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SWR Tagesgespräch
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76530 Baden-Baden
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Simone Peter, Grünen-Vorsitzende,
Telefon
gab heute, 18.03.16,
Telefax
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema
„Deutsche Flüchtlingspolitik zwischen Brüssel und Berlin“. Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
18.03.2016
Grünen-Chefin zu EU-Türkei-Abkommen: Tropfen auf den heißen Stein
Baden-Baden: Grünen-Vorsitzende Simone Peter lehnt die geplante Einigung der EU mit der
Türkei in der Flüchtlingsfrage ab. Peter sprach im Südwestrundfunk (SWR) von einem „Deal auf
sehr wackligen Füßen“. Die Türkei sei ein Vertragspartner, der nicht seriös sei und nicht die
Werte der EU teile. Die Grünen-Chefin sagte, sie glaube, man brauche in der EU ein
grundsätzliches Nachdenken darüber, wie man das Asyl-System ändern und wie man es
schaffen könne, Schutzsuchende aufzunehmen, beispielsweise über größere Kontingente,
ohne dass der Weg über das Mittelmeer gesucht werde. Peter wörtlich: „dieser Deal bleibt auf
der halben Strecke hängen“, weil die Menschen eben doch die Fluchtwege suchen müssten,
sich doch den Schleppern ausliefern müssten, weil die Kontingente viel zu klein seien und weil
die Menschenrechtsbedingungen nicht eingehalten würden.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Im Kern sieht das Abkommen mit der Türkei doch folgende Botschaft vor:
„Kommt nicht mit Schleusern, ihr werdet zurückgeschickt. Lasst euch regulär
registrieren, dann holen wir euch legal in die EU.“ Bei allen unklaren, unsicheren Details,
sollte man nicht der Grundidee eine Chance geben, Schleusern die Geschäftsgrundlagen
zu entziehen?
Peter: Das hört sich, so wie sie es formulieren jetzt, ganz attraktiv an. So stellt es sich aber
nicht dar. Das ist eine Verhandlung, ein Deal, der heute ansteht mit der Türkei, der zunächst
mal auf sehr wackligen Füßen steht, weil man die Grundprobleme, die die Türkei hat derzeit,
die fast täglich sichtbar werden, die der Verstoß gegen Bürgerrechte, gegen Menschenrechte,
gegen die Pressefreiheit, der Kampf gegen die Kurden im eigenen Land, einen Vertragspartner
auf der anderen Seite stehen lässt, den man nicht als seriös, als jemand sehen kann, der die
Kriterien und die Werte der EU teilt. Zum zweiten kommt dazu, dass die Flüchtlinge die derzeit
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
über das Mittelmeer kommen, zunächst mal nicht mehr kommen sollen, dann ist die
Voraussetzung gegeben, dass der Türkei Flüchtlinge abgenommen werden. Das heißt auch,
dass in Griechenland erst mal Verfahren für Flüchtlinge auf den Weg gebracht werden, die eine
Registrierung und eine ordentliche Unterbringung in Erstaufnahmeländern vorsieht. All das ist
nicht gegeben. Ich war letzte Woche in Griechenland, die Flüchtlingslager dort sind in keinster
Weise so, es fehlen auch die Kapazitäten, so aufgestellt, dass man da ordentliche
Möglichkeiten für Flüchtlinge vorsieht. Die Türkei selber ist auch kein sicherer Drittstadt.
Gediehn: Jetzt haben sie den ganz großen Bogen gespannt. Fangen wir bei Idomeni an.
Sie waren an der griechisch-mazedonischen Grenze und haben das Ergebnis gesehen,
wenn Europa sich nicht einigt, keine Lösung oder wenigstens ein Lösungsansatz findet.
Was ist die Alternative, wenn es denn kein Zaun sein soll?
Peter: Der Zaun zeigt einmal mehr schicksalshaft wie die EU Abwehrkämpfe gegen die
Allerärmsten, die Schutzsuchenden vollzieht, die an der Grenze warten und hoffen,
weiterziehen zu können. Ich hätte mir gewünscht, dass Deutschland, wenn die anderen EUStaaten nicht mitmachen sagt, wir nehmen diese Flüchtlinge aus diesem Lager raus und bieten
ihnen Schutz. Frau Merkel hat es gestern sogar im Bundestag angesprochen, eine Million
Flüchtlinge sind derzeit EU-weit in Verfahren und 500 Millionen Menschen leben in der EU. Wir
müssten natürlich dafür plädieren, dass die EU weiter solidarisch sich engagiert oder dass sie
überhaupt solidarisch sich engagierter verhält.
