Konjunktur Kompakt

Helaba Volkswirtschaft/Research
KONJUNKTUR KOMPAKT
6. Juni 2016
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel.: 0 69/91 32-46 19
[email protected]
Die Welt im Blick ............................................................................................................................ 1
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Frankreich: In Bewegungslosigkeit verfangen ............................................................................ 4
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Prognoseübersicht......................................................................................................................... 7
Deutschland: Noch kein Durchstarten der Unternehmen ........................................................... 2
USA: Wachstum zieht an, Stellenaufbau in der Flaute ............................................................... 3
Österreich: Ins Blaue gezielt – ins Grüne getroffen .................................................................... 5
Griechenland: Eine Runde weiter ................................................................................................. 6
Die Welt im Blick
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Global: Kein „Deleveraging“ – Verschuldung weiter zu hoch
Schulden der nicht-finanziellen Sektoren, % am Bruttoinlandsprodukt (BIP)
400
400
Japan
350
350
300
300
250
250
Eurozone
USA
200
200
China
150
100
2000
150
100
2002
2004
2006
2008
2010
2012
2014
Quellen: BIZ, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Der seit der Krise 2008/2009 viel diskutierte Schuldenabbau hat bislang nicht stattgefunden. Zwar
wurden die Schulden oft von einem Sektor zu einem anderen verschoben – meist von den Privaten
zum Staat. Zumindest in den USA ist der Anstieg der Verschuldung gesamtwirtschaftlich betrachtet
seit einigen Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen. In den anderen großen Wirtschaftsräumen geht es hingegen munter nach oben. Die Eurozone hat beispielsweise seit Ende 2008 rund
40 Prozentpunkte am BIP auf den Schuldenberg draufgepackt… und dies liegt nicht etwa daran,
dass der nominale Output heute niedriger wäre als damals. In China haben die Konjunkturprogramme der Regierung in der Krise eine Kreditblase aufgepumpt und alles deutet darauf hin, dass
man dort nach wie vor lieber noch mehr Schulden macht als ein zu niedriges Wachstum zu akzeptieren. Angesichts des seit 2009 um fast 100 % des Bruttoinlandsprodukts gestiegenen Schuldenstands ist dies besorgniserregend. Unangefochten die Nummer Eins unter den großen Schuldenmachern ist aber Japan mit einer Quote von fast 400 % des BIP. Ob die Notenbanken mit ihrem
Ansatz, durch rekordniedrige Zinsen und unkonventionelle Maßnahmen die Aufnahme von Krediten noch zusätzlich zu fördern, letztlich auf dem Holzweg sind, bleibt eine offene Frage.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Deutschland: Noch kein Durchstarten der Unternehmen
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Dr. Stefan Mütze
Die deutsche Wirtschaft wuchs zu Jahresbeginn sehr stark. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP)
stieg im ersten Vierteljahr um 0,7 % gegenüber dem Vorquartal. Neben dem Konsum haben Bauund Ausrüstungsinvestitionen das Wachstum getragen. Zwar sind die Exporte nach dem Rückgang in Q4 wieder angestiegen. Noch dynamischere Importe führten jedoch letztendlich zum dritten negativen Wachstumsbeitrag in Folge in Höhe von -0,1 Prozentpunkten. Das starke Wachstum
im ersten Quartal wird im weiteren Jahresverlauf nicht zu halten sein. So dürfte die Kaufkraftsteigerung aufgrund des zuletzt gestiegenen Ölpreises nun etwas geringer ausfallen. Auch die Bauinvestitionen werden im zweiten Quartal voraussichtlich einen Gang zurückschalten. Zu Jahresbeginn
hatte der milde Winter die Bautätigkeit befördert. Dieser Effekt fällt jetzt weg. Nicht zuletzt sollten
auch die Staatsausgaben weniger dynamisch zunehmen, nachdem sich der Flüchtlingszustrom
1
deutlich verringert hat. Aus diesem Grund haben wir unsere bislang optimistische Prognose für
das Wirtschaftswachstum von kalenderbereinigt 1,7 % für 2016 nicht erhöht.
Prognoseübersicht Deutschland
Bislang kein dynamischer Investitionsaufschwung
Reale Komponenten des BIP, % gg. Vj.
