtig? Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern ist schon deshalb so wichtig, weil es sich in den meisten Fällen um chronische Erkrankungen handelt, bei denen die Familie über Jahre hinweg regelmäßig mit den Ärzten zusammenkommt. So wird es zu einer Hauptaufgabe der Ärzte, die Eltern und Familienmitglieder zu motivieren, das Ziel der Behandlung nicht aus den Augen zu verlieren. Oft gilt es auch, eine Betreuung über die Klinikzeiten hinaus zu besprechen – also auch Einfluss auf den Familienalltag zu nehmen. Personal und Ambiente - Besonders geschult Wenn das Personal speziell für den Umgang mit Kindern ausgebildet ist, kann es den Bedürfnissen von Patienten und Familien gerecht werden. Außerdem gibt es einen hohen Anteil an Mitarbeitern im psycho-sozialen Bereich, die sich um das Wohl der Patienten und ihrer Angehörigen kümmern. „Leider unterliegen wir einem massiven finanziellen Druck – gerade im Bereich der umfassenden interdisziplinären und psychosozialen Betreuung fehlen die Ressourcen. Es ist ein großes Ärgernis, dass die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft keine Lobby haben, und dass die Gesundheit von schwerstkranken Kindern finanziell einen so geringen Stellenwert in unserem Gesundheitssystem hat.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Hilfe benötigen betroffene Familien auch, um sich im Dickicht der Sozialgesetzgebung zurecht zu finden. Schließlich wirkt sich die chronische, unheilbare Krankheit eines Kindes auch auf den Arbeitsalltag und damit auf die finanzielle Situation einer Familie aus. Auf Augenhöhe mit den Kindern Natürlich spielt das Ambiente in einem Kinderkrankenhaus eine wichtige Rolle. Wenn ein Kind schon seine natürliche, familiäre Umgebung verlassen muss, dann sollten sich Krankenhäuser wenigstens bemühen, eine kindgerechte Umgebung bereitzustellen. In Deutschland ist man diesbezüglich noch nicht so weit wie beispielsweise in den USA, wo Kinderkrankenhäuser einen höheren Stellenwert haben, dort können sie so etwas wie der ganze Stolz einer Stadt sein. „Ich habe in den USA viele Kinderkliniken besucht, die für mich in mancher Hinsicht Vorbildcharakter haben. Zum Beispiel müssen bei der Aufnahme eines Patienten viele Formulare ausgefüllt werden. Das geschieht meistens auf einem Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 hohen Tresen – angenehm für Erwachsene, aber das Kind, um das es ja geht, bekommt nichts mit; es wird buchstäblich über seinen Kopf hinweg gehandelt. Einfache Maßnahmen, wie zum Beispiel ein Tresen auf Kinderhöhe, kann das ändern. Somit wird dem Kind gleich zu Beginn die Angst davor genommen, was auf es zukommt.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Regel: Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen, bedeutet auch, sie nach den Maßgaben ihres Verständnisses in die Behandlung mit einzubeziehen. Märchenfiguren beim CT Eine kindgerechte Einrichtung beginnt beim kleineren Sitzhocker, betrifft Wandfarben und Spielräume. Und auch die medizinischen Untersuchungsräume dürfen sich von der Erwachsenenwelt unterscheiden. Um beispielsweise eine Computertomographie durchzuführen, muss ein Kind lange still in einer Röhre liegen. Schon Erwachsene haben hier Beklemmungen – aber sie können viel mehr überblicken, wie lange die Untersuchung dauern wird. Kleine Kinder müssen meistens narkotisiert werden, bevor sie ins CT kommen. Und in der Haunerschen Kinderklinik sehen sie, bevor sie in die Röhre hineinfahren, Märchenfiguren, die an die Decke gemalt sind. Internet für junge Patienten Für jugendliche Patienten gilt ebenfalls: sie ernst nehmen, und ihre natürlichen Lebensinhalte so weit wie möglich in den Krankenhausalltag zu integrieren. Das heißt auch, ihnen zu ermöglichen per WLAN auf ihren Smartphones und Computern ins Internet zu gehen, um über E-Mail oder Facebook im Austausch mit den Freunden bleiben zu können. Schule im Krankenhaus In spezialisierten Kinderkliniken gibt es seit einigen Jahren auch eine Schule für Kranke. Kinder und Jugendliche, die stationär behandelt werden müssen, sollen dadurch nicht allzu sehr aus dem Schulalltag herausgerissen werden. Je nach Individualzustand werden sie in kleinen Klassen unterrichtet oder bekommen Einzelunterricht am Krankenbett. Hier konnten in Bayern neue Wege beschritten werden, die sich seit vielen Jahren sehr bewährt haben. