Seltene Erkrankungen und Krebs bei Kindern

Gesundheitsgespräch
Seltene Erkrankungen und Krebs bei Kindern
Sendedatum:
27.02.2016
Experte:
Prof. Dr. Dr. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im
Dr. von Haunerschen Kinderspital, FA Kinder- und Jugendmedizin, KinderHämatologie und -Onkologie
Autorin: Kathrin Hasselbeck
Seltene Erkrankungen und Krebs bei Kindern
In Europa gilt eine Krankheit dann als selten, wenn höchstens fünf von 10.000
Menschen davon betroffen sind. Die Widrigkeiten, die so eine Erkrankung mit
sich bringt, liegen auf der Hand: Es dauert lange, bis die richtige Diagnose
festgestellt ist; ein standardisiertes Therapiesystem gibt es oft nicht, was die
Behandlung erschwert; und meistens handelt es sich auch noch um chronische,
unheilbare Erkrankungen. Medikamente müssten womöglich erst entwickelt
werden, aber Forschungsmittel sind in solchen Fällen selten vorhanden.
Betroffen: Kinder
Seltene Erkrankungen werden in achtzig Prozent der Fälle durch genetische
Faktoren ausgelöst und spielen deshalb schon von Geburt an eine Rolle –
Kinder sind also besonders häufig betroffen. Und Kinder bringen als Patienten
besondere Herausforderungen mit sich: Sie befinden sich in ihrer körperlichen
und geistigen Entwicklung und brauchen ihr familiäres Umfeld, besonders ihre
engsten Bezugspersonen, sonst sind sie für die notwendigen Behandlungen
nicht stabil genug oder tragen psychische Schäden davon. Auch das
Krankenhauspersonal muss speziell geschult sein, um auf die Bedürfnisse von
Kinderpatienten eingehen zu können.
Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. med. Christoph Klein, dem Direktor der
Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München zugrunde.
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Therapeutic orphans - Selten, aber krank
Bislang sind über 6.000 seltene Erkrankungen bekannt – jede Woche werden
es mehr. Doch bis eine Diagnose feststeht, können Jahre vergehen, in denen
Familien von einem Arzt zum nächsten irren und Fehldiagnosen zu fatalen
Behandlungsfehlern führen.
Sie heißen Morbus Pompe, Wiskott-Aldrich Syndrom oder
Trichohepatoenterales Syndrom – aber kaum ein Arzt kennt sie. Denn im
Medizinstudium spielen seltene Erkrankungen kaum eine Rolle – wie auch?
Schließlich gibt es tausende – betroffen aber sind nur wenige Patienten. In allen
medizinischen Fachbereichen kommen seltene Erkrankungen vor:
Augenheilkunde, Gastroenterologie, Kardiologie, Neurologie usw. Darüber
hinaus erfordern sowohl der Weg zur Diagnose als auch die Behandlung eine
interdisziplinäre Zusammenarbeit. Denn den einen „Spezialisten für seltene
Erkrankungen“ gibt es nicht.
Waisen der Medizin
„Therapeutic orphans“, Waisen der Medizin, so werden Patienten genannt,
deren Erkrankung so selten ist, dass es sich für die Pharmaindustrie nicht
lohnen würde, ein Medikament zu entwickeln. Hier sind neue Konzepte gefragt,
zum Beispiel seitens der Politik.
„Die Entwicklung eines Medikaments kostet viele Millionen Euro – wenn Sie
danach nur hundert Patienten weltweit haben, dann lohnt sich das nicht. Das
kann man der Industrie so auch nicht zum Vorwurf machen. Wichtig ist es,
einerseits über andere Wege an Geld zu kommen, andererseits neue Konzepte
der Arzneimittelentwicklung zu erproben. Hier hat sich in den letzten Jahren
auch eine positive Tendenz gezeigt: Sowohl die Bundesregierung als auch
verschiedene Forschungsförderungsorganisationen haben begonnen, spezielle
Förderprogramme aufzulegen, um Therapien für Menschen mit seltenen
Erkrankungen zu entwickeln. Das ist ein wichtiges und wertvolles Zeichen.“
Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von
Haunerschen Kinderspital München
Geld für die Forschung
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert deutschlandweit
derzeit zehn Forschungsbündnisse zu unterschiedlichen seltenen
Erkrankungen. Dabei geht es vor allem um die Aufdeckung der
Krankheitsursachen, denn nur wenn klar ist, wo eine Krankheit entspringt,
können eine genaue Diagnose erstellt und eine passende Therapie gefunden
werden.
