Prognose Update: Die Fed zögert – zu Recht?

Helaba Volkswirtschaft/Research
USA AKTUELL
8. März 2016
Prognose Update: Die Fed zögert – zu Recht?
AUTOR
Patrick Franke
Telefon: 0 69/91 32-47 38
[email protected]
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
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
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
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Telefax: 0 69/91 32-22 44
Die an den Finanzmärkten grassierenden Rezessionsängste sind übertrieben. Bereits im
ersten Quartal wird die US-Wirtschaft wieder über Potenzial wachsen.
Der weitere Rückgang der Rohölnotierungen zum Jahresauftakt dämpft aber den Preisauftrieb, zumindest im ersten Halbjahr.
In dieser Gemengelage zeichnet sich ab, dass der von uns bisher für den März erwartete
zweite Zinsschritt der Fed wohl auf die Jahresmitte verschoben wird. Die meisten Gründe,
die eine solch zögerliche Haltung der Notenbank auf den ersten Blick angemessen erscheinen lassen, halten aber einer näheren Prüfung nicht stand.
Kasten: Gesundheitswarnung bei US-Konjunkturindikatoren (S. 4)
Zum Jahresende 2015 expandierte die US-Wirtschaft nur sehr verhalten. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte im Q4 mit einer annualisierten Vorquartalsrate von 1 % zu. Dies überzeichnet
zwar die zugrundeliegende Schwäche der Nachfrage in den Vereinigten Staaten, denn ein besonders negativer Wachstumsbeitrag kam mit rund einem halben Prozentpunkt von den Exporten.
Hier schlagen sich die kräftige Aufwertung des Dollar und die konjunkturellen Schwierigkeiten in
vielen (rohstoffexportierenden) Schwellenländern nieder. Beide Faktoren dürften zunehmend an
Bedeutung verlieren. Die akuten Befürchtungen im Hinblick auf die US-Konjunktur kommen eher
aus einer anderen Richtung: die Probleme der amerikanischen Industrie, insbesondere des Bergbaus, dessen massive Korrektur zusammen mit den schwachen Exporten wohl auch die relativ
trübe Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe erklärt.
Vor allem die regionalen und nationalen Stimmungsindizes für das Verarbeitende Gewerbe haben
seit Jahresanfang an den Finanzmärkten zunehmende Sorgen über das Fortdauern der aktuellen
Expansion aufkommen lassen. Fallende Aktienkurse in Folge der Korrektur an den chinesischen
Börsen, Ängste über Verwerfungen an den internationalen Devisenmärkten im Falle einer umfangreicheren Abwertung des Yuan und eine zunehmend negative Interpretation der niedrigeren Ölpreise, nicht zuletzt im Hinblick auf die Finanzstabilität, sorgten für die schlechte Stimmung. Teilweise spielte wohl auch ein tief pessimistischer Grundtenor in der Darstellung der aktuellen Situation in vielen Medien eine Rolle, unterstützt durch strukturelle Probleme mit den USKonjunkturdaten.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Im ersten Quartal wieder gut 2 % Wachstum
Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung in %
6
6
gg. Vq. (Jahresrate)
4
4
Trend
2
2
0
0
-2
-2
gg. Vj.
-4
-4
-6
-6
-8
-8
-10
-10
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
Q1 2016 Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
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1
USA AKTUELL
Deplatzierte Rezessionsängste
Als Reaktion auf die Diskussion in den Medien und an den Märkten haben die volkswirtschaftlichen
Abteilungen vieler Institutionen ihre Rezessionsmodelle „abgestaubt“. Wie bereits in vergangenen
Phasen, in denen das Thema akut wurde, ist das Bild auch diesmal wieder extrem heterogen, je
nachdem, welche Einflussfaktoren das spezifische Modell berücksichtigt. Je stärker Aktienkurse,
Rohstoffpreise, Außenwert des Dollar oder Industrieproduktion gewichtet sind, umso höher die
Rezessionswahrscheinlichkeit. Je wichtiger die Rolle des Dienstleistungsgewerbes, des Arbeitsmarktes, des (Real-)Zinsniveaus oder der Zinsstruktur, desto geringer die Wahrscheinlichkeit. Die
Modellwerte liegen entsprechend zwischen Werten nahe null und 75 %.
