Konjunktur Kompakt

Helaba Volkswirtschaft/Research
KONJUNKTUR KOMPAKT
3. März 2016
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel.: 0 69/91 32-46 19
[email protected]
Die Welt im Blick ............................................................................................................................ 1
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Schweden: Volle Kraft voraus ....................................................................................................... 4
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Prognoseübersicht......................................................................................................................... 7
Deutschland: Außenhandel bremst .............................................................................................. 2
USA: 2016 wieder mehr Rücken- als Gegenwind ........................................................................ 3
Irland: Keltische Wiedergeburt? ................................................................................................... 5
Brasilien: Hoffen auf die Trendwende .......................................................................................... 6
Die Welt im Blick
Dr. Stefan Mitropoulos
Tel 0 69/91 32-46 19
Die Weltwirtschaft schwächelt
Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe (Markit), Saldo
60
60
Industrieländer
55
55
50
50
Welt
Schwellen-und
Entwicklungsländer
45
45
40
40
35
35
30
30
2007
2009
2011
2013
2015
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Die jüngsten Konjunkturindikatoren zeigen für die Weltwirtschaft ein eher durchwachsenes Bild.
Keine Neuigkeit ist die Schwäche in den Schwellenländern. Hier liegen die Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe von Markit schon seit etwa zwei Jahren spürbar unter denen
der Industrieländer. Dafür sorgt nicht nur die Schwäche in der chinesischen Industrie, sondern
auch die Rezession vor allem bei den Schwergewichten Brasilien und Russland. Sie könnte sich
infolge des erneuten Ölpreisverfalls zu Jahresbeginn etwas länger hinziehen als zunächst erwartet.
Deutete der Index für die Schwellenländer zum Jahreswechsel auf eine gewisse Stabilisierung hin,
hat er sich im Februar doch wieder etwas gen Süden bewegt. Auch die Stimmung in den Industrieländern hat sich in der Summe eingetrübt. Insbesondere die Rückgänge für den Euroraum und für
Japan haben den Einkaufsmanagerindex für die Industrieländer in Richtung der 50-Punkte-Marke
gedrückt, die die Grenze zum industriellen Wachstum markiert. Zumindest in den USA deutet die
jüngste Umfrage auf einen Stimmungsumschwung hin: Im Gegensatz zum Einkaufsmanagerindex
von Markit ist der alternative Indikator von ISM zuletzt gestiegen. Damit sollten die Rezessionsängste um die weltweit größte Volkswirtschaft in den nächsten Wochen verschwinden.
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Deutschland: Außenhandel bremst
Die deutsche Wirtschaftsleistung hat im vierten Quartal 2015 um 0,3 % gegenüber den drei Monaten zuvor zugenommen. Die Dynamik ging vom Konsum und den Investitionen aus. Der Außenbeitrag lieferte zum zweiten Mal in Folge ein negatives Ergebnis. Hierin spiegelt sich die konjunkturell
schwierige Situation der Weltmärkte wider. Wichtige Schwellenländer wie Russland kommen kaum
aus der Rezession heraus. Auch hat das Wachstumstempo in China abgenommen. In das Riesenreich wurden 2015 zum ersten Mal seit 1997 weniger Waren geliefert. Zudem waren auch die
Exporte in die wichtigen Destinationen USA und Großbritannien im vierten Quartal rückläufig und
der Aufwärtstrend in die EU kam vorerst zum Stillstand. Den stotternden Ausfuhren stehen bislang
weiter steigende Importe gegenüber. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die jüngsten Frühindikatoren wie das ifo-Geschäftsklima auf eine zunehmende Verunsicherung der Unternehmen
hindeuten. Eine moderate Abschwächung des Wachstumstempos im ersten Halbjahr 2016 ist
damit nicht ausgeschlossen. Zu einem Einbruch sollte es allerdings nicht kommen.
Dr. Stefan Mütze
Tel.: 0 69/91 32-38 50
45 Mrd. € geringere Ausgaben für Energie seit 2012
Prognoseübersicht Deutschland
Deutsche Energierechnung in Mrd. €, Ölpreis in €
2014
2015
2016p
2017p
100
100
Energierechnung*
90
BIP*, real
Budgetsaldo
% gg. Vj.
