Prognose Update: Schwächephase läuft aus

Helaba Volkswirtschaft/Research
USA AKTUELL
5. August 2016
Prognose Update: Schwächephase läuft aus
AUTOR
Patrick Franke
Telefon: 0 69/91 32-47 38
[email protected]
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
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Die Wachstumszahlen für Q2 2016 haben enttäuscht, spiegeln aber in erster Linie temporäre Faktoren wider, die sich bereits im Q3 auflösen oder sogar umkehren sollten. Trotz der
erwarteten Belebung im zweiten Halbjahr drücken die schwachen Daten vom Herbst 2015
bis Frühjahr 2016 den Jahresdurchschnitt deutlich.
Wir reduzieren daher unsere Wachstumsprognose für 2016 auf 1,6 % (bisher: 2 %). Für
2017 rechnen wir unverändert mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes um
2,5 %.
Die Fed wird den Leitzins in diesem Jahr wohl nur einmal anheben – wahrscheinlich erst im
Dezember. Auch 2017 wird sie sich voraussichtlich nicht trauen, den geldpolitischen Akkomodierungsgrad merklich schneller zurückzufahren als 2015/2016.
Kasten: Was sagt uns die jährliche Revision der BIP-Daten? (S. 4)
Laut den neuesten Wachstumszahlen befinden sich die USA seit etwa Ende 2014 in der „Abschwungphase“ eines der Minizyklen, die seit dem Beginn der aktuellen Expansion zu beobachten
waren. Im Jahr bis zum Q2 2016 ist die US-Wirtschaft nur um 1,2 % gewachsen, deutlich unterhalb
ihres Trends von 2 %. Dabei gibt es wie üblich große Unterschiede bei den einzelnen Nachfragekomponenten. Zuletzt war insgesamt eine leichte Belebung auszumachen – die Quartalsrate im
Q2 fiel mit annualisiert 1,2 % einen Tick besser aus als in den sechs Monaten zuvor. Noch wichtiger aber ist, dass sich der Zuwachs bei der Endnachfrage (also ohne Lagerschwankungen) im
Frühjahr etwa verdoppelt hat, und damit wieder den Anstieg verzeichnete, der im Schnitt der letzten Jahre erreicht wurde (rund 2½ %) . Dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur so verhalten gestiegen ist, lag vor allem an der Lagerhaltung. Der mitten in der Expansion ungewöhnliche absolute Lagerabbau kostete im Q2 1,2 Prozentpunkte Wachstum.
Dagegen hat der private Konsum mit 4,2 % kräftig zugelegt. Dies legt die Vermutung nahe, dass
der Lagerabbau ungeplant gewesen sein könnte und die Produktion mit der starken Nachfrage der
Haushalte im Frühjahr einfach nicht Schritt halten konnte. Wie die Erfahrung gezeigt hat, folgt auf
einen kräftigen negativen Lagerimpuls zudem häufig unmittelbar eine merkliche Gegenbewegung.
Sie dürfte dabei helfen, den Zuwachs beim BIP im Sommer auf rund 3 % zu hieven. Damit wäre
das Tal des Minizyklus durchschritten.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Zweites Quartal 2016: Unterer Wendepunkt im Minizyklus
Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung in %
6
6
gg. Vq. (Jahresrate)
4
4
Trend
2
2
0
0
-2
-2
gg. Vj.
-4
-4
-6
-6
-8
-8
-10
-10
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
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Q2: Nachfrage steigt zu stark für die Produktion
Neben dem Konsum legten im Q2 auch die realen Exporte wieder zu. Sie waren vorher seit Q1
1
2015 rückläufig. Nach den revidierten Daten stagnierten die Ausfuhren im Jahresschnitt 2015
praktisch. Eine solche schwache Entwicklung gab es in der Vergangenheit eigentlich nur in Jahren
in denen sich die Weltwirtschaft in einer Rezession befand. Dies war 2015 nicht der Fall. Stattdessen kamen die schwache Nachfrageentwicklung in vielen Schwellenländern, eine starke Aufwertung des Dollar und die Sonderkonjunktur im Energie- und Bergbausektor zusammen.