Anders formuliert, läuft die Diskussion auf die Frage hinaus, ob diejenigen Indikatoren, die derzeit
eine spürbare konjunkturelle Schwäche signalisieren, aktuell aussagekräftig sind, oder ob wir uns
in einer von jenen Phasen befinden, in denen Börse, Rohstoffpreise und Industrie von Sonderfaktoren beeinflusst werden, die ihre Aussagekraft für den Zustand der Gesamtwirtschaft mindern. In
den vergangenen zwanzig Jahren gab es in den USA mindestens zwei solcher Episoden: der so
genannte „mid-cycle-slowdown“ nach der Zinswende der Fed 1994/5 und die Asien/
Russland/LTCM-Krise 1998/9. In beiden Fällen blieb eine Rezession aus, obwohl viele Anzeichen
auf eine drohende Kontraktion hindeuteten.
Eingeschränkte
Aussagekraft?
Eine wichtige Ursache der sporadisch wiederkehrenden „recession scares“ ist die unausgewogene
Struktur der US-Konjunkturindikatoren. Wir gehen darauf in einem Kasten auf S. 4 näher ein. Aus
unserer Sicht sind die Rezessionsrisiken in den USA derzeit überschaubar, auch weil sich in dieser
Expansion (noch) keine nennenswerten Ungleichgewichte aufgebaut zu haben scheinen, die in
einer Kontraktionsphase abrupt korrigieren würden. Die Hauptgefahr ist wohl ein echter „ChinaCrash“, der neben den direkten Effekten für die globale Nachfrage auch einen Lehman-artigen
Vertrauensschock nicht zuletzt im internationalen Finanzsystem mit sich bringen könnte. Eine
solche krisenhafte Zuspitzung in Fernost ist aber nicht Teil unserer Basis- sondern des weniger
wahrscheinlichen Negativszenarios.
Kein Rezessionssignal – von diesem Modell
Stimmung fängt sich Anfang 2016
Wahrscheinlichkeit (1 = 100 %) einer Rezession in 6 Monaten
ISM-Einkaufsmanagerindizes, Saldo
1,0
1,0
65
65
Außerhalb des Verarbeitenden
Gewerbes*
60
0,8
0,8
0,6
0,6
0,4
0,4
55
55
50
50
45
45
40
0,2
0,0
1968
0,2
0,0
1973
1978
1983
1988
1993
1998
2003
2008
2013
Beispiel für ein Probit-Modell mit Zinsstruktur, realem Leitzins, Ölpreis, ISM-Index, Erstanträgen auf Arbeitslosenhilfe und Aktienkursen. Letzter Istwert: Januar 2016. Rezessionen
hellblau
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
60
40
Verarbeitendes Gewerbe
35
30
2009
35
30
2011
2013
2015
* einschl. Bergbau
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Konjunkturelle Belebung schon im Q1
Bereits für Q1 2016 zeichnet sich auf Basis der vorliegenden Daten wieder ein Wachstum oberhalb
des Trends ab. Der reale Konsum steigt zum Jahresbeginn wohl wieder mit einer Jahresrate von
über 3 %. Zwar setzt sich die temporäre Lagerkorrektur Anfang 2016 offenbar fort. Auch der Außenbeitrag sollte zunächst noch eine Bremse bleiben. Aber andere Nachfragekomponenten, wie
die Staatsausgaben, werden kräftiger zulegen als Ende 2015.
Bei den (zumindest vom Veröffentlichungsdatum her) vorlaufenden Stimmungsindikatoren sieht es
ebenfalls etwas besser aus. Der ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe hat
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wohl die Wende geschafft. Er stieg im Februar auf 49,5, den höchsten Wert seit September 2015.
Damit liegt der Index zwar noch marginal unter der Expansionsmarke von 50, der Abwärtstrend
seit Mitte 2015 ist aber gestoppt und es scheint jetzt wieder aufwärts zu gehen.
