Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 28.10.2015
9.35 Uhr / B2
AUFNAHME:
STUDIO:
PHILOSOPHIE, RELIGION, ETHIK
Ab 9. Schuljahr
TITEL:
Das Böse
Zwischen Abscheu und Faszination
AUTORIN:
Nathalie Weidenfeld
REDAKTION:
Bernhard Kastner
REGIE:
Christiane Klenz
TECHNIK:
Christine Frey und Susanne Herzig
PERSONEN:
Sprecher
Rainer Bock
Sprecherin
Laura Maire
Zitator
Shenja Lacher
Zitatorin
Katja Schild
Im O-Ton:
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Prof Dr. Wolf Singer,
Prof. Dr. Jörg von Brincken
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2
MUSIK Hilarious C1557280 111
unter nachfolgendem Zitator Kreuzblende
MUSIK With Suspicion Z8007273 104
ZITATOR
Und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude
sich nicht zu lassen wusste und ein großes Fest anstellte. Er lud auch die weisen
Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer
dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von
welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheimbleiben. Das Fest
ward mit aller Pracht gefeiert. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat
plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht
eingeladen war und ohne jemand zu grüßen oder nur anzusehen, rief sie mit
lauter Stimme: „Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer
Spindel stechen und tot hinfallen.“ Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte
sie sich um und verließ den Saal.
SPRECHERIN
Die böse Fee, die aus purer Lust am Bösen andere verflucht, einsperrt, oder tötet
ist ein zentrales Motiv im Märchen. Ihr gegenüber steht die liebe und gute Fee,
oder die liebe und unschuldige Prinzessin, die natürlich niemals andere
verfluchen, einsperren oder töten würde. Zum Glück kann man das Böse im
Märchen immer schnell erkennen, denn die böse Fee ist nicht nur böse, sondern
häufig auch hässlich. Auch wenn ein Bösewicht in einem Disneyfilm auftaucht,
trägt dieser immer dunkle Kleider – meist dauert es auch nicht lange und der
Himmel verdunkelt sich. Doch wie sieht es im realen Leben aus? Ist das Böse
auch dort so leicht zu erkennen? Woher kommt 'das Böse' eigentlich? Welche
Formen kann es annehmen? Und kann das Böse auch anziehend oder sogar
'erotisch' sein?
MUSIK zu Ende
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SPRECHER
In der christlichen Lehre herrscht die kanonische Meinung vor, dass 'der Teufel'
Schuld daran sei, wenn ein Mensch Böses tut. In früheren Malereien taucht der
Teufel als behuftes und gehörntes Wesen auf, das nur darauf aus ist, zu töten, zu
zerstören und Streit in die Welt zu bringen.
Auf diese Vorstellung beruft sich auch Goethe, der in seinem Faust den Teufel mit
folgenden berühmten Worten auftreten lässt:
ZITATOR
Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles was entsteht /
Ist wert, dass es zu Grunde geht; / Drum besser wär’s, dass nichts entstünde. / So
ist denn alles was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein
eigentliches Element.
MUSIK Quartermaster Z8000413 111
SPRECHERIN
Heutzutage ist die Vorstellung von einem solchen personalisierten Bösen, dem
behuften und gehörnten Teufel also, nicht mehr zeitgemäß. Der Teufel macht uns
keine Angst mehr, lediglich zu Fasching tauchen noch Teufel auf, meist in Form
verkleideter Kinder, die sich schwarze Kostümchen anziehen und rote
Plastikhörner überstülpen. Wenn es also nicht der Teufel ist, der uns Menschen
Böses tun lässt, woher kommt es dann, das sogenannte 'Böse'?