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Doch ein Geschäft für die Pharmafirmen
Inzwischen konnte auch das Interesse der Pharmaindustrie geweckt werden.
Diese entdeckt gerade den Markt für seltene Erkrankungen. Sobald es weltweit
einige Hundert Patienten mit einer seltenen Erkrankung gibt, kann sich die
Entwicklung eines neuen Wirkstoffs eventuell schon rentieren – er wird einfach
zu extrem hohen Preisen verkauft. Ein Beispiel ist die Enzymersatztherapie bei
genetisch verursachten Enzymdefekten. Sie kann im Jahr je nach
Krankheitsbild € 100.000 oder mehr kosten.
Weitere Forschungsförderung - Druck durch Betroffenenverbände
Das Internet ermöglicht es, dass sich Betroffene besser untereinander
vernetzen können. Aus der ganzen Welt finden sich Eltern und Ärzte von
Kindern, die an seltenen Krankheiten leiden.
Sie schließen sich zusammen, tauschen Erfahrungen aus, machen einander
Mut. Dadurch entstehen Interessensverbände, die Forschungsmittel auftreiben,
aber durchaus auch wirksamen politischen Druck ausüben können.
Ein beeindruckendes Beispiel für das persönliche Engagement zur Heilung der
seltenen Krankheit Morbus Pompe ist der Film „Ausnahmesituation“ aus dem
Jahr 2010. Er basiert auf der wahren Geschichte des Amerikaners John Francis
Crowley, der ein Bio-Tech-Unternehmen gründete, um ein Medikament zu
entwickeln, damit zwei seiner Kinder, die an Morbus Pompe leiden, behandelt
werden können.
Ursachenforschung
Wie bei jeder Krankheit gilt auch bei seltenen, unerforschten Krankheiten die
Devise: Je früher sie erkannt werden, desto schneller und besser kann man sie
ggf. behandeln. Doch wie soll das gehen, wenn noch nicht einmal klar ist,
welche Ursache hinter den Symptomen steckt? Oft versuchen Ärzte
händeringend, die Folgeerscheinungen einer Krankheit in den Griff zu
bekommen, ohne überhaupt zu ahnen, woher die Symptome rühren.
Beispiel: Riskante Therapie durch fehlende Forschung
Allein im Bereich der Immunologie sind über 200 seltene Krankheiten bekannt.
Die Kinder leiden an schwersten und lebensbedrohlichen Infektionen und
Entzündungen, die nur schwer zu behandeln sind, weil das Immunsystem nicht
funktioniert – aufgrund eines winzigen Gendefekts. Viele Immundefekte können
durch eine Knochenmarktransplantation dauerhaft geheilt werden. Wenn sich
aber bereits Komplikationen durch chronische Infektionen eingestellt haben,
wird diese Form der Therapie immer riskanter.
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Forderung:
Würde bei jedem Neugeborenen durch die Untersuchung eines Blutstropfens
ein Screening-Test durchgeführt, um Immundefekte zu erkennen, könnten
manche Folgeerkrankungen verhindert werden. Diese Maßnahme wird bereits
in vielen Ländern im Rahmen des Neugeborenenscreenings umgesetzt. In
Deutschland aber sind die Krankenkassen noch nicht bereit, diese Kosten zu
übernehmen – beklagt Prof. Klein: Dabei wäre bei etwa 700.000 Neugeborenen
im Jahr und vier Euro pro Test diese lebensrettende Maßnahme mit 2.8
Millionen Euro finanziert.
