Helaba Volkswirtschaft/Research KONJUNKTUR KOMPAKT 4. August 2016 REDAKTION Dr. Stefan Mitropoulos Tel.: 0 69/91 32-46 19 [email protected] Die Welt im Blick ............................................................................................................................ 1 HERAUSGEBER Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/ Leitung Research China: Gute Nachrichten = schlechte Nachrichten ..................................................................... 4 Helaba Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt am Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 Prognoseübersicht......................................................................................................................... 7 Deutschland: Trotz Risiken weiter aufwärts ................................................................................ 2 USA: Wenig Dynamik trotz Konsumbooms ................................................................................. 3 Italien: Bankenkrise verunsichert ................................................................................................. 5 Türkei: Mit Unsicherheiten leben .................................................................................................. 6 Die Welt im Blick Dr. Stefan Mütze Tel.: 0 69/91 32-38 50 Trendwende der europäischen Bautätigkeit Reale Bauinvestitionen, Index: Q1 2007 = 100 Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise fiel die Bautätigkeit in einigen europäischen Staaten dramatisch. So führte die Immobilienkrise in Spanien zu einem rund 45-prozentigen Rückgang, in den Niederlanden lag das Minus zeitweise bei etwa 30 %. Nur in Deutschland blieb die Bautätigkeit nach 2007 relativ stabil, bevor 2010 ein neuer Aufschwung einsetzte. Mittlerweile haben alle Länder die akute Baukrise überwunden, wenngleich sich beispielsweise in Italien bislang nur eine Stabilisierung ausbildet. Im gemeinsamen Währungsraum ist es sowohl der Wohnungsbau als auch der Nichtwohnungsbau, der eine Trendwende vollzieht. Der Wohnungsbau profitiert von den günstigeren Rahmenbedingungen. So führt die steigende Beschäftigung bei moderaten Lohnsteigerungen und extrem niedriger Inflation zu höheren Realeinkommen. Zudem erleichtern die außergewöhnlich niedrigen Hypothekenzinsen die Finanzierung. Alternativanlagen am Rentenmarkt sind nicht verlockend. In Deutschland hat zusätzlich die starke Zuwanderung die Wohnungsknappheit vor allem in Metropolregionen verstärkt. Die Lage im Wirtschafts- und öffentlichen Bau dürfte sich nur zögerlich bessern. Bremsend wirkt sich die hohe Unsicherheit, beispielsweise durch den Brexit, die Terrorgefahr oder die Entwicklung in der Türkei, auf die Unternehmensinvestitionen aus. Die angespannte Haushaltslage erlaubt in vielen Staaten keine deutliche Steigerung der öffentlichen Bauinvestitionen. Deutschland ist hier eine der Ausnahmen. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H 4 . A U G U S T 2 0 1 6 · © H E L A B A 1 KONJUNKT UR KOMPAKT Deutschland: Trotz Risiken weiter aufwärts Die Risiken scheinen allgegenwärtig. Der Brexit, der gescheiterte Putschversuch in der Türkei sowie Terrorgefahren belasten die deutsche Wirtschaft. Die jüngsten Frühindikatoren wie das ifoGeschäftsklima zeigen jedoch bislang nur begrenzte Auswirkungen, da die Binnenkräfte stabilisieren. Vor allem der lebhaft expandierende Konsum – privat und öffentlich – sowie die Wohnungsbauinvestitionen