Der starke private Konsum und die wieder gestiegenen Exporte haben offenbar viele USUnternehmen auf dem falschen Fuß erwischt. So konnte die Produktion nicht mit der Nachfrage
Schritt halten und die Lagerbestände fielen leicht – verglichen mit einem durchschnittlichen Aufbau
(Jahresrate) von 60 Mrd. Dollar in diesem Zyklus. In diesem Licht ist der jüngste Anstieg der Produktionskomponente des ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe zu interpretieren, die im Juli den höchsten Stand seit Anfang 2015 verzeichnete. Der ISM-Index insgesamt
lag bei 52,6, einem Niveau, das zu einem deutlich höheren BIP-Wachstum passt als zuletzt beobachtet wurde. Dies gilt im selben Maße für den Index außerhalb des Verarbeitenden Gewerbes,
dessen letzter Wert (55,5) einen Zuwachs des BIP um rund 2,5 % erwarten lassen würde.
Stimmungsbarometer
deuten auf anziehendes
Wachstum hin
Angesichts des verhaltenen Wachstumstempos in den Quartalen vom Herbst 2015 bis Frühjahr
2016 ist der robuste Zustand des Arbeitsmarktes umso erstaunlicher. Der Stellenaufbau lag in den
drei Monaten bis zum Juni bei rund 150.000 pro Monat. Über den Zeitraum der „Konjunkturdelle“
seit September 2015 sind insgesamt sogar 1,9 Mio. zusätzliche Stellen entstanden – also mehr als
200.000 pro Monat. Mit unter 5 % signalisiert die Arbeitslosenquote praktisch Vollbeschäftigung.
Auch wenn dies angesichts des moderaten Wachstums der jüngsten Vergangenheit überrascht,
deutet doch vieles darauf hin: von der eher anekdotischen Evidenz des Beige Book der Fed, wo
seit einiger Zeit von weit verbreiteten Engpässen die Rede ist bis zum Lohnauftrieb. Die Löhne
ziehen an. Während der Indikator der durchschnittlichen Stundenlöhne von Zusammensetzungseffekten beeinflusst wird, berechnet die Atlanta-Fed einen Index, der nur die Lohnentwicklung bei
bestehenden Arbeitsverhältnissen widerspiegelt. Hier lag die Vorjahresrate zuletzt bei 3,6 % und
sie nähert sich zügig dem Schnitt des Zyklus 2002-2007 von rund 4 %.
Intakter Erholungstrend bei den „Frühindikatoren“
Löhne: Klare Beschleunigung
ISM-Einkaufsmanagerindizes
Stundenlöhne, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Median)*
65
Außerhalb des Verarbeitenden
Gewerbes
60
65
6
6
60
5
5
4
4
3
3
2
2
35
1
1
30
0
1998
55
55
50
50
45
45
40
40
Verarbeitendes Gewerbe
35
30
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
0
2000
2002
2004
2006
2008
2010
2012
2014
2016
* Bestehende Arbeitsverhältnisse, Dreimonatsdurchschnitt
Quellen: FRB of Atlanta, Helaba Volkswirtschaft/Research
Zweites Halbjahr: Lagerimpuls und robuster Konsum
Die zu erwartende Gegenbewegung beim Lager dürfte dazu beitragen, dass das Wachstum im Q3
wieder spürbar höher ausfällt. Weniger klar ist der Ausblick bei den Anlageinvestitionen der Unter-
1
Für Q2 2015 wird zwar ein leichtes Plus ausgewiesen. Dies folgte jedoch auf Streiks in den Westküstenhäfen,
die im Q1 2015 den Warenhandel beeinträchtigt hatten. Ohne diesen Aufholeffekt wäre die Auslandsnachfrage
nach US-Exporten wohl auch in diesem Quartal gefallen.