Care-for-Rare-Center
Am Haunerschen Kinderspital in München gibt es das Care-for-Rare-Center,
ein Zentrum speziell für seltene Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen,
das sogar weltweit in diesem Bereich koordinativ arbeitet. Die Ärzte im
Haunerschen Kinderspital legen hier besonderen Wert darauf, interdisziplinär
zusammenzuarbeiten. Nicht das kranke Kind muss von Termin zu Termin, von
Spezialist zu Spezialist weiterziehen – stattdessen gibt es eine
Spezialsprechstunde, in der alle Ärzte zum Kind kommen.
Damit auch erwachsene Patienten mit seltenen Erkrankungen besser betreut
werden können, wird derzeit das „Münchner Zentrum für Seltene
Erkrankungen“ etabliert.
Kinder – besondere Patienten
Mit einem kranken Kind werden auch immer unweigerlich die Eltern und das
nahe familiäre Umfeld zu Betroffenen. Dieser Herausforderung muss sich jede
Kinderklinik stellen. Das ist ein Balanceakt, den es zu meistern gilt.
Wenn Kinder krank sind, betrifft das ebenso die Eltern, oft auch noch weitere
Familienangehörige. Gerade bei seltenen Erkrankungen, die schwer
diagnostiziert werden können, die langwierig, weil chronisch sind, bedeutet das
für die ganze Familie eine Lebensumstellung. Plötzlich steht nur noch eine
Person im Mittelpunkt – für Eltern und Geschwister bedeutet das: Verständnis
aufbringen, die eigenen Bedürfnisse zurückschrauben; auf lange Zeit gesehen
eine echte Herausforderung.
Schwerer Alltag fürs Kind
Gleichzeitig sieht sich das kranke Kind mit einer Lebensrealität konfrontiert, die
so gar nicht kindgerecht ist: Langes Liegen im Bett, strikte Anweisungen
befolgen, in fremder Umgebung wohnen, womöglich weit weg von Familie und
Freunden, eine Isolation und nicht selten auch eine Stigmatisierung. Hier ist es
die Aufgabe der Kinderkrankenhäuser, so gut wie möglich zu verhindern, dass
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schwer kranke Kinder zusätzlich noch einen psychischen Schaden
davontragen.
„Krankheit ist immer mehr als die Summe der Fehlfunktionen von Organen,
Zellen oder Genen. Krankheit hat immer auch ein psychische, eine geistige,
auch eine soziale Dimension – und das ist bei Kindern noch viel offensichtlicher
als bei Erwachsenen. In einer Zeit, in der die Medizin sich oft sehr einseitig auf
das naturwissenschaftlich Definierbare, auf die Fehlfunktion von Zellen,
begrenzt, vergessen wir, dass Medizin eigentlich viel mehr leisten kann und
muss.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im
Dr. von Haunerschen Kinderspital München
Kontakt zu mindestens einem Elternteil
Im Haunerschen Kinderspital gilt die Regel, dass immer ein Elternteil beim
kranken Kind sein darf - auch nachts. Eltern dürfen ihre Kinder sehen, wann
immer sie wollen. Häufig reisen die Familien von weither an, deshalb gibt es
dank einer Stiftung (Stiftung Omnibus) eine Elternunterkunft nahe der Klinik, so
dass keine Übernachtungskosten entstehen.
Die Rolle der Eltern
Eltern spielen natürlich nicht nur für ihre kranken Kinder eine wichtige Rolle –
auch die Ärzte sind darauf angewiesen, dass sie gemeinsam mit ihnen die
besten Entscheidungen zum Wohl des Kindes treffen können. Das ist
wesentlich einfacher, wenn für die Eltern im Krankenhaus Räume zur
Verfügung stehen, in denen sie sich zwischendurch erholen können.
Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind. Manchmal widersprechen sich aber
die Vorstellungen von Ärzten und Sorgeberechtigten darüber, was wirklich das
Beste ist. Während erwachsene Patienten selbst bestimmen können, welche
Therapien angewendet werden sollen, kann diese Frage bei kranken Kindern
zu komplizierten Entscheidungsprozessen führen.