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 Krebspatient Kind - Diagnose: Sterbenskrank Krebs ist eine Krankheit, die vor allem mit Erwachsenen in Verbindung gebracht wird. Aber jedes Jahr erkranken in Deutschland knapp 2.000 Kinder an Krebs, meistens an Leukämie – eine Diagnose, die sie mit dem Thema Sterben konfrontiert. Die häufigste Krebserkrankung bei Kindern ist die Leukämie, also Blutkrebs. Aber auch Tumoren im Gehirn, dem Nervensystem, in der Leber oder – vor allem bei Jugendlichen – in den Knochen kommen vor. Neben der körperlichen Behandlung spielt gerade bei Krebs auch die psychische Betreuung eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Kind zusätzlich zu seiner eigenen Angst auch noch mit den Sorgen seiner Eltern und mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Das alles erfordert einen aufmerksamen Umgang mit der ganzen Familie, um die Situation nicht schlimmer zu machen, als sie schon ist. Krank aber daheim? Leukämiekranke Kinder werden nach speziellen Protokollen therapiert. Nach einer ersten, intensiven Behandlungsphase im Krankenhaus gehen sie nach Hause und kommen zur weiteren Chemotherapie zu ambulanten oder kurzen stationären Aufenthalten in die Klinik. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese Kinder aufgrund von Infektionen oder Komplikationen im Rahmen der Behandlung doch immer wieder über längere Zeit stationär behandelt werden müssen. Kinderonkologie: erfreulich gut organisiert Krebserkrankungen bei Kindern unterscheiden sich von denen bei Erwachsenen. Letztere haben oft Tumore in Brust, Prostata, Darm oder der Lunge – dieses Spektrum kommt bei Kindern so gut wie nicht vor. Durch eine gute Vernetzung konnten Ärzte und Wissenschaftler im Bereich der Kinderonkologie standardisierte Therapiemaßnahmen und klinische Studien entwickeln und dadurch beispielhaft zeigen, dass gemeinsame Forschungsanstrengungen zum Ziel führen können. Das erfreuliche Ergebnis: Während in den Fünfzigerjahren die Diagnose Krebs in jedem Fall für ein Kind den Tod bedeutete, können heute 80 Prozent der krebskranken Kinder dauerhaft geheilt werden. „Die Krebstherapie beruht allerdings immer noch auf teils archaischen Methoden. Zell-Gifte in Form der Chemotherapie haben zum Teil massive Nebenwirkungen. Aber wir sind gemeinsam mit vielen anderen Experten weltweit dabei, neue Verfahren einer Immuntherapie zu erproben, die ganz gezielt nur die Krebszellen eliminieren, ohne die gesunden Zellen anzugreifen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 8 Die Krebsbehandlung bei Kindern ist eine Erfolgsgeschichte der modernen Medizin – sie ermutigt uns, auf diesem Wege weiter zu gehen, damit wir in Zukunft alle Kinder gut behandeln können!“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München Weltweite Vernetzung – vorbildhaft Die hervorragenden und gut funktionierenden Strukturen, die dafür sorgen, dass in Europa und den USA krebskranke Kinder so erfolgreich behandelt werden können, dienen als Vorbild für die Herangehensweise auch an seltene Erkrankungen. Für Krebs gibt es Studienzentralen, in denen deutschlandweit alle Gewebeproben und Patientendaten gesammelt werden, um dieses Wissen für neue Fälle nutzen zu können. Gerade bei besonders seltenen Erkrankungen wäre so eine Dokumentation hilfreich, um Parallelfälle miteinander vergleichen zu können. Momentan gibt es in diesem Bereich erst ansatzweise eine Bündelung der Forschungsaktivitäten, bedauert Prof. Klein. Selbsthilfegruppe für betroffene Eltern Die Elterninitiative Intern 3 im Dr. von Haunerschen Kinderspital München e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, "der Krankheit Krebs bei Kindern Leben abzuringen". Die Initiative Intern 3 mit ihrem Vorsitzenden Alois Fruth versteht sich als Anlaufstelle für Eltern von Kindern, die an Krebs erkrankt sind oder an seltenen Erkrankungen leiden. Kontakt: Tel.: 08136-1078 Fax: 08136-9695 Mail: [email protected] http://www.eltern-intern3.de/ Problemkind Finanzierung - Kinder sind teuer, auch in der Medizin Geht es um Kinder, gelten gerade in der Medizin spezielle Regeln: Studien müssen berücksichtigen, dass Kinder sich noch im Wachstum befinden, und entsprechend besondere Rahmenbedingungen einhalten – das kann teuer werden. Und einen lukrativen Markt stellen Kinder mit gerade einmal elf Prozent Bevölkerungsanteil auch nicht dar. Tabletten in der Grauzone Viele Präparate sind nicht für eine Anwendung in der Kinderheilkunde zugelassen – weil sie nicht auch für Kinder entwickelt worden sind. Wenn sie Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 dennoch bei Kindern gegeben werden – und das ist sehr häufig nötig – bewegen sich Ärzte in einem Grenzbereich. Nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus ethischen Gründen ist es schwierig, Kinder in klinische Studien mit