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
1,6
1,4
1,7
1,5
Budgetsaldo
% des BIP
0,3
0,7
0,2
0,0
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
7,3
8,5
8,4
8,3
%
6,7
6,4
6,4
6,7
% gg. Vj.
0,9
0,3
0,7
1,6
BIP*, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
*kalenderbereinigt, p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Unternehmen halten sich
mit Investitionen zurück
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Ein Anstieg des mittelfristigen Wachstumstempos setzt einen deutlich an Fahrt gewinnenden Investitionszyklus voraus. Dies ist bislang allerdings nur in Ansätzen zu erkennen. So sind die Ausrüstungen im ersten Quartal 2016 auf das Jahr hochgerechnet um fast 8 % gestiegen. Sollte sich
dies so fortsetzen, könnte von einem echten Investitionsaufschwung die Rede sein. Es ist aber
eher davon auszugehen, dass die Dynamik in den nächsten Quartalen wieder abnimmt. So erfordert die durchschnittliche Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe noch keine forcierten
Erweiterungsinvestitionen. Die aktuelle moderate Entwicklung der Auftragseingänge signalisiert
auch keine schnelle und deutliche Besserung. Weiterhin sind wichtige deutsche Exportmärkte nur
wenig aufnahmefähig. Dies gilt für Schwellenländer wie Russland oder auch China. Immerhin
haben sich die Exporte ins Reich der Mitte zuletzt erholt. Nach einem längeren Boom in den USA
wurden dort zuletzt ebenfalls weniger deutsche Waren abgesetzt. Trotz Erholung in der Eurozone
bleiben die deutschen Ausfuhren in den gemeinsamen Währungsraum zögerlich. Hinzu kommen
der anhaltende Druck auf die Unternehmensgewinne durch sinkende Erzeugerpreise und gleichzeitig deutlich zunehmende Lohnstückkosten sowie eine Vielzahl politischer Unsicherheiten wie
der drohende Brexit oder die US-Wahl für den globalen Handel. All dies hält Unternehmen bislang
vom Durchstarten ab. Die deutschen Ausrüstungsinvestitionen dürften daher 2016 um nur gut 4 %
zulegen.
Die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau bleiben positiv. Entscheidend ist der Mangel an
Wohnraum vor allem in den größeren Städten und ihrem Umland. Extrem niedrige Zinsen und
steigende Realeinkommen helfen den Verbrauchern, trotz gestiegener Immobilienpreise Wohneigentum zu erwerben. Der Nichtwohnungsbau profitiert von höheren Investitionen des Staates, so
dass die gesamten deutschen Bauinvestitionen 2016 um 2,3 % zulegen dürften.
1
Vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Mai 2016, S. 59ff.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
USA: Wachstum zieht an, Stellenaufbau in der Flaute
Mit dem Frühjahr kommt die Konjunktur in Schwung. Auch 2016 folgt die US-Wirtschaft wieder
diesem Muster der letzten Jahre. Dies ist umso bemerkenswerter als sich die Ursachen der
Schwäche im Q1 von Jahr zu Jahr geändert haben. Diesmal fehlen klare Ursachen wie Hafenstreiks, besonders kalte Witterung oder finanzpolitische Eingriffe. Trotzdem sieht es so aus, als
würde das Wachstum des realen BIP von mäßigen 0,8 % (Jahresrate) zum Jahresanfang auf gut
3 % im Q2 anziehen. Vor allem der private Konsum hat wieder erheblich an Fahrt aufgenommen.
