Lebenszeichen

Die Care-Revolution Eine barmherzige Gesellschaft
Utopie
Lebenszeichen
ist
keine
Von Doris Weber
25.02.2015
O-Ton Gabriele Winker:
Wir nennen es Care-Revolution. Es ist ein Perspektivwechsel, unser
Handeln
wird
dann
nicht
mehr bestimmt
von
dem
Ziel der
Profitmaximierung sondern von dem Ziel, menschliche Bedürfnisse zu
befriedigen.
O-Ton Margit Baumgarten:
In so einer Care-Gesellschaft wären wirklich Nachbarschaftsnetze
wieder da, man könnt füreinander einspringen, man könnte füreinander
Verantwortung übernehmen. Es stärkt einfach das Selbstwertgefühl,
wenn ich spüre, ich werde gebraucht und Menschen warten auf mich
O-Ton Geiko-Müller-Fahrenholz:
Man kann schon sagen, dass wir in einer unbarmherzigen, völlig
gnadenlosen Gesellschaft leben. Ich denke an vielen Ecken und Enden
wird deutlich, dass wir uns mit diesem Modell totmachen.
Sprecher:
Wie wird die Welt aussehen, wenn dieses tödliche Modell so fortgeführt wird? Und
muss sich die Menschengemeinschaft nicht grundlegend verändern, fragt der
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Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie
Lebenszeichen
Von Doris Weber
25.02.2016
Theologe Geiko – Müller Fahrenholz in seinem Buch: “Heimat Erde. Christliche
Spiritualität unter endzeitlichen Bedingungen“.
Sprecherin:
Geiko Müller-Fahrenholz war Direktor der Nordelbischen Evangelischen Akademie,
Professor für Ökumenische Theologie und Ökologische Ethik in Costa Rica und
Mitarbeiter im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf.
O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz:
Es
ist
schon
so,
dass
offensichtlich
in
unserer
Gesellschaft
Geldverdienen unheimlich wichtig ist, und zwar viel Geld zu verdienen.
Dass die großen Kartelle das Modell vorgeben, nachdem jeder einzelne
sich verhalten soll. Und dass deshalb diejenigen, die im Schatten der
Gesellschaft sind, weil sie alt geworden sind, krank geworden sind,
unproduktiv geworden sind, Kinder sind, für dies Art von Perspektive
uninteressant werden, und deshalb werden auch uninteressant die
Menschen, die mit ihren Berufen für diese Menschen eintreten.Sie
versorgen die Menschen, denen wir in unserer Hamsterradgesellschaft
nicht mehr die nötige Pflege zukommen lassen können und sollen das
zu einem Lohn machen, der ihre Arbeit im Grunde schon von
vornherein entwertet, und da muss sich entscheidend etwas ändern.
Sprecherin:
Die gute Nachricht: Es ändert sich etwas in unserer Gesellschaft. Immer mehr
Menschen sagen:
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Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie
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Sprecher:
Stopp. So kann es nicht mehr weitergehen. Da läuft etwas schief. Ich will nicht mehr.
Ich will anders leben.
Sprecherin:
Menschlicher. Freundlicher. Lustvoller. Solidarischer. Gesünder.
Sprecher:
Die Suchenden werden immer zahlreicher. Viele von ihnen verstehen sich als Teil
einer sogenannten Care-Bewegung, die unsere Gesellschaft verändern will. Care
heißt Sorge tragen – für sich selbst und andere.
O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz:
Es gibt ein schönes englisches Wort, was dem sehr nahe kommt:
Compassion. Compassion heißt eben wirklich das, was die anderen
Menschen aber auch die Natur mit uns und um uns zum Leiden bringt,
als unser eigenes Leid zu verstehen und entsprechend zu behandeln.
Das Leid der anderen ist nicht gleichgültig, wenn es um das eigene
Wohlbefinden geht. Wenn man jetzt die Idee stark machen will, dass wir
ja nur miteinander leben, wenn wir aufeinander Acht geben, dann ist
das mit dem Stichwort der wechselseitigen Fürsorge schon absolut
konkret politisch.
