konjunktur kompakt

Helaba Volkswirtschaft/Research
KONJUNKTUR KOMPAKT
4. April 2016
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel.: 0 69/91 32-46 19
[email protected]
Die Welt im Blick ............................................................................................................................ 1
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Belgien: Durch Konsolidierung Staatsquote senken .................................................................. 4
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Prognoseübersicht......................................................................................................................... 7
Deutschland: Dynamik der Industrie bleibt begrenzt .................................................................. 2
USA: Im Zeitlupentempo ................................................................................................................ 3
Großbritannien: Sein oder Nichtsein in der EU ........................................................................... 5
Polen: Politik aus dem Off ............................................................................................................. 6
Die Welt im Blick
Dr. Stefan Mütze
Tel 0 69/91 32-38 50
Einzelhandel in der Eurozone im Aufwind
Reale Einzelhandelsumsätze, Index: Januar 2010 = 100
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Die Einzelhandelsumsätze der Eurozone legen seit 2014 zu. Zuvor hatten vor allem die ehemaligen Krisenländer Spanien und Italien, aber auch die Niederlande gebremst. Die „verschwundene
Inflation“ kommt den Konsumenten zugute. Bereits geringe Tariflohnerhöhungen schlagen sich so
in realen Einkommenssteigerungen nieder. Auch der deutsche Einzelhandel entwickelt sich trotz
des leichten Rückgangs am aktuellen Rand erfreulich, nicht zuletzt wegen deutlicher Tarifanhebungen und der außergewöhnlich starken Zuwanderung im vergangenen Jahr. Die Rahmenbedingungen für den Konsum bleiben 2016 europaweit günstig. Trotz des deutlichen Anstiegs des Ölpreises in den vergangenen Wochen dürften die Verbraucherpreise in der Eurozone 2016 nur um
0,5 % steigen. Die Arbeitsmärkte verbessern sich mittlerweile nicht mehr nur in Deutschland und
Spanien. Die Beschäftigung nimmt beispielsweise auch in Frankreich zu, auch wenn dies dort
aufgrund des Bevölkerungszuwachses nicht ausreicht, die Arbeitslosigkeit zu senken. Hinzu kommen niedrige Konsumentenkreditzinsen und teilweise wenig lukrative Kapitalanlagen, was die
Verbraucher spendabler werden lässt. Sowohl in der Eurozone als auch in Deutschland dürften die
Einzelhandelsumsätze 2016 um real etwa 2 % zulegen.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
1
KONJUNKT UR KOMPAKT
Deutschland: Dynamik der Industrie bleibt begrenzt
Mit jeweils real 0,3 % gegenüber den drei Monaten zuvor stieg das deutsche Bruttoinlandsprodukt
in den letzten beiden Quartalen nur mäßig. Unsere Wachstumsprognose von kalenderbereinigt
1,7 % für 2016 setzt jetzt eine etwas stärkere Dynamik voraus. Aufgrund der zurückgekommenen
Frühindikatoren wird dies vielfach als nicht realistisch eingeschätzt. Erfreulicherweise sind im März
erste Besserungstendenzen beispielsweise beim Geschäftsklima zu erkennen. Auch die bisherigen „Realindikatoren“ für das erste Vierteljahr sind vielversprechend. So ist die Industrieproduktion
im Januar so stark gestiegen, dass auch ein möglicher deutlicher Rückgang im Februar zu einem
Plus im ersten Vierteljahr führen würde. In Q3 und Q4 war die Produktion gegenüber dem jeweiligen Vorquartal noch gesunken. Der Einzelhandel hat zu Jahresbeginn sein hohes Niveau gehalten. Dies lässt eine starke Konsumentwicklung für das erste Vierteljahr erwarten. Die Exportentwicklung hingegen war auch im Januar weiter unbefriedigend. Damit setzt sich die Zweiteilung der
deutschen Konjunktur fort: Starker Konsum – mäßiger Außenhandel. Unsere Prognose von kalenderbereinigt 1,7 % Wachstum für 2016 erscheint damit erreichbar. Einen akuten Änderungsbedarf
für unsere Deutschland-Prognose gibt es nicht.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Prognoseübersicht Deutschland
Elektroindustrie gewinnt an Fahrt
Nettoproduktion, Index: Januar 2011 = 100, saisonbereinigt, nicht geglättet
2014
2015
2016p
2017p
120
115
BIP*, real
% gg. Vj.