Es bleiben aber Wermutstropfen: So hat sich die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe zuletzt
nicht mehr wie erhofft verbessert. Im Mai lag der ISM-Einkaufsmanagerindex bei 51,3. Dies ist
zwar oberhalb der Expansionsmarke von 50, signalisiert aber unverändert schwache Dynamik in
diesem Sektor. Hinzu kommt, dass sich die Schere mit dem Index außerhalb des Verarbeitenden
Gewerbes nun eher durch einen Rückgang des Letzteren zu schließen scheint. Die beiden Indizes
konvergieren derzeit auf einem Niveau, das eher verhaltenes Wachstum in der Gesamtwirtschaft
erwarten lässt. Am Arbeitsmarkt hat der Stellenaufbau in den letzten Monaten an Schwung verloren. Im Mai lag der Dreimonatsdurchschnitt nur noch bei 116.000. Dies sollte allerdings nicht überbewertet werden. So sind die Daten notorisch revisionsanfällig. Der Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Telekommunikationsbranche im Mai wurde durch einen Streik bei Verizon verursacht –
dies allein war für einen Rückgang um fast 40.000 verantwortlich. Gleichzeitig bewegen sich die
Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung nahe der historischen Tiefs. Die durchschnittlichen
Stundenlöhne steigen mit 2,5 % gegenüber Vorjahr und die Arbeitslosenquote hat im Mai mit
4,7 % den niedrigsten Stand seit 2007 und Vollbeschäftigungsniveau erreicht. Damit liegt die Quote bereits jetzt – wieder einmal – auf dem von den FOMC-Mitgliedern eigentlich erst für Q4 erwarteten Niveau. Insgesamt bleiben wir bei unserer Wachstumsprognose für das Jahr 2016 von 2 %.
Hierbei macht sich vor allem das schwache Winterhalbjahr bemerkbar – in den noch ausstehenden
Quartalen dürften die annualisierten Raten eher bei 2,5 % bis 3 % liegen.
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Prognoseübersicht USA
Minizyklen beim Stellenaufbau sind normal
Veränderung gegenüber Vormonat in Tsd.
2014
2015
2016p
2017p
300
BIP, real
Budgetsaldo*
% gg. Vj.
% des BIP
2,4
-3,8
2,4
-3,4
2,0
-3,4
2,5
-3,3
%
350
10
Arbeitslosenquote (RS) Beschäftigte außerhalb der Landwirtschaft
(Dreimonatsdurchschnitt, LS)
9
250
8
200
7
150
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
% des BIP
-2,1
-2,5
-2,9
-3,2
%
6,2
5,3
4,5
3,9
% gg. Vj.
1,6
0,1
1,6
2,5
* Bundesebene einschl. Sozialversicherungen (NIPA-Basis). p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Zwei Zinsschritte 2016
6
100
5
50
0
2011
4
2012
2013
2014
2015
2016
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research.
Die Fed vermittelt derzeit der Öffentlichkeit das Bild einer Notenbank, die sich nicht wirklich traut,
den Leitzins anzuheben. Auf der Sitzung im April blieb sie erneut klare Signale schuldig, ob und
unter welchen Voraussetzungen man die Zinserhöhungen wieder aufnehmen wird. Zwar sprachen
diverse Notenbankvertreter in den vergangenen Wochen von bevorstehenden Zinsschritten. Allerdings hat sich das Umfeld, verglichen mit dem April, nicht spürbar verbessert. Einer höheren Dynamik beim BIP steht die langsamere Gangart beim Stellenaufbau gegenüber. Wir rechnen noch
mit zwei Zinsschritten im laufenden Jahr, voraussichtlich im September und Dezember. Bis dahin
dürfte sich die Teuerungsrate, getrieben vom höheren Ölpreis, in Richtung 2 % bewegen. Auch
sollte der Gegenwind vom Außenhandel (starker Dollar, Schwäche in den Schwellenländern) und
von der Energiebranche (zuletzt stark rückläufige Explorations- und Investitionstätigkeit) tendenziell abflauen. Die Wahlen im November hingegen werden wohl eine untergeordnete Rolle spielen –