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Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie
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Von Doris Weber
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Sprecherin:
Respekt, Menschenwürde, Nächstenliebe - das alles verbindet sich mit dem Begriff
Care. Wenn es gelänge, diese Werte wirklich auch politisch wirksam werden zu
lassen, könnte die Care-Bewegung ein Schritt zu einer neuen Gesellschaft sein.
Sprecher:
Eine Care-Gesellschaft lebt von der Hoffnung auf eine solidarische Gemeinschaft, in
der alle Menschen mit ihren unterschiedlichsten Talenten und Begabungen Raum
und Wertschätzung finden. Frauen, Männer und Kinder. Sie lebt auch von der
Gewissheit, dass eine Gesellschaft keine Zukunft hat, in der die Reichen immer
reicher werden und die Armen, Kranken und Pflegebedürftigen aussortiert werden –
und mit ihnen all jene, die ihnen Tag und Nacht pflegend, erziehend, helfend und
heilend zur Seite stehen.
Sprecherin:
Als Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“
eröffnete, sprach er von einer Zeit, in der sich sowohl die Gläubigen als auch die
ganze Kirche die Haltung des barmherzigen Samariters zu Eigen machen sollten, der
dem half, der unter die Räuber gefallen war. Einer Gnadenzeit und einer
Gelegenheit, das Leben zu ändern. Papst Franziskus wünschte sich für diese
Botschaft eine Strahlkraft weit über die zwölf Monate hinaus:
Zitator:
Alle Menschen und auch die Kirchen sollten die Zeit nutzen, um die Barmherzigkeit
Gottes zum eigenen Lebensstil werden zu lassen.
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Sprecher:
Barmherzigkeit als Leitmotiv einer solidarischen Gesellschaft. Der evangelische
Theologe Müller-Fahrenholz findet, dass das Anliegen des Papstes übereinstimmt
mit der ethischen Ausrichtung einer Care-Gesellschaft:
O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz:
Ich glaube, ihm liegt sehr daran, zuerst einmal deutlich zu machen,
dass aus der christlichen Perspektive Barmherzigkeit die Basis für alles
andere ist. Für ihn ist Barmherzigkeit erst einmal eine Beschreibung
des Wesens Gottes, er fängt nicht bei der menschlichen Barmherzigkeit
an, sondern er sagt: wir haben zuerst einmal von der Barmherzigkeit
Gottes zu reden und die ist der Grund von allem, was wir tun und
denken, sie ist gleichsam die inhaltliche Beschreibung dessen, was wir
Gottes Allmacht nennen und deshalb ist sie der Grund auf dem wir
stehen, ist sie die Luft, die wir atmen, also das ist für den Papst
Barmherzigkeit.
O-Ton Gabriele Winker:
Wir sind doch aufeinander angewiesen und somit sind wir auch alle
Sorgearbeitende, wir kümmern uns um uns, wir kümmern uns um
unsere Bildung, um die Gesundheit, um unser Wohlergehen, die
Selbstorganisation des Alltags, ums Kochen für uns aber auch für
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andere und die Erziehung von Kindern. Wir betreuen, beraten Freunde,
Freudinnen, wir unterstützen pflegebedürftige Angehörige. Also das ist
der Kern und natürlich brauchen doch auch wir Unterstützung und
Sorge vom Augenblick der Geburt an und auch jenseits von Kindheit
und Jugend und in Zeiten der Gebrechlichkeit oder Krankheit ist es
doch notwendig, dass wir Unterstützung erlangen.
Sprecherin:
Die Sorge für sich selbst ist gut für das eigene Wohlergehen, aber auch die Sorge für
andere,
sagt
Gabriele
Winker,
Professorin
für
Arbeitswissenschaft
und
Geschlechterforschung an der Technischen Universität in Hamburg-Harburg. In
ihrem Buch Care-Revolution - Schritte in eine solidarische Gesellschaft, schreibt sie,
„Jeder Mensch hat das Recht auf ein erfülltes Leben, ein gutes Leben.“
Sprecher:
Aber kann eine Gesellschaft überhaupt dieses Recht versprechen, ohne sich
grundlegend zu ändern?