1,6
1,4
1,7
1,5
Budgetsaldo
% des BIP
0,3
0,6
0,2
0,0
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
7,3
8,2
8,1
8,0
%
6,7
6,4
6,4
6,7
Inflationsrate
% gg. Vj.
0,9
*kalenderbereinigt
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Weltweit geringe Investitionstätigkeit belastet
0,2
0,7
1,6
Maschinenbau
115
110
110
105
105
100
Arbeitslosenquote
120
Automobilbranche
95
Chemieindustrie*
Elektroindustrie
95
90
85
2011
100
90
Stahlerzeugung
2012
2013
2014
2015
85
2016
*ohne Pharmazeutika Quellen: Feri, Helaba Volkswirtschaft/Research
p=Prognose
Der lebhafte Anstieg der Industrieproduktion im Januar geht auf starke Zuwächse in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in der Stahlindustrie sowie bei Pharmazeutika zurück. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass zuvor teilweise deutliche Rückgänge zu verzeichnen waren. Insofern
macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Die deutsche Industrie bewegt sich weiterhin im bisherigen Seitwärtstrend. Einzig in der Elektroindustrie sind bereits seit mehreren Monaten Zuwächse zu verzeichnen. Die Messtechnik und elektrische Ausrüstungen entwickelten sich zuletzt erfreulich. Ob sich dieser Aufwärtstrend nahtlos fortsetzt, ist allerdings fraglich. Immerhin ist das Geschäftsklima der Branche zuletzt deutlich gesunken. Vor einer übermäßig positiven Beurteilung der
Industriekonjunktur ist auch vor dem Hintergrund der nur seitwärts tendierenden Aufträge im Verarbeitenden Gewerbe zu warnen. Unsere Prognose eines Produktionsplus von 1 % ist vor diesem
Hintergrund eher noch optimistisch, zumal der Effekt des schwachen Euro allmählich geringer
wird.
Für die exportorientierte und auf Investitionsgüter konzentrierte deutsche Industrie ist nicht nur
belastend, dass die Dynamik der Weltwirtschaft mit rund 3 % in diesem Jahr wiederum nicht besonders üppig ausfällt. In den Jahren vor der Wirtschafts- und Finanzkrise lagen diese Zuwächse
deutlich darüber. Zumindest genauso wichtig ist, dass auch global der Konsum die treibende Kraft
ist. Die Investitionstätigkeit hingegen bleibt weltweit verhalten. Im wichtigen Absatzmarkt China ist
eine Verschiebung hin zu einem stärker konsumorientierten Wachstum sogar politisch gewollt. Die
Erholung in der Eurozone basiert ebenfalls auf dem privaten Verbrauch, während mit Ausnahme
einiger Länder wie Spanien die Kapitalbildung zögerlich ausfällt. An diesem Trend wird sich kurzfristig wenig ändern, so dass die Dynamik der deutschen Industrie begrenzt bleibt.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
2
KONJUNKT UR KOMPAKT
USA: Im Zeitlupentempo
Das Wachstum im Jahresendquartal 2015 war mit einer Jahresrate von 1,4 % gegenüber Vorperiode zwar besser als zunächst geschätzt (0,7 %), aber doch sehr schleppend. Zeichnete sich zunächst noch (wie in den letzten Jahren) unmittelbar nach einem mäßigen Quartal eine deutliche
Belebung ab, hat sich diese Hoffnung, zumindest für Q1, inzwischen zerschlagen. Abwärtsrevisionen bei den Einzelhandelsumsätzen und eine spürbare Zurückhaltung der Unternehmen bei den
Kapitalgüterbestellungen lassen aus unserer Sicht auch zum Jahresauftakt nur ein Plus beim realen BIP zwischen 1 % und 2 % (Jahresrate) am wahrscheinlichsten erscheinen. Andere Schätzungen liegen noch niedriger. Die US-Wirtschaft ist damit zwar weder in noch am Rande einer Rezession, aber sie bleibt hinter ihrem „normalen“ Wachstum von 2 % zurück. Über diese Enttäuschung
kann auch nicht hinwegtrösten, dass der deutlich negative Wachstumsbeitrag vom Außenhandel
im Q1 nicht mehr wie noch 2015 von fallenden Exporten, sondern von wieder kräftiger zunehmenden Importen kommt, also letztlich ein positives Zeichen für die US-Binnennachfrage darstellt.
