A M WO C H E N E N D E HF1 FOTOS: CORBIS, SZ-GRAFIK, PRIVAT; ILLUSTRATION: LARISSA BERTONASCO WWW.SÜDDEUTSCHE.DE KUNSTFIGUR Leute machen Kleider: Die Bundeskunsthalle zeigt, wie Karl Lagerfeld der erfolgreichste Modeschöpfer der Welt wurde MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 28./29. MÄRZ 2015 71. JAHRGANG / 13. WOCHE Die Angst fliegt mit / NR. 73 / 2,60 EURO GEQUÄLTE GÖTTINNEN Moderne Frauen haben Stress, weil sie vielen Idealen genügen wollen Gesellschaft, Seite 49 Nach dem Absturz von Flug 4U 9525 ziehen die Airlines hastig Konsequenzen: Im Cockpit gelten schärfere Regeln, die Psyche von Piloten soll regelmäßig durchleuchtet werden. Aber wird Fliegen dadurch sicherer? REISE INS NIEMANDSLAND Der Tschernobyl-Reaktor bekommt eine neue Schutzhülle. Ein Ortsbesuch Wissen, Seite 37 Stil, Seite 59 von jens flottau (SZ) Es ist wieder an der Zeit, ein modernes Märchen zu erzählen. Eines, bei dem einem warm wird ums Herz? Nein, nicht ums Herz, sondern tiefer, im Bauch, denn es war einmal ein stolzer Italiener, der hieß Raffaele Esposito und bewirtschaftete in Neapel eine Taverne, in welcher er mit Teig experimentierte. Eines Tages kam der stolze König Umberto I. mit seiner schönen Gattin Margherita von Savoyen nach Neapel. In Märchen sind Könige immer stolz und ihre Ehefrauen grundsätzlich schön, also bitte keine Einwände! Der Sprecher des Königspaars bat Esposito, sich einmal zu überlegen, welche Teigkomposition den beiden Monarchen wohl munden könnte und er möge doch auch ein bisschen darauf schauen, dass sein Gericht recht ansprechend aussehe. Das war dem Esposito ein innerer Holzofen; er setzte sich hin und schuf einen Teigfladen nach dem anderen, belegte sie mit den feinsten Sachen, aber irgendwie konnte er nicht warm werden mit seinem Geschöpf. Ganz am Schluss, als Ratlosigkeit und Verzweiflung sich schon grinsend bei der Hand gefasst hatten, kam Esposito die große und in ihrer einleuchtenden Einfachheit sehr bewegende Idee: Er arrangierte auf seinem Teigfladen die Zutaten Tomate, Mozzarella und Basilikum dergestalt, dass sie selbst dem trägsten italienischen Verstand signalisierten: Die Geburtsstunde der ersten Pizza mit nationalem Boden ist angebrochen. Espositos Erfindung gefiel dem König, besonders aber schmeckte sie seiner Frau Margherita, und nun ratet mal, wie der Bäcker Esposito seine farbenfrohe Pizza fortan nannte? Seltsam ist ja, dass die Pizza Margherita heute die kärglichste, weil mit eher wenig Belag versehene Pizza ist. Sie wird gerne von älteren Damen bestellt, die nicht mehr so viel Appetit verspüren, man kann beinahe sagen: Die Pizza Margherita ist der Seniorenteller der mediterran gestimmten BestAger. Über diese beinahe calvinistische Darreichung mag gelegentlich Chiliöl ausgeschüttet werden, aber sicher nicht der Geist des großen Raffaele Esposito, auch wenn er sie in Neapel erschuf. Dieser schwebt vielmehr über der seit zehn Jahren EU-geschützten Pizza Napoletana, deren Zutaten ähnlich strengen Normen unterliegen wie jene, die dem deutschen Bier seit Jahrhunderten Rundung und Zuverlässigkeit geben. Viele Menschen essen deshalb Pizza und trinken Bier dazu. Diese Menschen haben den Wunsch, dass sowohl das Bier als auch die Pizza Napoletana auf die Liste des Unesco-Kulturwelterbes kommen. Weil sie finden, dass zwar sehr viele verratzte Altstädte, wacklige Kirchen und breitgelatschte Parkanlagen auf dieser Liste stehen, aber nichts richtig Leckeres. Ach, die Unesco-Liste – ist sie nicht selbst wie eine neapolitanische Pizza? Die Leute wollen alles Mögliche darauf haben und am Ende wird es wieder nur eine alte Piazza in Neapel mit viel zu dünnem Boden. Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Familienanzeigen 46-48 16 45 63 32-34 61013 4 190655 802602 Frankfurt – In der Regel ist das ein jahrelanger Prozess: Flugzeugabstürze analysieren und aus ihnen die richtigen Konsequenzen ziehen. Vor allem für die Angehörigen der Opfer kann das quälend sein, niemandem kann es schnell genug gehen. Doch der Absturz des A320 von Germanwings war gerade mal zwei Tage her, da präsentierte der französische Staatsanwalt Brice Robin eine erste grobe Erklärung des Hergangs. Und nur ein paar Stunden darauf zogen Fluggesellschaften und Behörden weltweit schon erste Konsequenzen. Sie taten dies aus gutem Grund, denn nun tauchen immer mehr Details über die psychische Erkrankung des Copiloten Andreas Lubitz auf, der das Flugzeug mutmaßlich zum Absturz gebracht hat. So war er seit Längerem in psychiatrischer Behandlung, in seiner Wohnung fanden Ermittler zerrissene Krankschreibungen, „auch den Tattag umfassend“. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nimmt an, dass L. seine Erkrankung „gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat“. Noch am Donnerstag kündigten Fluggesellschaften weltweit neue Regeln für den Cockpit-Zugang an. Doch es wird deutlich länger dauern, um grundsätzliche Schlüsse aus der Germanwings-Tragödie zu ziehen. Dazu braucht es zunächst eine Diskussion darüber, wie sinnvoll hermetisch abgeriegelte Cockpits tatsächlich sind – vor allem aber eine Debatte über die psychologische Betreuung von Piloten und die Aufsichtspflicht der Airlines gegenüber ihren Mitarbeitern. Zahlreiche Fluggesellschaften und Aufsichtsbehörden haben noch am Donnerstag entschieden, dass künftig während des Flugs immer zwei Personen im Cockpit sein müssen. Damit soll verhindert werden, dass ein Einzelner die alleinige Kontrolle über das Cockpit hat. Nach der Theorie des französischen Staatsanwalts Robin hat der offenbar psychisch labile CoPilot aktiv verhindert, dass der Kapitän ins Cockpit zurückkehren konnte, nachdem der kurz nach hinten gegangen war. Der Copilot hat demnach auch den Sinkflug aus 11,5 Kilometern Höhe gegen eine Ein Monster mit langen Krallen lockt einen jungen Mann. Sollte der nähertreten, wird ihn das Monster kopfüber in einen Fleischwolf stecken, aus dem eine blutige Masse dringt. Diese Szene ist auf 60 000 Flugblättern zu sehen, die das US-Militär kürzlich nahe der syrischen Stadt Raqqa abgeworfen hat. Raqqa gilt als zentraler Stützpunkt der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), und die Flugblätter sollen die Bewohner davor warnen, sich den Extremisten anzuschließen. Über dem Gruselbild im Stil von Manga-Comics steht, was die Szene darstellt: Das „Arbeitsamt“ des IS. Wer sich den Extremisten andient, wird durch den Fleischwolf gedreht. Die Vereinigten Staaten und der IS liefern sich eine intensive PropagandaSchlacht. Während ihre militärische Auseinandersetzung nur in Syrien und im Irak stattfindet, kämpfen sie weltweit um die Herzen junger Muslime. Der IS braucht für sein Ziel, ganze Landstriche zu besetzen, einen stetigen Zustrom frischer Rekruten; die USA möchten dies ver- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche Bergflanke eingeleitet. Alle 150 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben. Australien, Neuseeland und Kanada machten die Zwei-Personen-Regel mit sofortiger Wirkung zur Pflicht, sie schwenkten damit auf die Praxis ein, die in den USA üblich ist. In Europa gingen am Freitag zunächst einzelne Fluggesellschaften voran: Die Lufthansa beschloss, im ganzen Konzern die Regel einzuführen – also für die Gesellschaften Lufthansa, Germanwings, Austrian, Swiss, Eurowings, Lufthansa Cityline und Air Dolomiti. In Europa änderten außerdem unter anderem Easyjet, Norwegian, Icelandair, Air Baltic und Air Berlin ihre Vorschriften. Schließlich