O-Ton Gabriele Winker:
Nein, die Freiräume haben wir nicht. Es fehlt die Zeit und manchmal
sogar auch die finanziellen Mittel und für manchen Menschen gleich
beides. Es fehlt die Zeit überhaupt, bis hin dazu wahrzunehmen, was
wir benötigen, und der Hintergrund ist, weil andere Werte absolut
zentral im Vordergrund stehen, und solang wir der Meinung sind, das ist
eigentlich der Kern des kapitalistischen Wirtschaftens, dass es darum
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25.02.2016
geht, Gewinn und Profite zu erzielen, indem wir möglichst schnell und
zügig und möglichst effizient arbeiten, wird sich das auch nicht ändern,
dann ist es einigermaßen schwierig, mit der Sorgearbeit, die ja primär in
Familien stattfindet aber auch in Care-Berufen stattfindet, als
Krankenschwestern, Pflegern und bei Lehrinnen und Lehrern, Ärzten
und Ärztinnen. Das lässt sich eben nicht schneller höher größer
realisieren, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt.
Sprecherin:
Wehe den Menschen, die arm sind und pflegebedürftig werden. Selbst schuld, ist
dann ein häufiger Kommentar der Leistungswilligen und Durchsetzungsfähigen.
Falsch. Schuld sind vielmehr die strukturellen Zwänge, die wir ertragen und nicht
angreifen, kritisiert Gabriele Winker:
O-Ton Gabriele Winker:
Und das Strukturelle ist nun mal, da redet die Arbeitssoziologie seit
Jahren
davon,
dass
sich
die
Erwerbsarbeit
wandelt,
Arbeitszeitflexibilität, Arbeitszeiterweiterung, der Stressreport von 2012
sagt: 46 Prozent aller Vollzeittätigen arbeiten mehr als 40 Stunden, 16
Prozent mehr als 48 Stunden, und da sind all die Überstunden nicht
drin. Flexibilisierung heißt: in den Abend hinein, in den Urlaub hinein, 50
Prozent sind selbst im Urlaub per Telefon von ihrem Arbeitgeber oder
Unternehmer ansprechbar. Über 4o Prozent sagen, der Stress nimmt
permanent zu, 20 Prozent sagen, sie sind überfordert. Wir leben in
einer Wirtschaft, die nun mal gewinnorientiert ist, und solange ich das
akzeptiere, wird es so weiter gehen.
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25.02.2016
Sprecherin:
Alle sollen zu jeder Zeit funktionieren. In der Ausbildung, im Studium, in der Schule
und bereits im Kindergarten. Wer dieses Hochleistungs-Programm nicht mitmachen
will oder kann, verliert den Anschluss.
O-Ton Kind1:
Ich kann nicht mehr.
O-Ton Kind 2:
Ich kann nicht mehr aufpassen.
O-Ton Kind 1:
Ich kann das nicht lernen.
O-Ton Kind 2:
Ich kann nicht schlafen.
O-Ton Kind 1:
Ich hab keinen Hunger.
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Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie
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25.02.2016
O-Ton Kind 2:
Manchmal denke ich, wozu lebe ich noch?
O-Ton Kind 1:
Ich krieg das einfach nicht hin.
Sprecherin:
So schildern verzweifelte Kinder ihre tiefen Nöte, sagt Michael Schulte-Markwort,
ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum
Hamburg –Eppendorf. In seinem Buch „Burnout Kids“ berichtet er, dass er seit fünf
Jahren einen immensen Anstieg der Zahlen von extrem erschöpften kindlichen
Patienten erlebt. Für Michael Schulte-Markwort ist der Leistungsgedanke in unserer
Gesellschaft schon so tief verankert, dass ihn die Kinder bereits mit der Muttermilch
aufnehmen. Darum ist es ihm so wichtig, eine Diskussion darüber anzuregen, ob wir
diese Entwicklung tatsächlich so weiterführen möchten.