„Es geht darum, alle in einem Boot zu halten, alle mitzunehmen – in ihren
Sorgen und Ängsten, aber auch in einer gemeinsamen Ausrichtung auf
Therapieansätze. Wenn die Eltern nicht wollen, dass das Kind Tabletten nimmt,
dann werden die Kinder auch keine Tabletten nehmen. Wenn das Kind aber
z.B. Antibiotika braucht, dann haben wir ein Problem. Aber das kennt jeder
Kinderarzt, und hier gilt es eben, gemeinsam eine Lösung zu finden.“ Prof.
Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von
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Warum ist gute Zusammenarbeit so wichtig?
Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern ist schon deshalb so wichtig, weil es
sich in den meisten Fällen um chronische Erkrankungen handelt, bei denen die
Familie über Jahre hinweg regelmäßig mit den Ärzten zusammenkommt. So
wird es zu einer Hauptaufgabe der Ärzte, die Eltern und Familienmitglieder zu
motivieren, das Ziel der Behandlung nicht aus den Augen zu verlieren. Oft gilt
es auch, eine Betreuung über die Klinikzeiten hinaus zu besprechen – also
auch Einfluss auf den Familienalltag zu nehmen.
Personal und Ambiente - Besonders geschult
Wenn das Personal speziell für den Umgang mit Kindern ausgebildet ist, kann
es den Bedürfnissen von Patienten und Familien gerecht werden. Außerdem
gibt es einen hohen Anteil an Mitarbeitern im psycho-sozialen Bereich, die sich
um das Wohl der Patienten und ihrer Angehörigen kümmern.
„Leider unterliegen wir einem massiven finanziellen Druck – gerade im Bereich
der umfassenden interdisziplinären und psychosozialen Betreuung fehlen die
Ressourcen. Es ist ein großes Ärgernis, dass die schwächsten Mitglieder
unserer Gesellschaft keine Lobby haben, und dass die Gesundheit von
schwerstkranken Kindern finanziell einen so geringen Stellenwert in unserem
Gesundheitssystem hat.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und
Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München
Hilfe benötigen betroffene Familien auch, um sich im Dickicht der
Sozialgesetzgebung zurecht zu finden. Schließlich wirkt sich die chronische,
unheilbare Krankheit eines Kindes auch auf den Arbeitsalltag und damit auf die
finanzielle Situation einer Familie aus.
Auf Augenhöhe mit den Kindern
Natürlich spielt das Ambiente in einem Kinderkrankenhaus eine wichtige Rolle.
Wenn ein Kind schon seine natürliche, familiäre Umgebung verlassen muss,
dann sollten sich Krankenhäuser wenigstens bemühen, eine kindgerechte
Umgebung bereitzustellen. In Deutschland ist man diesbezüglich noch nicht so
weit wie beispielsweise in den USA, wo Kinderkrankenhäuser einen höheren
Stellenwert haben, dort können sie so etwas wie der ganze Stolz einer Stadt
sein.
„Ich habe in den USA viele Kinderkliniken besucht, die für mich in mancher
Hinsicht Vorbildcharakter haben. Zum Beispiel müssen bei der Aufnahme eines
Patienten viele Formulare ausgefüllt werden. Das geschieht meistens auf einem
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hohen Tresen – angenehm für Erwachsene, aber das Kind, um das es ja geht,
bekommt nichts mit; es wird buchstäblich über seinen Kopf hinweg gehandelt.
Einfache Maßnahmen, wie zum Beispiel ein Tresen auf Kinderhöhe, kann das
ändern. Somit wird dem Kind gleich zu Beginn die Angst davor genommen, was
auf es zukommt.“ Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und
Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München
Regel:
Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen, bedeutet auch, sie
nach den Maßgaben ihres Verständnisses in die Behandlung mit
einzubeziehen.
Märchenfiguren beim CT
Eine kindgerechte Einrichtung beginnt beim kleineren Sitzhocker, betrifft
Wandfarben und Spielräume. Und auch die medizinischen
Untersuchungsräume dürfen sich von der Erwachsenenwelt unterscheiden. Um
beispielsweise eine Computertomographie durchzuführen, muss ein Kind lange
still in einer Röhre liegen. Schon Erwachsene haben hier Beklemmungen –
aber sie können viel mehr überblicken, wie lange die Untersuchung dauern
wird. Kleine Kinder müssen meistens narkotisiert werden, bevor sie ins CT
kommen. Und in der Haunerschen Kinderklinik sehen sie, bevor sie in die
Röhre hineinfahren, Märchenfiguren, die an die Decke gemalt sind.