es sei denn, sie führen zu Verwerfungen an den Finanzmärkten. In diesem Fall hat die Fed ja
bewiesen, dass sie der Maxime folgt: „Im Zweifel expansiv(er) bleiben.“
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Frankreich: In Bewegungslosigkeit verfangen
Für Frankreichs Wirtschaft war der Start ins neue Jahr erfreulich. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP)
stieg im ersten Vierteljahr 2016 um real 0,6 % gegenüber dem Vorquartal. Da dieses lebhafte
Wachstum auch auf Sonderfaktoren beruht, sollte es nicht ohne Abstriche fortgeschrieben werden,
zumal im zweiten Quartal erste Streikfolgen sichtbar werden dürften. Die Konsumausgaben haben
mit 1,2 % gegenüber Vorquartal deutlich zugelegt. Dies ist aber teilweise ein Nachholeffekt aufgrund der Lähmung durch die Terroranschläge in Paris vom November 2015. Jetzt stiegen die
Ausgaben nicht nur im Hotel- und Gaststättengewerbe, sondern auch für Wohnungsausstattung
und Automobile wieder an. Die eigentlich positive Botschaft der Zahlen zum ersten Quartal lag im
lebhaften Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen. Diese sind um 2,6 % gegenüber den drei Monaten
zuvor gestiegen, nachdem bereits im Vorquartal eine ähnlich hohe Rate erreicht worden war. Dies
nährt die Hoffnung, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung erste Früchte tragen. So ist die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den letzten Jahren durch die Senkung
von Sozialbeiträgen, Steuerentlastungen und temporäre Abschreibungsverbesserungen erhöht
worden. Allerdings zeigen die aktuellen Streiks, die von kleineren radikalen Gewerkschaften ausgehen, dass weitere dringend erforderliche Reformen beispielsweise am Arbeitsmarkt kaum mehr
durchsetzbar sind. Weiterhin schwach entwickelt sich die Bautätigkeit. Während im NichtWohnungsbau eine Stabilisierung festzustellen ist, sind die Wohnungsbauinvestitionen bis zuletzt
gesunken. Der Außenhandel hat im ersten Quartal zum dritten Mal in Folge trotz schwachem Euro
einen negativen Wachstumsbeitrag erbracht.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
Prognoseübersicht Frankreich
Unternehmen investieren – Bau noch schwach
Komponenten des Bruttoinlandsproduktes, real, Q1 2010 = 100
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
0,7
1,2
1,5
1,5
Budgetsaldo
% des BIP
-4,0
-3,6
-3,3
-3,0
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
-1,1
-0,2
-0,4
-0,1
%
10,3
10,4
9,9
9,4
% gg. Vj.
0,6
0,1
0,5
1,5
BIP, real
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Konsumenten stimulieren
französische Konjunktur
p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die heterogene Entwicklung der Komponenten des Bruttoinlandsproduktes wird sich im weiteren
Jahresverlauf fortsetzen. Wir haben deswegen unsere Prognose für das französische Wirtschaftswachstum für 2016 nach dem guten Jahresbeginn nur leicht von 1,3 % auf 1,5 % erhöht. Die französischen Konsumenten werden ein wichtiger Treiber der Entwicklung bleiben. Allerdings dürften
die Zuwächse aufgrund des zuletzt gestiegenen Ölpreises nun etwas geringer ausfallen. Die Beschäftigung steigt nur moderat. Auch wenn dies nicht ausreicht, die Arbeitslosigkeit nennenswert
zu senken, erhöht es weiterhin die Kaufkraft. Das Konsumklima hat sich in den vergangenen Jahren von seinen Tiefständen erholt. Der langjährige Durchschnitt ist jedoch immer noch nicht erreicht. Impulse gehen weiterhin auch von den Konsumausgaben des Staates aus. Ambitionierte
Einsparziele sind nicht zu erkennen. Das öffentliche Defizit wird auch 2016 kaum zurückkommen.