Sprecher:
Care Revolution, das bedeutet für die Hamburger Arbeitswissenschaftlerin Gabriele
Winker auch einen Wandel von einer kranken hin zu einer gesunden Gesellschaft. Im
Zentrum stehen die Bedürfnisse des Menschen: Wohnen gehört dazu, gute
Ernährung, Mobilität. Zeit und Muße. Mit Kindern spielen, im See baden, auf einen
Berg klettern, mit Freunden sprechen. Jeder Mensch braucht ein Dach über dem
Kopf und über seiner Seele. Und finanzierbar wäre nach ihrer Rechnung diese neue
Gesellschaft ebenfalls:
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O-Ton Gabriele Winker:
Der erste Schritt ist, wenn ich die Menschenwürde und den Menschen
an sich überhaupt nur ernst nehme, er braucht eine Existenzsicherheit.
Und da ist halt die Idee das bedingungslose Grundeinkommen. Und
das andere ist natürlich schon, dass wir gemeinschaftlich organisiert so
etwas wie eine soziale Infrastruktur benötigen, wir brauchen Schulen,
wir brauchen Kitas, und die können ganz anders aussehen als heute.
Wir brauchen ein funktionierendes Gesundheitssystem, dazu gehören
natürlich auch hochqualifizierte Care-Beschäftigte in allen Bereichen.
Dann ist es sicherlich notwendig, dass wir die Lohnarbeit, die
Erwerbsarbeit zurückfahren, denn ich kann nicht davon träumen, wie
schön es doch wäre, uns umeinander zu kümmern, eine soziale
Infrastruktur aufzubauen, wenn wir weiter in der Erwerbsarbeit 40, 45,
48 Wochenstunden sind. Arbeit kann auch sehr, sehr viel Spaß
machen, aber ich brauche auch die nicht ziel – und zweckbezogenen
Tätigkeiten. Und da ist eben ein sehr alter Begriff der Muße, der in der
Care-Bewegung neue Tradition gewinnt.
Zitator:
„Deutschland befindet sich in einer Krise der Sorgearbeit und gleichzeitig in einer
weltweiten ökologischen Krise. Beide Krisen hängen zusammen. Die Versorgung von
Menschen in bezahlter und unbezahlter Form ist nicht mehr ausreichend in
menschenwürdiger Weise gewährleistet. Unmenschliche Zeittaktung in der Pflege
und fehlende Zeit für Kinder und Alte sind Realität. Wir setzen uns kritisch mit dem
vorherrschenden Menschen – und Weltbild auseinander, das den Menschen
autonom als Beherrscher der Natur, als fortschrittsgläubigen, rational handelnden
Egoisten definiert. Das Paradigma, dass das nutzenorientierte Streben nach
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25.02.2016
eigenem Wohlstand im gegenseitigen Wettbewerb dem Gemeinwohl dient, erweist
sich als Sackgasse.“
Sprecherin:
Das schrieb die Frauensynode der Nordkirche in einer einstimmig beschlossenen
Resolution am 15. Februar 2015. Die Zeit drängt, sagt Margit Baumgarten, Pastorin
der Fachstelle Familien in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland.
So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen mehr Mitgefühl, mehr Nächstenliebe.
Wir brauchen eine Umkehr:
O-Ton Margit Baumgarten:
Das christliche Familienbild zeichnet sich dadurch aus, dass wir
hineingeboren werden in Beziehungen, dass wir nicht autonom leben,
und wir halten diesen Weg unserer Gesellschaft für einen Irrweg, der
von Autonomie des einzelnen spricht, weil wir sagen, letztlich gibt es
keine Autonomie, sondern wir sind immer angewiesen aufeinander und
in Beziehung und das ist gut so, so sind wir Menschen gemacht. So
leben wir. Und wenn wir so leben können, dann ist es ein gutes Leben.