1,6
% des BIP
0,3
1,4
0,6
1,7
0,2
1,5
0,0
90
80
80
70
70
60
60
50
50
40
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote
Inflationsrate
% des BIP
%
7,3
6,7
% gg. Vj.
0,9
8,2
6,4
0,2
8,1
6,4
0,7
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research *kalenderbereinigt
2016: 10 Mrd. € geringere
Ausgaben für Energie
8,0
6,7
1,6
p=Prognose
40
Ölpreis
30
30
20
20
10
10
0
0
2000
2002
2004
*inklusive Öl, Gas und Kohle
2006
2008
2010
2012
2014
2016
Quellen: Helaba Volkswirtschaft/Research
Das von uns erwartete Wirtschaftswachstum von kalenderbereinigt 1,7 % stammt zu 1,5 Prozentpunkten wesentlich vom Konsum. Allein im Jahr 2015 ist die deutsche Energierechnung, also die
Ausgaben für Mineralöl, Gas und Kohle, um fast 17 Mrd. € oder gut 0,5 % des BIP gesunken. In
diesem Jahr dürften die Ausgaben nochmals um mindestens 10 Mrd. € zurückgehen. Dies entlastet die Unternehmen und über niedrigere Konsumentenpreise auch die Verbraucher. Die deutsche
Inflationsrate dürfte im Gesamtjahr 2016 mit 0,7 % nur einen halben Prozentpunkt höher ausfallen
als 2015. Dank dieser Effekte sowie weiter steigender Realeinkommen, einer zunehmenden Beschäftigung und der starken Zuwanderung erscheint ein Wachstum des privaten Konsums von
knapp 2 % wie im Vorjahr durchaus realistisch. Einen deutlichen Schub erlebten 2015 auch die
öffentlichen Verbrauchsausgaben. Mit 2,8 % stiegen sie fast so stark wie 2009, als es im Zuge der
schweren Wirtschafts- und Finanzkrise zu Konjunktur stimulierenden Mehrausgaben kam. Grund
für die aktuell höheren Staatsausgaben sind u.a. die sozialen Sachleistungen für die Zuwanderer.
Hinzu kommen zunehmend höhere Personalausgaben im Zusammenhang mit deren Integration
sowie andere Ausgaben. Selbst wenn die Zuwanderung in diesem Jahr reduziert werden kann,
dürften diese Posten 2016 eher steigen. Insofern wird auch diese BIP-Komponente mit einem
ähnlich hohen Zuwachs wie im Vorjahr (2,4 %) das deutsche Wachstum stimulieren.
Zu einer Stabilisierung des Wachstums trägt zurzeit auch die Entwicklung der Bautätigkeit bei. Da
die deutschen Wohnungsmärkte vor allem in den Großstädten und deren Umland sehr angespannt
sind und die Politik die Aktivitäten in diesem Bereich stärker fördert, dürften die Wohnungsbauinvestitionen 2016 um 2,3 % zunehmen. Der Nichtwohnungsbau erholt sich zunehmend von seinem
1
Einbruch im Vorjahr. Auch bei den Ausrüstungen sollte sich der moderate Wachstumspfad der
vergangenen Quartale in diesem Jahr fortsetzen.
1
Vgl. Helaba Branchenfokus: Deutscher Bau: Dynamisches Wachstum 2016, 23. Februar 2016
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KONJUNKT UR KOMPAKT
USA: 2016 wieder mehr Rücken- als Gegenwind
Das Wachstum im Jahresendquartal 2015 war mit einer Jahresrate von 1 % gegenüber Vorperiode
nicht ganz so schwach wie zunächst geschätzt (0,7 %), aber alles andere als zufriedenstellend. Im
ersten Quartal 2016 sieht es besser aus, auch wenn die Daten zum Verarbeitenden Gewerbe recht
schwach bleiben. Beim privaten Konsum, der mit Abstand wichtigsten Nachfragekomponente,
zeichnet sich real wieder ein Plus von 3 % ab. Obwohl Lagerhaltung und Außenhandel erneut
bremsen dürften, wird das reale BIP wohl eine Zuwachsrate über 2 % ausweisen.
