Die Care-Revolution Eine barmherzige Gesellschaft Utopie Lebenszeichen ist keine Von Doris Weber 25.02.2015 O-Ton Gabriele Winker: Wir nennen es Care-Revolution. Es ist ein Perspektivwechsel, unser Handeln wird dann nicht mehr bestimmt von dem Ziel der Profitmaximierung sondern von dem Ziel, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. O-Ton Margit Baumgarten: In so einer Care-Gesellschaft wären wirklich Nachbarschaftsnetze wieder da, man könnt füreinander einspringen, man könnte füreinander Verantwortung übernehmen. Es stärkt einfach das Selbstwertgefühl, wenn ich spüre, ich werde gebraucht und Menschen warten auf mich O-Ton Geiko-Müller-Fahrenholz: Man kann schon sagen, dass wir in einer unbarmherzigen, völlig gnadenlosen Gesellschaft leben. Ich denke an vielen Ecken und Enden wird deutlich, dass wir uns mit diesem Modell totmachen. Sprecher: Wie wird die Welt aussehen, wenn dieses tödliche Modell so fortgeführt wird? Und muss sich die Menschengemeinschaft nicht grundlegend verändern, fragt der © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Theologe Geiko – Müller Fahrenholz in seinem Buch: “Heimat Erde. Christliche Spiritualität unter endzeitlichen Bedingungen“. Sprecherin: Geiko Müller-Fahrenholz war Direktor der Nordelbischen Evangelischen Akademie, Professor für Ökumenische Theologie und Ökologische Ethik in Costa Rica und Mitarbeiter im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz: Es ist schon so, dass offensichtlich in unserer Gesellschaft Geldverdienen unheimlich wichtig ist, und zwar viel Geld zu verdienen. Dass die großen Kartelle das Modell vorgeben, nachdem jeder einzelne sich verhalten soll. Und dass deshalb diejenigen, die im Schatten der Gesellschaft sind, weil sie alt geworden sind, krank geworden sind, unproduktiv geworden sind, Kinder sind, für dies Art von Perspektive uninteressant werden, und deshalb werden auch uninteressant die Menschen, die mit ihren Berufen für diese Menschen eintreten.Sie versorgen die Menschen, denen wir in unserer Hamsterradgesellschaft nicht mehr die nötige Pflege zukommen lassen können und sollen das zu einem Lohn machen, der ihre Arbeit im Grunde schon von vornherein entwertet, und da muss sich entscheidend etwas ändern. Sprecherin: Die gute Nachricht: Es ändert sich etwas in unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen sagen: © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 2 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecher: Stopp. So kann es nicht mehr weitergehen. Da läuft etwas schief. Ich will nicht mehr. Ich will anders leben. Sprecherin: Menschlicher. Freundlicher. Lustvoller. Solidarischer. Gesünder. Sprecher: Die Suchenden werden immer zahlreicher. Viele von ihnen verstehen sich als Teil einer sogenannten Care-Bewegung, die unsere Gesellschaft verändern will. Care heißt Sorge tragen – für sich selbst und andere. O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz: Es gibt ein schönes englisches Wort, was dem sehr nahe kommt: Compassion. Compassion heißt eben wirklich das, was die anderen Menschen aber auch die Natur mit uns und um uns zum Leiden bringt, als unser eigenes Leid zu verstehen und entsprechend zu behandeln. Das Leid der anderen ist nicht gleichgültig, wenn es um das eigene Wohlbefinden geht. Wenn man jetzt die Idee stark machen will, dass wir ja nur miteinander leben, wenn wir aufeinander Acht geben, dann ist das mit dem Stichwort der wechselseitigen Fürsorge schon absolut konkret politisch. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 3 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecherin: Respekt, Menschenwürde, Nächstenliebe - das alles verbindet sich mit dem Begriff Care. Wenn es gelänge, diese Werte wirklich auch politisch wirksam werden zu lassen, könnte die Care-Bewegung ein Schritt zu einer neuen Gesellschaft sein. Sprecher: Eine Care-Gesellschaft lebt von der Hoffnung auf eine solidarische Gemeinschaft, in der alle Menschen mit ihren unterschiedlichsten Talenten und Begabungen Raum und Wertschätzung finden. Frauen, Männer und Kinder. Sie lebt auch von der Gewissheit, dass eine Gesellschaft keine Zukunft hat, in der die Reichen immer reicher werden und die Armen, Kranken und Pflegebedürftigen aussortiert werden – und mit ihnen all jene, die ihnen Tag und Nacht pflegend, erziehend, helfend und heilend zur Seite stehen. Sprecherin: Als Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ eröffnete, sprach er von einer Zeit, in der sich sowohl die Gläubigen als auch die ganze Kirche die Haltung des barmherzigen Samariters zu Eigen machen sollten, der dem half, der unter die Räuber gefallen war. Einer Gnadenzeit und einer Gelegenheit, das Leben zu ändern. Papst Franziskus wünschte sich für diese Botschaft eine Strahlkraft weit über die zwölf Monate hinaus: Zitator: Alle Menschen und auch die Kirchen sollten die Zeit nutzen, um die Barmherzigkeit Gottes zum eigenen Lebensstil werden zu lassen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 4 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecher: Barmherzigkeit als Leitmotiv einer solidarischen Gesellschaft. Der evangelische Theologe Müller-Fahrenholz findet, dass das Anliegen des Papstes übereinstimmt mit der ethischen Ausrichtung einer Care-Gesellschaft: O-Ton Geiko Müller-Fahrenholz: Ich glaube, ihm liegt sehr daran, zuerst einmal deutlich zu machen, dass aus der christlichen Perspektive Barmherzigkeit die Basis für alles andere ist. Für ihn ist Barmherzigkeit erst einmal eine Beschreibung des Wesens Gottes, er fängt nicht bei der menschlichen Barmherzigkeit an, sondern er sagt: wir haben zuerst einmal von der Barmherzigkeit Gottes zu reden und die ist der Grund von allem, was wir tun und denken, sie ist gleichsam die inhaltliche Beschreibung dessen, was wir Gottes Allmacht nennen und deshalb ist sie der Grund auf dem wir stehen, ist sie die Luft, die wir atmen, also das ist für den Papst Barmherzigkeit. O-Ton Gabriele Winker: Wir sind doch aufeinander angewiesen und somit sind wir auch alle Sorgearbeitende, wir kümmern uns um uns, wir kümmern uns um unsere Bildung, um die Gesundheit, um unser Wohlergehen, die Selbstorganisation des Alltags, ums Kochen für uns aber auch für © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 5 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 andere und die Erziehung von Kindern. Wir betreuen, beraten Freunde, Freudinnen, wir unterstützen pflegebedürftige Angehörige. Also das ist der Kern und natürlich brauchen doch auch wir Unterstützung und Sorge vom Augenblick der Geburt an und auch jenseits von Kindheit und Jugend und in Zeiten der Gebrechlichkeit oder Krankheit ist es doch notwendig, dass wir Unterstützung erlangen. Sprecherin: Die Sorge für sich selbst ist gut für das eigene Wohlergehen, aber auch die Sorge für andere, sagt Gabriele Winker, Professorin für Arbeitswissenschaft und Geschlechterforschung an der Technischen Universität in Hamburg-Harburg. In ihrem Buch Care-Revolution - Schritte in eine solidarische Gesellschaft, schreibt sie, „Jeder Mensch hat das Recht auf ein erfülltes Leben, ein gutes Leben.“ Sprecher: Aber kann eine Gesellschaft überhaupt dieses Recht versprechen, ohne sich grundlegend zu ändern? O-Ton Gabriele Winker: Nein, die Freiräume haben wir nicht. Es fehlt die Zeit und manchmal sogar auch die finanziellen Mittel und für manchen Menschen gleich beides. Es fehlt die Zeit überhaupt, bis hin dazu wahrzunehmen, was wir benötigen, und der Hintergrund ist, weil andere Werte absolut zentral im Vordergrund stehen, und solang wir der Meinung sind, das ist eigentlich der Kern des kapitalistischen Wirtschaftens, dass es darum © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 6 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 geht, Gewinn und Profite zu erzielen, indem wir möglichst schnell und zügig und möglichst effizient arbeiten, wird sich das auch nicht ändern, dann ist es einigermaßen schwierig, mit der