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Prognoseübersicht USA
Wachstum im ersten Quartal bröckelt ab
Schätzung* für die annualisierte Vorquartalsrate des realen BIP im Q1 2016
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
2,4
2,4
2,5
2,5
Budgetsaldo*
% des BIP
-3,8
-3,4
-3,4
-3,4
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-2,2
-2,7
-2,6
-3,2
%
6,2
5,3
4,6
4,1
% gg. Vj.
1,6
0,1
1,6
2,5
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
* Bundesebene einschl. Sozialversicherungen (NIPA-Basis)
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
p = Prognose
2,5
2,5
2,0
2,0
1,5
1,5
1,0
1,0
0,5
0,5
0,0
0,0
01. Feb 08. Feb 15. Feb 22. Feb 29. Feb 07. Mrz 14. Mrz 21. Mrz 28. Mrz
* “GDPNow”-Modell der Atlanta-Fed
Quellen: Atlanta Fed, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Notenbank bleibt 2016 expansiver als zunächst erwartet und die Fiskalpolitik wird nach Jahren,
in denen sie zum Teil konjunkturell erheblich dämpfend wirkte, im laufenden Jahr wieder zum Rückenwind. Dennoch steigt das Risiko, dass unsere Prognose im Jahresverlauf merklich höherer
Wachstumsraten beim BIP zu optimistisch ist. Wegen des schwachen Winterhalbjahres wird es für
einen Jahresdurchschnitt von 2,5 % langsam knapp. Wir behalten die Daten im Auge. Zuletzt zeigte sich vor allem der Arbeitsmarkt in robuster Verfassung. Der Stellenaufbau lag in den letzten drei
Monaten im Schnitt bei 209.000. Auch der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe,
lange Zeit im Sinkflug, ist im März wieder über die Expansionsmarke von 50 geklettert.
Fed zögert
Zum Zeitlupentempo der Konjunktur passt dann scheinbar das Verhalten der Notenbank. Dass der
Leitzins im März nicht angehoben wurde, hat kaum jemanden überrascht. Allerdings äußern sich
Notenbankvertreter derzeit so vorsichtig, dass sich vor allem diejenigen Finanzmarktteilnehmer
bestätigt sehen, die 2016 maximal eine Zinserhöhung erwarten. Befand sich die Fed 2015 noch in
der angenehmen Lage, dass sowohl Arbeitsmarkt als auch Teuerung für eine expansive Geldpolitik sprachen, könnte sich dies nun ändern. Einerseits ist die Kernteuerung mit 2,3 % schon jetzt so
hoch wie seit Jahren nicht mehr und die Basiseffekte bei den Energiepreisen dürften im zweiten
Halbjahr auch die Gesamtteuerung zügig Richtung 2 % laufen lassen. Wir haben unsere Preisprognose daher für 2016 wieder angehoben (1,6 % statt 1,2 %). Andererseits ist trotz des schleppenden Wachstumstempos die Vollbeschäftigung erreicht. Ist in diesem Umfeld ein negativer Realzins (Federal Funds Rate minus Kernrate: aktuell -1,9 %) angemessen? Die Fed versucht zunehmend erfolglos, ihre zögerliche Haltung zu begründen: mit Hinweisen auf die angebliche spürbare Verschärfung der monetären Bedingungen seit Dezember (gab es schon einmal eine geldpolitische Straffung, die ohne ablief?), mit verwirrenden Aussagen zum Thema neutraler Zins und mit
widersprüchlicher Argumentation auf Basis der „marktbasierten Inflationserwartungen“ (sind diese
Indikatoren nun aussagekräftig oder nicht?). Das Bild, das letztlich in der Öffentlichkeit ankommt,
ist das einer Notenbank, die sich nicht wirklich traut, den Leitzins anzuheben.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
3
KONJUNKT UR KOMPAKT
Belgien: Durch Konsolidierung Staatsquote senken
Belgien ist nach der Wirtschafts- und Finanzkrise im europäischen Vergleich überdurchschnittlich
gewachsen. Zuletzt fiel die Dynamik allerdings nicht mehr stärker aus als in der Eurozone. 2015