Internet für junge Patienten
Für jugendliche Patienten gilt ebenfalls: sie ernst nehmen, und ihre natürlichen
Lebensinhalte so weit wie möglich in den Krankenhausalltag zu integrieren. Das
heißt auch, ihnen zu ermöglichen per WLAN auf ihren Smartphones und
Computern ins Internet zu gehen, um über E-Mail oder Facebook im Austausch
mit den Freunden bleiben zu können.
Schule im Krankenhaus
In spezialisierten Kinderkliniken gibt es seit einigen Jahren auch eine Schule für
Kranke. Kinder und Jugendliche, die stationär behandelt werden müssen, sollen
dadurch nicht allzu sehr aus dem Schulalltag herausgerissen werden. Je nach
Individualzustand werden sie in kleinen Klassen unterrichtet oder bekommen
Einzelunterricht am Krankenbett. Hier konnten in Bayern neue Wege
beschritten werden, die sich seit vielen Jahren sehr bewährt haben.
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Krebspatient Kind - Diagnose: Sterbenskrank
Krebs ist eine Krankheit, die vor allem mit Erwachsenen in Verbindung gebracht
wird. Aber jedes Jahr erkranken in Deutschland knapp 2.000 Kinder an Krebs,
meistens an Leukämie – eine Diagnose, die sie mit dem Thema Sterben
konfrontiert.
Die häufigste Krebserkrankung bei Kindern ist die Leukämie, also Blutkrebs.
Aber auch Tumoren im Gehirn, dem Nervensystem, in der Leber oder – vor
allem bei Jugendlichen – in den Knochen kommen vor. Neben der körperlichen
Behandlung spielt gerade bei Krebs auch die psychische Betreuung eine
wichtige Rolle. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Kind zusätzlich zu seiner eigenen
Angst auch noch mit den Sorgen seiner Eltern und mit Schuldgefühlen zu
kämpfen hat. Das alles erfordert einen aufmerksamen Umgang mit der ganzen
Familie, um die Situation nicht schlimmer zu machen, als sie schon ist.
Krank aber daheim?
Leukämiekranke Kinder werden nach speziellen Protokollen therapiert. Nach
einer ersten, intensiven Behandlungsphase im Krankenhaus gehen sie nach
Hause und kommen zur weiteren Chemotherapie zu ambulanten oder kurzen
stationären Aufenthalten in die Klinik.
Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese Kinder aufgrund von
Infektionen oder Komplikationen im Rahmen der Behandlung doch immer
wieder über längere Zeit stationär behandelt werden müssen.
Kinderonkologie: erfreulich gut organisiert
Krebserkrankungen bei Kindern unterscheiden sich von denen bei
Erwachsenen. Letztere haben oft Tumore in Brust, Prostata, Darm oder der
Lunge – dieses Spektrum kommt bei Kindern so gut wie nicht vor. Durch eine
gute Vernetzung konnten Ärzte und Wissenschaftler im Bereich der
Kinderonkologie standardisierte Therapiemaßnahmen und klinische Studien
entwickeln und dadurch beispielhaft zeigen, dass gemeinsame
Forschungsanstrengungen zum Ziel führen können.
Das erfreuliche Ergebnis: Während in den Fünfzigerjahren die Diagnose Krebs
in jedem Fall für ein Kind den Tod bedeutete, können heute 80 Prozent der
krebskranken Kinder dauerhaft geheilt werden.
„Die Krebstherapie beruht allerdings immer noch auf teils archaischen
Methoden. Zell-Gifte in Form der Chemotherapie haben zum Teil massive
Nebenwirkungen. Aber wir sind gemeinsam mit vielen anderen Experten
weltweit dabei, neue Verfahren einer Immuntherapie zu erproben, die ganz
gezielt nur die Krebszellen eliminieren, ohne die gesunden Zellen anzugreifen.