Der Aufschwung der Ausrüstungsinvestitionen dürfte sich fortsetzen, allerdings an Tempo einbüßen. Die Kapazitätsauslastung des Verarbeitenden Gewerbes hat bei weitem noch nicht den Stand
vor der Wirtschafts- und Finanzkrise erreicht. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie liegt
aktuell sogar unter der Expansionsschwelle von 50 Punkten. Auch für die Bautätigkeit ist nur mit
einer allmählichen Erholung zu rechnen. Immerhin sind die Wohnungsbaugenehmigungen zuletzt
gestiegen und die Hauspreise scheinen sich zu stabilisieren.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Österreich: Ins Blaue gezielt – ins Grüne getroffen
„Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre
später.“ Der Komponist Gustav Mahler hätte sich das rasante Tempo, das Österreich jüngst bei
der Umbesetzung der politischen Spitzenämter vorgelegt hat, wohl kaum träumen lassen. Nachdem sich im ersten Wahlgang zum Bundespräsidenten kein Vertreter der großen Regierungskoalition durchgesetzt hatte, machte Kanzler Faymann seinen Posten frei für den bisherigen Chef der
Österreichischen Bundesbahnen, Kern (SPÖ). Bei der Stichwahl für das Präsidentenamt setzte
sich im Mai Ex-Innenminister Van der Bellen mit hauchdünner Mehrheit gegen den Vertreter der
rechtsgerichteten „Blauen“ (FPÖ) durch. So zieht am 8. Juli erstmals ein Grüner in die Wiener
Hofburg ein. Wie in einigen anderen europäischen Ländern signalisierten viele österreichische
Wähler, dass sie sich von den regierenden Mehrheiten, in diesem Fall der großen Koalition aus
SPÖ und ÖVP, nicht mehr repräsentiert fühlen. Bei den Wahlmotiven der FPÖ-Wähler stach das
erhoffte Verständnis für die „Sorgen der Menschen“ hervor.
Marion Dezenter
Tel.: 0 69/91 32-28 41
Prognoseübersicht Österreich
Österreichische Konsumenten weiter skeptisch
Eurostat-Konsumentenvertrauen, Salden, %
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
0,4
0,9
1,4
1,5
Budgetsaldo
% des BIP
-2,7
-1,2
-1,5
-1,4
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
2,1
2,1
3,0
3,0
%
8,4
9,1
9,2
9,0
% gg. Vj.
1,7
0,9
1,2
1,7
BIP, real
Arbeitslosenquote (ntl.)
Inflationsrate
Quellen: EIU, Eurostat, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wachstumstrend zögerlich
aufwärts gerichtet
p = Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Konjunkturzahlen indes lassen keine Krise vermuten: Die österreichische Wirtschaft dürfte
2016 erstmals seit 2011 wieder die 1 %-Marke knacken und mit 1,4 % kaum langsamer als der
EU-Durchschnitt (1,7 %) wachsen. Damit festigt sich der Trend eines zögerlichen Aufschwungs,
getragen von der Inlandsnachfrage. Die Konsumenten zeigen sich allerdings weiterhin skeptisch:
Das Verbrauchervertrauen liegt laut Eurostat noch immer auf dem Niveau von 2011. Die seit Anfang 2016 geltenden steuerlichen Entlastungen heben die Laune ebenso wenig wie die weiterhin
moderate Inflation von zuletzt 0,5 % (harmonisiert 0,6 %), die – v.a. bedingt durch den Preisanstieg im Tourismusgeschäft – über dem EU-Durchschnitt von -0,1 % liegt. Zur Verunsicherung
dürften auch Meldungen vom Arbeitsmarkt beitragen: Aufgrund der höheren Erwerbsbeteiligung
v.a. von Frauen und Älteren sowie durch Migration wächst das Arbeitskräfteangebot, das nicht
durch zusätzliche Stellen absorbiert werden kann. So ist die Arbeitslosenquote 2015 trotz des
etwas stärkeren Wirtschaftswachstums auf jahresdurchschnittlich 9,1 % gestiegen.
Die öffentlichen Haushalte zeigen ein gemischtes Bild: Im Budgetsaldo manifestieren sich der
Rückgang von Vermögenstransfers an Banken sowie höhere Steuereinnahmen. 2015 konnte das
Defizit trotz gestiegener Ausgaben für die Flüchtlingshilfe auf 1,2 % des BIP gesenkt werden. Höhere Sozialausgaben und die Steuerreform werden 2016 allerdings zu einem Anstieg auf 1,5 %
beitragen. Die Verschuldung ist, bedingt durch die „Bad Banks“, die dem Staatssektor zugerechnet
werden, 2015 auf 86 % gestiegen und dürfte von diesem Stand nur langsam abgebaut werden.