stimulieren. Nach dem starken Wirtschaftswachstum im ersten Quartal von 0,7 % gegenüber den drei Monaten zuvor dürfte sich die Schrittfolge in Q2 auf 0,3 % verlangsamt haben. Unsere Prognose von arbeitstäglich bereinigt 1,6 % für 2016 ist gut abgesichert, da dies nur eine Fortsetzung des zuletzt moderaten Wirtschaftswachstums und damit keine Beschleunigung erfordert. Dr. Stefan Mütze Tel.: 0 69/91 32-38 50 Prognoseübersicht Deutschland Arbeitsmarkt in Hochform Mio., saisonbereinigt 2014 2015 2016p 2017p % gg. Vj. 1,6 1,4 1,6 1,3 Budgetsaldo % des BIP 0,3 0,6 0,2 0,0 Leistungsbilanzsaldo % des BIP 7,3 8,5 8,4 8,3 % 6,7 6,4 6,2 6,1 % gg. Vj. 0,9 0,3 0,6 1,5 BIP*, real Arbeitslosenquote Inflationsrate Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research *kalenderbereinigt p = Prognose Deutlich mehr Beschäftigung bei moderatem Wachstum Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Eine Ursache für die aktuell stabile Konjunktur in Deutschland ist die günstige Lage am Arbeitsmarkt. Das moderate Wachstum von rund 1 ½ % in den vergangenen Jahren hat ausgereicht, die Beschäftigung deutlich zu erhöhen. Im Juni 2016 waren annähernd 530 Tausend Menschen mehr beschäftigt als vor einem Jahr. In der Gruppe der sozialversicherungspflichtigen Jobs lag das Plus im Mai sogar bei 700 Tausend. Dieser geringere Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum 1 und Beschäftigung lässt sich u.a. auf den sektoralen Wandel zurückführen. Dies zeigt aktuell der starke Anstieg der Beschäftigung im nicht konjunktursensitiven Bereich „Pflege und Soziales“. Dort wurden mit 109 Tausend im Mai 2016 im Vorjahresvergleich die meisten neu geschaffenen Stellen ermittelt. Zusätzliche 48 Tausend sozialversicherungspflichtige Beschäftigte wurden im Bereich „Gesundheit“ eingestellt. Allerdings kam es auch zu deutlichen Zuwächsen bei konjunktursensitiven Unternehmensdienstleistungen und im Logistiksektor. Die Arbeitslosenquote ist bis zuletzt leicht gesunken. Der starke Beschäftigungszuwachs hat bislang verhindert, dass der Zustrom von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten zu einer Trendwende geführt hat. Die verfügbaren Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt, wie das ifo-Beschäftigungsbarometer, der BA-Stellenindex oder der entsprechende Indikator des IAB, signalisieren eine Fortsetzung des positiven Trends. Die gute Arbeitsmarktentwicklung kann die zusätzliche Arbeitslosigkeit der Flüchtlinge bislang mehr als ausgleichen. Allerdings haben sich viele Flüchtlinge wegen der Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen noch nicht arbeitslos gemeldet, obgleich die Zahl der Arbeitslosen aus den Kriegs- und Krisenländern bereits im Juni 2016 um rund 75 Tausend Personen höher lag als im Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote dieser Gruppe beträgt rund 51 %. Entsprechend niedrig sind die Beschäftigungsquoten. Der deutsche Arbeitsmarkt sollte die steigende Flüchtlingsarbeitslosigkeit gut verkraften können, zumal die Zahl der Zuwanderer in den letzten Monaten drastisch gesunken ist. Die deutsche Arbeitslosenquote dürfte sich deswegen auch 2017 kaum vom diesjährigen Wert (6,2 %) unterscheiden. 1 Vgl. hierzu: Sabine Klinger, Enzo Weber: Seit der Großen Rezession: schwächerer Zusammenhang von Konjunktur und Beschäftigung, in: Wirtschaftsdienst 10/2014, S. 756ff. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A U G U S T 2 0 1 6 © H E L A B A 2 KONJUNKT UR KOMPAKT USA: Wenig Dynamik trotz Konsumbooms Die Wachstumszahlen für das zweite Quartal haben hinsichtlich der Konjunkturzweifel nicht den erhofften Befreiungsschlag gebracht. Zwar legten die realen Konsumausgaben der privaten Haushalte um 4,2 % gegenüber Vorperiode zu (Jahresrate) – und knüpften damit an die „gute alte Zeit“ des US-Konsumbooms in den 1990er und 2000er Jahren an. Die anderen Komponenten der Inlandsnachfrage entwickelten sich im Frühjahr allerdings negativ: Investitionen in Ausrüstungen, in den Gewerbe- und Wohnungsbau sowie die Staatsausgaben fielen im Frühjahr allesamt. Besonders negativ schlug die Lagerhaltung der Unternehmen zu Buche. Mit einem absoluten Rückgang steuerte sie einen Beitrag von -1,2 Prozentpunkten zum BIP-Wachstum bei. Damit stieg das reale BIP im Q2 mit enttäuschenden 1,2 % nur wenig stärker als in den zwei Quartalen zuvor. Die Schwäche bei den Investitionen war aber nicht zuletzt durch die bis Q2 andauernde Korrektur im Energie- und Bergbausektor geprägt (sektorale Bauinvestitionen: reale Jahresrate -58 % gegenüber Vorperiode). Hier erwarten wir für das zweite Halbjahr eine tendenzielle Entspannung. Dass die Aussichten für Q3 und Q4 nun sogar etwas besser als vor der Datenveröffentlichung sind, ist nicht zuletzt dem Lagereffekt geschuldet. Schon ein nur unterdurchschnittlicher Aufbau der Lagerhaltung im Sommer wird einen erheblichen positiven Wachstumsbeitrag leisten, der helfen sollte, einen Zuwachs beim BIP von rund 3 % zu erreichen. Mittelfristig dürften die Wachstumsraten im Schnitt im Bereich zwischen 2 % und 3 % liegen. Wegen des schwachen ersten Halbjahrs reduzieren wir unsere Jahresprognose für 2016 jedoch von 2 % auf 1,6 %. Für 2017 bleiben wir bei einem Wachstum von 2,5 %. Auf die Details der mit den Q2-Zahlen veröffentlichten Ergebnisse der jährlichen Revision gehen wir in den nächsten Tagen in einem „USA Aktuell“ näher ein. Patrick Franke Tel.: 069/91 32-47 38 Prognoseübersicht USA Lagereffekt dürfte für starkes Q3 sorgen Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung in % 2014 2015 2016p 2017p 6 BIP, real % gg. Vj. 2,4 2,6 1,6 2,5 2 % des BIP -3,6 -3,3 -3,2 -3,1 -2 6 gg. Vq. (Jahresrate) 4 4 Trend 2 0 Budgetsaldo* Leistungsbilanzsaldo Arbeitslosenquote Inflationsrate % des BIP -2,3 -2,6 -2,9 -3,1 % 6,2 5,3 4,8 4,2 % gg. Vj. 1,6 0,1 1,2 2,2 * Bundesebene einschl. Sozialversicherungen (NIPA-Basis) Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research p = Prognose 0 -2 gg. Vj. -4 -4 -6 -6 -8 -8 -10 -10 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research. Angesichts des verhaltenen Wachstumstempos ist der robuste Zustand des Arbeitsmarktes umso erstaunlicher. Der Stellenaufbau lag in den drei Monaten bis zum Juni bei rund 150.000 pro Monat. Über den Zeitraum der „Konjunkturdelle“ seit September 2015 sind insgesamt sogar 1,9 Mio. zusätzliche Stellen entstanden – also mehr als 200.000 pro Monat. Mit unter 5 % signalisiert die Arbeitslosenquote praktisch Vollbeschäftigung. Die Löhne ziehen an. Die Teuerung bewegt sich im Rahmen unserer Prognosen. Die Kernrate ohne Energie und Nahrungsmittel liegt seit geraumer Zeit im Bereich von 2 % bis 2,3 %. Daran dürfte sich zunächst nicht viel ändern. Selbst wenn die Ölpreise auf dem aktuellen Niveau verharren, wird aber ein Basiseffekt bei der Energiekomponente dazu beitragen, dass die Gesamtteuerung gemessen am Verbraucherpreisindex in den kommenden Monaten von rund 1 % auf 