wurde ein solides Wirtschaftswachstum von 1,4 % erreicht, sogar minimal geringer als in der gesamten Eurozone (1,5 %). Trotz überdurchschnittlichem Anstieg der harmonisierten Verbraucherpreise von 0,6 % (Eurozone: 0 %) wurden die privaten Konsumausgaben zum entscheidenden
Wachstumstreiber. Der Preisanstieg war teilweise einer Mehrwertsteuererhöhung auf Elektrizität
geschuldet. Wenige Impulse kamen von den Investitionen; der Außenbeitrag war negativ. 2016
sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ähnlich stark zulegen wie im vergangenen Jahr. Erneut sind
die Konsumausgaben das treibende Element, auch wenn die jüngsten Terroranschläge zu einer
kurzzeitigen Verunsicherung führen könnten. Die Verbraucher werden durch die immer noch niedrigen Ölpreise entlastet. Zudem steigt die Beschäftigung mit einer Vorjahresrate von aktuell rund
1 %. Die Investitionen dürften sich nur zögerlich beleben, während vom moderaten Wachstum in
Frankreich – neben Deutschland der wichtigste Abnehmer von belgischen Waren – und der allgemein verhaltenen Entwicklung der Weltwirtschaft keine belebenden Impulse ausgehen werden. Die
positiven Effekte des schwachen Euro lassen allmählich nach.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Prognoseübersicht Belgien
Belgien: Gut aus der Krise gekommen
Reales Bruttoinlandsprodukt, Index: Q1 2008 = 100
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
1,3
1,4
1,4
1,5
Budgetsaldo
% des BIP
-3,1
-2,7
-2,5
-2,0
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-0,2
-0,1
0,0
0,1
%
8,5
8,3
7,7
7,0
% gg. Vj.
0,5
0,6
1,3
1,8
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
Quellen: Helaba Volkswirtschaft/Research
Hohe Staatsverschuldung
verlangt anhaltende
Konsolidierung
p=Prognose
.
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Auf mittlere Sicht positiv dürften sich die von der seit Ende 2014 amtierenden Mitte-rechtsRegierung vorgenommenen Reformen auf die Konjunktur auswirken. Die Einschränkung von Sozialleistungen und das Anheben des Rentenalters auf 67 Jahre bis 2030 tragen zur Entlastung der
Sozialsysteme bei. Das Defizit der öffentlichen Haushalte konnte 2015 unter die Maastricht-Grenze
von 3 % gesenkt werden. Vor dem Hintergrund der hohen belgischen Staatsverschuldung von
106 % des BIP müssen die Sparanstrengungen aber fortgesetzt werden. Die zeitliche Suspendierung der Lohnindexierung ist nur ein erster Schritt, den Lohnfindungsprozess zu ändern. Immerhin
konnten die Lohnstückkosten zuletzt stabilisiert werden.
Belgien hat einen im europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Industrieanteil. Die Bruttowertschöpfung des Produzierenden Gewerbes (ohne Bau) lag 2015 bei 16,3 % und damit rund
3 Prozentpunkte niedriger als in der gesamten Eurozone. Er ist damit immer noch leicht höher als
in Frankreich (14,1 %), aber deutlich niedriger als in Deutschland (25,8 %). Zudem ist der belgische Industrieanteil seit der Euroeinführung 1999 um gut 6 Prozentpunkte gesunken. Mit der
jüngsten leichten Rückführung der Lohnstückkosten sind allerdings erste Erfolge bei der Erhöhung
der Wettbewerbsfähigkeit erzielt worden. Die Industrieproduktion weist zurzeit – ähnlich wie in
anderen westeuropäischen Staaten – kaum Dynamik auf. Belgiens Wirtschaftsstruktur ist stark
vom staatlichen Einfluss geprägt. Die Gesamtausgaben des Staates fallen mit gut 55 % des Bruttoinlandsprodukts deutlich höher aus als in der Eurozone (49,4 %) oder Deutschland (44,3 %).