Patrick Franke
Tel.: 069/91 32-47 38
Belastend wirkt nach wie vor die durch den Verfall der Rohstoffpreise ausgelöste Korrektur im
Bergbau. Der Sektor hat zwar mit unter 2 % nur einen sehr geringen Anteil an der US-Wirtschaft,
seine Produktion (Januar: fast -10 % gegen Vorjahr) und Investitionen (Q4: -51 % gegen Vorjahr)
sind aber massiv zurückgegangen. Neben der verringerten Nachfrage aus dem Bergbausektor
sieht sich die US-Industrie insgesamt mit Problemen konfrontiert, die vor allem mit dem starken
Dollar und der mäßigen Nachfrageentwicklung in vielen Schwellenländern zusammenhängen.
Hauptstütze der Konjunktur bleibt der Konsum. Die niedrigen Preise für Energie stärken die realen
Einkommen. Diese steigen auch wegen des bis zuletzt robusten Arbeitsmarktes kräftig. In den
letzten drei Monaten nahm die Zahl der Beschäftigten im Schnitt um 230.000 pro Monat zu. Gemessen an den durchschnittlichen Stundenlöhnen liegt der Lohnauftrieb mit rund 2,5 % gegenüber
Vorjahr aktuell so hoch wie nicht mehr seit der Rezession 2009. Von der guten Einkommenssituation profitiert auch der Immobilienmarkt. Die Wohnungsbauaktivität befindet sich wieder im Aufwind
und bis zum langfristigen Durchschnitt von 4,7 % am BIP ist noch viel Luft nach oben. Der Wohnungsmarkt folgt mit etwas Verzögerung der bereits eingetretenen Erholung bei den Pkws, die
2015 einen neuen Absatzrekord von 17,5 Mio. Einheiten verzeichneten.
Prognoseübersicht USA
Wieder höheres Wachstum im ersten Quartal
Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung in %
2014
2015
2016p
2017p
6
6
gg. Vq. (Jahresrate)
4
BIP, real
% gg. Vj.
2,4
2,4
2,5
2,5
4
Trend
2
2
0
Budgetsaldo*
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote
% des BIP
-3,8
-2,6
-3,0
-2,9
% des BIP
-2,2
-2,6
-2,6
-3,2
%
6,2
5,3
4,6
4,1
0
-2
-2
gg. Vj.
-4
-4
-6
-6
-8
-8
-10
Inflationsrate
% gg. Vj.
1,6
* Bundesebene einschl. Sozialversicherungen
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
0,1
1,2
2,8
p = Prognose
-10
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
2014
2015
2016
Q1 2016 Prognose
Auch der Bremseffekt der Fiskalpolitik lässt nach. In den Vorjahren hat die staatliche Haushaltspolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (zum Teil spürbar) gebremst. Im laufenden Jahr wird die
Politik auf der Bundesebene nach dem Haushaltskompromiss vom vergangenen Dezember hingegen wieder merklich expansiv sein.
Prognose für Teuerung
geändert
Die Teuerungsrate hat sich von der Nulllinie gelöst, bleibt aber wegen der niedrigeren Ölpreise
hinter unseren ursprünglichen Erwartungen zurück. Wegen eines Basiseffekts dürfte sie zunächst
noch einmal fallen. Im weiteren Jahresverlauf sollte der Ölpreis aber steigen, was die Inflation
merklich anziehen lassen wird. Im Jahresschnitt sollte der Verbraucherpreisindex um 1,2 % zulegen (bisher: 1,5 %). Die Fed dürfte angesichts der tendenziell zunehmenden Teuerung und der
robusten Konjunktur – der Arbeitsmarkt sieht deutlich besser aus als das zuletzt anämische
Wachstum nahelegen würde – grundsätzlich auf Zinserhöhungskurs bleiben. Allerdings machen es
die durchwachsenen Konjunkturdaten, die zunächst noch niedrige Teuerung und die Verunsicherung an den Finanzmärkten wahrscheinlich, dass sie den Leitzins auf ihrer Sitzung Mitte März
unverändert lässt. Ende 2016 sollte das Zielband für die Federal Funds Rate bei 1 % bis 1,25 %
liegen. Der Expansionsgrad der Geldpolitik wird damit nur im Zeitlupentempo zurückgefahren.