Gediehn: Dafür gibt es ja tatsächlich keine Anzeichen. Jetzt haben sich die 28 Staatsund Regierungschefs zusammengerauft und wollen es auf eine Art, eine umstrittene Art,
versuchen. Der Deal mag nicht sauber sein, ist er aber nicht unter allen schlechten
Optionen vielleicht die Beste?
Peter: Aber er beruht ja auch auf dieser Freiwilligkeit. Wie kann man die Flüchtlinge verteilen
wollen, die man der Türkei abnimmt, wenn diese Freiwilligkeit weiter besteht und sich ein
Großteil der Länder dagegen wehrt? Vor allen Dingen, wie können wir gewährleisten, dass die
Genfer Flüchtlingskonvention, dass Menschenrechte geachtet werden? Das müssen wir
weiterhin vorneweg schicken. Es kann nicht sein, dass die Türkei Flüchtlinge die sie
zurücknimmt wieder zurückschiebt, zum Beispiel in Kriegs- und Krisengebiete, was sie derzeit
noch macht. Für mich stehen diese Bedingungen auf sehr wackligen Füßen. Wenn die
Menschenrechte nicht gewährt sind, dann ist dieser Deal nur halb so viel wert.
Gediehn: Versuchen wir es noch grundsätzlicher. Der Türkei soll geholfen werden,
angesichts von 2,7 Millionen Geflüchteten im Land und die Türkei soll helfen angesichts
der in die EU Flüchtenden. Stimmen sie denn der Grundidee zu?
Peter: Der Grundidee ist nichts entgegenzustellen, wenn man einen Partner hat, der ebenfalls
auch Grundbedingungen, wie Menschenrechtsachtung pflegt, beziehungsweise auch dann die
Vereinbarungen hält. Aber zunächst mal vorauszusetzen, dass keiner mehr über das Mittelmeer
kommt, um dann der Türkei ein Minimum an Flüchtlingen, sie haben es eben gesagt, 2,7
Millionen Menschen sind dort unterwegs, 58.000 sollen jetzt nach der alten Vereinbarung erst
mal verteilt werden, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich glaube wir brauchen in der EU
ein grundsätzliches Nachdenken darüber, wie wir das Asylsystem ändern und wie wir das
schaffen, Schutzsuchende aufzunehmen, beispielsweise über größere Kontingente, ohne dass
der Weg übers Mittelmeer gesucht wird. Ich glaube, dieser Deal bleibt auf der halben Strecke
hängen, weil eben doch die Menschen die Fluchtwege suchen müssen. Sich doch den
Schleppern ausliefern müssen, weil die Kontingente viel zu klein sind und weil die
Menschenrechtsbedingungen nicht eingehalten werden.
Gediehn: Das klingt sehr schlüssig. Trotzdem nochmal die Frage, was ist denn die adhoc Alternative, denn sie haben ja vorhin selber gesagt, solche Mehrheiten gibt es in der
EU nicht und jetzt sagen sie selber, wir müssen da Mehrheiten finden?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Peter: Herr Weise vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat diese Tage gesagt, wir
brauchen sogar noch mehr Menschen die zu uns kommen, um den demografischen Wandel,
die Arbeitsplatzsuche, dem Arbeitsplatzmangel nachzugeben, Rechnung zu tragen. Das heißt,
ich wäre dafür, dass man zum Beispiel als Bundesregierung, die Menschen die in Idomeni
sitzen, abzuholen.
Gediehn: Dann sind wir bei einer deutschen und nicht bei einer europäischen Lösung.
Peter: Wir waren die ganze Zeit bei einer deutschen Lösung. Das wird nicht der Weisheit letzter
Schluss sein. Aber wir können auch nicht die Menschen in diesem Sumpf, in diesem Dreck
sitzen lassen, das ist unmenschlich, da braucht es Lösungen. Und wir müssen weiter in der EU
dafür kämpfen, dass wir eine solidarische Lösung bekommen. Nur wenn es den Flüchtlingen
nichts hilft, dann müssen die wenigen Länder, die sich noch bereit erklären, jetzt Hilfe leisten.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)