Eine mittelfristig angelegte Konsolidierung mit dem Ziel, die Staatsquote zu senken, würde Spielraum für Steuersenkungen schaffen. Dies ist dringend erforderlich, da auch die Gesamteinnahmen
des Staates gemessen am BIP in Belgien überdurchschnittlich hoch sind.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
4
KONJUNKT UR KOMPAKT
Großbritannien: Sein oder Nichtsein in der EU
Christian Apelt, CFA
Tel.: 0 69/91 32-47 26
Die britische Konjunktur schlug schon 2015 mit einem Zuwachs von 2,3 % ein gemäßigteres Tempo an. 2016 dürfte das Wirtschaftswachstum mit Raten von gut 2 % solide bleiben. Der private
Konsum dürfte weiter robust zulegen. Der Außenhandel belastete zwar das Wachstum zuletzt.
Angesichts des abgewerteten Pfunds sowie einer stabilen Nachfrage der wichtigsten Handelspartner besteht aber 2016 Erholungspotenzial. Die Unternehmen hielten sich jüngst zurück, was
sich auch in einer weniger optimistischen Stimmung widerspiegelt. Das am 23. Juni anstehende
Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft könnte bereits die Investitionsbereitschaft hemmen. Spätestens wenn sich dieser Unsicherheitsfaktor auflöst, sollten die Unternehmen ihre Ausgaben hochschrauben. In diesem Fall dürfte die Zinswende der Bank of England bis Jahresende
wieder auf die Agenda rücken, zumal bis dahin die zurzeit sehr niedrige Inflation ansteigen sollte.
Ein entscheidender Faktor auch für den konjunkturellen Ausblick ist der Ausgang des EUReferendums. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Premierminister Cameron zählt
wie die Mehrheit der konservativen Parteiführung zu den EU-Befürwortern, ebenso die führenden
Oppositionsparteien. Für den EU-Austritt sprachen sich dagegen einige Minister der konservativen
Regierung sowie der populäre Londoner Bürgermeister Boris Johnson aus.
„Brexit“ als Belastung
für Großbritannien
Sollten die Briten tatsächlich gegen die EU votieren, könnten die Folgen für die britische Volkswirtschaft gravierend sein. Mit einem Anteil von knapp 50 % ist die EU der wichtigste Handelspartner
des Landes. Bei einem „Brexit“ wäre das Verhältnis von Großbritannien zur EU zunächst unklar,
beide Parteien müssten innerhalb von zwei Jahren einen „Scheidungsvertrag“ aushandeln. In
dieser Phase sollten die Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum in Großbritannien unter
der hohen Unsicherheit leiden. Aufgrund der mit dem signifikanten Leistungsbilanzdefizit verbundenen Notwendigkeit hoher Kapitalzuflüsse aus dem Ausland dürfte dann auch das Britische
Pfund unter Druck stehen. Spannend wäre vor allem der Ausgang der Verhandlungen mit der EU:
Wenn sich die Briten mit der Union auf eine eher einvernehmliche Trennung einigen, bei dem ein
weitgehender Zugang zum europäischen Binnenmarkt bestehen bleibt, werden sich die langfristigen wirtschaftlichen Konsequenzen in Grenzen halten. Angesichts der komplexen politischen Ausgangslage und der notwendigen breiten Mehrheit in der EU könnten die Verhandlungen jedoch
auch scheitern. Dann wären die langfristigen Folgen für die britische Wirtschaft gravierend. Aufgrund von Handelsrestriktionen würden die Exporte in die EU massiv zurückgehen – insbesondere
auch die von Finanzdienstleistungen. Das Wachstum insgesamt wäre stark belastet.
Prognoseübersicht UK
Umfragen unklar, Buchmacher sagen „Ja“ zur EU
Anteil* in %, implizite Wahrscheinlichkeiten** in %
2014
2015s
2016p
2017p
100
100
90
Wettchancen "Ja"
80
BIP, real
Budgetsaldo
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
% gg. Vj.
% des BIP
% des BIP
%
2,9
-5,7
-5,1
6,2
% gg. Vj.