Sorgearbeit, die ja primär in Familien stattfindet aber auch in Care-Berufen stattfindet, als Krankenschwestern, Pflegern und bei Lehrinnen und Lehrern, Ärzten und Ärztinnen. Das lässt sich eben nicht schneller höher größer realisieren, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt. Sprecherin: Wehe den Menschen, die arm sind und pflegebedürftig werden. Selbst schuld, ist dann ein häufiger Kommentar der Leistungswilligen und Durchsetzungsfähigen. Falsch. Schuld sind vielmehr die strukturellen Zwänge, die wir ertragen und nicht angreifen, kritisiert Gabriele Winker: O-Ton Gabriele Winker: Und das Strukturelle ist nun mal, da redet die Arbeitssoziologie seit Jahren davon, dass sich die Erwerbsarbeit wandelt, Arbeitszeitflexibilität, Arbeitszeiterweiterung, der Stressreport von 2012 sagt: 46 Prozent aller Vollzeittätigen arbeiten mehr als 40 Stunden, 16 Prozent mehr als 48 Stunden, und da sind all die Überstunden nicht drin. Flexibilisierung heißt: in den Abend hinein, in den Urlaub hinein, 50 Prozent sind selbst im Urlaub per Telefon von ihrem Arbeitgeber oder Unternehmer ansprechbar. Über 4o Prozent sagen, der Stress nimmt permanent zu, 20 Prozent sagen, sie sind überfordert. Wir leben in einer Wirtschaft, die nun mal gewinnorientiert ist, und solange ich das akzeptiere, wird es so weiter gehen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 7 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecherin: Alle sollen zu jeder Zeit funktionieren. In der Ausbildung, im Studium, in der Schule und bereits im Kindergarten. Wer dieses Hochleistungs-Programm nicht mitmachen will oder kann, verliert den Anschluss. O-Ton Kind1: Ich kann nicht mehr. O-Ton Kind 2: Ich kann nicht mehr aufpassen. O-Ton Kind 1: Ich kann das nicht lernen. O-Ton Kind 2: Ich kann nicht schlafen. O-Ton Kind 1: Ich hab keinen Hunger. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 8 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 O-Ton Kind 2: Manchmal denke ich, wozu lebe ich noch? O-Ton Kind 1: Ich krieg das einfach nicht hin. Sprecherin: So schildern verzweifelte Kinder ihre tiefen Nöte, sagt Michael Schulte-Markwort, ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Hamburg –Eppendorf. In seinem Buch „Burnout Kids“ berichtet er, dass er seit fünf Jahren einen immensen Anstieg der Zahlen von extrem erschöpften kindlichen Patienten erlebt. Für Michael Schulte-Markwort ist der Leistungsgedanke in unserer Gesellschaft schon so tief verankert, dass ihn die Kinder bereits mit der Muttermilch aufnehmen. Darum ist es ihm so wichtig, eine Diskussion darüber anzuregen, ob wir diese Entwicklung tatsächlich so weiterführen möchten. Sprecher: Care Revolution, das bedeutet für die Hamburger Arbeitswissenschaftlerin Gabriele Winker auch einen Wandel von einer kranken hin zu einer gesunden Gesellschaft. Im Zentrum stehen die Bedürfnisse des Menschen: Wohnen gehört dazu, gute Ernährung, Mobilität. Zeit und Muße. Mit Kindern spielen, im See baden, auf einen Berg klettern, mit Freunden sprechen. Jeder Mensch braucht ein Dach über dem Kopf und über seiner Seele. Und finanzierbar wäre nach ihrer Rechnung diese neue Gesellschaft ebenfalls: © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 9 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 O-Ton Gabriele Winker: Der erste Schritt ist, wenn ich die Menschenwürde und den Menschen an sich überhaupt nur ernst nehme, er braucht eine Existenzsicherheit. Und da ist halt die Idee das bedingungslose Grundeinkommen. Und das andere ist natürlich schon, dass wir gemeinschaftlich organisiert so etwas wie eine soziale Infrastruktur benötigen, wir brauchen Schulen, wir brauchen Kitas, und die können ganz anders aussehen als heute. Wir brauchen ein funktionierendes Gesundheitssystem, dazu gehören natürlich auch hochqualifizierte Care-Beschäftigte in allen Bereichen. Dann ist es sicherlich notwendig, dass wir die Lohnarbeit, die Erwerbsarbeit zurückfahren, denn ich kann nicht davon träumen, wie