IKB-Kapitalmarkt-News – Japan: Reformstau neutralisiert expansive Geldpolitik 18. März 2016 Dr. Klaus Bauknecht [email protected] Daniel Schönekäs [email protected] Japans Finanzpolitik bleibt für viele Beobachter ein Beispiel dafür, dass eine anhaltend expansive Fiskal- und Geldpolitik kein nachhaltiges Wachstum schafft, sondern vor allem die Schuldenquote nach oben treibt. Die Entwicklung in Japan wird auch oft als worst-case-Szenario für die Euro-Zone dargestellt, insbesondere was Deflationsrisiken und langfristige Zinsentwicklung angeht. Funktioniert der Vergleich? Geldpolitik der Bank of Japan Die japanische Notenbank bemüht sich seit Jahren, die Deflationsmentalität der Japaner zu überwinden. Um dies zu erreichen, wurde der geldpolitische Rahmen seit 2013 sukzessive vergrößert. Neben einem Konjunkturpaket, das die neugewählte Regierung um Premierminister Shinzō Abe kurz nach der Wahl ankündigte, weitete die Bank of Japan (BoJ) ihre geldpolitischen Maßnahmen massiv aus. Das Ziel ist, die Geldbasis (Bargeldumlauf und Einlagen der Banken bei der Zentralbank) zu erhöhen, um die Preiserwartungen der Marktteilnehmer zu stimulieren. Kern dieser Maßnahmen ist der Aufkauf von Staatsanleihen mit einem Volumen von jährlich rund 80 Billionen Yen (circa 634 Mrd. €). Wie umfangreich dieses Programm ist, zeigt Abbildung 1. So hält die BoJ Assets bereits in einer Höhe, die knapp 80 % des japanischen BIPs entsprechen und damit circa das Dreifache der anderen bedeutenden Notenbank darstellen. Abb. 1: Bilanzsummen von BoJ, EZB und Fed, in % zum BIP 75 65 55 45 35 25 15 5 2008 2009 2010 2011 BoJ 2012 EZB 2013 2014 2015 Fed Quellen: Bloomberg; IKB Als bisher letzte Maßnahme hat die BoJ den Einlagenzins für einen Teil der Geschäftsbanken-Überschüsse auf -0,1 % gedrückt. Der Strafzins soll die Banken dazu animieren, die bei der Notenbank geparkten Überschüsse, die aus dem Anleihekaufprogramm resultieren, als Kredite zu vergeben, um so die schleppende Kreditvergabe anzukurbeln. Sollte sich der Negativzins als nicht ausreichend herausstellen, wäre die BoJ bereit, den Einlagenzins noch tiefer in den Minusbereich zu drücken – damit folgt die BoJ vollends der EZB-Strategie. Ob diese Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden. Die japanischen Unternehmen verfügen über hohe Zahlungsmittelbestände, die den Bedarf nach Krediten deckeln. Zudem sorgen das nach unten korrigierte Wirtschaftswachstum sowie aufkommende Deflationsängste für geringe Investitionsneigung im Land, was einer zunehmenden Kreditvergabe entgegenläuft. Insgesamt zeigt sich, dass die erhoffte inflationäre Wirkung bisher nicht nur ausblieb, vielmehr sind die Inflationserwartungen deutlich zurückgegangen. Zu erkennen ist dies am „5J5J Inflation Swap“, der als wichtige Messgröße aufzeigt, welche Inflationsrate die Finanzmärkte in fünf Jahren für einen fünfjährigen Zeitraum erwarten. So ergeben sich erneut Zweifel an der Quantitätstheorie des Geldes, die besagt, dass ein Anstieg der Geldmenge immer für Inflation sorgt. Das Problem ist, dass die Umlaufgeschwindigkeit sich reduziert, da der ansteigende Geldüberschuss eher gehortet als ausgegeben wird und somit keine effektive Nachfrage und damit Preisdruck erzeugt. Deshalb ist eine expansive Geldpolitik für sich genommen auch relativ ineffektiv, vor allem, wenn Unternehmen wie Konsumenten nicht dazu animiert Kapitalmarkt News werden können, selbst bei extrem niedrigen Zinsen ihre Nachfrage nach Geld anzuheben. Dies ist auch eine für Europa gültige Aussage. Deshalb sind fiskalische Stimulierungsmaßnahmen in Kombination mit Reformen notwendig, um die Effektivität der EZB sicherzustellen. Dass angesichts der geschilderten Entwicklungen die Renditen japanischer Staatsanleihen für Anleger enttäuschend sind, ist wenig verwunderlich. Vergleicht man die Zinsstrukturkurve vom 