1,5
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
„Ja“ zur EU
wahrscheinlicher
2,3
-4,2
-5,2
5,4
0,1
2,2
-3,5
-4,2
5,1
0,8
1,8
-3,0
-3,7
5,1
2,2
p = Prognose
70
90
80
70
Umfrage "Ja zur EU"
60
60
50
50
40
30
20
10
40
Umfrage "Nein"
30
Wettchancen "Nein"
0
Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 Jul 15 Okt 15 Jan 16
20
10
0
* Unentschiedene herausgerechnet; ** auf Basis von Ladbrokes-Quoten
Quellen: Wikipedia, Oddschecker, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die potenziellen ökonomischen Gewinne durch einen „Brexit“ sind ohnehin eher mit Skepsis zu
betrachten – wenngleich auch abhängig vom Verhandlungsergebnis. Vermutlich werden sich die
Briten entgegen diesen Austrittsszenarien jedoch für den Verbleib in der EU entscheiden. Die in
Großbritannien hochentwickelten Wettmärkte deuten derzeit mit einer Wahrscheinlichkeit von rund
70 % recht eindeutig auf einen Verbleib in der EU. Wir sind etwas vorsichtiger und erwarten zu
60 % ein „Ja“ zur EU. Zumindest bis zum 23. Juni bleibt die Spannung erhalten.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
5
KONJUNKT UR KOMPAKT
Polen: Politik aus dem Off
Nachdem die neue, nationalkonservative Regierung die berühmten 100 Tage im Amt deutlich
hinter sich gebracht hat, scheint klar, wohin die Reise geht: Der Eindruck, dass Jaroslaw
Kaczynski gewissermaßen aus dem Off die Richtung hin zu mehr Interventionismus vorgibt, hat
sich verfestigt. Die zügig umgesetzten Maßnahmen, bei denen die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und der Medien sowie offenbar gezielt ausländische Konzerne (Banken und Einzelhandel) im Fokus stehen, wurden auch international heftig kritisiert.
Marion Dezenter
Tel.: 0 69/91 32-28 41
Dabei kann Ministerpräsidentin Szydlo, die Mitte November 2015 vereidigt wurde, weiter im ruhigen Fahrwasser komfortabler Wachstumsraten segeln: Nach 3,6 % im vergangenen Jahr ist auch
für 2016 ein BIP-Zuwachs von über 3 % wahrscheinlich. Bei sinkenden Arbeitslosenzahlen, kauffreudigen Konsumenten, niedrigen Zinsen und Unternehmen, die bei der aktuell überdurchschnittlichen Kapazitätsauslastung auch investieren, ist der vergleichsweise große Binnenmarkt ein unschätzbares Asset. Ab April soll die im Wahlkampf angekündigte Gratifikation von 500 Zloty (knapp
120 Euro) je Kind und Monat anlaufen und dem Konsum weiteren Schwung geben. Das Budgetdefizit hat sich 2015 verbessert. 2016 dürfte es über der Maastricht-Grenze von 3 % des BIP liegen,
obwohl die neuen Steuern für Banken und den Einzelhandel die teuren Wahlversprechen mitfinanzieren. Die Inflation ist mit Minus-Raten in das Jahr 2016 gestartet und stärkt die Kaufkraft. Die
Teuerung dürfte schwach bleiben und im Jahresdurchschnitt nicht über die Null hinauskommen.
Prognoseübersicht Polen
Polen auf hohem Niveau seitwärts
Reales BIP in % gegenüber Vorjahr
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
3,3
3,6
3,4
3,3
Budgetsaldo
% des BIP
-3,3
-3,0
-3,2
-3,1
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-1,3
-0,2
-1,7
-2,0
%
12,3
10,5
9,9
9,5
% gg. Vj.
0,0
-0,9
0,0
2,0
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
Quellen: EIU, Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Investoren lassen sich
bislang nicht abschrecken
p=Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Dass die Konjunktur weiter so gut läuft, dürfte auch die Ursache dafür sein, dass sich Investoren
auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten bislang nicht von einem Regierungskurs abschrecken
ließen, den die EU derzeit einem Prüfungsverfahren unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit
unterzieht. Von der Venedig-Kommission, dem Expertengremium des Europarats für verfassungsrechtliche Fragen, kam bereits massive Kritik. So lange allerdings rentable Anlagealternativen
Mangelware sind, dürften sich etliche Marktteilnehmer auf den durch die EU gesetzten stabilen
Rechtsrahmen verlassen. Dies suggerieren die jeweils nur kurzfristigen Reaktionen des Zloty auf
einzelne Maßnahmen und der relativ geringe Risikoaufschlag bei Staatsanleihen von nur
260 Basispunkten. Das Risikobewusstsein könnte allerdings steigen, wenn sich die negativen
Schlagzeilen häufen, sei es von Seiten der EU, von den Ratingagenturen, die die Entwicklung in
Polen kritisch kommentieren, oder von der polnischen Finanzaufsicht. Diese warnt vor einer möglichen Finanzkrise in Polen, sollten die Vorschläge des Präsidenten zur Umwandlung von Fremdwährungskrediten umgesetzt werden.