beriet sich der Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft mit dem Luftfahrtbundesamt und machte sodann das Verfahren für alle deutschen Fluggesellschaften verbindlich. Damit soll eine Vorschrift perfektioniert werden, die nach den Terroranschlä- gen vom 11. September 2001 eingeführt worden war. Behörden auf der ganzen Welt schrieben damals Cockpittüren vor, die von außen auch mit Gewalt praktisch nicht mehr zu öffnen sind. In den vergangenen 20 Jahren – vor und nach 9/11 – hat es aber mindestens fünf Abstürze gegeben, bei denen Suizide eines Piloten als Ur- Jetzt werden die Regel fürs Cockpit geändert. Aber nicht die für die Betreuung von Piloten sache gelten und die womöglich zu verhindern gewesen wären, wenn andere Besatzungsmitglieder sich hätten Zugang zum Cockpit verschaffen können. Und immer noch ist denkbar, dass beim Verschwinden des Fluges Malaysia Airlines MH 370 im Jahr 2014 einer der Piloten nachgeholfen hat. Allerdings: Auch ein leichterer Zugang zum Cockpit oder neue Vorschriften Risiko im Verkehr Anzahl der Flugzeugunglücke weltweit 60 50 40 30 20 0 SZ-Grafik; Quellen:Statistisches Bundesamt, Statista, Aviation Safety Network 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Anzahl der Todesopfer bei Unfällen in Deutschland im Jahr 2013 Eisenbahn Bus Luftfahrt 0 11 32 1588 PKW Comics statt Bomben Ein altes Propaganda-Mittel ist zurück: Die USA werfen in Syrien Flugblätter ab, die vor der Terrormiliz IS warnen hindern. Beide Seiten setzen massiv auf Sozialmedien im Internet: Der IS buhlt auf Twitter und mit Enthauptungs-Videos um die Gunst junger Fanatiker, das US-Außenministerium hält mit einer Abteilung für „countermessaging“ dagegen, das an Warnungen vor Zigaretten erinnert: Emotionale „Gegenbotschaften“ sollen junge Männer fernhalten von der schiefen Bahn. Fotos von Toten, Särgen und Trauernden sowie knappe Texte appellieren an das Gewissen: „Kann es richtig sein, Unschuldige abzuschlachten?“ Mitten im Twitter-Kampf nun erlebt das gute alte Flugblatt einen Wiederab- wurf. Als Mittel der psychologischen Kriegsführung wird es verwendet, seit der Mensch fliegen kann, es kann drohen und einschüchtern oder ermutigen und aufklären. Als die preußische Armee 1870 Paris belagerte, warfen die Franzosen von Ballons aus deutsche Schriftstücke über deren Stellungen ab. Im Zweiten Weltkrieg entwickelte die US-Luftwaffe einen Pappzylinder, der Tausende Blatt Papier fassen und sich – meist über Deutschland oder Japan – auf jeder Höhe öffnen konnte. Im Nahen Osten fielen US-Flugblätter zuletzt etwa 2003 bei der Invasion des Irak. Eine Karikatur zeigte Diktator Sad- für eine ständige Doppelbesetzung im Cockpit machen solche Taten nicht für alle Zeiten unmöglich. Im Jahr 1999 lieferten sich Kapitän und Copilot im Cockpit einer Boeing 767 der Egyptair vor der amerikanischen Ostküste einen Kampf an der Steuersäule. Der Kapitän verlor, die Maschine stürzte ins Meer. Womöglich ist eine andere Diskussion viel wichtiger: nämlich die, wie Fluggesellschaften künftig offensichtliche Problemfälle wie den Germanwings-Copiloten Lubitz besser überwachen, betreuen oder auch aus dem Verkehr ziehen können. Seine Ausbildung bei der Lufthansa musste Lubitz, angeblich wegen Depressionen, mehrere Monate lang unterbrechen, bekam aber am Ende alle Zulassungen; wenn auch mit einem gesonderten Vermerk über künftige medizinische Betreuung. Dem Vernehmen nach waren zumindest im engeren Kollegenkreis Lubitz’ depressive Tendenzen bekannt. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass seine Vorgesetzten Konsequenzen zogen. Ob sie trotz seiner Versuche, die Krankheit zu verheimlichen, davon wussten, ist nicht klar. Der Eintrag in seiner Lizenz gibt keinen Aufschluss über die genauen Gründe. Lufthansa und Germanwings selbst kümmern sich eigentlich nur im Laufe des Bewerbungsverfahrens systematisch um psychologische Analyse. Und selbst dort tun die Fluggesellschaften dies nicht, um labile Kandidaten zu ermitteln – sondern um Interessenten mit einem Persönlichkeitsprofil zu identifizieren, das zum Beruf passt. Doch nun kommt plötzlich auch hier Bewegung in die Sache. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), eine normalerweise für ihre besondere Langsamkeit bekannte Unterorganisation der Vereinten Nationen, forderte regelmäßige medizinische Spezialtests von Piloten. Diese Untersuchungen müssten nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Fitness prüfen. Die Untersuchungen müssten von Spezialisten für den Luftverkehr vorgenommen werden. Und falls ein Ergebnis Anlass zur Sorge gebe, sagt die ICAO, müssten auch neuropsychologische Checks erwogen werden. Seiten 2, 4, 6 und Wirtschaft, www.sz.de/4U9525 dam Hussein mit dem Text: „Die Koalition ist hier, um die Unterdrückung durch Saddam zu beenden.“ Die Wirkung ist schwer zu messen. Raqqa in Syrien dürfte prinzipiell ein geeignetes Ziel sein: Über das Internet ist die „Hauptstadt“ des IS wohl kaum zu erreichen. Sollte es einen Netzzugang überhaupt geben, dürfte ihn der IS kontrollieren. Dies aber legt auch nahe, warum der Abwurf seine Wirkung verfehlen könnte, mahnt Faysal Itani, ein Nahost-Experte beim Atlantic Council in Washington: Wer sich in Raqqa dem IS anschließe, sei demnach entweder ideologisch motiviert und deswegen gegen ausländische Propaganda immun. Oder aber er brauche Geld, Schutz und fühle sich gezwungen. „Die Leute werden einerseits bedrängt vom ISRegime, andererseits von den Luftangriffen einer Koalition, die sie nun davor warnt, ihren Feinden zu folgen.“ In dieser Lage sei es absurd, die Menschen vor einem gewaltsamen Tod zu warnen. Der droht ihnen sowieso. nicolas richter Pkw-Maut kommt Bundestag beschließt Abgabe trotz Zweifeln an EU-Zulässigkeit Berlin – Der Bundestag hat am Freitag die umstrittene Pkw-Maut endgültig beschlossen. Das Parlament stimmte mit einer breiten Mehrheit von Union und SPD für das CSU-Projekt, das im Lauf des Jahres 2016 starten soll. Damit müssen künftig alle Autofahrer für die Benutzung von Straßen eine Abgabe zahlen, deutsche Fahrer werden aber über die Kfz-Steuer wieder entlastet. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte: „Wir vollziehen einen echten Systemwechsel von einer Steuer- hin zu einer Nutzerfinanzierung.“ dku Seiten 4 und 6 Stromausfall legt Flughafen lahm Den Haag – Ein Stromausfall in der dicht bevölkerten Provinz Nordholland hat am Freitag ein Verkehrschaos ausgelöst. Am Flughafen Amsterdam wurden vorübergehend alle Flüge abgesagt. Der Stromausfall war bei Arbeiten in einer Schaltanlage aufgetreten. sz Panorama Uhren werden vorgestellt München – An diesem Sonntag beginnt die Sommerzeit. In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhren um zwei Uhr um eine Stunde vorgestellt. Die Nacht ist damit eine Stunde kürzer. Die Sommerzeit endet in der Nacht vom 24. auf 25. Oktober. sz MIT STELLENMARKT Dax ▲ Dow ▲ Euro ▼ Xetra 16.30 h 11896Punkte N.Y. 16.30 h 17704Punkte 16.30 h 1,0868 US-$ + 0,45% + 0,15% - 0,0015 DAS WETTER ▲ TAGS 15°/ 3° ▼ NACHTS Zunächst meist freundlich. Später werden von Nordwesten und Westen die Wolken dichter, und es beginnt zu regnen. Bis zum späten Abend erreicht der Regen den Hochrhein. Temperaturen neun bis 15 Grad. Seite 16 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, NL, SLO, SK: € 3,40; dkr. 27; £ 3,40; kn 31; sfr. 5,00; czk 101; Ft 910 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/app
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