schön es doch wäre, uns umeinander zu kümmern, eine soziale Infrastruktur aufzubauen, wenn wir weiter in der Erwerbsarbeit 40, 45, 48 Wochenstunden sind. Arbeit kann auch sehr, sehr viel Spaß machen, aber ich brauche auch die nicht ziel – und zweckbezogenen Tätigkeiten. Und da ist eben ein sehr alter Begriff der Muße, der in der Care-Bewegung neue Tradition gewinnt. Zitator: „Deutschland befindet sich in einer Krise der Sorgearbeit und gleichzeitig in einer weltweiten ökologischen Krise. Beide Krisen hängen zusammen. Die Versorgung von Menschen in bezahlter und unbezahlter Form ist nicht mehr ausreichend in menschenwürdiger Weise gewährleistet. Unmenschliche Zeittaktung in der Pflege und fehlende Zeit für Kinder und Alte sind Realität. Wir setzen uns kritisch mit dem vorherrschenden Menschen – und Weltbild auseinander, das den Menschen autonom als Beherrscher der Natur, als fortschrittsgläubigen, rational handelnden Egoisten definiert. Das Paradigma, dass das nutzenorientierte Streben nach © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 10 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 eigenem Wohlstand im gegenseitigen Wettbewerb dem Gemeinwohl dient, erweist sich als Sackgasse.“ Sprecherin: Das schrieb die Frauensynode der Nordkirche in einer einstimmig beschlossenen Resolution am 15. Februar 2015. Die Zeit drängt, sagt Margit Baumgarten, Pastorin der Fachstelle Familien in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen mehr Mitgefühl, mehr Nächstenliebe. Wir brauchen eine Umkehr: O-Ton Margit Baumgarten: Das christliche Familienbild zeichnet sich dadurch aus, dass wir hineingeboren werden in Beziehungen, dass wir nicht autonom leben, und wir halten diesen Weg unserer Gesellschaft für einen Irrweg, der von Autonomie des einzelnen spricht, weil wir sagen, letztlich gibt es keine Autonomie, sondern wir sind immer angewiesen aufeinander und in Beziehung und das ist gut so, so sind wir Menschen gemacht. So leben wir. Und wenn wir so leben können, dann ist es ein gutes Leben. Wir müssen umdenken, wir können so nicht weiterdenken, das ist falsch wir entwickeln uns in eine Richtung die für uns schädlich ist. Sprecher: Eine neue Gesellschaft soll entstehen. So wünschen es sich auch die Verfasserinnen der Resolution zur Sorgearbeit. Eine Gesellschaft, die bereit ist, Sorge für den © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 11 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 anderen zu tragen, damit menschliches Leben ein gelingendes, mitfühlendes Leben wird. Gegenseitige Verantwortung übernehmen, füreinander da sein, Erbarmen für eine erbarmungslose Gesellschaft, in der schon die Kinder auf Leistung und Perfektion getrimmt werden. O-Ton Margit Baumgarten: Es ist eine andere Haltung und es ist mit Sicherheit viel in Anführungszeichen Ehrenamtliches dabei, eine Selbstverständlichkeit, einen anderen Blick aufeinander zu gewinnen und nicht immer erst nach dem Nutzen zu fragen, sondern nach dem Bedarf und nach den Wünschen, die Menschen haben. Aber ich glaube auch, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, sich darum zu kümmern, dass eine solche Gesellschaft sich entwickeln kann und das heißt auch, dass die Grundbedürfnisse, ein ökonomisches Auskommen in irgendeiner Weise gesichert sein muss von Menschen, die sagen: okay ich widme meine Zeit dem Wohlergehen von anderen, in Pflege, Fürsorge. Wünschenswert wäre, dass Menschen sich aussuchen können, wie sie ihr Leben leben möchten, aber es sollte gewährleistet sein in unserer Gesellschaft, dass ein Auskommen da ist, egal, wie man sich entscheidet. Aber die Widerstände sind auch groß und man kann alles abbügeln mit der Frage, wer soll denn das wie bezahlen? Sprecherin: Die Frauen der Nordkirche und mittlerweile auch zahlreiche andere Institutionen in der Evangelischen Kirche in Deutschland stehen hinter dieser Idee einer CareGesellschaft. Und wenn sie von Familie sprechen, dann meinen die evangelischen Frauen