2 % anzieht. Flacherer Leitzinspfad Unsere Fed-Prognose haben wir nach der jüngsten FOMC-Sitzung angepasst. Wir bleiben zwar dabei, dass die US-Notenbank in diesem Jahr einmal den Leitzins anheben wird – wahrscheinlich im Dezember. Allerdings zeichnet sich ab, dass ein Zinserhöhungstempo von 25 Basispunkten pro Quartal für 2017 zu ambitioniert ist. Auf Basis der Erfahrung im laufenden Jahr sind selbst bei der von uns erwarteten höheren Teuerungsrate und einem etwas kräftigerem Wachstum eher zwei Zinsschritte à 25 Basispunkte im Jahr 2017 realistisch. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A U G U S T 2 0 1 6 © H E L A B A 3 KONJUNKT UR KOMPAKT China: Gute Nachrichten = schlechte Nachrichten Chinas Wirtschaft ist im Jahr zum zweiten Quartal 2016 laut den offiziellen Zahlen um 6,7 % gewachsen. Damit liegt die Wachstumsrate im Frühjahr etwa in der Mitte des offiziellen Zielbandes der Regierung von 6,5 % bis 7 % für das Gesamtjahr. Auf den ersten Blick ist dies eine gute Nachricht: Das Wachstum insgesamt überraschte positiv und die Konsumausgaben sind offenbar kräftig gestiegen – ihr Wachstumsbeitrag war so hoch wie seit 2012 nicht mehr. Allerdings hat die Sache mehr als einen Haken. So ist unklar, in welchem Ausmaß der Staatskonsum hinter dem deutlichen Plus bei den Konsumausgaben stand. Die Staatsausgaben steigen jedenfalls massiv. Noch problematischer ist, dass neben den höheren öffentlichen Ausgaben wohl eine expansive Geld- und Kreditpolitik Haupttreiber der Nachfrage ist. Die Regierung heizt die Konjunktur mit Stimulusmaßnahmen an – egal, ob dies mittelfristige Reformziele konterkariert oder nicht. Ein Ausdruck dieser anhaltenden Fehlentwicklung ist der dramatische Anstieg der Verschuldung. Patrick Franke Tel.: 069/91 32-47 38 Vor diesem Hintergrund wären kurzfristig niedrigere Wachstumsraten wohl positiver – auch weil sie signalisieren würden, dass die Regierung nicht „auf Teufel komm raus“ die Konjunktur stimulieren will, sondern mit einem geringeren Wachstum leben kann. Das Risiko eines Crash nimmt jedenfalls mit der anziehenden Kreditvergabe weiter zu. Mit den aktuell besseren Wachstumszahlen „erkauft“ sich die Regierung daher möglicherweise größere Probleme in der Zukunft. Gleichzeitig sind die Impulse aber nicht so stark, dass sich Konjunkturängste verflüchtigen würden – laut den Einkaufsmanagerindizes ist die Stimmung in der Wirtschaft nach wie vor alles andere als rosig. Prognoseübersicht China Wachstum bislang noch im Zielkorridor der Regierung Reales Bruttoinlandsprodukt, % gg. Vj. 2014 2015 2016p 2017p 13 13 12 BIP, real Budgetsaldo Leistungsbilanzsaldo % gg. Vj. % des BIP % des BIP 7,3 -1,8 2,6 6,9 0,6 3,1 6,5 -3,0 2,5 6,0 -4,0 2,5 11 11 10 10 9 9 8 8 7 Inflationsrate % 4,1 % gg. Vj. 2,1 Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research 4,0 1,5 4,1 1,9 4,1 2,3 p = Prognose 7 Wachstumsziele der Regierung für die Gesamtjahre 6 Arbeitslosenquote 12 Istwerte 5 Korridor für 2016 6 5 4 4 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Auch auf Basis der Entwicklungen am Devisenmarkt ließe sich argumentieren, dass die Regierung die wirtschaftspolitischen Zügel lockert. Die Devisenreserven sind seit Jahresanfang weitgehend stabil, d.h. die Notenbank interveniert nicht in größerem Umfang, um den Yuan zu stützen. Sie sieht also der andauernden Abwertung – im Gegensatz zu ihrem Verhalten im Jahr 2015 – derzeit “tatenlos“ zu: Gegenüber dem Dollar hat der