MUSIK freistehend
SPRECHERIN
Der zeitgenössischen Neurowissenschaft zufolge hat das Böse im Gehirn
jedenfalls keinen Platz. Einer der prominentesten Hirnforscher,
Professor Wolf Singer, formuliert das folgendermaßen:
MUSIK zu Ende
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MUSIK With Suspicion setzt unter nachfolgendem O-Ton ein
O-TON 1 - Wolf Singer
„Das Böse ist ja eine Zuschreibung, die ja möglich ist, weil sie sich an
irgendwelchen normativen Systemen orientiert. Was ist schon böse. Also,
Aggression kann ja etwas sehr Gutes sein, wenn es darum geht, sich selbst und
seine Kinder zu verteidigen. Das Böse ist eine Zuschreibung, die soziokulturell
entstanden ist. Der Begriff ‚Böse‘ ist eine soziale Realität, das ist nicht etwas, was
man so im Gehirn einfach finden kann. Was man im Gehirn wohl finden kann, sind
Zentren, die Aggressionen vermitteln, ein aggressives Verhalten auch auslösen,
und es gibt Zentren, die auch aggressives Verhalten blockieren. Ich glaube also
nicht, dass man von einem Absolutum ‚Das Böse‘ sprechen kann als Hirnforscher.
Weil Böse ist ja wirklich eine Konnotation, die muss man herleiten. Was für die
einen 'böse' ist, bringt die anderen in den Himmel. Ich meine, jemand, der sich mit
dem Sprenggürtel in die Luft sprengt, der wird von seiner Umgebung gepriesen als
Märtyrer und kriegt den Himmel mit den 40 Jungfrauen versprochen. Für uns ist
das eine der schlimmsten Taten, die man begehen kann, sich umbringen und
andere mit in den Tod reißen. Was böse ist, legen wir fest, und nicht die Biologie.“
SPRECHER
Aber was kann man tun, wenn Menschen böse Handlungen vollziehen wollen?
Gibt es hierfür aus neurophysiologischer Sicht Auswege?
MUSIK klingt unter dem Anfang des nachfolgenden O-Tons aus
O-Ton 2 - Wolf Singer
„Wenn wir Verhalten korrigieren wollen, dann wollen wir eigentlich abweichendes
Verhalten so beeinflussen – und das tun wir natürlich exzessiv durch Erziehung
und durch Abschreckung und durch Belohnung, um Menschen kompensiert in
einem sozialen Gefüge halten zu können. Im eigenen Interesse, aber auch wenn
man altruistisch ist, im Interesse dieser Menschen. Wir wollen nicht, dass unsere
Kinder kollidieren mit der Welt. Das glaube ich nach wie vor erprobteste Mittel, das
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hinzukriegen, ist Erziehung, also Attraktoren schaffen, abstoßende durch
Bestrafung und anziehende durch Belohnung."
SPRECHERIN
Für den Philosophen Julian Nida-Rümelin ist das Böse hingegen mehr als nur ein
soziokulturelles Konstrukt:
O-TON 3 - Julian Nida-Rümelin
„Es gibt nach meiner festen Überzeugung objektiv Richtiges und objektiv
Falsches. Wir versuchen das zu erkennen, dafür tauschen wir Argumente aus. Wir
sind uns alle einig, dass der Völkermord an den Juden ein Unrecht war, eines der
schlimmsten Verbrechen, die in der Menschheitsgeschichte vorgekommen sind
und das ist kein Konstrukt, sondern eine Tatsache. Und wenn das eine Tatsache
ist, dann ist auch das Böse ein objektiver Sachverhalt, der zum Beispiel in dieser
Praxis der Nationalsozialisten sich manifestierte.“
SPRECHERIN
Während also der Neurophysiologe auf Attraktoren setzt, die Belohnung und
Abschreckung vermitteln, gibt die Philosophie Nida-Rümelins eine andere Antwort
auf die Frage, wie man das Böse vermeiden kann:
O-Ton 4 - Julian Nida-Rümelin
„Also ich habe nichts dagegen, dass man durch Sanktionen, durch Belohnung und
Bestrafung, auch Einfluss nimmt auf das menschliche Verhalten, das ist die ganze
Logik des Strafrechts und der staatlichen Friedensordnung, wenn man so will, des
staatlichen Gewaltmonopols. Aber das hat Grenzen und die Grenzen liegen vor
allem darin, dass, wenn das das einzige Instrument der Verhaltenssteuerung
wäre, dann müsste alles kontrolliert und sanktioniert werden. Das ist eine
Horrorvorstellung, das wäre gewissermaßen Big Brother in einer extremen Form,
alles würde kontrolliert und entsprechend sanktioniert. Und die Alternative ist, dass
wir Menschen zumuten und zutrauen, dass sie in der Lage sind, dazuzulernen,
abzuwägen, ob das in Ordnung war, was sie getan haben oder nicht. Auf Vorwürfe
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zu reagieren und Vorwürfe so aufzunehmen, dass sie dann ihr Verhalten in
Zukunft ändern, auch dann, wenn dieses Verhalten nicht sanktioniert ist. Wenn wir
uns nur über Sanktionen verändern würden, dann wäre auch die gesellschaftliche
Ordnung human nicht zu gestalten, weil dann das gesamte menschliche Verhalten
lediglich Ergebnis ist bestimmter Bedingungen, die andere schaffen. Das heißt,
Menschen würden zu bloßen Instrumenten der Ziele anderer Menschen, zum
Beispiel Sozialreformer oder auch Diktatoren.“
ZITATOR
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass
sie ein allgemeines Gesetz werde.