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nehmen. So war ein guter Teil ihrer jüngsten Schwäche, insbesondere im Gewerbebau, durch die
Sonderkonjunktur in der Bergbauindustrie verursacht. Diese Bremswirkung verliert aber an Bedeutung. Zum einen ist der Sektor inzwischen so stark geschrumpft, dass er immer weniger ins Gewicht fällt. Zum anderen hat sich der Ölpreis stabilisiert und dürfte auf Sicht des nächsten Jahres
zwischen 40 und 50 Dollar je Barrel liegen. Damit wird der starke Gegenwind aus dem Energieund Bergbausektor wohl bald der Vergangenheit angehören.
Schwache Ausrüstungen
Aber auch über diesen Effekt hinaus laufen die Ausrüstungsinvestitionen seit geraumer Zeit eher
schleppend. Hierfür scheinen nicht zuletzt die Unternehmensgewinne verantwortlich zu sein, die
(gemessen an den volkswirtschaftlichen Gewinnen) Ende 2015 gut 11 % niedriger waren als ein
Jahr zuvor. Ein guter Teil des Rückgangs der im Inland erwirtschafteten Gewinne um rund 250
Mrd. Dollar (Jahresrate) über diesen Zeitraum ging zwar ebenfalls auf das Konto des Energiesek2
tors (130 Mrd. Dollar). Die schwachen Produktivitätszuwächse und der zunehmende Lohnauftrieb
stellen aber in Frage, ob beim Gewinnwachstum zweistellige Raten nachhaltig möglich sind, wenn
die Effekte der Dollaraufwertung und der Sonderkonjunktur im Energiesektor „durch sind“. Nach
einer langen Phase der immer lockereren Kreditvergabe haben die US-Banken laut der vierteljährlichen Umfrage der Fed seit Ende 2015 ihre Vergabekriterien zudem wieder etwas gestrafft. Vor
diesem Hintergrund ist ein kräftiger Aufschwung im Investitionszyklus derzeit wohl nicht zu erwarten, selbst wenn die Schwächephase in den nächsten Quartalen ausläuft.
Die Konsumausgaben werden zwar ihr Tempo vom Frühjahr nicht halten können, aber weiter zulegen. Die anziehende Teuerung wird in den kommenden Quartalen die realen Einkommenszuwächse der privaten Haushalte dämpfen. Der stärkere Lohnauftrieb wird dies aber teilweise kompensieren. Auch machen wir beim Stellenaufbau tendenziell Aufwärtsrisiken aus: Für den Rest von
2016 und für 2017 haben wir im Schnitt 175.000 bzw. 150.000 zusätzliche Stellen pro Monat unterstellt. Dies wurde, wie bereits erwähnt, selbst mit den anämischen Wachstumsraten von Q4
2015 bis Q2 2016 erreicht bzw. übertroffen. Der Wohnungsbau bleibt abgesehen von einer temporären Delle im Q2 im Aufwärtstrend. Trotz der soliden Erholung der letzten Jahre liegt sein Anteil
am BIP mit 3,8 % noch immer unter dem langfristigen Schnitt von rund 4,5 %. Konsum wie Wohnungsbau profitieren dabei von den sehr niedrigen Zinsen, an denen sich so schnell wohl auch
nichts ändern wird (siehe S. 5).
Wegen des zuletzt geringen Wachstums – neben dem schwachen Q2 wurden auch die Vorquartale leicht nach unten angepasst (siehe Schaubild S. 4) – revidieren wir unsere Prognose für das
Gesamtjahr von 2 % auf 1,6 %. Dabei ist von einem soliden Wachstum im Q3 und einem anhaltenden Zuwachs moderat oberhalb des Trends in den Folgequartalen auszugehen. Für 2017 bleiben wir daher bei unserer Prognose von 2,5 %.