Der wesentlich wichtigere ISM-Einkaufsmanagerindex außerhalb des Verarbeitenden Gewerbes,
der letztlich für rund 90 % der US-Wirtschaft steht, hat sich im Februar nach einem kräftigen
Rutsch im Januar bei rund 53,5, komfortabel oberhalb der 50er Marke, stabilisiert. Die Erfahrung
von 2007/8 zeigt, dass ein Rückgang dieses Index unter 50 ein sehr starkes Rezessionssignal
wäre. Der aktuelle Wert passt laut ISM zu einem Anstieg des realen BIP um 1,8 %. Negativ fiel im
Februar vor allem der Beschäftigungsindex aus, der erstmalig seit Februar 2014 wieder minimal
unter die Marke von 50 rutschte. Der Aktivitäts- oder Output-Index erholte sich hingegen von 53,9
auf 57,8.
Der US-Arbeitsmarkt reflektiert definitiv keinen konjunkturellen Einbruch. Im Februar lag der Dreimonatsschnitt des Stellenaufbaus außerhalb der Landwirtschaft bei 228.000 pro Monat. Dies ist
deutlich oberhalb der rund 100.000, die mittelfristig für eine stabile Arbeitslosenquote erforderlich
sind. Dass die Quote im Februar nicht auf ein neues Tief gefallen ist, lag am Anstieg der Partizipationsrate, die in den letzten drei Monaten um 0,4 Prozentpunkte zugelegt hat, so stark wie seit
2009 nicht mehr. Selbst wenn die lange erwartete zyklische Wende bei der Zahl derer, die dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, nun erreicht ist, dürfte sich die Aufwärtsbewegung nicht in
diesem Maße fortsetzen. Angesichts des anhaltend negativen strukturellen (hauptsächlich demografischen) Trends – nach Fed-Schätzungen bei rund -0,3 Prozentpunkten pro Jahr – ist auf Sicht
der kommenden ein bis zwei Jahre wohl eher eine Seitwärtsbewegung der Partizipationsrate realistisch. Dies würde einen weiteren Rückgang der Arbeitslosenquote erwarten lassen – und zwar
schneller, als es die FOMC-Mitglieder prognostizieren.
Arbeitsmarkt läuft
Berichte über zunehmende Engpässe am Arbeitsmarkt, auch im Hinblick auf wenig qualifizierte
Arbeitskräfte, wie zum Beispiel in den jüngsten Ausgaben des Beige Book der Fed, sind bisher
noch nicht mit einer breiten Zunahme des Lohndrucks verbunden. Zwar haben sich die Zuwächse
bei den durchschnittlichen Stundenlöhnen seit geraumer Zeit deutlich oberhalb von 2 % gegenüber
Vorjahr eingependelt. Bis zu den Werten im Bereich 3 % bis 4 %, die in der Vergangenheit mit
Vollbeschäftigung verbunden waren, ist es aber noch ein weiter Weg. Auch der verlässlichere
Arbeitskostenindex zeigt bislang keine wirkliche Beschleunigung der Löhne in der Privatwirtschaft.
Nix zu Meckern am Arbeitsmarkt
Fiskalpolitik bremst nicht mehr
Veränderung gg. Vm. in Tsd.
%
350
300
10
Arbeitslosenquote (RS)
9
250
200
8
150
100
7
50
6
0
Beschäftigte in der Privatwirtschaft
(Dreimonatsdurchschnitt, LS)
-50
-100
-150
2010
5
4
2011
2012
2013
2014
2015
2016
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research.