28. Januar 2016 (Tag vor der Einführung des negativen Einlagenzinses) mit der aktuellen, zeigt sich eine deutliche Parallelverschiebung. Der Finanzmarkt antizipiert die Maßnahmen der BoJ und drückt damit zugleich aus, dass das niedrige Renditeniveau bestehen bleibt bzw. tendenziell eher weiter sinkt. Denn zum einen wird die ultralockere Geldpolitik fortgesetzt oder sogar nochmals ausgeweitet und zum anderen sind keine Inflationstendenzen erkennbar, die die Renditen zumindest am langen Ende wieder deutlich in den positiven Bereich ziehen könnten. Abb. 2: Verlauf des 5J5J Inflation Swap, Japan 1.5 1.2 0.9 0.6 0.3 0.0 -0.3 02.01.2015 23.02.2015 16.04.2015 07.06.2015 29.07.2015 19.09.2015 10.11.2015 01.01.2016 22.02.2016 Quellen: Bloomberg; IKB Strukturprobleme Ein alleiniger Fokus auf geldpolitische Maßnahmen ist zum Scheitern verurteilt. Aufgrund der starren Strukturen und Reformträgheit Japans darf das nicht überraschen. Die japanische Volkswirtschaft hat zahlreiche Herausforderungen zu meistern: hohe Schuldenquote, demographische Entwicklung, niedrige Partizipationsrate der Frauen, steigendes Lohngefälle und vergleichsweise geringe Produktivität. Diese Faktoren wirken sich preisdämpfend und negativ auf die Erwartungshaltung über die zukünftige Preisentwicklung aus. Obwohl sie die Inflationsrate nach unten drücken, kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass die Geldpolitik gegensteuern kann. Es handelt sich um Strukturprobleme und die lassen sich nur mit strukturellen Anpassungen beheben. Finden diese nicht statt, so verpufft eine Stimulierung der Nachfrage durch eine Abwertung des Yen oder fiskal- und geldpolitische Maßnahmen relativ schnell, da die Angebotsseite nicht ausreichend reagiert. Somit verharrt Japan im Krisenmodus, ohne sein Wachstumspotenzial durch Reformen der Angebotsseite nachhaltig zu steigern. Notwendige Reformen beträfen vor allem die Öffnung der Gesellschaft, um die demografische Entwicklungen zu stoppen sowie flexiblere Arbeitsmarktstrukturen, welche die Produktivität steigern und eine bessere Allokation von Produktionsfaktoren (Investitionen und Arbeitskräfte) sicherstellen. Abb. 3: Industrieproduktion ausgewählter Länder, Index 2005=100 120 Abb. 4: BIP* pro Kopf ausgewählter Länder, in US-Dollar 60000 55000 110 50000 100 45000 40000 90 35000 80 30000 25000 70 20000 60 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Japan Deutschland 15000 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 USA Japan Quellen: EIU; IKB *nach Kaufkraftparität Deutschland USA Kapitalmarkt News Allerdings ist Premierminister Abe (Abenomics) hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die angekündigten ambitionierten Reformpläne werden nur teilweise und schleppend umgesetzt. Die vergleichsweise abgeschottete japanische Wirtschaft ist ineffizient und droht, im internationalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Der demographische Wandel wirkt wie ein Beschleuniger. Die Alterung der Gesellschaft führt dazu, dass auch die Altersstruktur der Erwerbstätigen zunimmt. Darüber hinaus sinkt die Zahl der Erwerbstätigen laut OECD insgesamt um mehr als eine Million pro Jahr. In ihrer Japanstudie 2015 prognostiziert die OECD, dass die erwerbstätige Bevölkerung um 40 % bis 2050 sinken wird. Um diesem Trend entgegenzuwirken, sollte vor allem die Erwerbsquote der Frauen erhöht werden. Nur circa 65 % der Frauen sind erwerbstätig. In Deutschland lag diese Quote in 2014 bei 73 %, auch wenn ein großer Teil der Frauen teilzeitbeschäftigt ist. Die Herausforderung für Japan besteht darin, mit zusätzlichen Kindertagesstätten und Ganztagsschulen die Rahmenbedingungen für eine höhere weibliche Erwerbsquote zu schaffen. Auch die Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitskräfte sollte vorangetrieben werden. Dies erweist sich jedoch für