Sonderkonjunktur im Bergbau als massive Bremse
Investitionen folgen den Gewinnen
Reale Investitionen im Gewerbebau, Veränderung gegenüber Vorjahr in %
Veränderung gegenüber Vorjahr in % (geglättet)
40
40
40
20
Alle anderen Kategorien
20
(Q2: 378 Mrd. USD)
30
0
0
-20
20
20
10
10
0
0
-40
-40
-60
-60
-20
-80
-30
1982
-80
2013
2014
2015
2016
Absolutwerte in chained Dollars von 2009.
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research.
2
30
NIPA-Gewinne
-20
Bergbau
(Q2: 48 Mrd. USD)
2012
40
-10
-10
Reale Ausrüstungsinvestitionen
-20
-30
1987
1992
1997
2002
2007
2012
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die inländischen Gewinne sind über diesen Zeitraum um 13 % gefallen. Ohne die Sektoren „Erdöl und Kohle“
und „Versorger“ lag der Rückgang nur bei 4 %.
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USA AKTUELL
Was sagt uns die jährliche Revision der BIP-Daten?
Zusammen mit seiner ersten Schätzung zum Q2 hat das „Bureau of Economic Analysis“ Ende
Juli auch die revidierten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) bis 2013 zurück veröffentlicht. Im Schnitt fiel das Wachstum von 2013 bis 2015 etwas höher aus als bisher geschätzt. Am grundsätzlichen Bild einer moderaten Expansion hat sich aber nichts geändert. Auch bleibt der private Konsum aktuell der Haupttreiber der Konjunktur, während Investitionen und Exporte zuletzt eher gebremst haben. Weder beim Wohnungsbau noch bei
den Ausrüstungsinvestitionen stellt sich der Zyklus nun in einem völlig neuen Licht dar.
Ein Dauerthema unter Statistikern und Ökonomen, die sich mit der US-Wirtschaft befassen,
war in den vergangenen Jahren die „residuale Saisonalität“ in den BIP-Daten: Das Jahresauftaktquartal war seit der Krise 2008/2009 auffallend oft das schwächste Quartal im Jahr und
wurde häufig von einer spürbaren Belebung im Q2 begleitet. Nach der jüngsten Datenrevision
ist dieser Effekt nun geringer geworden, aber nicht gänzlich verschwunden.
Kein völlig neues Konjunkturbild durch die Revision
Reales Bruttoinlandsprodukt, Veränderung gegenüber Vorperiode, Jahresrate in %
6
6
5
vor der Revision
5
nach der Revision
4
4
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
-1
-2
-2
2013
2014
2015
2016
Quellen: BEA, Helaba Volkswirtschaft/Research
Für die Jahre 2014 und 2015 haben die Statistiker (wie in der Expansion üblich) mehr Einkommen der privaten Haushalte „gefunden“. Dadurch wurde auch die als Residuum zwischen
Einkommen und Konsum ermittelte Sparquote nach oben revidiert: von 4,8 % auf 5,6 % für
2014 und von 5,1 % auf 5,8 % für 2015.
Lange Zeit waren wir mit unserer Schätzung zum US-Trendwachstum eher im Lager der Pes3
simisten. Wir gehen weiterhin davon aus, dass das „normale“ mittelfristige Wachstumstempo
der USA bei knapp 2 % liegt. Inzwischen haben uns manche Beobachter aber links überholt
4
und sehen das Trend- oder Potenzialwachstum nur noch bei etwa 1½ % bis 1¾ %. Dies ist
weit mehr als nur eine akademische Fragestellung, denn die Höhe des Trendwachstums hat
Auswirkungen auf die verschiedensten wirtschaftlichen Themenkomplexe, wie das Niveau des
„neutralen Zinses“, die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen oder die scheinbar triviale Frage „Wo
stehen die USA eigentlich im Zyklus?“.