einzubeziehen. Gesetz verpflichtet Tatsächlich dürfen Pharmaunternehmen aber inzwischen nicht mehr an Kindern vorbeiforschen. Seit Januar 2007 sind sie per Gesetz dazu verpflichtet, die Wirkung jedes neuen Arzneimittels auch für Kinder und Jugendliche zu testen. Verordnung über Kinderarzneimittel Bis das Gesetz am 26. Januar 2007 in Kraft trat wurden Kinder – gerade wenn sie an seltenen Erkrankungen litten – mit Medikamenten behandelt, die nicht für ihre Altersgruppe zugelassen waren. Dieses Risiko mussten die behandelnden Ärzte eingehen, weil es keine Alternativen gab. Seit dem 26. Juli 2008 muss nun jedes neue Arzneimittel, bevor es zugelassen wird, ein sogenanntes „pädiatrisches Prüfkonzept“ vorweisen, in dem eine Anwendung an Kindern und Jugendlichen eingeschätzt werden muss. Neugeborenenscreening Weil vier von fünf seltenen Erkrankungen genetisch bedingt sind, wären prophylaktische Maßnahmen im Kindesalter beziehungsweise eine frühe Behandlung – sofern möglich – wünschenswert. Die besondere Chance: Werden manche Gendefekte rechtzeitig erkannt (zum Beispiel im Rahmen eines standardisierten Neugeborenenscreenings), kommt es vielleicht gar nicht erst zum Ausbruch von Folgeproblemen. Momentan werden bei diesem Screening Stoffwechselerkrankungen abgefragt. Aber auch die Technologie zum Screening auf Immundefekte ist bereits einsatzbereit. Beispiel: Darmentzündung Seit seinem zweiten Lebensmonat leidet Sevkan an schlimmsten Darmentzündungen. Kein Medikament hilft – der Junge wird jahrelang von Arzt zu Arzt gereicht, hat als Siebenjähriger bestimmt die Hälfte seines Lebens in Krankenhäusern verbracht. Schließlich wird sein gesamter Dickdarm entfernt. Aber auch das hilft nicht. Doch die betreuenden Ärzte und Wissenschaftler geben nicht auf. Vier Jahre lang forschen sie, um endlich herauszufinden, was die Ursache dieser schweren Erkrankung ist. Nicht die Zellen des Darms, sondern vielmehr die des Immunsystems sind krank. Durch einen Gendefekt funktionieren spezielle Antennen auf den Immunzellen des Jungen nicht. Sie reagieren auf die – Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 eigentlich guten und nützlichen – Darmbakterien wie auf Krankheitserreger, lösen Entzündungen aus, die sie auch nicht wieder einbremsen können. Diese Erkenntnis macht eine völlig neue Therapie möglich: Das Immunsystem des Jungen wird durch eine Zelltherapie erneuert. Vier Wochen später ist der Junge gesund – seine Darmentzündung war dauerhaft geheilt. Fazit Das Beispiel zeigt, dass nicht nur die Entwicklung von neuen Arzneimitteln durch die Pharmaindustrie benötigt wird. Stattdessen muss mehr in die medizinische Forschung investiert werden, um Krankheitsmechanismen zu verstehen. Dann können auch bereits bewährte Behandlungsmethoden neu eingesetzt werden. Care-for-Rare Das ist die Mission der Care-for-Rare Foundation für Kinder mit seltenen Erkrankungen. Sie will allen Kindern mit immer noch unheilbaren Erkrankungen die Chance auf Heilung geben – ohne Ansehen ihrer Herkunft und ihrer finanziellen Möglichkeiten. Die Geschichte von Sevkan zeigt, dass dieses Ansinnen immer wieder in die Tat umgesetzt werden kann. Ein namhafter Kreis von Unterstützern, darunter auch zwei Nobelpreisträger, hilft der Stiftung, diesem Ziel ein wenig näherzukommen. Ausblick - Drei Wünsche für die Zukunft Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München: „Ich wünsche mir … • … dass in Zukunft die anspruchsvolle interdisziplinäre und ganzheitliche Betreuung von kranken Kindern sichergestellt ist, ohne dass eine einseitige Ausrichtung an ökonomischen Prinzipien den patientenzentrierten Blick des Arztes verstellt. Das ist in Zeiten, in denen sich die Medizin immer mehr durch monetäre Interessen leiten lässt, eine schwierige Herausforderung.“ • … dass die Kindermedizin Solidarität erfährt. Denn nur durch eine Allianz mit anderen gesellschaftlichen Bereichen wie der Politik, der Wirtschaft, den Medien und Künsten kann sie auch zukünftig ihrem Auftrag gerecht werden, Kindern, die heute noch nicht geheilt werden können, morgen eine Chance auf ein gutes und gesundes Leben zu eröffnen.“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11 • … dass Kinder mehr wertgeschätzt und in ihren Bedürfnissen ernstgenommen werden. Nelson Mandela sagte einst: „Es gibt keine enthüllendere Offenbarung der Seele einer Gesellschaft als die Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.“ Als Kinderärzte stehen wir auch in der Verantwortung, Advokaten für kranke Kinder zu sein.“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 12
© Copyright 2025 ExpyDoc