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Schweden: Volle Kraft voraus
Die schwedische Volkswirtschaft hat 2015 mit einem Plus des realen BIP von 4,1 % einen Gang
zugelegt. Das Schlussquartal, das stärkste Quartal seit rund fünf Jahren, hat hier noch einmal
Schubkraft gebracht, die auch auf 2016 Einfluss hat. Dabei ist das Wachstum breit aufgestellt und
profitiert von gut gelaunten Konsumenten, aber auch vom Staatsverbrauch und von Unternehmensinvestitionen sowie vom Außenhandel. Höhere Beschäftigungszahlen, die Abwesenheit von
Inflation und die weiter steigenden Hauspreise setzen Rahmenbedingungen, die in 2016 hinein
wirken werden, wenn auch nicht mehr im gleichen Maß. Für dieses Jahr zeichnet sich daher
abermals ein Wachstum oberhalb der 3 %-Marke ab. Dabei dürfte die Inflation, begünstigt durch
weiterhin niedrige Ölpreise, gering bleiben. Nach einem Jahresdurchschnitt 2015 von 0 % bleibt
die Teuerung voraussichtlich 2016 mit 0,7 % deutlich unter dem Zielwert von 2 %.
Marion Dezenter
Tel.: 0 69/91 32-28 41
Prognoseübersicht Schweden
Wachstum unter vollen Segeln
Reales Bruttoinlandsprodukt in % gegenüber dem Vorjahr
2014
2015
2016p
2017p
% gg. Vj.
2,3
4,1
3,4
2,6
Budgetsaldo
% des BIP
-1,7
-1,3
-0,7
-0,5
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
5,7
6,2
6,0
5,5
%
7,9
7,4
7,2
7,0
% gg. Vj.
-0,2
0,0
0,7
1,7
BIP, real
Arbeitslosenquote (EU)
Inflationsrate
Quellen: EIU, Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Notenbank gibt sich
handlungsbereit
p=Prognose
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Weder die erhöhte Konjunkturdynamik noch die unaufhaltsam steigenden Hauspreise hielten die
Riksbank davon ab, in ihrer Februar-Sitzung den Reposatz abermals zu senken. Nach kontinuierlichen Leitzinssenkungen von insgesamt 250 Basispunkten im aktuellen Zinszyklus auf nun -0,5 %
hat Schweden die niedrigsten Leitzinsen der Region. Ausschlaggebend für die Entscheidung war
offenbar das Bestreben der Riksbank, die Glaubwürdigkeit ihres Inflationsziels zu stärken. Das im
Oktober 2015 auf gut 20 Mrd. Euro aufgestockte Kaufprogramm für Staatspapiere läuft bis Juni
2016 und wird aktuell plangemäß umgesetzt. Implizites Ziel ist es, die Krone nicht zu stark werden
zu lassen, was zum einen die Exporte bremsen und zum anderen dem erhofften Inflationsanstieg
zuwiderlaufen würde.
Je nach Ausmaß einer weiteren Lockerung der EZB am 10. März könnte die Riksbank unter zusätzlichen Handlungsdruck geraten. Sie hat bereits ausdrücklich ihre Bereitschaft zu weiteren
Maßnahmen betont. Im Kampf der Zentralbanken um eine Schwächung der jeweiligen Währung,
die zum einen mehr Inflation bedeutet und zum anderen den Exporten zugutekommt, könnte
Schweden allerdings ob seiner Wachstumsdynamik und der anhaltenden Attraktivität für internationale Investoren ein Durchsetzungsproblem haben.
Bei BIP-Wachstumsraten von 3 bis 4 % sollte die Rückkehr zum Budgetziel eines Überschusses
von 1 % des BIP – 2015 resultiert voraussichtlich ein Minus in ungefähr dieser Höhe – zu schaffen
sein, zumal die stärkere Besteuerung der höheren Einkommensklassen und auf Treibstoffe zusätzliche Einnahmen generieren soll. Ein Problem, das sich durch den Zustrom an Migranten (2015
insgesamt 160.000 Personen, das entspricht 1,6 % der Bevölkerung) verschärfen dürfte, ist die
niedrige Beschäftigungsquote im Ausland Geborener. Sie lag 2014 mit rund 68 % um etwa
15 Prozentpunkte unter der von Schweden ohne Migrationshintergrund. Integrationslösungen sind
dringlich, damit nicht nur die unmittelbaren, sondern auch mögliche Folgekosten von Nichtbeschäftigung vermieden werden. Langzeitarbeitslose sind nicht nur Arbeitskraftpotenzial, das dem Markt
verloren geht, sie können auch keine Beiträge zum Sozialsystem leisten.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 3 . M Ä R Z 2 0 1 6 · © H E L A B A
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KONJUNKT UR KOMPAKT
Irland: Keltische Wiedergeburt?