Was nun die neue Datenlage angeht, so halten sich die Aufwärtsrevisionen für die Vergangenheit und das schwächere Wachstum 2016 etwa die Waage. Daher besteht aus unserer
Sicht kein Anlass, das Trendwachstum nach unten zu korrigieren. Die Ursachen des
2015/2016 enttäuschenden Wachstums scheinen in erster Linie konjunkturell und nicht strukturell zu sein: Relative Dollarstärke, schwache Dynamik in den Schwellenländern sowie die
Korrektur im Energie- und Bergbausektor der USA in der Folge des Ölpreisverfalls.
3
Siehe USA Aktuell „Niedrigeres Trendwachstum – ein Preis der Krise?“ vom Januar 2010.
4
Siehe z.B. die New York Fed: Just Released: The New York Fed Staff Forecast—April 2016 Liberty Street
Economics.
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USA AKTUELL
Fed: „Right for the wrong reasons”?
Hat die Fed angesichts des bisher verhaltenen Wachstums in diesem Jahr also alles richtig
gemacht, indem sie den im Dezember begonnenen „Zinszyklus“ bei einem Leitzinszielband von
nur 0,25 % bis 0,5 % (entgegen ihren eigenen ursprünglichen Plänen) ausgesetzt hat? Vielleicht –
aber es scheint sich eher um einen Fall von „right for the wrong reasons“ zu handeln. Und dies gilt
nur, wenn sich im Nachhinein nicht herausstellen sollte, dass die Fed in diesem Jahr hinter die
Kurve gefallen ist oder den richtigen Zeitpunkt verpasst hat, um sich mit dem Leitzinsniveau nachhaltig von der Nulllinie zu lösen, ohne einen Crash am Rentenmarkt zu provozieren.
Es bleibt nämlich dabei, dass die vergangenen Monate für die Fed ein Kommunikationsdesaster
erster Ordnung waren. So hat die US-Notenbank in diesem Zyklus stets ein großes Gewicht auf
den Arbeitsmarkt, insbesondere auf die Arbeitslosenquote, gelegt und bei Widersprüchen zwischen den Daten dort und dem BIP ersteren den Vorzug gegeben. Nun zu argumentieren, in Wirklichkeit waren doch die Wachstumszahlen wichtiger, wäre daher eher peinlich. Die stetig positiven
Überraschungen bei der Arbeitslosigkeit versuchten die Geldpolitiker durch Verweise auf zunehmend obskure andere Arbeitsmarktdaten zu relativieren, die aber inzwischen fast durch die Bank
ebenfalls Vollbeschäftigung signalisieren. Um dann eine unverändert expansive Politik zu rechtfertigen, wurde nicht etwa das schwache BIP als Indikator in den Vordergrund gestellt, sondern man
hat – angesichts des für diese Langfristkonzepte extrem kurzen Zeitraumes – abstrus umfangreiche Änderungen an den „Gleichgewichtswerten“ wie NAIRU (Vollbeschäftigungsarbeitslosigkeit)
und neutralem Zinsniveau vorgenommen.
Kommunikationsdesaster
Damit aber nicht genug, denn die FOMC-Mitglieder haben sich zu Gefangenen (möglicherweise
extrem kurzfristiger) Schwankungen von Preisen an den Devisen- und Aktienmärkten gemacht,
egal ob das Störsignal nun aus China oder aus Großbritannien kam. Dies gilt ebenso für die unglückliche Fixierung mancher Geldpolitiker auf die so genannten „marktbasierten Inflationserwartungen“. Zwar weist die Fed in jeder ihrer Veröffentlichungen auf die inhärenten Probleme dieser
Größen hin. Was in der Öffentlichkeit und an den Märkten ankommt, ist aber, dass die Notenbank
jede Bewegung dieser Größen genau beobachtet. Entsprechend wurden dann nicht zuletzt auf
dieser Basis Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Geldpolitik aufgebaut, die sich die Fed nicht
zu enttäuschen getraut hat.
Durch ihr Abweichen vom angekündigten Fahrplan hat es die Fed tatsächlich geschafft, in den
vergangenen Monaten die monetären Bedingungen zu lockern statt sie zu straffen. Der Dollar hat
im Q2 handelsgewichtet an Boden verloren und langfristige Zinsen sowie Creditspreads sind so
stark gefallen, dass sich unser nominaler Monetary Conditions Index wieder seinen Tiefständen
vom Frühjahr 2015 nähert.