Yuan seit Anfang Januar 2,7 % eingebüßt, der gewichtete Außenwert liegt sogar gut 5 % niedriger. Inwieweit die schwächere Währung der chinesischen Konjunktur nennenswerte Impulse liefert, steht auf einem anderen Blatt. Wenn ein stärkerer Konsum das Ziel ist, kann die Abwertung sogar tendenziell negativ wirken, da sie die reale Kaufkraft der Chinesen schmälert. Kurzfristige Entwarnung – mittelfristige Risiken Mit Hilfe der umfangreichen Stimulusmaßnahmen dürfte es der Regierung gelingen, die kurzfristigen Risiken unter Kontrolle zu halten. Ein konjunktureller Einbruch ist weniger wahrscheinlich geworden. Den Preis dafür wird China zwar früher oder später zahlen müssen – möglicherweise aber erst jenseits unseres Prognosehorizonts. Für die nächsten sechs bis achtzehn Monate bleibt eine durchwachsene Lage das Basis-Szenario. Weder zeichnet sich ein selbsttragender Aufschwung ab, noch gibt es einen konkreten Anlass, dass der lang erwartete „China-Crash“ unmittelbar bevorsteht. Störfeuer könnte zunächst vor allem aus der Politik kommen: Ein Handelskonflikt mit den USA unter einem möglichen Präsidenten Trump oder eine militärische Eskalation der territorialen Konflikte mit diversen Nachbarstaaten im Chinesischen Meer. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A U G U S T 2 0 1 6 © H E L A B A 4 KONJUNKT UR KOMPAKT Italien: Bankenkrise verunsichert Der bisherige Aufschwung in Italien ist schwach und fragil. Immerhin dürfte im zweiten Vierteljahr der sechste BIP-Zuwachs in Folge erreicht worden sein. Nach zwei schweren Rezessionen mit einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung von rund 10 % ist ein durchschnittlicher realer Quartalszuwachs von weniger als 0,3 % allerdings nicht überzeugend. In Spanien beispielsweise wurde seit Ende der Rezession mehr als doppelt so viel erzielt. Die italienische Wirtschaft wird nicht nur – wie andere Länder – von Risikofaktoren wie dem Brexit gebremst. Auch die ungelösten Strukturprobleme und jüngst die Bankenkrise dämpfen die Dynamik. Die aktuellen Frühindikatoren sind heterogen: Während die Auftragseingänge in der Industrie zuletzt deutlich gesunken sind, hat sich das Geschäftsklima bislang nicht eingetrübt. Insbesondere im Bausektor ist die Unternehmensstimmung besser geworden. Das Wirtschaftswachstum wird im Vergleich zur Eurozone mit 1,1 % 2016 und 1,4 % 2017 unterdurchschnittlich ausfallen. Selbst diese Raten setzen voraus, dass die Bankenproblematik rasch gelöst wird und es mit der Abstimmung zur Verfassungsänderung im Oktober zu keiner Regierungskrise kommt. Dr. Stefan Mütze Tel.: 0 69/91 32-38 50 Prognoseübersicht Italien Geschäftsklima signalisiert moderates Wachstum Istat Economic Sentiment Indicator (IESI), Monatswerte 2014 2015 2016p 2017p % gg. Vj. -0,3 0,6 1,1 1,4 Budgetsaldo % des BIP -3,0 -2,6 -2,4 -2,0 Leistungsbilanzsaldo % des BIP 1,9 2,2 2,4 2,5 % 12,6 11,9 11,5 10,0 % gg. Vj. 0,2 0,1 0,2 1,3 BIP, real Arbeitslosenquote Inflationsrate Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Moderate Impulse vom Konsum p = Prognose % gg. Vj. Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Das italienische Wachstum beruht auf der Binnennachfrage, während der Außenhandel zuletzt sogar gebremst hat. So haben die privaten Konsumausgaben seit 2014 stärker zugelegt als das BIP. Der bis Anfang 2016 deutlich gesunkene Ölpreis hat die Verbraucher entlastet. Die Inflationsrate liegt aktuell mit -0,1 % im sechsten Monat in Folge leicht im negativen Bereich. Selbst bei nur wenig gestiegenen Löhnen wurden damit reale Zuwächse erreicht. Hinzu kamen moderate Steuersenkungen beispielsweise für Immobilienbesitzer. Positiv wirkt sich darüber hinaus aus, dass die Beschäftigung aktuell mehr als 1 % über dem Vorjahrjahresniveau liegt. 