Fiskalischer Impuls*, % des potenziellen BIP
2,5
2,5
>0: Konjunktureller Schub
2,0
2,0
1,5
1,5
1,0
1,0
0,5
0,5
0,0
0,0
-0,5
-0,5
-1,0
-1,0
-1,5
-1,5
-2,0
-2,0
<0: Konjunkturelle Bremse
-2,5
-2,5
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
* Auf Basis der Veränderung des strukturellen Primärsaldos des Gesamtstaates
Quellen: IWF, CBO, Helaba Volkswirtschaft/Research
2016: Fiskalpolitik wird vom Gegen- zum Rückenwind
Trotz der graduellen Rücknahme des geldpolitischen Expansionsgrads, die wir für den weiteren
Jahresverlauf erwarten (siehe S. 5), wird die Geldpolitik die Konjunktur nicht etwa bremsen, sondern nur weniger anschieben als in den Vorjahren. Die monetären Bedingungen – also einschließlich Faktoren wie Aktienkurse und Außenwert des Dollar – sollten sich 2016 etwa so entwickeln
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USA AKTUELL
wie 2004/5, als die Fed den letzten Straffungszyklus begann. Von Bremsspuren beim Wachstum
war damals nichts zu erkennen. Bisher läuft z.B. die Vergabe von Unternehmenskrediten durch die
Banken trotz der zuletzt etwas weniger lockeren Kriterien äußerst robust: Mitte Februar lag die
annualisierte Quartalsveränderungsrate bei über 10 %.
Positiver Impuls von
der Fiskalpolitik
1
Obwohl im Vorfeld der Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November neue politische Initiativen unwahrscheinlich sind, wird sich die konjunkturelle Wirkung der Fiskalpolitik im Jahr 2016
spürbar von den Vorjahren unterscheiden. Gemessen am strukturellen Haushaltssaldo bremste
der Staat mit niedrigeren Ausgaben bzw. höheren Steuern und Abgaben die Wirtschaftsaktivität
2
von 2011 bis 2015 unmittelbar um 0,4 bis 1,9 Prozentpunkte pro Jahr (Durchschnitt: 1,3 Prozentpunkte). Im laufenden Jahr zeichnet sich nach dem Haushaltskompromiss vom Dezember 2015
auf der Bundesebene hingegen ein positiver Impuls von 0,8 Prozentpunkten ab. Staaten und Gemeinden dürften zumindest nicht mehr bremsen.
Neben der Staatsnachfrage wird wohl auch die ausländische Nachfrage nach US-Exporten 2016
wieder besser laufen als im Vorjahr. Real betrachtet sind die US-Exporte von Waren und Dienstleistungen 2015 um nur rund 1 % gestiegen. Ein so geringes Plus gab es in den vergangenen
Jahrzehnten immer nur in Jahren einer globalen Rezession, die wir 2015 aber nicht erlebt haben.
Konjunkturelle Erholungstendenzen in manchen Schwellenländern und ein Ausklingen der Dollarstärke dürften im laufenden Jahr zu einer zunehmenden Dynamik bei den US-Exporten führen. Wir
rechnen für Sommer und Herbst mit wieder steigenden Ölpreisen. Diese werden zwar die Kaufkraft
der US-Konsumenten belasten, aber dafür die scharfe Korrektur im US-Bergbau beenden. Hier
sind die realen Bauinvestitionen im Q4 2015 gegenüber Vorjahr um über 50 % gefallen. Dies allein
hat das US-BIP um 0,5 Prozentpunkt reduziert, wobei dabei die ebenfalls rückläufige sektorale
Nachfrage nach Bergbau- und Transportausrüstungen noch nicht einmal mitgezählt ist.
Gesundheitswarnung bei US-Konjunkturindikatoren
Konjunkturdaten sind der Versuch der Statistiker, etwas zu messen, was selbst unter optimalen Bedingungen nur sehr schwer messbar ist. Wirtschaftliche Aktivität beruht auf den Entscheidungen und Handlungen von Millionen Individuen und Unternehmen, die für den Statistiker nicht direkt beobachtbar sind. Sie können zudem erratischen Schwankungen unterliegen,
bedingt zum Beispiel durch das Wetter, durch Streiks oder den Zufall. Insofern ist es nur redlich, bei jeder Art von Indikator statt von Fakten oder Istwerten eher von Schätzungen zu
sprechen. Im Zusammenhang mit den monatlichen Arbeitsmarktdaten haben wir diesen Punkt
schon mehrfach unterstrichen. Er trifft aber ebenfalls auf die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt
zu, dessen Definition und Messung sich im Zeitablauf immer mal wieder in nicht-trivialem Umfang ändert und dessen Schätzungen aufgrund besserer verfügbarer Informationen zum Teil
noch Jahre später erheblichen Revisionen unterliegen.