eine geschlossene Gesellschaft wie die Japans als problematisch, wie an offiziellen Immigrationsstatistiken zu erkennen ist. Reformbedürftig ist auch die Unternehmensebene, auf der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit stagnieren oder abnehmen. Wichtige Schritte wurden hier bereits umgesetzt: Die Körperschaftssteuer wurde gesenkt und soll weiter sinken. Reformen bei Corporate-Governance sollen beitragen, die Rentabilität der Unternehmen zu erhöhen. Vor allem sollte aber die Profitabilität der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) zunehmen. Auch die mangelnde Exportorientierung ist kennzeichnend für die japanischen KMU. Weitere Maßnahmen sind erforderlich: Unternehmensgründungen – besonders für Ausländer – sind zu vereinfachen und staatliche Subventionen abzubauen. Investoren benötigen einen besseren Zugang zu Unternehmen. Der Binnenmarkt sollte geöffnet werden. Weitere Aspekte Mit der Einführung des Minuszinses auf Bankeinlagen in Japan folgt die BoJ dem Beispiel der EZB. Daraus ergibt sich die Frage, ob die EZB mit ihren Aktionen aktuell ähnlich zu scheitern droht wie die BoJ. Schaut man auf die Entwicklung von BIP, Arbeitslosenquote und Kreditvolumen in den letzten Monaten, scheint der Grenznutzen der zusätzlichen EZB-Maßnahmen über denen der BoJ zu liegen. Der entscheidende Vorteil ist der deutlich höhere Offenheitsgrad der Euro-Zone. Dadurch hat der sinkende Außenwert des Euro einen größeren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und beeinflusst somit die Wachstumsentwicklung stärker. Der Wechselkurs ist demnach ein wichtiges Instrument der EZB und die Abwertung des Euro deutlich effektiver, als entsprechende Maßnahmen in Japan. Allerdings mag das weitere Abwertungspotenzial des relativ niedrigen Euro, auch aufgrund einer zögerlichen Zinspolitik der Fed, begrenzt zu sein, sodass positive Währungseffekte schwächer werden könnten. Die Euro-Zone hat ähnliche Strukturprobleme wie Japan: Hoher Schuldenstand und eine älter werdende Gesellschaft und in vielen Ländern noch immer hohe Arbeitslosenquoten. Und wie Japan zeigt die Euro-Zone eine gewisse Reformträgheit, die die Gefahr mit sich bringt, dass Stimulierungsmaßnahmen zu steigenden Schuldenquoten ohne nachhaltige Effekte führen (siehe IKB-Kapitalmarkt-News vom 17. März 2016). Geldpolitische Maßnahmen allein können kein nachhaltiges Wachstum garantieren. Um nicht wie Japan Jahrzehnte in einer wirtschaftlichen Stagnation zu verharren, bedarf es weiterer Strukturreformen und dies in jedem Land der Euro-Zone. Es ist Mario Draghi, der diese Notwendigkeit auf jeder EZBPressekonferenz immer wieder hervorhebt. Fazit: Die geldpolitischen Maßnahmen der BoJ scheinen an ihre Grenzen zu stoßen. Die Hoffnung, die Deflationsmentalität der Japaner zu überwinden, scheint sich nicht zu erfüllen. Vielmehr ist zu beobachten, dass die Inflationserwartungen deutlich zurückgehen. In Anbetracht der Strukturprobleme Japans – hohe Schuldenquote, Überalterung der Gesellschaft und vergleichsweise geringe Produktivität – verwundert das nicht. Das Beispiel Japan zeigt auch, wie notwendig eine offene Gesellschaft und eine flexible Wirtschaft sind, um eine Krise zu bewältigen und eine ökonomische Neuausrichtung sicherzustellen. Hier hat Europa deutliche Wettbewerbsvorteile. Wie in manchen Ländern Europas, so werden auch in Japan Reformpläne nur teilweise und schleppend umgesetzt. Dies wiederum belastet die Effektivität fiskalischer wie geldpolitischer Stimulierungsmaßnahmen. Japan verharrt seit Jahren im Krisenmodus, da die Angebotsseite kurzfristige Wachstumsimpulse nur sehr begrenzt in nachhaltiges Wachstum umsetzen kann. Japan zeigt, wie wichtig die Kombination von strukturellen Reformen und Nachfragestimulierung in konjunkturellen Krisen ist. 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