Die „normative Kraft des Faktischen“ am Werk?
Finanzierungsbedingungen wieder sehr locker
Arbeitslosenquote, %
Nominaler Monetary Conditions Index (MCI), Dez-95 = 100
10
9
Istwerte
7
Mittelwert der FOMC-Projektionen
"auf lange Sicht"
5
4
2011
-0,5 Prozentpunkt
2012
2013
140
9
120
140
restriktiver
8
6
10
2014
2015
HelabaPrognosen
Q4 2016
bis Q2 2017
120
8
100
7
80
80
6
60
60
5
40
40
4
20
Dez 95
2016
Quellen: Macrobond, FRB, Helaba Volkswirtschaft/Research
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 5 . A U G U S T 2 0 1 6 · © H E L A B A
100
20
Dez 99
Dez 03
Dez 07
Dez 11
Dez 15
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
5
USA AKTUELL
Wir bleiben dabei, dass in diesem Jahr noch mit einem Zinsschritt der Fed zu rechnen ist, wahrscheinlich erst im Dezember. Zu diesem Zeitpunkt dürften sich diverse Störfaktoren wie Brexit und
Unsicherheit über den Ausgang der US-Wahlen am 8. November aufgelöst oder zumindest relativiert haben. Auch wird das Datenumfeld eindeutiger für höhere Leitzinsen sprechen: Statt eines
Wachstums von nur rund 1 % wird die Dynamik dann wieder spürbar oberhalb des Trends liegen.
Seitens der Arbeitslosenquote dürften sich die Projektionen der FOMC-Mitglieder per Ende 2016
erneut als zu pessimistisch erwiesen haben. Die Teuerung wird bis dahin merklich höher sein –
was der Fed nicht nur Zuversicht geben sollte, dass ihr mittelfristiges Inflationsziel in absehbarer
Zeit erreicht wird, sondern was gleichzeitig auch den kurzfristigen Realzins senken wird und damit
die Geldpolitik bei unverändertem Nominalzins noch expansiver werden ließe.
Geänderte Fed-Prognose
für 2017
Für das Jahr 2017 haben wir jedoch unsere bisherige Prognose von einem Zinsschritt à 25 Basispunkten pro Quartal geändert. Wahrscheinlich wird die Fed auch im kommenden Jahr jede Ausrede nutzen, um von einer Zinserhöhung abzusehen. Vorwände dafür dürften ihr die volatilen Konjunkturindikatoren und Finanzmärkte genug liefern. Wir rechnen nun nur noch mit zwei Zinserhöhungen, wahrscheinlich im Halbjahrestakt. Ende 2017 wäre der Korridor für den Leitzins dann bei
1 % bis 1,25 % und der kurzfristige Realzins (also abzüglich der Teuerungsrate) noch immer deutlich unter null. Für den Rentenmarkt wäre aber selbst dies eine negative Überraschung. Die Futures preisen derzeit für Dezember 2017 noch nicht einmal einen Leitzins von 0,5 % bis 0,75 % voll
ein.
Phase sehr niedriger Gesamtteuerung läuft aus
Im Juni lag die Teuerungsrate insgesamt bei 1 %. Sie hat sich damit zwar verglichen mit den Tiefs
um die Nulllinie vor gut einem Jahr wieder spürbar erhöht. Angesichts des verhaltenen Anstiegs
der Ölpreise wird der Basiseffekt von der Energiekomponente aber wohl geringer ausfallen als wir
Anfang des Jahres erwartet hatten. Trotzdem wird schon ein bei gut $40/Barrel stabiler Ölpreis
ausreichen, um die Teuerung bis zum Jahreswechsel auf rund 2 % anziehen zu lassen. Im Frühjahr 2017 dürfte sie temporär sogar auf fast 2,5 % steigen. Die Kernrate (ohne Nahrungsmittel und
Energie) lag zuletzt bei 2,3 % und damit am oberen Rand des Bereichs, in dem sie sich seit dem
Ende der Rezession 2009 bewegt hat. Nicht zuletzt die sehr wichtige Komponente „Wohnen“ bleibt
im Aufwind. Mieten und selbstgenutztes Wohneigentum machen zusammen rund 40 % am Kernindex aus. Sie steigen derzeit mit Raten von 3,8 % bzw. 3,2 % gegenüber Vorjahr.