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Die Krebsbehandlung bei Kindern ist eine Erfolgsgeschichte der modernen
Medizin – sie ermutigt uns, auf diesem Wege weiter zu gehen, damit wir in
Zukunft alle Kinder gut behandeln können!“ Prof. Christoph Klein, Direktor der
Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital München
Weltweite Vernetzung – vorbildhaft
Die hervorragenden und gut funktionierenden Strukturen, die dafür sorgen,
dass in Europa und den USA krebskranke Kinder so erfolgreich behandelt
werden können, dienen als Vorbild für die Herangehensweise auch an seltene
Erkrankungen. Für Krebs gibt es Studienzentralen, in denen deutschlandweit
alle Gewebeproben und Patientendaten gesammelt werden, um dieses Wissen
für neue Fälle nutzen zu können. Gerade bei besonders seltenen Erkrankungen
wäre so eine Dokumentation hilfreich, um Parallelfälle miteinander vergleichen
zu können. Momentan gibt es in diesem Bereich erst ansatzweise eine
Bündelung der Forschungsaktivitäten, bedauert Prof. Klein.
Selbsthilfegruppe für betroffene Eltern
Die Elterninitiative Intern 3 im Dr. von Haunerschen Kinderspital München e.V.
hat sich zum Ziel gesetzt, "der Krankheit Krebs bei Kindern Leben abzuringen".
Die Initiative Intern 3 mit ihrem Vorsitzenden Alois Fruth versteht sich als
Anlaufstelle für Eltern von Kindern, die an Krebs erkrankt sind oder an seltenen
Erkrankungen leiden.
Kontakt:
Tel.: 08136-1078
Fax: 08136-9695
Mail: [email protected]
http://www.eltern-intern3.de/
Problemkind Finanzierung - Kinder sind teuer, auch in der Medizin
Geht es um Kinder, gelten gerade in der Medizin spezielle Regeln: Studien
müssen berücksichtigen, dass Kinder sich noch im Wachstum befinden, und
entsprechend besondere Rahmenbedingungen einhalten – das kann teuer
werden. Und einen lukrativen Markt stellen Kinder mit gerade einmal elf Prozent
Bevölkerungsanteil auch nicht dar.
Tabletten in der Grauzone
Viele Präparate sind nicht für eine Anwendung in der Kinderheilkunde
zugelassen – weil sie nicht auch für Kinder entwickelt worden sind. Wenn sie
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dennoch bei Kindern gegeben werden – und das ist sehr häufig nötig –
bewegen sich Ärzte in einem Grenzbereich. Nicht nur aus finanziellen, sondern
auch aus ethischen Gründen ist es schwierig, Kinder in klinische Studien mit
einzubeziehen.
Gesetz verpflichtet
Tatsächlich dürfen Pharmaunternehmen aber inzwischen nicht mehr an Kindern
vorbeiforschen. Seit Januar 2007 sind sie per Gesetz dazu verpflichtet, die
Wirkung jedes neuen Arzneimittels auch für Kinder und Jugendliche zu testen.
Verordnung über Kinderarzneimittel
Bis das Gesetz am 26. Januar 2007 in Kraft trat wurden Kinder – gerade wenn
sie an seltenen Erkrankungen litten – mit Medikamenten behandelt, die nicht für
ihre Altersgruppe zugelassen waren. Dieses Risiko mussten die behandelnden
Ärzte eingehen, weil es keine Alternativen gab. Seit dem 26. Juli 2008 muss
nun jedes neue Arzneimittel, bevor es zugelassen wird, ein sogenanntes
„pädiatrisches Prüfkonzept“ vorweisen, in dem eine Anwendung an Kindern und
Jugendlichen eingeschätzt werden muss.