SPRECHERIN
Mit diesem berühmt gewordenen Satz von Kant wird deutlich, dass Kant als
Philosoph der Aufklärung den Menschen als ein Wesen betrachtet, das mit der
nötigen Vernunft und dem notwendigen Willen ausgestattet ist, um als moralisches
und 'gutes' Wesen zu handeln. Was aber, wenn er doch böse handelt? Für
Hannah Arendt liegt eine mögliche Erklärung dafür, dass Menschen böse
Handlungen vollziehen, darin, dass diese sich eben weigern, dafür als Personen
zur Verantwortung gezogen zu werden:
ZITATOR
Das größte begangene Böse ist das Böse, das von Niemandem getan wurde, das
heißt, von menschlichen Wesen, die sich weigern, Personen zu sein.
MUSIK Still gone Z8007273 205
SPRECHER
Nachdem Hannah Arendt wochenlang den Prozess gegen den Naziverbrecher
Eichmann beobachtet hatte, kam die Philosophin zu dem Schluss, dass Menschen
wie Eichmann Böses nicht unbedingt aus Lust am Bösen per se tun, sondern weil
sie sich weigern, Verantwortung zu übernehmen.
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Arendt zufolge handelte Eichmann, der Tausende von Juden in den Tod schickte,
nicht nur aus tiefem Hass und Antisemitismus, sondern viel mehr, weil er seine
Verantwortung einfach einem anonymen politischen Apparat und seiner Bürokratie
übergeben hatte. Obwohl Arendt nicht der Meinung war, dass ein so entstandenes
Böses weniger zu verdammen sei, sah sie sich damals mit ihrer These heftigster
Kritik ausgesetzt. Es scheint leichter zu fallen, von einem 'dämonischen Bösen' als
von einem 'banalen Bösen' zu sprechen.
MUSIK hoch und klingt aus
SPRECHERIN
Eine andere Erklärung für das Böse liefert uns der Tier- und Verhaltensforscher
Konrad Lorenz:
Für ihn ist 'Das Böse' weder dämonisch noch banal, sondern lediglich dem
menschlichen Aggressionstrieb geschuldet, dem wir es zu verdanken haben, dass
sich die Menschheit als Gattung auf der Erde überhaupt durchsetzen konnte. Das
Problem ist, dass dieser Trieb zwar heute seinen Sinn eingebüßt hat, leider aber
uns immer noch in den Genen steckt. Lorenz identifiziert drei Faktoren, die es dem
modernen Großstadtmenschen erschweren, sich von seinem biologischen Erbe
der Aggression freizumachen:
ZITATOR
Erstens ist es den persönlichen Bindungen abträglich, wenn ihrer zu viele werden.
Das große Angebot an „Bekannten“, wie jede größere Gemeinschaft es
zwangsläufig mit sich bringt, vermindert daher die Festigkeit der Einzelbindungen.
Zweitens bewirkt das enge Zusammendrängen vieler Individuen auf kleinem
Raum eine Ermüdung aller sozialer Reaktionen. Jeder moderne
Großstadtmensch, der mit sozialen Beziehungen und Verpflichtungen so sehr
überfüttert ist, kennt die beunruhigende Erscheinung, dass man sich über den
Besuch eines Freundes, selbst wenn man ihn wirklich liebt und ihn lange nicht
gesehen hat, nicht mehr ganz so freuen kann.
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Zu diesen unerwünschten Folgen des Anwachsens unsere Sozietät gesellen sich
noch diejenigen der Unmöglichkeit, aggressive Triebe im artgemäß vorgesehenen
Ausmaße abzureagieren.