Mit dem Austausch des Spitzenpersonals hoffen viele Österreicher auf einen Kurswechsel hin zu
mehr Reformorientierung, zu Deregulierung und einer Verschlankung des Staatssektors. Dass mit
einem grünen Bundespräsidenten eine Abschottung unwahrscheinlicher ist, wurde aus der Wirtschaft positiv kommentiert. Gute Handelsbeziehungen und für den Tourismus verfügbare Saisonarbeitskräfte sind hier wichtige Erfolgsfaktoren. Ob der neue politische Elan messbare Ergebnisse
bringt oder von alten Strukturen ausgebremst wird, muss sich allerdings erst zeigen.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
5
KONJUNKT UR KOMPAKT
Griechenland: Eine Runde weiter
Das Krisenland im Süden Europas ist wieder eine Runde weiter im großen Schuldenpoker. Nach
längeren Verhandlungen haben sich die Finanzminister der Eurozone und der Internationale Währungsfonds (IWF) am 25. Mai mit Griechenland geeinigt. Die lange überfällige erste Überprüfung
im Rahmen des dritten Hilfsprogramms ist damit abgeschlossen. Im Gegensatz zum Vorjahr, als
der „Grexit“ bereits zum Greifen nah erschien, hatte diesmal kaum jemand mit einem Scheitern
gerechnet. Auch vor dem Hintergrund des europäischen Flüchtlingsdramas, in dem Griechenland
eine wichtige Rolle spielt, war den Beteiligten nicht an einer erneuten Eskalation gelegen. Nachdem das griechische Parlament im Vorfeld eine Reihe von Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen verabschiedet hatte, stand einer Einigung wenig im Wege. Damit können im Sommer
10,3 Mrd. Euro aus dem insgesamt bis zu 86 Mrd. Euro umfassenden Hilfsprogramm durch den
Krisenfonds ESM ausgezahlt werden – rechtzeitig, damit das hochverschuldete Land die anstehenden Fälligkeiten bedienen kann. So werden mal wieder alte in neue Schulden getauscht. An
der fehlenden Schuldentragfähigkeit ändert dies nichts, der Schuldenstand bleibt 2016 mit 177 %
des Bruttoinlandsproduktes außerordentlich hoch. Als Kompromiss – auch damit der IWF am Rettungsprogramm beteiligt bleibt – sollen erst 2018, also nach Beendigung des dritten Hilfsprogramms (und nach der deutschen Bundestagswahl) bei Bedarf neue Schuldenerleichterungen
gewährt werden. Der Finanzmarkt reagierte positiv auf die Einigung: Die Rendite 10-jähriger griechischer Staatsanleihen, die noch im Februar zeitweise über 11 % lag, ist auf etwas mehr als 7 %
gefallen. Der Leitindex am Aktienmarkt in Athen legte seit dem Tiefstand im Februar 47 % zu,
übertrifft damit allerdings nur geringfügig den Stand zu Jahresbeginn.
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel.: 0 69/91 32-46 19
Prognoseübersicht Griechenland
Investitionen als größtes Problem
Komponenten des realen Bruttoinlandsproduktes*, Q1 2008 = 100, sb
110
2014
2015
2016p
2017p
0,7
-0,3
-0,6
1,5
110
Exporte
100
100
90
BIP, real
Budgetsaldo
% gg. Vj.
% des BIP
-3,6
-7,2
-3,5
-2,5
90
Staat
80
80
70
privater Konsum
60
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
% des BIP
%
-2,1
26,5
% gg. Vj.