Ein Faktor, der das öffentliche Bild vom Zustand der US-Wirtschaft zusätzlich verzerren kann,
ist die sektoral schiefe Verteilung der Indikatoren. So hat der Wohnungsbau beispielsweise
aktuell einen Anteil von rund 3,5 % an der US-Wirtschaft, zählt man die Makler und Immobilienfinanzierung hinzu, macht der Bereich „Immobilien“ insgesamt noch etwas mehr aus. Aber
fast 20 % der von dem Nachrichtendienst Bloomberg als marktrelevant ausgewählten Indikatoren-Veröffentlichungen beziehen sich ganz oder primär auf den Wohnungsbau. In den Daten ist der Sektor also mehr als fünfmal so präsent wie in der Wirtschaft selbst. Ähnlich krass
ist das Missverhältnis sonst nur noch beim Verarbeitenden Gewerbe, das einen Anteil von
1
Wir gehen auf dieses Thema in den nächsten Monaten noch in einem „USA Aktuell“ näher ein.
2
„Unmittelbar“ ist eine wichtige Einschränkung, da man in der Regel von Multiplikatoren größer 1 ausgeht: Eine
Kürzung der Staatsausgaben um $1 reduziert des BIP um mehr als $1. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass
die restriktive Fiskalpolitik die US-Wirtschaft eher noch mehr Wachstum gekostet hat.
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USA AKTUELL
rund 10 % an der US-Wirtschaftsleistung hat, aber das der Fokus von immerhin 9 der 32 mo3
natlichen Indikatoren ist.
Bau und Industrie massiv überrepräsentiert
Wichtigste Indikatoren aus dem Bloomberg-Datenkalender
Sektor/Gebiet
Zahl der
Indikatoren*
Anteil (%)
Anteil am BIP
(%)
Verhältnis von
Indikatoren- zu
BIP-Anteil
Bau/Immobilien
6,0
18,6
3,5
5,3
Verarbeitendes Gew erbe
9,0
27,9
10,0
2,8
Dienstleistungen
2,0
6,2
90,0
0,1
Außenw irtschaft
2,3
7,1
10,0
0,7
Gesamtw irtschaft
2,0
6,2
100,0
0,1
Konsum
7,0
21,7
65,0
0,3
Investitionen/Unternehmen
3,0
9,3
12,0
0,8
Preise
4,0
12,4
-
-
Arbeitsmarkt
6,0
18,6
-
-
Summe
32,3
100,0
-
-
* Auf Monatsbasis. Mehrfachnennungen möglich. BIP-Gewicht Außenwirtschaft: Exporte.
Quellen: Bloomberg, Helaba Volkswirtschaft/Research
Konsum, Dienstleistungssektor, Investitionen oder Außenwirtschaft sind dagegen alle (in zum
Teil erheblichem Maße) unterrepräsentiert. Insbesondere die Dienstleistungen (rund 90 % der
US-Wirtschaft) stehen nur im Mittelpunkt von zwei Indikatoren. Dies erklärt vielleicht, warum
viele Finanzmarkteilnehmer die Lage der US-Konjunktur oft nur verzerrt wahrnehmen. Gerade
in Zeiten von Sondereffekten, die das Verarbeitende Gewerbe überproportional betreffen, wie
aktuell der starke Dollar, die schwache Auslandsnachfrage und die Korrektur in der Rohstoffförderung, kann das monatliche „Datenpotpourri“ schnell einen völlig falschen Eindruck
vom „wahren Stand der Dinge“ erwecken. Viele regionale Fed-Banken veröffentlichen, über
den Monat verteilt, einen eigenen Stimmungsindikator für das Verarbeitende Gewerbe. Dies
täuscht einen Fluss neuer Informationen vor, wenn die Daten in Wirklichkeit nur die bereits
bekannten Erkenntnisse aus der Region X noch einmal für die Region Y bestätigen.