MUSIK The way he looks at me Z8007273 114
SPRECHER
Ist dieser Mangel an Möglichkeiten, sich „abzureagieren“, wie dies Lorenz nennt,
vielleicht mit ein Grund, warum sogenannte 'Ego-Shooter Games' von immer mehr
Menschen gespielt werden – und inzwischen einen größeren Markt als das
Hollywood-Kino erobert haben?
MUSIK ausgeblendet
MUSIK Bad, Michael Jackson CD821920 006
SPRECHER
Wie es scheint, stellt das Töten, die Gewalt und das 'Böse-sein' im virtuellen
Raum für viele eine faszinierende und auch süchtig machende Erfahrung dar, die
Jörg von Brincken, Professor für Theater und Medien an der LMU-München,
folgendermaßen beschreibt:
MUSIK aus
O-TON 5 - Jörg von Brincken
„Natürlich haben Games und auch Ego-Shooter als besonders affektträchtige
Games einen sehr faszinierenden Charakter, können einen reinziehen und können
sicher auch erlebnissüchtig machen. Auch gewinnsüchtig machen unter
Umständen. Aber das gilt für einen eher kleinen Prozentteil von vorneherein
anfälligen Spielern.“
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SPRECHER
Das Böse spielt für die Faszination der Computerspiele, bei denen die Spieler
böse Handlungen wie etwa Mord vollziehen können oder sogar müssen, wenn sie
im virtuellen Raum überleben wollen, eine durchaus wichtige Rolle:
O-TON 6 - Jörg von Brincken
„Man folgt natürlich einem ganz basalen Antrieb, das ist Gewinnsucht und das ist
vielleicht auch die Lust am virtuellen Töten, wohlgemerkt am virtuellen Töten.
Insofern kann man sich durchaus böse fühlen, wenn man das Böse jetzt als etwas
betrachtet, was von einer gewissen übermoralischen Souveränität ist. Das macht
ja das Faszinierende des Bösen aus, dass es von einer übermoralischen
Souveränität ist, das heißt, es ist sehr frei, es muss sich nicht an moralische
Regeln halten. Dann kann es natürlich eine Rolle spielen, ja dann kann man sich
unter Umständen böse fühlen beim Spielen. Lust am Böse sein ist immer Lust an
Freiheit, sich nicht an Regeln halten müssen, zu den eigenen Gunsten handeln,
zweckrational zu den eigenen Gunsten handeln, das macht Lust, das macht Spaß,
ja. Nicht umsonst sind Bösewichter in Filmen aber auch in Games faszinierende
Charaktere, weil sie sich an keine Regeln halten, weil sie so etwas Rebellisches
haben. Also es ist sozusagen wie der Engel, der zu Gott sagt ‚Nein, du kannst
mich mal‘. Ja, genau.“
MUSIK Night sight C1395560 012
SPRECHERIN
Die Verbindung des Bösen und der Lust ist keine Erfindung Hollywoods oder der
Computerspiel-Industrie. Kunst und Literatur haben diese Verbindung schon
immer als reizvoll empfunden. Besonders die symbolistische Kunst am Ende des
19. Jahrhunderts kreist immer wieder um das Thema des als lustvoll empfundenen
Bösen. Der Mensch erscheint als dekadentes Wesen, sehnt sich nach dunklen
und gefährlichen Erfahrungen, durch die er eine Art Ekstase erfahren kann – auch
wenn diese ihn in den Tod führt.
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Eine wichtige Rolle spielt in diesen düsteren Fantasien die Femme fatale, also die
destruktive und böse Frau, die Männer in den Tod oder zumindest in den
Wahnsinn oder ins Unglück stürzt.
ZITATORIN
Ich bin verliebt in Deinen Körper Johannes. Dein Körper ist weiß, wie die Lilien in
einem Feld, das noch nie gemäht wurde. Es gibt nichts auf dieser Welt das so
weiß wäre wie dein Körper. Erlaube mir dich zu berühren!