2015 hat dies zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen, der sich zuletzt allerdings nicht mehr fortsetzte. Der Konsum dürfte zwar weiter zulegen, allerdings an Kraft verlieren. So führen der Anstieg des Ölpreises im ersten Halbjahr 2016 und Basiseffekte zu leicht höheren Verbraucherpreisen im zweiten Halbjahr. Weitere Steuererleichterungen sind kaum mehr umzusetzen, da der Streit mit Brüssel um die Haushaltsziele keine großen Spielräume lässt. Der Schuldenstand lag 2015 bei knapp 133 % des BIP. Nach Diskussionen wurde für dieses Jahr eine Neuverschuldung von 2,3 % akzeptiert. 2017 soll diese Quote weiterverringert werden. Bei Italiens niedrigem Nominalwachstum besteht damit kaum Raum, die hohe Staatsverschuldungsquote nennenswert zu reduzieren. Dementsprechend gingen von den öffentlichen Konsumausgaben zuletzt auch kaum Impulse aus. Stimuliert durch Steuererleichterungen in diesem Jahr wird in Italien wieder vermehrt investiert. So sind die Anlageinvestitionen im ersten Quartal 2016 zum fünften Mal in Folge angestiegen. Die Impulse gehen von den Ausrüstungen aus, die bereits im letzten Jahr um 3,5 % zulegten und 2016 einen ähnlichen Zuwachs aufweisen sollten. Die Bautätigkeit weist der Tendenz nach seit Anfang 2015 leicht aufwärts. Das positive Geschäftsklima lässt erwarten, dass sich dies fortsetzt. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A U G U S T 2 0 1 6 © H E L A B A 5 KONJUNKT UR KOMPAKT Türkei: Mit Unsicherheiten leben Nach dem erfolglosen Putschversuch von Teilen des Militärs Mitte Juli 2016 muss nun wieder rasch das Vertrauen in die Politik hergestellt werden. Unsicher ist aber, ob der schon vor dem Putsch zunehmend autoritäre Präsident Erdogan auf die Opposition zugehen wird, um mehr Konsens und Rückhalt für einen demokratischen Staat zu schaffen. Denn nur mit stabilen politischen Rahmenbedingungen wird die Türkei an die überwiegend starke Expansionsphase vor 2012 anknüpfen können. Seither stützt sich das Wachstum einzig auf steigende staatliche und private Konsumausgaben zulasten von Investitionen und strukturellen Verbesserungen. Ulrich Rathfelder Tel.: 0 69/91 32-20 32 Achillesferse der türkischen Wirtschaft ist und bleibt die Abhängigkeit vom Zufluss kurzfristigen Anlagekapitals. Bemerkenswert ist, dass dieser Zufluss bisher krisenresistent war. Die Zentralbank war lediglich Anfang 2014 gezwungen, die Leitzinsen vorübergehend massiv anzuheben, um den Kursverfall der türkischen Lira zu stoppen. Dieser war durch die Erwartung steigender US-Zinsen ausgelöst worden, was nicht nur die Türkei, sondern auch andere Schwellenländer mit Leistungsbilanzdefizit und hoher Auslandsverschuldung getroffen hatte. Seither konnten die Leitzinsen wieder deutlich gesenkt werden. Der Euro-Lirakurs als Indikator für die externe Liquiditätsverfassung tendiert seit dem Wahlsieg der AKP bei den Parlamentswahlen Ende 2015 unter Schwankungen seitwärts. Prognoseübersicht Türkei Lira-Kurs bislang wenig beeindruckt TRY 2014 2015 2016p 2017p % gg. Vj. 3,0 4,0 3,0 3,5 Budgetsaldo % des BIP -1,3 -1,2 -1,7 -1,8 Leistungsbilanzsaldo % des BIP -5,4 -4,5 -4,5 -5,0 % 10,0 10,3 10,0 9,5 % gg. Vj. 8,9 7,7 7,5 7,0 BIP, real Arbeitslosenquote (EU) Inflationsrate Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research Wirtschaftsstruktur von arbeitsintensiven Sektoren geprägt p = Prognose % Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Das Wirtschaftswachstum dürfte 2016 infolge der stark fallenden Tourismuseinnahmen, der politischen Unsicherheiten sowie der schwachen Investitionen auf 3 % zurückgehen. Konjunkturell hilfreich war zwar die kräftige Anhebung des Mindestlohnes um 30 % Anfang 2016. Für die Standortqualität war diese jedoch von Nachteil. Das Produktivitätswachstum liegt schon seit mehreren Jahren unter der realen Lohnzunahme. Wichtige arbeitsintensive Sektoren wie die Textilindustrie, die Landwirtschaft und der Tourismus werden zusätzlich belastet und die Arbeitslosenquote wird voraussichtlich bei 10 % verharren. Durch den Ölpreisrückgang verringerte sich das Leistungsbilanzdefizit 2015 leicht auf 4,5 % des BIP. Es könnte auf diesem Niveau bleiben, vorausgesetzt, der Tourismus bricht nicht noch stärker ein. Allgemein weist die Türkei nur mittlere Standortqualitäten auf und Direktinvestitionen finanzieren weniger als die Hälfte des Leistungsbilanzdefizits. Die überwiegend vom privaten Sektor aufgenommene Auslandsverschuldung liegt bei hohen 200 % der gesamten Deviseneinnahmen und Abwertungen der Lira treffen einzelne Schuldner empfindsam. Den außenwirtschaftlichen Schwächen stehen solide Staatsfinanzen mit einer niedrigen Staatsverschuldung (35 % des BIP) gegenüber. Die vorwiegend langfristig und fest verzinst in Lira aufgenommenen Kredite stärken zudem die Bonität des Staates. Wichtiger als auf fiskalische Impulse zu vertrauen ist aber, die im Januar vorgestellte Reformagenda u.a. für flexiblere Arbeitsmärkte, bessere Investitionsbedingungen und ein effizienteres Steuersystem umzusetzen. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . A U G U S T 2 0 1 6 © H E L A B A 6 KONJUNKT UR KOMPAKT Prognoseübersicht Euroland Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise reale Veränderung gg. Vorjahr, % Veränderung gg. Vorjahr, % 2014 2015 2016p 2017p 2014 2015 2016p 2017p 0,9 1,6 1,6 1,4 0,4 0,0 0,4 1,4 Deutschland 1,6 1,4 1,6 1,3 0,9 0,3 0,6 1,5 Frankreich 0,7 1,2 1,4 1,3 0,6 0,1 0,4 1,4 Italien -0,3 0,6 1,1 1,4 0,2 0,1 0,2 1,3 Spanien 1,4 3,2 2,7 1,9 -0,2 -0,6 -0,1 1,3 Niederlande 1,4 2,0 1,4 1,7 0,3 0,2 0,7 1,2 Österreich 0,4 0,9 1,3 1,4 1,7 0,9 1,1 1,6 Griechenland 0,7 -0,3 -0,7 1,4 -1,4 -1,1 -0,1 1,0 Portugal 0,9 1,5 1,3 1,5 -0,2 0,5 0,4 1,0 Irland 8,4 26,3 4,7 3,0 0,3 0,0 0,2 1,4 Großbritannien 1,9 1,5 1,3 0,7 1,5 0,1 0,9 2,7 Schw eiz 1,9 0,8 1,0 1,3 -0,1 -1,1 -0,7 0,4 Schw eden 2,3 4,2 3,4 2,5 -0,2 0,0 0,6 1,6 Norw egen 2,2 1,6 1,3 1,4 2,0 2,1 2,8 2,1 Polen 3,3 3,6 3,0 2,7 0,0 -0,9 -0,6 2,0 Ungarn 3,7 2,9 2,0 2,7 -0,2 -0,1 0,3 2,2 Tschechien 2,0 4,2 2,4 2,5 0,4 0,3 0,6 1,9 Russland 0,6 -3,7 -1,5 1,5 7,8 15,5 8,0 5,5 USA 2,4 2,6 1,6 2,5 1,6 0,1 1,2 2,2 Japan -0,1 0,6 0,4 0,7 2,7 0,8 0,0 0,5 Asien ohne Japan 5,7 5,4 5,1 5,0 3,6 2,5 2,8 3,1 China 7,3 6,9 6,5 6,0 2,1 1,5 1,9 2,3 Indien 7,2 7,0 6,8 6,5 6,7 4,9 5,1 5,5 1,3 0,0 0,2 2,0 10,7 13,0 17,0 14,0 0,1 -3,8 -3,0 1,0 6,3 9,0 8,5 5,5 3,2 2,9 2,7 3,2 3,1 2,8 3,2 3,4 Lateinamerika Brasilien Welt p = Prognose; BIP-Wachstum soweit verfügbar kalenderbereinigt Quellen: EIU, Macrobond, Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 4 . 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