Wir müssen umdenken, wir können so nicht weiterdenken, das ist
falsch wir entwickeln uns in eine Richtung die für uns schädlich ist.
Sprecher:
Eine neue Gesellschaft soll entstehen. So wünschen es sich auch die Verfasserinnen
der Resolution zur Sorgearbeit. Eine Gesellschaft, die bereit ist, Sorge für den
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anderen zu tragen, damit menschliches Leben ein gelingendes, mitfühlendes Leben
wird. Gegenseitige Verantwortung übernehmen, füreinander da sein, Erbarmen für
eine erbarmungslose Gesellschaft, in der schon die Kinder auf Leistung und
Perfektion getrimmt werden.
O-Ton Margit Baumgarten:
Es ist eine andere Haltung und es ist mit Sicherheit viel in
Anführungszeichen Ehrenamtliches dabei, eine Selbstverständlichkeit,
einen anderen Blick aufeinander zu gewinnen und nicht immer erst
nach dem Nutzen zu fragen, sondern nach dem Bedarf und nach den
Wünschen, die Menschen haben. Aber ich glaube auch, dass es eine
gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, sich darum zu kümmern,
dass eine solche Gesellschaft sich entwickeln kann und das heißt auch,
dass
die
Grundbedürfnisse,
ein
ökonomisches
Auskommen
in
irgendeiner Weise gesichert sein muss von Menschen, die sagen: okay
ich widme meine Zeit dem Wohlergehen von anderen, in Pflege,
Fürsorge. Wünschenswert wäre, dass Menschen sich aussuchen
können, wie sie ihr Leben leben möchten, aber es sollte gewährleistet
sein in unserer Gesellschaft, dass ein Auskommen da ist, egal, wie man
sich entscheidet. Aber die Widerstände sind auch groß und man kann
alles abbügeln mit der Frage, wer soll denn das wie bezahlen?
Sprecherin:
Die Frauen der Nordkirche und mittlerweile auch zahlreiche andere Institutionen in
der Evangelischen Kirche in Deutschland stehen hinter dieser Idee einer CareGesellschaft. Und wenn sie von Familie sprechen, dann meinen die evangelischen
Frauen die gesamte Menschenfamilie. Es geht dann nicht mehr nur um Vater,
Mutter, Kind. Familie ist dort, wo Menschen verlässlich Verantwortung füreinander
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übernehmen, füreinander einstehen. Ob das Eltern, Kinder, Freunde, Großeltern
oder Nachbarn sind.
O-Ton Margit Baumgarten:
Das wäre ein sehr sicheres Netz, und das brauchen wir. Zu allen Zeiten
waren Menschen angewiesen auf soziale Netze, das war früher die
Großfamilie, das haben wir alles nicht mehr. In so einer CareGesellschaft wären wirklich Nachbarschaftsnetze wieder da, man könnt
füreinander einspringen, man könnte füreinander Verantwortung
übernehmen. Es gibt immer Menschen, die Zuhause sind, die
einspringen können, wenn andere erwerbstätig sein müssen, für kranke
Kinder da sein könnten, oder für alte Eltern. Es stärkt einfach das
Selbstwertgefühl, wenn ich spüre, ich werde gebraucht und Menschen
warten auf mich.
Sprecher:
Die Familie ist ein zentraler Ort, wo Menschen Solidarität und Mitgefühl lernen und
leben. Zur Liebe gehört Beziehungspflege, die Bereitschaft, sich auf den anderen
einzustellen. Und dazu braucht es unverplante Zeit. Aber diese Zeit ist den
Menschen verlorengegangen, sagt Margit Baumgarten.