Die asymmetrische Berücksichtigung von Sektoren und Nachfragekategorien in der Statistik
spiegelt sich auch im stark unterschiedlichen Detailgrad der Daten wider. Während es beispielsweise monatliche Exportzahlen und Erzeugerpreise zu Pelzen und Fellen gibt, sind vor
allem die Informationen zu den viel wichtigeren Dienstleistungsbranchen vergleichsweise grob
gegliedert und stehen häufig erst mit erheblicher Verzögerung zur Verfügung.
Oft ist ein Indikator auch nicht das, was man erwarten würde. So war die scheinbar schlechte
Performance der US-Industrieproduktion in den zwölf Monaten bis Dezember 2015 zu einem
guten Teil dem warmen Wetter (Versorgerproduktion 6,4 % unter Vorjahresniveau) und der
massiven Korrektur im Bergbau (11,3 % unter Vorjahresniveau) geschuldet. Nicht jeder Datennutzer versteht den Unterschied zwischen Industrie und Verarbeitendem Gewerbe, zumal
diese Begriffe umgangssprachlich häufig austauschbar eingesetzt werden. Da in Deutschland
der Bergbau zudem eine untergeordnete Rolle spielt, ist nicht jedem klar, dass die Rohstoffförderung in den USA die Zahlen merklich beeinflussen kann. Natürlich sind Bergbau und
Versorger auch Teile der US-Wirtschaft. Es macht aber trotzdem in der Regel Sinn, sie getrennt zu betrachten. Die Versorger fragen zwar Rohstoffe nach, doch ihre Produktionsschwankungen hängen in erster Linie davon ab, ob das Wetter ungewöhnlich kalt oder heiß
3
Quartalsdaten sind hier auf Monatsbasis umgelegt, so dass sich exakt eine Summe von 32,3 ergibt.
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USA AKTUELL
ist. Informationen über die konjunkturelle Lage kann man von ihnen daher kaum erwarten.
Den schrumpfenden Bergbau hingegen miteinzubeziehen, wenn man zeigen will, wie
schwach die Nachfrage „in der Industrie“ nach Rohstoffen ist, ist hingegen (vorsichtig formuliert) widersinnig.
Fed: Ein Zinsschritt weniger im Jahr 2016
Die Fed hat Mitte Dezember erstmalig seit der Finanzkrise den Leitzins um 25 Basispunkte angehoben und damit die lange Nullzinsphase beendet. Die zu diesem Zeitpunkt noch allgegenwärtigen
Erwartungen eines graduellen weiteren Straffungsprozesses haben allerdings nicht lange Bestand
gehabt. Der neue Schwächeanfall an den Aktienmärkten, wie schon im Sommer 2015 wieder von
China ausgehend, und eine weitere (wenn auch letztlich homöopathische) Abwertung des Yuan
führten zur Jahreswende zu großer Verunsicherung an den Finanzmärkten. Ängste über den Zustand der globalen Konjunktur nahmen spürbar zu. Damit schwanden auch die Zinserhöhungserwartungen. Bis Mitte Februar hatten die von Bloomberg befragten Fed-Watcher im Schnitt ihre
Prognosen für das Leitzinsband zum Jahresende von 1 % bis 1,25 % auf 0,75 % bis 1 % zurückgenommen. Am Markt für Fed Funds Futures ist per Dezember derzeit nur noch ein Zinsschritt
(also ein Zielband von 0,5 % bis 0,75 %) eingepreist.