-1,4
-0,1
24,9
-1,1
-0,1
24,2
0,0
-0,1
23,6
1,0
P = Prognose
Quellen: EU-Kommission, EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wirtschaft noch nicht
über den Berg
70
60
50
Investitionen
50
40
40
30
30
20
20
08
09
10
11
12
13
14
15
16
*saison- und preisbereinigt
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
Ungeachtet der politischen Geschehnisse bleibt die wirtschaftliche Lage schwierig. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist zu Jahresbeginn 2016 wieder geschrumpft (-0,5 % gg. Vorquartal). Angesichts
zusätzlicher Steuererhöhungen und Einsparungen ist eine Erholung von privatem und öffentlichem
Konsum kurzfristig wenig wahrscheinlich. Die Arbeitslosenquote geht nur langsam zurück und liegt
mit mehr als 24 % noch sehr hoch. Fraglich bleibt vor allem, wann die Investitionen in Gang kommen. Während der Konsum seit Beginn der Krise um etwa ein Viertel zurückgegangen ist, war der
Einbruch bei den Investitionen mehr als doppelt so stark. Die jüngsten Beschlüsse könnten nicht
ausreichen, um den Unternehmen hinreichend Planungssicherheit zu geben und ihre Investitionsbereitschaft signifikant zu erhöhen. Privatisierungsvorhaben verzögern sich, die Kapitalverkehrskontrollen wurden noch nicht aufgehoben und belasten weiter die wirtschaftliche Aktivität. Selbst
die Exporte sind in den letzten Quartalen wieder deutlich geschrumpft. Unsere Prognose für das
Wirtschaftswachstum 2016 von -0,6 % ist damit eher optimistisch, unterstellt sie doch im Jahresverlauf eine Trendwende. Dazu müssen neben den restriktiven fiskalischen Maßnahmen auch
Liberalisierungen und Privatisierungen rasch umgesetzt werden, was bei der hauchdünnen Mehrheit der Regierung im Parlament und großen innenpolitischen Widerständen nicht gesichert ist.
Griechenland bleibt auf der europäischen Tagesordnung und die nächste Runde im Schuldenpoker steht wohl im Herbst dieses Jahres an.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
6
KONJUNKT UR KOMPAKT
Prognoseübersicht
Euroland
Bruttoinlandsprodukt
Verbraucherpreise
reale Veränderung gg. Vorjahr, %
Veränderung gg. Vorjahr, %
2014
2015
2016p
2017p
2014
2015
2016p
2017p
0,9
1,5
1,7
1,6
0,4
0,0
0,5
1,5
Deutschland
1,6
1,4
1,7
1,5
0,9
0,3
0,7
1,6
Frankreich
0,7
1,2
1,5
1,5
0,6
0,1
0,5
1,5
Italien
-0,3
0,6
1,2
1,5
0,2
0,1
0,4
1,4
Spanien
1,4
3,2
2,8
2,0
-0,2
-0,6
0,1
1,4
Niederlande
1,0
2,0
1,5
2,0
0,3
0,2
0,8
1,3
Österreich
0,4
0,9
1,4
1,5
1,7
0,9
1,2
1,7
Griechenland
0,7
-0,3
-0,6
1,5
-1,4
-1,1
0,0
1,0
Portugal
0,9
1,5
1,5
1,8
-0,2
0,5
0,5
1,0
Irland
5,2
7,8
5,0
3,8
0,3
0,0
0,1
1,5
Großbritannien
2,9
2,3
1,9
1,8
1,5
0,1
0,8
2,2
Schw eiz
1,9
0,8
1,2
1,6
-0,1
-1,1
-0,5
0,6
Schw eden
2,3
4,2
3,4
2,6
-0,2
0,0
0,7
1,7
Norw egen
2,2
1,6
1,3
1,8
2,0
2,1
2,5
2,2
Polen
3,3
3,6
3,0
3,0
0,0
-0,9
0,0
2,0
Ungarn
3,7
2,9
2,0
2,8
-0,2
-0,1
0,4
2,3
Tschechien
2,0
4,2
2,4
2,6
0,4
0,3
0,7
2,0
Russland
0,6
-3,7
-1,5
1,5
7,8
15,5
8,5
6,0
USA
2,4
2,4
2,0
2,5
1,6
0,1
1,6
2,5
Japan
-0,1
0,6
0,4
0,4
2,7
0,8
0,4
1,8
Asien ohne Japan
5,7
5,4
5,1
5,0
3,6
2,5
3,0
3,5
China
7,3
6,9
6,5
6,0
2,1
1,5
2,0
2,4
Indien
7,2
7,0
6,8
6,5
6,7
4,9
5,1
5,5
1,3
0,0
0,3
2,0
10,7
13,0
15,0
11,0
0,1
-3,8
-3,0
1,0
6,3
9,0
8,9
6,0
3,2
2,9
2,9
3,2
3,1
2,8
3,3
3,4
Lateinamerika
Brasilien
Welt
p = Prognose; BIP-Wachstum soweit verfügbar kalenderbereinigt
Quellen: EIU, Macrobond, Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A
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