O-Ton Margit Baumgarten:
Die Kinder müssen morgens raus, zur Schule oder zum Kindergarten,
zur Krippe. Die Eltern gehen in den Arbeitsprozess. Die Kinder werden
abgeholt. Es muss eingekauft werden. Die Kinder müssen hierhin und
dahin, zum Sport oder was dann auch immer anliegt. Wenn sie sich mal
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so einen Stundenplan von Familien angucken, der ist von morgens bis
abends wirklich durchgetaktet, und da sind vielleicht mal MahlzeitenInseln, aber wenn man zusammensitzt und eine halbe Stunde für eine
Mahlzeit hat, dann reicht das auch nicht, um irgendwie so die innere
Ruhe zu finden, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen, um sich
gegenseitig mitzuteilen, wie fühle ich mich eigentlich, wie geht es mir.
Dazu braucht es Zeit. Das kann man nicht mal in zehn Minuten schnell
mal nebenbei entwickeln.
Sprecherin:
Vor allem Eltern hoffen in einer Care-Gesellschaft auf ein glücklicheres
Zusammenleben. Denn täglich erfahren sie, dass es ihnen unmöglich ist, allen
Anforderungen gerecht zu werden: den Kindern gute Eltern zu sein, im Beruf zu
funktionieren, den Partnern mit Kraft und Liebe zur Seite zu stehen:
O-Ton Margit Baumgarten:
Ich glaube, dass Eltern sich da sehr unter Druck setzen, bis sie selber
völlig fertig sind. Man liest es ja auch in den Studien, die es gibt: wenn
Eltern selber entscheiden könnten, dann würden die Väter weniger
arbeiten und die Mütter, sofern sie in Teilzeit arbeiten, mehr. Das
pendelt sich so bei 30 Stunden ein, wo Eltern sagen, das wäre für uns
eine vernünftige Weise, erwerbstätig zu sein, so dass auch noch genug
Möglichkeit der Zeit zum Beziehungsaufbau und der Beziehungspflege
mit den Kindern da ist. Viele Männer würden gerne weniger arbeiten,
wenn sie nicht so rasante Einbußen dann hätten an Gehalt oder an
Absicherung. Ich glaube, es ist immer noch so, dass im Grunde von der
Wirtschaft
die
Forderung
ausgeht,
die
Arbeitnehmerinnen
und
Arbeitnehmer stellen sich uns ganz zur Verfügung und zwar flexibel den
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Bedürfnissen der Ökonomie gehorchend. Und ich erwarte eigentlich,
dass unsere Gesellschaft irgendwann einmal in die Lage versetzt ist zu
sagen, der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht die Ökonomie.
Sprecher:
Es ist eine Revolution: David gegen Goliath, sagt Margit Baumgarten. Und der Weg
wird lang sein. Aber die Umkehr hat begonnen. Zahlreiche Menschen versuchen
bereits
an
zahlreichen
Orten
in
der
Bundesrepublik
neue
Wege
des
Zusammenlebens zu praktizieren. Die gesellschaftlichen Entscheidungen sollen
dabei nicht mehr an Macht, Konkurrenz und Gewinnmaximierung orientiert sein. Ihre
Projekte sollen realistische Alternativen sein, wie die Gesellschaft mit neuem Leben
erfüllt werden kann, mit einem solidarischen und politischen Handeln in der Familie
und am Wohnort und vernetzt mit anderen in der Region und auf der ganzen Erde.
Sprecherin:
Daniel und Hilmar arbeiten im Hamburger Umsonstladen mit. Der Arbeitskreis Lokale
Ökonomie erprobt hier eine neue Kultur des Arbeitens und Wirtschaftens nach dem
Grundprinzip füreinander zu sorgen.
Zitator:
Wer sich in den Sätzen „Das ist zu schade zum Wegwerfen“ und „Ist das noch für
einen anderen Menschen nützlich?“ wiederfindet, ist bei uns richtig. Was wir tun und
anstreben ist kein Tausch. Wir wollen miteinander teilen. Und wir wollen zu etwas
Ganzem beitragen. Wir helfen uns gegenseitig ohne direkte Gegenleistung.