Irland war 2015 wie schon im Vorjahr das Land mit dem höchsten Wachstum in der Eurozone.
Wahrscheinlich expandierte die irische Wirtschaft im vergangenen Jahr sogar mit einer Rate von
fast 7 %, einem Wert, den man sonst nur aus China oder der Periode des „keltischen Tigers“
kennt. Auch ist dies nicht nur einer Sonderkonjunktur bei den ausländischen Unternehmen im Land
geschuldet, sondern spiegelt eine zunehmend an Breite gewinnende Erholung wider. Die Situation
am Arbeitsmarkt entspannt sich – die Arbeitslosenquote ist von über 15 % in der Spitze auf zuletzt
8,8 % gefallen. Die Beschäftigung und der Konsum steigen wieder. Im laufenden Jahr wird das
Wachstum wohl etwas geringer ausfallen als 2015, aber mit 4,5 % robust bleiben.
Patrick Franke
Tel.: 0 69/91 32-47 38
Diese „Reinkarnation des keltischen Tigers“ hat sich aber nicht in politischer Zustimmung für die
Regierung niedergeschlagen. Wie schon vorher in einigen anderen europäischen Ländern haben
auch die irischen Parlamentswahlen vom 26. Februar keine klaren Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht. Die Koalition aus Fine Gael und Labour des bisherigen Regierungschefs Enda Kenny
verlor erwartungsgemäß ihre Mehrheit. Unter den irischen Parteien war es vor allem Sinn Féin, der
ehemalige politische Arm der IRA, die sich als Protestpartei gegen den „von der EU verordneten
Sparkurs“ in Position gebracht hatte. Damit erzielte Sinn Féin einen substanziellen Gewinn an
Sitzen (von 14 im Jahr 2011 auf jetzt 23). Die neben Fine Gael zweite große Volkspartei, Fianna
Fáil, konnte eine solche Strategie schon deshalb nicht nutzen, weil sie in den Jahren vor der Krise
– also während der Immobilienblase – die Regierung stellte. Eine klare Abkehr von der bisherigen
Politik der Haushaltskonsolidierung ist nach den Wahlen unwahrscheinlich. Beobachter geben
einer rechnerisch möglichen „großen Koalition“ zwischen den beiden Volksparteien kaum eine
Chance. Fine Gael und Labour wären auf die Unterstützung durch die zahlreichen unabhängigen
Abgeordneten angewiesen und auch dann würde es nur ganz knapp für eine Mehrheit der 158
Sitze reichen. Aber selbst Neuwahlen wären ein plausibleres Szenario als eine Beteiligung von
Sinn Féin an einer Regierung, die sich von der bisherigen Reformpolitik ostentativ abwendet.
Schwierige Regierungsbildung
Die Konsolidierung geht weiter – aber langsamer
Prognoseübersicht Irland
% am BIP
2014
2015
2016p
2017p
2010: Wegen Bankenstützung
32 %
15
13
140
120
11
BIP, real
% gg. Vj.
5,2
6,5
4,5
3,8
100
9
7
Budgetsaldo
% des BIP
-3,9
-1,8
-1,2
-0,8
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
3,6
3,6
4,5
5,0
Staatsschulden
(RS)
5
60
3
1
40
-1
Arbeitslosenquote
%
11,3
9,5
8,6
7,7
% gg. Vj.
0,3
0,0
0,4
1,5
Defizit der öffentlichen Haushalte
(LS)
-3
20
-5
Inflationsrate
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
p = Prognose
80
0
2005
2007
2009
2011
2013
2015
2017
Quellen: Department of Finance, Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wirtschaftlich ist auf der Insel längst nicht alles im grünen Bereich: Die Banken sind nach wie vor
angeschlagen und die privaten Haushalte sitzen, ebenso wie der Staat, auf einem sehr hohen
Schuldenberg. Die jahrelangen Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten beginnen sich bei
der Infrastruktur, vor allem im Gesundheitswesen, zunehmend bemerkbar zu machen. Nun kommen noch Sorgen über einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens hinzu, der erhebliche negative Auswirkungen auf Irland haben könnte. Der irische Wohnungsbau ist zudem in der Krise praktisch zum Erliegen gekommen. Die folgende konjunkturelle Erholung war dann nicht mit einer Angebotsreaktion verbunden, mit der Folge eines kräftigen Preisanstiegs, der in Dublin zu lautstarken
Klagen über „unbezahlbaren“ Wohnraum geführt hat. Allerdings liegt der Preisindex für Wohnimmobilien selbst in der Hauptstadt aktuell nur bei rund zwei Dritteln seines Stands von 2007. Das
verfügbare Einkommen pro Haushalt hat hingegen im landesweiten Schnitt wieder fast 90 % des
Hochs erreicht. Trotz aller nach wie vor vorhandenen Probleme scheint die (wirtschaftliche) Lage
inzwischen deutlich besser zu sein als die (politische) Stimmung.