Wir gehen allerdings davon aus, dass die Fed den Leitzins stärker anheben wird. Zwar sieht es
aktuell so aus, als würde die gestiegene Unsicherheit an den Märkten die FOMC-Mitglieder bei
ihrer Sitzung im März zögern lassen. Ein Zinsschritt am 16. März ist daher aus heutiger Sicht nicht
ausgeschlossen, aber nicht mehr das wahrscheinlichste Szenario. Neben der Korrektur an den
Börsen spielt hier vor allem der niedrigere Ölpreis eine Rolle. Er dämpft die – aus Sicht der Fed zu
niedrige – Teuerung, zumindest kurzfristig. Dies kann tendenziell die Zuversicht unterminieren,
dass sich die Teuerung auf mittlere Sicht wieder der 2 %-Zielmarke annähern wird. Noch problematischer ist für viele Notenbanker aber die Wirkung des Ölpreises auf die Inflationserwartungen
von Verbrauchern und Investoren. Obwohl es keinen klaren Zusammenhang zwischen kurzfristigen Schwankungen der volatilen Energiepreise und den langfristigen Inflationserwartungen geben
sollte, folgten Letztere in jüngster Vergangenheit insbesondere dem Ölpreis. Dies galt zunächst vor
allem für die aus Finanzmarktgrößen abgeleiteten Erwartungen, zuletzt aber auch für die Verbraucherumfrage der University of Michigan.
Graduelle Rücknahme des Expansionsgrads
Ölpreis treibt langfristige „Inflationserwartungen“
Nominaler Monetary Conditions Index (MCI), Dez-95 = 100
Prozentpunkte
140
140
120
3,0
120
2,5
100
2,0
80
80
1,5
60
60
1,0
40
40
0,5
20
Dez 95
20
0,0
2008
restriktiver
100
Dez 99
Dez 03
Dez 07
HelabaPrognosen
Q2 bis Q4
2016
Dez 11
160
"Break-Even-Inflation"*
(10 Jahre, LS)
140
120
Dez 15
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Vorsicht vor „Inflationserwartungen“
Dollar je Barrel
100
80
60
Ölpreis
(Brent Blend, RS)
40
20
0
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
* Durchschnittliche Inflationsrate in den nächsten zehn Jahren, die zum Spread zwischen
einer nominalen und einer inflationsindexierten Treasury-Anleihe mit dieser Laufzeit passt.
Ohne Berücksichtigung von Liquiditäts- oder anderen Prämien
Quellen: Macrobond, FRED, Helaba Volkswirtschaft/Research
Notenbanker rund um die Welt befürchten, dass diese niedrigen langfristigen „Inflationserwartungen“ zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden könnten. Im Dialog mit Medien und Märkten
gehen dabei oft die einschränkenden Verweise auf die Existenz von Laufzeit- und Liquiditätsprämien, die die Interpretation dieser Zahlen enorm erschweren können, verloren. Im Endeffekt werden daher die Schwankungen dieser Marktgrößen vielfach eins zu eins als Bewegungen von langfristigen Inflationserwartungen interpretiert. Ob es nicht gerade die Notenbanker selber sind, die
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USA AKTUELL
einer selbsterfüllenden Prophezeiung durch ihr ständiges Gerede über diese Zahlen Vorschub
leisten, steht auf einem anderen Blatt.
Für den weiteren Jahresverlauf rechnen wir mit besseren Konjunkturdaten, höheren Ölpreisen,
einer anziehende Teuerung und schwindenden Rezessionsängsten, verbunden mit wieder steigenden Aktiennotierungen. Ab der Juni-Sitzung dürfte das FOMC die Zinserhöhungen daher wieder aufnehmen. Ende 2016 wird das Zielband für den Leitzins aus unserer Sicht bei 1 % bis
1,25 % liegen.
Geänderte Inflationsprognose
Im Januar lag die Teuerungsrate insgesamt bei 1,4 %, dem höchsten Wert seit Herbst 2014, als
der massive Rutsch beim Ölpreis einsetzte. Bereits im Februar dürfte die Vorjahresrate aber wieder unter 1 % fallen. Dies spiegelt in erster Linie den spürbaren Rückgang der Benzinpreise wider.
Die Kernrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) lag zuletzt bei 2,2 %. Gemessen an der SechsMonatsdynamik zog sie sogar auf annualisiert 2,3 % an, den höchsten Wert seit Anfang 2012.
Nicht zuletzt die sehr wichtige Komponente „Wohnen“ bleibt im Aufwind. Mieten und selbstgenutztes Wohneigentum machen zusammen rund 40 % am Kernindex aus. Sie steigen derzeit mit Raten von 3,7 % bzw. 3,2 % gegenüber Vorjahr.