MUSIK unter nachfolgendem Text ausgeblendet
SPRECHER
Salome wünscht sich von Herodes als Belohnung für ihre tänzerische Darbietung
den Kopf Johannes des Täufers und bekommt diesen auch. Oscar Wildes Salomé
zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Lust nicht nur zum Bösen führt, sondern
selbst auch als böse präsentiert wird. Dieses Bild der begehrenden und damit
gefährlichen und bösen Frau hat Kunst und Literatur schon immer fasziniert.
ZITATOR
Anhand der Salome-Rezeption lässt sich die steigende Bedeutung weiblicher
Erotik in der Kunst ablesen. Salome stellt die Inkarnation der weiblichen,
wollüstigen Verführerin dar, die das männliche Objekt ihrer Begierde ins
Verderben stürzt. Ihr Tun bestimmt sich aus der ihr eigenen Sinnlichkeit,
Triebhaftigkeit, Animalität, Bösartigkeit und Verantwortungslosigkeit.
MUSIK aus dem Film Basic Instinct, An unending story CD67474 010
beginnt unter nachfolgendem Text
SPRECHER
Schreibt die Künstlerin Lissy Winterhoff über die Faszination unserer westlichen
Kultur am weiblichen Bösen.
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Die Femme fatale ist jedoch nicht nur auf die Kunst des fin de siècle beschränkt.
Auch in der zeitgenössischen Kunst gibt es genügend Femmes fatales, welche
das alte Bild der gefährlichen und bösen Verführerin aufrechterhalten. So
beispielsweise in dem erfolgreichen US-amerikanischen Film "Basic Instinct" aus
dem Jahre 1992. Sharon Stone verkörpert hier die intelligente und lustgesteuerte
Catherine Trammell, eine Femme fatale, die sowohl die Männer als auch die
Frauen, die sie liebt, tötet.
MUSIK freistehend
SPRECHER
In der letzten Szene sehen wir, wie der Protagonist des Films, gespielt von
Michael Douglas, sich endlich mit dem Objekt seiner Begierde vereint. Während
dieser in einen ekstatischen Zustand gerät, schwenkt die Kamera unter das Bett,
wo die lüsterne Mörderin ihre Waffe versteckt hat.
MUSIK zu Ende
SPRECHER
In der Kunstwissenschaft genießt das Böse einen besonderen Ruf. Nicht nur, weil
es ein faszinierendes Thema für die Künste selbst darstellt, sondern auch weil –
wie manche Kunstwissenschaftler meinen – die Erfahrung des Bösen einen
unvermittelten Zugang zur Realität verspricht…
ZITATOR
Die Faszination des Bösen liegt einerseits darin, dass das Böse als diejenige
Lebenssteigerung erscheint, die gewissermaßen als einzige Steigerung – noch die
unverminderten Erwartungen an Wahrheit, Echtheit, Spontaneität und
Authentizität verspricht.
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SPRECHERIN
Behauptet Bernd Scheffer, Professor für Literatur und Medienwissenschaft an der
LMU München, der unserer Kultur eine „fatale Lust am Bösen“ unterstellt.
Obgleich kulturwissenschaftliche Glorifizierung des Bösen nicht unproblematisch
ist, stellt sich in der Tat die Frage, warum böse Helden in der zeitgenössischen
Populärkultur eine so große Rolle spielen.
MUSIK Bad, Michael Jackson CD821920 006 – freistehend
SPRECHER
„Bad“ sein, also „böse sein“, heißt vielleicht nicht umsonst in der zeitgenössischen
populären US-amerikanischen Sprache auch „cool sein“.
MUSIK hoch und abrupt zu Ende
SPRECHER
Cool sind auch die Teenager Vampire aus Twilight, die mit ihren blassen
Gesichtern und bewundernswerten Fähigkeiten weitaus begehrenswerter
erscheinen als die anderen, normalen Teenager. Findet damit vielleicht eine
Verharmlosung, ja sogar eine Legitimierung des Bösen statt? Oder ist dies
vielmehr darauf zurückzuführen, dass unsere moderne Kultur weitaus mehr
Verständnis für das Böse aufbringt, als dies in vergangenen Jahrzehnten und
Jahrhunderten der Fall war?