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 3 . M Ä R Z 2 0 1 6 · © H E L A B A
5
KONJUNKT UR KOMPAKT
Brasilien: Hoffen auf die Trendwende
Das Sprichwort „Ein Unglück kommt selten allein“ kann in Brasilien wieder mal bestätigt werden.
Seitdem Brasilien Mitte 2014 nicht Fußballweltmeister wurde, sinkt die Wirtschaftsleistung stetig
und die Kontraktion beschleunigte sich im zweiten Halbjahr 2015 nochmals kräftig. Darüber hinaus
ist das Land politisch gelähmt, nachdem zum Vorschein gekommene Korruptionsfälle beim Erdölkonzern Petrobras viele Wirtschaftsführer und Politiker belasten und im Parlament ein neues Absetzungsverfahren gegen die Präsidentin Dilma Rousseff wegen angeblich illegaler Finanzierung
ihres Präsidentschaftswahlkampfs eingeleitet wurde. Schließlich trübt der Ausbruch des Zika-Virus
die Aussichten auf Tourismuseinnahmen anlässlich der im August stattfindenden Olympiade.
Ulrich Rathfelder
Tel.: 0 69/91 32-20 32
Das gefallene Vertrauen der Konsumenten und Investoren, eine starke Schieflage im Staatshaushalt, die Ende 2015 auf über 10 % gestiegene Inflationsrate sowie der zur Schwäche neigende
Real-Wechselkurs erschweren eine rasche wirtschaftliche Genesung. Das Bruttoinlandsprodukt
dürfte auch im ersten Halbjahr 2016 wie bereits im zweiten Halbjahr 2015 um fast 5 % fallen. Erst
für das vierte Quartal 2016 rechnen wir wieder mit einem positiven Quartalswachstum. Daher hat
die Rezession Brasilien auch 2016 mit -3 % nach -3,8 % im Jahr 2015 voll im Griff. Die Inlandsnachfrage ist 2015 eingebrochen und der Wachstumsbeitrag zum BIP lag sowohl bei den Investitionen als auch beim privaten Konsum bei -2 ½ Prozentpunkten. Trotz der gesunkenen Rohstoffpreise – Rohstoffe machen die Hälfte der Ausfuhren aus – ging von der Außenwirtschaft wegen
der niedrigen Importe (Importkompression) sogar noch ein positiver Wachstumsbeitrag aus.
Prognoseübersicht Brasilien
Brasilien in tiefer Rezession
Reales Bruttoinlandsprodukt, % gg. Vj.
2014
BIP, real
Budgetsaldo
Leistungsbilanzsaldo
Arbeitslosenquote (EU)
Inflationsrate
% gg. Vj.
% des BIP
% des BIP
%
-6,5
-4,3
4,8
% gg. Vj.
Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
Erster Schritt: Einschränkung des Haushaltsdefizits
0,1
6,3
2015
-3,8
-10,5
-3,3
9,5
9,0
2016p
-3,0
-7,5
-3,2
11,9
8,9
2017p
1,0
-5,5
-3,2
11,5
6,0
p=Prognose
10
10
8
8
6
6
4
4
2
2
0
0
-2
-2
-4
-4
-6
-6
-8
-8
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die großzügige Fiskalpolitik hat die Staatsfinanzen in eine beträchtliche Schieflage gebracht. Der
jahrelange Primärüberschuss vor Zinszahlungen im Staatshaushalt – bisher ein Qualitätsmerkmal
der brasilianischen Fiskalpolitik – ist verflogen und hat sich 2015 in ein Defizit von 2 % des BIP
gewandelt. Noch eindrücklicher ist wegen der hohen Zinslast ein negativer Budgetsaldo von
10,5 % des BIP mit der Folge einer rasch steigenden Staatsverschuldung. Die Zentralbank muss
wegen der noch über 10 % liegenden Inflationsrate einen restriktiven Kurs mit hohen Leitzinsen
verfolgen, was zusammen mit dem hohen Anteil inflationsgebundener Staatsanleihen den staatlichen Schuldendienst zusätzlich erhöht. Da viele Preise wie der Mindestlohn oder die Sozialausgaben indexiert sind, strukturelle wirtschaftliche Engpässe vorhanden sind und der Real gegenüber
Vorjahr um rund 30 % abgewertet hat, wird das zentrale Inflationsziel von 4,5 % weit verfehlt. Ohne zügige wirtschaftspolitische Korrekturen drohen dem Land weitere Kapitalabflüsse, die das
umfangreiche Polster durch Währungsreserven von 350 Mrd. US-Dollar (Ende 2015) rasch schmälern können. Auch die 2015 noch umfangreichen ausländischen Direktinvestitionen von schätzungsweise 60 Mrd. US-Dollar dürften dann spürbar sinken. Eine Liquiditätskrise als weiteres
Unglück wäre das Letzte, was Brasilien noch zustoßen könnte. Noch gibt es aber genug Handlungsspielraum, um dieses Unglück abzuwenden. Brasilien, wach auf!
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 3 . M Ä R Z 2 0 1 6 · © H E L A B A
6
KONJUNKT UR KOMPAKT
Prognoseübersicht
Euroland
Bruttoinlandsprodukt
Verbraucherpreise
reale Veränderung gg. Vorjahr, %
Veränderung gg. Vorjahr, %
2014
2015
2016p
2017p
2014
2015
2016p
2017p
0,9
1,5
1,6
1,6
0,4
0,0
0,5
1,5
Deutschland*
1,6
1,4
1,7
1,5
0,9
0,2
0,7
1,6
Frankreich
0,2
1,1
1,3
1,5
0,6
0,1
0,5
1,5
Italien
-0,3
0,8
1,2
1,5
0,2
0,1
0,4
1,4
Spanien
1,4
3,2
2,5
2,0
-0,2
-0,6
0,1
1,4
Niederlande
1,0
2,1
1,3
2,0
0,3
0,2
0,8
1,3
Österreich
0,4
0,9
1,4
1,5
1,7
0,9
1,2
1,7
Griechenland
0,7
-0,4
0,0
1,5
-1,4
-1,0
0,5
1,0
Portugal
0,9
1,5
1,5
1,8
-0,2
0,5
0,5
1,0
Irland
5,2
6,5
4,5
3,8
0,3
0,0
0,4
1,5
Großbritannien
2,9
2,2
2,2
1,8
1,5
0,1
0,8
2,2
Schw eiz
1,9
0,8
1,2
1,6
-0,1
-1,1
-0,5
0,6
Schw eden
2,3
4,1
3,4
2,6
-0,2
0,0
0,7
1,7
Norw egen
2,2
1,6
1,3
1,8
2,0
2,1
2,5
2,2
Polen
3,3
3,6
3,4
3,3
0,0
-0,9
0,4
2,0
Ungarn
3,7
2,9
2,5
2,5
-0,2
-0,1
1,2
2,5
Tschechien
2,0
4,3
2,4
2,6
0,4
0,3
0,9
1,8
Russland
0,6
-3,7
-1,5
1,5
7,8
15,5
8,5
6,0
USA
2,4
2,4
2,5
2,5
1,6
0,1
1,2
2,8
Japan
-0,1
0,5
0,7
0,5
2,7
0,8
0,4
1,8
Asien ohne Japan
5,7
5,3
5,1
5,0
3,6
2,5
3,0
3,5
China
7,3
6,9
6,5
6,0
2,1
1,5
1,7
2,5
Indien
7,3
7,0
6,8
6,5
6,7
4,9
5,1
5,5
1,3
0,1
0,3
2,0
10,7
13,0
14,0
10,0
0,1
-3,8
-3,0
1,0
6,3
9,0
8,9
6,0
3,2
2,9
3,0
3,2
3,1
2,8
3,1
3,4
Lateinamerika
Brasilien
Welt
p = Prognose; *Deutschland: arbeitstäglich bereinigt;
Quellen: EIU, Macrobond, Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
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