Neugeborenenscreening
Weil vier von fünf seltenen Erkrankungen genetisch bedingt sind, wären
prophylaktische Maßnahmen im Kindesalter beziehungsweise eine frühe
Behandlung – sofern möglich – wünschenswert. Die besondere Chance:
Werden manche Gendefekte rechtzeitig erkannt (zum Beispiel im Rahmen
eines standardisierten Neugeborenenscreenings), kommt es vielleicht gar nicht
erst zum Ausbruch von Folgeproblemen. Momentan werden bei diesem
Screening Stoffwechselerkrankungen abgefragt. Aber auch die Technologie
zum Screening auf Immundefekte ist bereits einsatzbereit.
Beispiel: Darmentzündung
Seit seinem zweiten Lebensmonat leidet Sevkan an schlimmsten
Darmentzündungen. Kein Medikament hilft – der Junge wird jahrelang von Arzt
zu Arzt gereicht, hat als Siebenjähriger bestimmt die Hälfte seines Lebens in
Krankenhäusern verbracht. Schließlich wird sein gesamter Dickdarm entfernt.
Aber auch das hilft nicht.
Doch die betreuenden Ärzte und Wissenschaftler geben nicht auf. Vier Jahre
lang forschen sie, um endlich herauszufinden, was die Ursache dieser
schweren Erkrankung ist. Nicht die Zellen des Darms, sondern vielmehr die des
Immunsystems sind krank. Durch einen Gendefekt funktionieren spezielle
Antennen auf den Immunzellen des Jungen nicht. Sie reagieren auf die –
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eigentlich guten und nützlichen – Darmbakterien wie auf Krankheitserreger,
lösen Entzündungen aus, die sie auch nicht wieder einbremsen können. Diese
Erkenntnis macht eine völlig neue Therapie möglich: Das Immunsystem des
Jungen wird durch eine Zelltherapie erneuert. Vier Wochen später ist der Junge
gesund – seine Darmentzündung war dauerhaft geheilt.
Fazit
Das Beispiel zeigt, dass nicht nur die Entwicklung von neuen Arzneimitteln
durch die Pharmaindustrie benötigt wird. Stattdessen muss mehr in die
medizinische Forschung investiert werden, um Krankheitsmechanismen zu
verstehen. Dann können auch bereits bewährte Behandlungsmethoden neu
eingesetzt werden.
Care-for-Rare
Das ist die Mission der Care-for-Rare Foundation für Kinder mit seltenen
Erkrankungen. Sie will allen Kindern mit immer noch unheilbaren Erkrankungen
die Chance auf Heilung geben – ohne Ansehen ihrer Herkunft und ihrer
finanziellen Möglichkeiten. Die Geschichte von Sevkan zeigt, dass dieses
Ansinnen immer wieder in die Tat umgesetzt werden kann. Ein namhafter Kreis
von Unterstützern, darunter auch zwei Nobelpreisträger, hilft der Stiftung,
diesem Ziel ein wenig näherzukommen.
Ausblick - Drei Wünsche für die Zukunft
Prof. Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von
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„Ich wünsche mir …
• … dass in Zukunft die anspruchsvolle interdisziplinäre und ganzheitliche
Betreuung von kranken Kindern sichergestellt ist, ohne dass eine
einseitige Ausrichtung an ökonomischen Prinzipien den
patientenzentrierten Blick des Arztes verstellt. Das ist in Zeiten, in denen
sich die Medizin immer mehr durch monetäre Interessen leiten lässt, eine
schwierige Herausforderung.“
•
… dass die Kindermedizin Solidarität erfährt. Denn nur durch eine Allianz
mit anderen gesellschaftlichen Bereichen wie der Politik, der Wirtschaft,
den Medien und Künsten kann sie auch zukünftig ihrem Auftrag gerecht
werden, Kindern, die heute noch nicht geheilt werden können, morgen
eine Chance auf ein gutes und gesundes Leben zu eröffnen.“
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•
… dass Kinder mehr wertgeschätzt und in ihren Bedürfnissen
ernstgenommen werden. Nelson Mandela sagte einst: „Es gibt keine
enthüllendere Offenbarung der Seele einer Gesellschaft als die Art und
Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.“ Als Kinderärzte stehen wir
auch in der Verantwortung, Advokaten für kranke Kinder zu sein.“
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