Teuerung: Graduell wieder Richtung 2 %
Verbraucherpreise, % gg. Vj.
6
6
Gesamtindex
5
5
4
4
ohne Energie und
Nahrungsmittel
3
2
3
2
1
1
0
0
-1
-1
-2
-2
-3
2007
-3
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Kernrate oberhalb
von 2 %
Die Kernteuerung dürfte zunächst in der Nähe der 2 % bleiben. Allerdings stellen die zunehmende
Knappheit am Arbeitsmarkt und die anziehenden Löhne Aufwärtsrisiken dar. Von Deflationsgefahren kann jedenfalls keine Rede sein. Nach 1,2 % im laufenden Jahr sollten die Verbraucherpreise
insgesamt 2017 um 2,2 % zulegen – selbst ohne viel Unterstützung von den Energiepreisen.
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USA AKTUELL
Makroprognosen USA 2016 / 2017
2014 2015 2016 2017 2015
2016
Q3 Q4 Q1 Q2
Privater Verbrauch*
% gg. Vj. bzw .
Q3
Q4
2,9
3,2
2,5
2,3
2,7
2,3
1,6
4,2
2,0
2,4
-0,9
1,8
1,3
2,0
1,9
1,0
1,6
-0,9
1,9
2,9
6,0
2,1
-0,6
4,1
3,9
-3,3 -3,4 -2,3
3,7
4,9
3,5
11,7
6,4
3,6
12,6 11,5
7,8
-6,1
6,1
7,4
4,3
0,1
0,1
4,3
-2,8 -2,7 -0,7
1,4
4,1
4,1
4,4
4,6
1,3
5,2
1,1
-0,6 -0,4
5,9
6,7
% gg. Vq. saar
Staatsnachfrage*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Unternehmensinvestitionen*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Wohnungsbau*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Exporte*
% gg. Vj. bzw .
% gg. Vq. saar
Importe*
% gg. Vj. bzw .
0,7
% gg. Vq. saar
Außenbeitrag*
in %punkten
-0,5 -0,7 -0,2 -0,3 -0,5 -0,5
0,0
0,2
-0,4 -0,5
Bruttoinlandsprodukt*
% gg. Vj. bzw .
2,4
2,6
1,6
2,5
2,0
0,9
0,8
1,2
3,2
2,5
% gg. Vq. saar
Arbeitslosenquote
%
6,2
5,3
4,8
4,2
5,1
5,0
4,9
4,9
4,8
4,5
Sparquote
%
5,6
5,8
5,9
5,0
5,9
6,0
6,1
5,5
5,8
6,0
Verbraucherpreise
% gg. Vj.
1,6
0,1
1,2
2,2
0,1
0,5
1,1
1,1
1,2
1,5
ohne Energie & Nahrungsmittel % gg. Vj.
1,7
1,8
2,2
2,1
1,8
2,0
1,7
1,8
1,8
2,0
Leistungsbilanzsaldo
% am BIP
-2,3 -2,6 -2,9 -3,1
-
-
-
-
-
-
Haushaltssaldo**
% am BIP
-3,6 -3,3 -3,4 -2,9
-
-
-
-
-
-
* in chained Dollars von 2009, ** NIPA-Basis. Bundesebene einschl. Sozialversicherungen ohne Hilfspakete für Finanzinstitutionen.
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research; grau hinterlegte Fläche Prognosen; saar = „seasonally adjusted annual rate“
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