PDF 379 KB - Philip Keil

25.04.2015
Beitrag von GSA-Mitglied und Berufspilot Philip Keil zum Absturz der
Germanwings-Maschine
150 KERZEN
So viele waren es, als am vergangenen Freitag im Kölner Dom Angehörige und Regierungsvertreter der
Opfer des Germanwings Unglücks gedachten. Auch über 4 Wochen nach diesem 24. März 2015, der
als der dunkelste Tag in die Geschichte der deutschen Luftfahrt eingeht, bleibt die Frage: Wie konnte
so etwas passieren? GSA-Mitglied Philip Keil ist seit vielen Jahren Verkehrspilot und beantwortet hier
die drängendsten Fragen, mit denen er in den vergangenen Wochen von besorgten Passagieren,
Freunden und Bekannten konfrontiert wurde.
1.) Was waren Ihre ersten Gedanken als Sie von dem Unglück erfuhren?
Ich war gerade in Hongkong, als ich von dem Absturz erfuhr. Als ich die Umstände hörte, also bestes
Wetter, keine Überlebenden, Flugzeug befand sich im Reiseflug, dachte ich sofort an einen plötzlichen
Druckabfall in der Kabine. Das Notfall-Manöver ist hochkomplex und erfordert sofortiges Handeln:
Sauerstoffmasken auf, steilen Sinkflug einleiten und viele weitere Schalterstellungen. Dafür bleiben
nur wenige Sekunden, bevor die Bewusstlosigkeit einsetzt. Die Berge in der Region sind sehr hoch und
ich befürchtete, dass die Piloten bei der Ausführung dieses Notfall-Sinkflugs die Berge zu spät
bemerkten, weil sie unter hohem Stress standen.
An einen mutwilligen Absturz verschwendete ich aber keinen Gedanken. Dass ein Pilot, „einer von
uns“, das in ihn gesetzte Vertrauen hunderter unschuldiger Menschen missbraucht, um seinem Leben
ein Ende zu bereiten, ist bis heute unbegreiflich für mich. Wenngleich es leider nicht der erste Fall von
Piloten-Suizid war.
2.) Der Mechanismus zum Ver- und Entriegeln der Cockpit-Tür steht nun auf dem Prüfstand. Außerdem
wurde deutschlandweit eine Vorschrift erlassen, wonach immer eine zweite Person im Cockpit
anwesend sein muss. Was halten Sie von diesen Ansätzen?
Die Luftfahrt ist heute nur so sicher, weil jeder Unfall und Zwischenfall akribisch analysiert wird und so
eine stetige Optimierung stattfindet. Jedes Unglück birgt die Chance, daraus zu lernen und
Schwachstellen im System zu beheben. Deshalb ist es auch bei diesem Absturz wichtig, alle Vorschläge
zu prüfen. Dabei gilt es aber, die Chancen und Risiken sorgfältig gegeneinander abzuwägen, um
herauszufinden, was Sinn macht und was blinder Aktionismus ist.
Im Hinblick auf das Cockpit-Tür Verfahren wäre jedes „Hintertürchen“, um auch gegen den Willen der
Piloten Zugang zum Cockpit zu erhalten, eine gefährliche Aufweichung des Schutzes vor Terroristen an
Bord. Die Risiken würden den Nutzen bei weitem übersteigen. Und im Falle der Ohnmacht beider
Piloten, kommt man ja von außen ins Cockpit.
Die Mehr-Personen Regelung im Cockpit birgt dagegen keine neuen Risiken und ist deshalb zu
begrüßen. In Nordamerika ist das schon seit vielen Jahren ein gut funktionierendes Verfahren. Ich
selbst habe vor 5 Jahren in Kanada gelebt und gearbeitet und konnte mich davon überzeugen. Aber
auch hier ist der Nutzen begrenzt. Ein Pilot, der wild entschlossen ist, ein Flugzeug zum Absturz zu
bringen, wird immer einen Weg finden.
Das größte Potential sehe ich darin, ein solches Horrorszenario durch präventive Mechanismen so gut
es geht zu verhindern.
[email protected]
WWW.PHILIPKEIL.COM
+49 (0) 177/ 829 25 95
+49 (0) 89/ 326 00 144
3.) Prävention ist ein gutes Stichwort: Viele fragen sich nun, wie es überhaupt so weit kommen konnte.
Sehen Sie Mängel im Auswahlverfahren und dem medizinischen Eignungstest von Piloten?
Ich habe dieselben medizinischen und psychologischen Eignungstests der Lufthansa durchlaufen, wie
der Amokpilot. 19 von 20 Bewerbern fallen durch. Ich habe dieselbe Verkehrsfliegerschule besucht.