SPRECHERIN
Es war Freud, der uns gelehrt hat, dass das Böse nicht etwas ist, das außerhalb
von uns existiert, sondern in jedem von uns schlummert, und wir daher alle lernen
müssen, damit umzugehen. In seiner Abhandlung „Zeitgemäßes über Krieg und
Tod“ erklärt er:
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13
ZITATOR
In Wirklichkeit gibt es keine Ausrottung des Bösen. Die psychologische, im
strengeren Sinne die psychoanalytische Untersuchung zeigt vielmehr, dass das
tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei
allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher
Bedürfnisse zielen. Diese primitiven Regungen legen einen langen
Entwicklungsweg zurück, bis sie beim Erwachsenen zugelassen werden. Sie
werden gehemmt und auf andere Ziele und Gebiete gelenkt. Erst nach
Überwindung all solcher Triebschicksale stellt sich das heraus, was man den
Charakter des Menschen nennt und was mit „gut" und „böse" bekanntlich nur sehr
unzureichend klassifiziert werden kann. Der Mensch ist selten im Ganzen gut oder
böse.
SPRECHER
Das Böse kann also als eine Herausforderung begriffen werden. Und das für jeden
von uns. Wer keine bösen Taten vollbringen will, muss – so sagt Freud –
versuchen, seine destruktiven Triebe zu kontrollieren oder, besser noch: zu
sublimieren, also auf produktive und nützliche Aktivitäten umzuleiten:
ZITATOR
Die Menschen, die heute geboren werden, bringen ein Stück Neigung zur
Umwandlung der egoistischen in soziale Triebe als ererbte Organisation mit, die
auf leichte Anstöße hin diese Umwandlung durchführt. Ein anderes Stück dieser
Triebumwandlung muss im Leben selbst geleistet werden.
MUSIK Film Maleficent, True Love’s Kiss C1568200 120
SPRECHER
Das zeitgenössische Kino Hollywoods illustriert bildermächtig diesen inneren
Kampf, von dem Freud spricht.
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Viele unserer Leinwandhelden sind gebrochene Figuren, die – von Selbstzweifeln
oder Traumata geplagt – beständig darum kämpfen müssen, gut zu bleiben.
MUSIK kurz freistehend
SPRECHERIN
So steht in Disneys Film Maleficent – einer Wiederverfilmung des
Dornröschenstoffes – nicht etwa die unschuldige Prinzessin im Mittelpunkt,
sondern die böse Fee Maleficent. Diese wird uns als eine Frau vorgestellt, die nur
deshalb böse geworden ist, weil der Mann, den sie geliebt hat, sie verraten und
gedemütigt hat. Dies ist der Grund dafür, warum sie das Kind dieses Mannes,
Dornröschen, verflucht.
MUSIK hoch
SPRECHERIN
Im Laufe der Zeit aber lernt Maleficent das junge Mädchen kennen und lieben. Sie
beginnt den Fluch zu bereuen und versucht, ihn wieder zurückzunehmen – leider
aber vergeblich. So geschieht das, was geschehen muss: Dornröschen sticht sich
an der Spindel und fällt in einen tiefen Schlaf. Maleficent steht demütig vor dem
schlafenden Kind und gesteht ihm, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht
hat und es liebt. Als Maleficent Dornröschen zum Abschied küsst, erwacht es zum
Leben. Damit aber hat Maleficent nicht nur das Mädchen von dem Fluch befreit,
sondern auch sich selbst von der Last, böse zu sein.
MUSIK kurz hoch und unter dem Anfang des nachfolgenden Textes zu Ende
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15
SPRECHER
Das Böse, das ursprünglich aus seelischer Verletzung entstanden ist und dann zu
Hass führt, kann also nicht nur zerstörerisch wirken, es kann uns auch zu
besseren Menschen machen, gesetzt den Fall, dass wir es überwinden und
transformieren. Freud schreibt dazu:
MUSIK Night Sight C1395560 012
ZITATOR
Unserem Verständnis wie in unserer Empfindung liegt es freilich ferne, Liebe und
Hass zu verkoppeln, aber indem die Natur mit diesem Gegensatzpaar arbeitet,
bringt sie es zustande, die Liebe immer wach und frisch zu erhalten, um sie gegen
den hinter ihr lauernden Hass zu versichern. Man darf sagen, die schönsten
Erfahrungen unseres Liebeslebens danken wir der Reaktion gegen den
feindseligen Impuls, den wir in unserer Brust verspüren.
MUSIK klingt aus
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