die gesamte Menschenfamilie. Es geht dann nicht mehr nur um Vater, Mutter, Kind. Familie ist dort, wo Menschen verlässlich Verantwortung füreinander © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 12 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 übernehmen, füreinander einstehen. Ob das Eltern, Kinder, Freunde, Großeltern oder Nachbarn sind. O-Ton Margit Baumgarten: Das wäre ein sehr sicheres Netz, und das brauchen wir. Zu allen Zeiten waren Menschen angewiesen auf soziale Netze, das war früher die Großfamilie, das haben wir alles nicht mehr. In so einer CareGesellschaft wären wirklich Nachbarschaftsnetze wieder da, man könnt füreinander einspringen, man könnte füreinander Verantwortung übernehmen. Es gibt immer Menschen, die Zuhause sind, die einspringen können, wenn andere erwerbstätig sein müssen, für kranke Kinder da sein könnten, oder für alte Eltern. Es stärkt einfach das Selbstwertgefühl, wenn ich spüre, ich werde gebraucht und Menschen warten auf mich. Sprecher: Die Familie ist ein zentraler Ort, wo Menschen Solidarität und Mitgefühl lernen und leben. Zur Liebe gehört Beziehungspflege, die Bereitschaft, sich auf den anderen einzustellen. Und dazu braucht es unverplante Zeit. Aber diese Zeit ist den Menschen verlorengegangen, sagt Margit Baumgarten. O-Ton Margit Baumgarten: Die Kinder müssen morgens raus, zur Schule oder zum Kindergarten, zur Krippe. Die Eltern gehen in den Arbeitsprozess. Die Kinder werden abgeholt. Es muss eingekauft werden. Die Kinder müssen hierhin und dahin, zum Sport oder was dann auch immer anliegt. Wenn sie sich mal © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 13 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 so einen Stundenplan von Familien angucken, der ist von morgens bis abends wirklich durchgetaktet, und da sind vielleicht mal MahlzeitenInseln, aber wenn man zusammensitzt und eine halbe Stunde für eine Mahlzeit hat, dann reicht das auch nicht, um irgendwie so die innere Ruhe zu finden, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen, um sich gegenseitig mitzuteilen, wie fühle ich mich eigentlich, wie geht es mir. Dazu braucht es Zeit. Das kann man nicht mal in zehn Minuten schnell mal nebenbei entwickeln. Sprecherin: Vor allem Eltern hoffen in einer Care-Gesellschaft auf ein glücklicheres Zusammenleben. Denn täglich erfahren sie, dass es ihnen unmöglich ist, allen Anforderungen gerecht zu werden: den Kindern gute Eltern zu sein, im Beruf zu funktionieren, den Partnern mit Kraft und Liebe zur Seite zu stehen: O-Ton Margit Baumgarten: Ich glaube, dass Eltern sich da sehr unter Druck setzen, bis sie selber völlig fertig sind. Man liest es ja auch in den Studien, die es gibt: wenn Eltern selber entscheiden könnten, dann würden die Väter weniger arbeiten und die Mütter, sofern sie in Teilzeit arbeiten, mehr. Das pendelt sich so bei 30 Stunden ein, wo Eltern sagen, das wäre für uns eine vernünftige Weise, erwerbstätig zu sein, so dass auch noch genug Möglichkeit der Zeit zum Beziehungsaufbau und der Beziehungspflege mit den Kindern da ist. Viele Männer würden gerne weniger arbeiten, wenn sie nicht so rasante Einbußen dann hätten an Gehalt oder an Absicherung. Ich glaube, es ist immer noch so, dass im Grunde von der Wirtschaft die Forderung ausgeht, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellen sich uns ganz zur Verfügung und zwar flexibel den © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 14 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Bedürfnissen der Ökonomie gehorchend. Und ich erwarte eigentlich, dass unsere Gesellschaft irgendwann einmal in die Lage versetzt ist zu sagen, der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht die Ökonomie. Sprecher: Es ist eine Revolution: David gegen Goliath, sagt Margit Baumgarten. Und der Weg wird lang sein. Aber die Umkehr hat begonnen. Zahlreiche Menschen versuchen bereits an zahlreichen Orten in der Bundesrepublik neue Wege des Zusammenlebens zu