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25.02.2016
Sprecher:
Im Umsonstladen funktioniert das so: wer nützliche Dinge übrig hat, kann sie
vorbeibringen, wer etwas braucht, kann es abholen. Etwa 400 Menschen besuchen
jede Woche den Umsonstladen, um zu geben und zu nehmen. Das knüpfe an den
Care-Gedanken an, sagt Daniel, ein Mitglied des Arbeitskreises: gegenseitige Hilfe
auf Augenhöhe:
O-Ton Daniel:
Unabhängig davon, dass wir als Projektgemeinschaft uns gegenseitig
helfen wollen, geht es für mich zumindest auch darum, hier im Laden
die wirklich ganz schlimmen Auswüchse des Kapitalismus aufzuzeigen.
Nämlich eine Wegwerfgesellschaft, die nicht nachhaltig produziert,
sondern die Überfluss produziert bei ganz vielen, die zu viel haben im
Grunde, die keine Zeit mehr haben, sich mit den Dingen zu
beschäftigen, sondern die nur noch versuchen, viel Geld zu verdienen
um sich möglichst viele Dinge anzuhäufen. Dem möchte also auch
persönlich hier so eine Art Spiegel vorhalten und sagen: guckt mal, wir
haben so viel, es ist alles umsonst, wenn wir das wollen.
Sprecherin:
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Eine Care-Gesellschaft kritisiert die marktbezogene Erwerbsarbeit. Sie denkt nicht
zuerst an den Geldverkehr und die Gesundheit der Banken. Die warenproduzierende
Arbeit als Lohnarbeit nennt sie „alte Arbeit“.
Zitator:
Wir wollen nicht mehr unsere ganze Arbeitskraft, all unsere Fähigkeiten, auf den
Markt tragen. Wir finden es problematisch, dass die menschliche Arbeitskraft, auch
zunehmend andere gesellschaftliche Beziehungen, von der allgemeinen Käuflichkeit
beeinflusst ist.
Sprecherin:
Das
schreibt
der
Hamburger
Arbeitskreis
Lokale
Ökonomie
in
seinem
Grundlagenpapier und erläutert darin auch den Begriff von der sogenannten „neuen
Arbeit“, die nicht für den Markt, nicht für irgendjemand geleistet wird, sondern
füreinander, so dass sich die Menschen eines Tages unabhängig gegenseitig
versorgen können, sagt Hilmar, ein pensionierter Lehrer.
O-Ton Hilmar:
Und wir setzen dagegen eben eine selbstbestimmte, selbstorgansierte
Art von Arbeit, wo wir das Pensum und wie wir das aufteilen eben
verabreden und wo jeder regulieren kann: welche Tätigkeiten liegen
mir, welche mach ich gerne, in welche möchte ich neu hineinwachsen,
und verabreden auch, dass, wenn es jemandem in den Bereichen
unsere Projektgemeinschaft zu langweilig wird, dass man in Kontakt mit
den anderen die Bereiche wechselt und vielleicht dann da mehr Spaß
hat oder mehr von seinen Neigungen unterkriegt oder etwas Neues
lernt.
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Sprecherin:
Und da bietet die Projektgemeinschaft bereits eine Menge Möglichkeiten an.
Sprecher:
Einen Garten, eine Stadtteilreparaturwerkstatt, ein Kleinmöbellager, Umsonstläden
und Umsonstkioske, eine Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt, eine Kreativwerkstatt, einen
Frauentreff, eine Musikschule und Kunstausstellungen
Sprecherin:
Und schließlich die Freie „Uni“ Hamburg, ein Bildungsprojekt, bei dem sich
Menschen in selbstbestimmten Lerngruppen zu allen möglichen Themen gegenseitig
Wissen und Fähigkeiten weitergeben – ohne dass Geld fließt.
O-Ton Hilmar:
Wir helfen uns auch mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten und
Fertigkeiten.