Unerwartet eigenständig zeigt sich das teilweise neu besetzte Entscheidungsgremium der Zentralbank: In der März-Sitzung stimmte die Mehrheit des geldpolitischen Rates für die Beibehaltung des
Leitzinses bei 1,5 %, obwohl die Diskrepanz der Inflation (zuletzt -0,8 %) zum mittelfristigen Zielwert (2,5 %) einen Anlass geboten hätte, im Sinne der Regierung ein weiteres Signal zu setzen.
Der Zentralbankrat verwies darauf, dass die Deflation importiert sei und bisher dem Wachstum
nicht schade.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
6
KONJUNKT UR KOMPAKT
Prognoseübersicht
Euroland
Bruttoinlandsprodukt
Verbraucherpreise
reale Veränderung gg. Vorjahr, %
Veränderung gg. Vorjahr, %
2014
2015
2016p
2017p
2014
2015
2016p
2017p
0,9
1,5
1,6
1,6
0,4
0,0
0,5
1,5
Deutschland*
1,6
1,4
1,7
1,5
0,9
0,2
0,7
1,6
Frankreich
0,2
1,1
1,3
1,5
0,6
0,1
0,5
1,5
Italien
-0,3
0,8
1,2
1,5
0,2
0,1
0,4
1,4
Spanien
1,4
3,2
2,5
2,0
-0,2
-0,6
0,1
1,4
Niederlande
1,0
2,0
1,5
2,0
0,3
0,2
0,8
1,3
Österreich
0,4
0,9
1,4
1,5
1,7
0,9
1,2
1,7
Griechenland
0,7
-0,4
0,0
1,5
-1,4
-1,0
0,5
1,0
Portugal
0,9
1,5
1,5
1,8
-0,2
0,5
0,5
1,0
Irland
5,2
7,8
5,0
3,8
0,3
0,0
0,4
1,5
Großbritannien
2,9
2,3
2,2
1,8
1,5
0,1
0,8
2,2
Schw eiz
1,9
0,8
1,2
1,6
-0,1
-1,1
-0,5
0,6
Schw eden
2,3
4,1
3,4
2,6
-0,2
0,0
0,7
1,7
Norw egen
2,2
1,6
1,3
1,8
2,0
2,1
2,5
2,2
Polen
3,3
3,6
3,4
3,3
0,0
-0,9
0,0
2,0
Ungarn
3,7
2,9
2,5
2,5
-0,2
-0,1
1,2
2,5
Tschechien
2,0
4,3
2,4
2,6
0,4
0,3
0,9
1,8
Russland
0,6
-3,7
-1,5
1,5
7,8
15,5
8,5
6,0
USA
2,4
2,4
2,5
2,5
1,6
0,1
1,6
2,5
Japan
-0,1
0,5
0,7
0,5
2,7
0,8
0,4
1,8
Asien ohne Japan
5,7
5,3
5,1
5,0
3,6
2,5
3,0
3,5
China
7,3
6,9
6,5
6,0
2,1
1,5
1,7
2,4
Indien
7,2
7,0
6,8
6,5
6,7
4,9
5,1
5,5
1,3
0,0
0,3
2,0
10,7
13,0
15,0
11,0
0,1
-3,8
-3,0
1,0
6,3
9,0
8,9
6,0
3,2
2,9
3,0
3,2
3,1
2,8
3,2
3,4
Lateinamerika
Brasilien
Welt
p = Prognose; *Deutschland: arbeitstäglich bereinigt;
Quellen: EIU, Macrobond, Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research 
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A P R I L 2 0 1 6 · © H E L A B A
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Diese Publikation wurde Ihnen am 06.04.2016 überreicht von der
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