praktizieren. Die gesellschaftlichen Entscheidungen sollen dabei nicht mehr an Macht, Konkurrenz und Gewinnmaximierung orientiert sein. Ihre Projekte sollen realistische Alternativen sein, wie die Gesellschaft mit neuem Leben erfüllt werden kann, mit einem solidarischen und politischen Handeln in der Familie und am Wohnort und vernetzt mit anderen in der Region und auf der ganzen Erde. Sprecherin: Daniel und Hilmar arbeiten im Hamburger Umsonstladen mit. Der Arbeitskreis Lokale Ökonomie erprobt hier eine neue Kultur des Arbeitens und Wirtschaftens nach dem Grundprinzip füreinander zu sorgen. Zitator: Wer sich in den Sätzen „Das ist zu schade zum Wegwerfen“ und „Ist das noch für einen anderen Menschen nützlich?“ wiederfindet, ist bei uns richtig. Was wir tun und anstreben ist kein Tausch. Wir wollen miteinander teilen. Und wir wollen zu etwas Ganzem beitragen. Wir helfen uns gegenseitig ohne direkte Gegenleistung. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 15 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecher: Im Umsonstladen funktioniert das so: wer nützliche Dinge übrig hat, kann sie vorbeibringen, wer etwas braucht, kann es abholen. Etwa 400 Menschen besuchen jede Woche den Umsonstladen, um zu geben und zu nehmen. Das knüpfe an den Care-Gedanken an, sagt Daniel, ein Mitglied des Arbeitskreises: gegenseitige Hilfe auf Augenhöhe: O-Ton Daniel: Unabhängig davon, dass wir als Projektgemeinschaft uns gegenseitig helfen wollen, geht es für mich zumindest auch darum, hier im Laden die wirklich ganz schlimmen Auswüchse des Kapitalismus aufzuzeigen. Nämlich eine Wegwerfgesellschaft, die nicht nachhaltig produziert, sondern die Überfluss produziert bei ganz vielen, die zu viel haben im Grunde, die keine Zeit mehr haben, sich mit den Dingen zu beschäftigen, sondern die nur noch versuchen, viel Geld zu verdienen um sich möglichst viele Dinge anzuhäufen. Dem möchte also auch persönlich hier so eine Art Spiegel vorhalten und sagen: guckt mal, wir haben so viel, es ist alles umsonst, wenn wir das wollen. Sprecherin: © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 16 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Eine Care-Gesellschaft kritisiert die marktbezogene Erwerbsarbeit. Sie denkt nicht zuerst an den Geldverkehr und die Gesundheit der Banken. Die warenproduzierende Arbeit als Lohnarbeit nennt sie „alte Arbeit“. Zitator: Wir wollen nicht mehr unsere ganze Arbeitskraft, all unsere Fähigkeiten, auf den Markt tragen. Wir finden es problematisch, dass die menschliche Arbeitskraft, auch zunehmend andere gesellschaftliche Beziehungen, von der allgemeinen Käuflichkeit beeinflusst ist. Sprecherin: Das schreibt der Hamburger Arbeitskreis Lokale Ökonomie in seinem Grundlagenpapier und erläutert darin auch den Begriff von der sogenannten „neuen Arbeit“, die nicht für den Markt, nicht für irgendjemand geleistet wird, sondern füreinander, so dass sich die Menschen eines Tages unabhängig gegenseitig versorgen können, sagt Hilmar, ein pensionierter Lehrer. O-Ton Hilmar: Und wir setzen dagegen eben eine selbstbestimmte, selbstorgansierte Art von Arbeit, wo wir das Pensum und wie wir das aufteilen eben verabreden und wo jeder regulieren kann: welche Tätigkeiten liegen mir, welche mach ich gerne, in welche möchte ich neu hineinwachsen, und verabreden auch, dass, wenn es jemandem in den Bereichen unsere Projektgemeinschaft zu langweilig wird, dass man in Kontakt mit den anderen die Bereiche wechselt und vielleicht dann da mehr Spaß hat oder mehr von seinen Neigungen unterkriegt oder etwas Neues lernt. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 17 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Sprecherin: Und da bietet die Projektgemeinschaft bereits eine Menge Möglichkeiten an. Sprecher: Einen Garten, eine Stadtteilreparaturwerkstatt, ein Kleinmöbellager, Umsonstläden und Umsonstkioske, eine Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt, eine Kreativwerkstatt, einen Frauentreff, eine Musikschule und Kunstausstellungen Sprecherin: Und schließlich die Freie „Uni“ Hamburg, ein Bildungsprojekt, bei dem sich Menschen in selbstbestimmten Lerngruppen zu allen möglichen Themen gegenseitig Wissen und Fähigkeiten weitergeben – ohne dass Geld fließt. O-Ton Hilmar: Wir helfen uns auch mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Eine ganze Reihe haben verschiedene Computerkenntnisse, die sie zum Beispiel einbringen können. Ein neuer und wachsender Bereich ist bei uns eben die Reparatur, sowohl im Kleinmöbelbereich als auch Elektro – Fahrradbereich praktizieren wird das schon und unsere Idee ist auch, in den neuen Räumlichkeiten in der ehemaligen Viktoriakaserne dann so etwas wie eine Multifunktionswerkstatt zu entwickeln mit Anwohnern. Eine Werkstatt, © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 18 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 wo Menschen unter kundiger Anleitung anfangen können, einfache Reparaturen selbst vorzunehmen. Sprecher: Die Care-Revolution ist keine Utopie. Sie hat begonnen, ganz praktisch. Inzwischen kann man in Deutschland schon von einem dichten Netzwerk innerhalb der CareBewegung sprechen, der Menschen jeden Alters und Geschlechts angehören. Der Aufbruch ist nicht zu übersehen. Sprecherin: Hamburg ist nur ein Beispiel von vielen. Dort arbeitet der Arbeitskreis Lokale Ökonomie mit dem Kultur- und Energiebunker in Hamburg Altona zusammen, die Tomatenretter sind dabei, die in ihren Gartenprojekten über 100 alte Sorten Tomaten anbauen und zur Zeit ein Saatgutarchiv anlegen, um der Dominanz der großen Saatgutkonzerne entgegenzuwirken. Daniel sammelt Kochutensilien für die Volksküche im Kollektiven Zentrum in Hamburg und die Foodsharer, die Nahrungsmittelteiler, die nicht wollen, dass Lebensmittel einfach tonnenweise verderben und weggeworfen werden, sind in der Hansestadt in wenigen Wochen von 900 auf 1000 angewachsen. O-Ton Hilmar: Es wächst einfach das Bedürfnis, im Nahbereich Stück für Stück die Lebensverhältnisse mehr selbst zu gestalten satt sich bedienen zu lassen. Ne kaputte Uhr selbst zu reparieren. Ich beobachte, wie Einzelne, die da unter Anleitung von Felix und Arne reparieren, wie die unbändige Freude entwickeln, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben in ein, zwei, drei Stunden Anstrengung mit wachsender © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 19 Die Care-Revolution - Eine barmherzige Gesellschaft ist keine Utopie Lebenszeichen Von Doris Weber 25.02.2016 Begeisterung und schließlich mit Erfolg etwas, was sie sonst hätten wegschmeißen müssen, selbst repariert haben. Ich wollte damit sagen, dass so ein selbstorgansierter Lebensstil viel Freude freisetzt. Sprecherin: Mehr Lebenssinn, mehr Lebensfreude, mehr Lebenslust: Das empfindet Daniel, wenn er den Menschen im Umsonstladen begegnet. Er weiß heute viel mehr als früher, wofür es sich lohnt zu arbeiten – und zu leben. Für ihn hat sich die Welt verändert. Die Care-Haltung bringt eine neue Temperatur in die Gesellschaft. Wärme und Barmherzigkeit. Eine barmherzige Gesellschaft, die sich kümmert, lässt niemanden zurück, sagt Daniel. O-Ton Daniel: Ja ich finde absolut. Sowas wie Mitmenschlichkeit, dass man Mitgefühl hat und versucht, mit anderen Menschen etwas Gutes zu tun, etwas zu bewegen, ich finde dies hat sehr, sehr starke Auswirkungen auf die Verhaltensweisen von Leuten, die aktiv hier bei uns sind. Man merkt, dass die immer mehr hineinkommen in einen kooperativen Stil, in einen Stil, wo geteilt wird, wo geredet wird, wo Kompromisse geschlossen werden. Ja, ich glaube auch, dass wir das nach außen ausstrahlen können und wenn unsere Prinzipien immer stärker werden, sich immer weiter verbreiten, ist das eine Art Revolution von unten, die in der Gesellschaft stattfinden könnte. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2015 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. 20
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