Auswahlverfahren und Ausbildung sind nach meiner Überzeugung auf höchstem Niveau und fordern
den Teilnehmern alles ab. Die Lufthansa geht dabei sogar noch weit über die Bestimmungen des
Gesetzgebers hinaus. Auch bei der medizinischen Untersuchung. Kein Test verschafft einen Einblick in
das Seelenleben des Bewerbers.
Lubitz ist ein tragischer Einzelfall, der durch jedes der vielen engmaschigen Raster fiel. Das ist die
traurige Wahrheit. Er lebte in einem sozial intakten Umfeld und fiel auch im Flugbetrieb nie auf:
Germanwings ist eine kleine Truppe. Man kennt sich untereinander.
4.) Also hätte man das Unglück nicht vermeiden können?
Laut eigenen Angaben wusste die Lufthansa von Lubitz‘ Krankheitsgeschichte. Er selbst hat die
Verkehrsfliegerschule in Bremen schriftlich über eine schwere Depression informiert, weshalb er auch
seine Ausbildung dort für 6 Monate unterbrach. Studien belegen, dass 90% der Suizide von Menschen
mit Depressionen begangen werden, und dass Depressive im Vergleich zu gesunden Menschen doppelt
so häufig gewalttätig werden. Vor diesem Hintergrund bin ich skeptisch, ob mit dieser folgenschweren
Einzelfallentscheidung der Flugschule, Lubitz weiter auszubilden, dem hohen Sicherheitsanspruch der
Lufthansa entsprochen wurde. Man hätte ihn stattdessen als Ausbilder im Simulator einsetzen oder
ihm einen Weg im Management des Konzerns bereiten können.
5.) Sollte demnach in besonderen Einzelfällen wie diesem auch die Schweigepflicht der Ärzte gelockert
werden?
Viele fordern diesen Schritt in der aktuellen Debatte und mit Blick auf den Fall Lubitz hätte die
Katastrophe womöglich verhindert werden können. Dennoch sehe ich das sehr kritisch. Denn
ungezählt sind doch die Fälle, in denen sich Patienten mit ihren Leiden den Ärzten anvertrauen, ihnen
geholfen wird und dadurch eine ernsthafte Erkrankung frühzeitig verhindert werden konnte. Wer aber
weiß, dass er von seinem Arzt jederzeit beim Arbeitgeber „verpfiffen“ werden könnte, ist eher dazu
geneigt, aus Angst vor dem Jobverlust das Problem mit sich selbst auszumachen. Das würde die
wichtige Vertrauensbasis Arzt-Patient zerstören und Gefahren viel größeren Ausmaßes schaffen.
6.) Was erwidern Sie Menschen, die nun besorgt sind, in ein Flugzeug zu steigen?
Aus der Psychologie wissen wir, dass der Mensch in allererster Linie emotional urteilt, und die rationale
Komponente nur eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung eines Reizes spielt. Wäre das nicht so,
müsste man Menschen mit Flugangst lediglich die Statistik unter die Nase halten, wonach die
Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes bei 1: 287.000.000 liegt (Auto: 1: 17.000), und schon
würden sie fortan tiefenentspannt in jedes Flugzeug steigen. Aber so einfach ist es leider nicht. Die
Tatsache, in 13km Höhe einer fremden Person hilflos ausgeliefert zu sein, setzt ein hohes Maß an
Vertrauen in die Piloten voraus. Deshalb ist die Germanwings-Katastrophe so erschütternd.
Ich persönlich lade besorgte Passagiere vor dem Start gerne zu mir nach vorne ins Cockpit ein. Ich
erkläre die Schalter und Anzeigen, erwähne aber auch, dass wir ein eingespieltes Team sind, und eine
Familie auf uns daheim wartet. Diese Worte wirken Wunder, denn so begegne ich dem Passagier auf
der emotionalen Ebene. Und dann kann ich auch augenzwinkernd hinzufügen: „Das Gefährlichste
haben Sie hinter sich: Die Fahrt zum Flughafen.“
Link zum GSA Beitrag
[email protected]
WWW.PHILIPKEIL.COM
+49 (0) 177/ 829 25 95
+49 (0) 89/ 326 00 144
Über den Autor:
Philip Keil ist erfahrener Berufspilot, professioneller Redner und angehender Buchautor. In seinen
Impuls-Vorträgen überträgt er die speziell für Profi-Piloten entwickelten Techniken auf den Alltag
seiner Zuhörer. Er zeigt anhand konkreter Beispiele, mit welchen verblüffend einfachen Strategien
Spitzenleistung aktiviert und Stress vermieden werden kann – nicht nur im Cockpit.
In Kürze erscheint dazu auch sein Buch „Ready for Takeoff – Die Strategien der Profi-Piloten“.
www.philipkeil.com
[email protected]
Tel.: +49 (0) 177 / 8292595
Tel.: +49 (0) 89 / 32600144
[email protected]
WWW.PHILIPKEIL.COM
+49 (0) 177/ 829 25 95
+49 (0) 89/ 326 00 144