Eine
ganze
Reihe
haben
verschiedene
Computerkenntnisse, die sie zum Beispiel einbringen können. Ein
neuer und wachsender Bereich ist bei uns eben die Reparatur, sowohl
im Kleinmöbelbereich als auch Elektro – Fahrradbereich praktizieren
wird das schon und unsere Idee ist auch, in den neuen Räumlichkeiten
in
der
ehemaligen
Viktoriakaserne
dann
so
etwas
wie
eine
Multifunktionswerkstatt zu entwickeln mit Anwohnern. Eine Werkstatt,
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Lebenszeichen
Von Doris Weber
25.02.2016
wo Menschen unter kundiger Anleitung anfangen können, einfache
Reparaturen selbst vorzunehmen.
Sprecher:
Die Care-Revolution ist keine Utopie. Sie hat begonnen, ganz praktisch. Inzwischen
kann man in Deutschland schon von einem dichten Netzwerk innerhalb der CareBewegung sprechen, der Menschen jeden Alters und Geschlechts angehören. Der
Aufbruch ist nicht zu übersehen.
Sprecherin:
Hamburg ist nur ein Beispiel von vielen. Dort arbeitet der Arbeitskreis Lokale
Ökonomie mit dem Kultur- und Energiebunker in Hamburg Altona zusammen, die
Tomatenretter sind dabei, die in ihren Gartenprojekten über 100 alte Sorten Tomaten
anbauen und zur Zeit ein Saatgutarchiv anlegen, um der Dominanz der großen
Saatgutkonzerne
entgegenzuwirken.
Daniel
sammelt
Kochutensilien
für
die
Volksküche im Kollektiven Zentrum in Hamburg und die Foodsharer, die
Nahrungsmittelteiler, die nicht wollen, dass Lebensmittel einfach tonnenweise
verderben und weggeworfen werden, sind in der Hansestadt in wenigen Wochen von
900 auf 1000 angewachsen.
O-Ton Hilmar:
Es
wächst
einfach
das
Bedürfnis,
im
Nahbereich
Stück
für
Stück
die
Lebensverhältnisse mehr selbst zu gestalten satt sich bedienen zu lassen. Ne
kaputte Uhr selbst zu reparieren. Ich beobachte, wie Einzelne, die da unter Anleitung
von Felix und Arne reparieren, wie die unbändige Freude entwickeln, wenn sie zum
ersten Mal in ihrem Leben in ein, zwei, drei Stunden Anstrengung mit wachsender
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
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Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie
Lebenszeichen
Von Doris Weber
25.02.2016
Begeisterung und schließlich mit Erfolg etwas, was sie sonst hätten wegschmeißen
müssen,
selbst
repariert
haben.
Ich
wollte
damit
sagen,
dass
so
ein
selbstorgansierter Lebensstil viel Freude freisetzt.
Sprecherin:
Mehr Lebenssinn, mehr Lebensfreude, mehr Lebenslust: Das empfindet Daniel,
wenn er den Menschen im Umsonstladen begegnet. Er weiß heute viel mehr als
früher, wofür es sich lohnt zu arbeiten – und zu leben. Für ihn hat sich die Welt
verändert. Die Care-Haltung bringt eine neue Temperatur in die Gesellschaft. Wärme
und
Barmherzigkeit. Eine barmherzige Gesellschaft, die sich kümmert, lässt
niemanden zurück, sagt Daniel.
O-Ton Daniel:
Ja ich finde absolut. Sowas wie Mitmenschlichkeit, dass man Mitgefühl hat und
versucht, mit anderen Menschen etwas Gutes zu tun, etwas zu bewegen, ich finde
dies hat sehr, sehr starke Auswirkungen auf die Verhaltensweisen von Leuten, die
aktiv hier bei uns sind. Man merkt, dass die immer mehr hineinkommen in einen
kooperativen Stil, in einen Stil, wo geteilt wird, wo geredet wird, wo Kompromisse
geschlossen werden. Ja, ich glaube auch, dass wir das nach außen ausstrahlen
können und wenn unsere Prinzipien immer stärker werden, sich immer weiter
verbreiten, ist das eine Art Revolution von unten, die in der Gesellschaft stattfinden
könnte.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
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