Hohe Volatilität bei der Gesamtteuerung
Verbraucherpreise, % gg. Vj.
6
6
Gesamtindex
5
5
4
4
ohne Energie und
Nahrungsmittel
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
-1
-2
-2
-3
2007
-3
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Obwohl die Kernteuerung wohl in der Nähe der 2 % bleiben dürfte, haben wir die Prognose für die
Gesamtteuerung für 2016 von 1,5 % auf 1,2 % angepasst. Dem liegt ein niedrigerer Pfad für den
Ölpreis im ersten Halbjahr zugrunde. Der Zeitpunkt des weiteren Anstiegs der Teuerungsrate verschiebt sich dadurch ins zweite Halbjahr. Er fällt dann aber umso heftiger aus. Im kommenden
Jahr sind auf Basis eines Ölpreises um die 50 Dollar pro Fass monatliche Teuerungsraten deutlich
über 3 % zu erwarten.
Deutlich höhere
Teuerung 2017
Wegen dieses Basiseffekts (Anstieg des Ölpreises auf das gleiche Niveau wie vorher, aber von
einem niedrigeren Ausgangswert) haben wir die Prognose für 2017 von 2 % auf 2,8 % angehoben.
Neben dem Basiseffekt bei den Energiepreisen spricht auch die Tatsache, dass die Vollbeschäftigung inzwischen praktisch erreicht ist, für tendenziell zunehmenden Lohn- und Kostendruck.
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USA AKTUELL
Makroprognosen USA 2016 / 2017
2014 2015 2016 2017 2015
2016
Q3 Q4 Q1 Q2
Privater Verbrauch*
% gg. Vj. bzw .
Q3
Q4
2,7
3,1
2,9
2,4
3,0
2,0
3,2
3,2
3,0
3,0
-0,6
0,7
2,2
2,4
1,8
-0,1
2,6
2,9
3,4
2,9
6,2
2,9
3,5
4,9
2,6
-1,9
4,8
5,6
5,5
5,1
1,8
8,7
8,0
6,0
8,2
7,9
7,4
8,2
8,2
7,4
3,4
1,1
1,3
4,6
0,7
-2,7 -3,2
6,6
5,3
5,3
3,8
4,9
3,5
6,3
2,3
-0,6
7,2
7,5
7,0
% gg. Vq. saar
Staatsnachfrage*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Unternehmensinvestitionen*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Wohnungsbau*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Exporte*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Importe*
% gg. Vj. bzw .
1,8
% gg. Vq. saar
Außenbeitrag*
in %punkten
-0,5 -0,6 -0,5 -0,4 -0,3 -0,3 -0,7 -0,3 -0,5 -0,5
Bruttoinlandsprodukt*
% gg. Vj. bzw .
2,4
2,4
2,5
2,5
2,0
1,0
2,5
3,2
2,9
3,2
% gg. Vq. saar
Arbeitslosenquote
%
6,2
5,3
4,6
4,1
5,1
5,0
4,9
4,7
4,5
4,4
Sparquote
%
4,8
5,1
5,2
4,2
5,0
5,2
5,8
5,6
4,8
4,4
Verbraucherpreise
% gg. Vj.
1,6
0,1
1,2
2,8
0,1
0,5
0,6
0,6
1,5
2,1
ohne Energie & Nahrungsmittel % gg. Vj.
1,7
1,8
2,0
1,9
1,8
2,0
1,7
1,8
1,8
2,0
Leistungsbilanzsaldo
% am BIP
-2,2 -2,6 -2,6 -3,2
-
-
-
-
-
-
Haushaltssaldo**
% am BIP
-3,8 -2,6 -2,9 -2,9
-
-
-
-
-
-
* in chained Dollars von 2009, ** Bundesebene einschl. Sozialversicherungen ohne Hilfspakete für Finanzinstitutionen.
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research; grau hinterlegte Fläche Prognosen; saar = „seasonally adjusted annual rate“
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