Betrieb und Markt Dr. Kirsten Köppler, Kerstin Hüsgen, Bernhard Bundschuh, Elke Zabaschus, Lucia Schreiner, Kay Prokein, Christian Erbe, Dr. Michael Glas Demonstrationsbetriebe Integrierter Pflanzenschutz im Apfelanbau und Ackerbau Als Beitrag zur Umsetzung der Richtlinie 2009/128/EG über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sollen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) neue integrierte Pflanzenschutzverfahren in die landwirtschaftliche Praxis eingeführt sowie bestehende konsequent angewendet werden. Hierzu finanziert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) das Modellvorhaben „Demonstrationsbetriebe Integrierter Pflanzenschutz“. Darin wurden in verschiedenen Regionen Deutschlands landwirtschaftliche Demonstrationsbetriebe eingerichtet, um Erkenntnisse und Verfahren im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes in der Praxis umzusetzen sowie Berufskollegen und der Öffentlichkeit zu demonstrieren bzw. an konkreten Beispielen und Verfahren zu veranschaulichen. Logo Modelvorhaben Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz Quelle: BLE G rundlage hierfür ist eine besondere Betreuung und Beratung der Betriebsleiter durch extra bei den Pflanzenschutzdiensten der Länder neu eingestellte Kolleginnen und Kollegen. Unterstützt werden die Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter von den zuständigen Pflanzenschutzdiensten vor Ort. Die Beratung geht somit weit über das übliche Maß hinaus. Die Betreuung soll geeignete Pflanzenbau-, Pflanzenschutz- sowie Pflanzenstärkungsmaßnahmen beinhalten, die unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aspekte zu einer weiteren Reduzierung der möglichen Risiken der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln führen. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) ist der Projektträger des Vorhabens, und das Julius-KühnInstitut (JKI), Institut für Strategien und Folgeabschätzung, koordiniert das Modellvorhaben bundesweit und über alle einbezogenen Kulturgruppen, Wein-, Obst- (Apfel), Gemüse- (Feldgemüse) und Ackerbau sowie Hopfen. Die Zentralstelle der Länder für EDV-gestützte Programme im Pflanzenschutz (ZEPP) unterstützt zusätzlich die Pflanzenschutzdienste der Länder in der betriebsspezifischen Anwendung von Prognosemodellen und somit in der Abschätzung der notwendigen Pflanzenschutzmaßnahmen. Die beteiligten Bundesländer sind neben BadenWürttemberg (Obst-, Wein- und Ackerbau) 46 Rheinland-Pfalz (Obst-, Wein- und Gemüsebau), Bayern (Hopfenanbau), Nordrhein-Westfalen (Gemüse- und Ackerbau), Hessen (Weinbau), Niedersachsen (Obst- und Ackerbau), SchleswigHolstein (Gemüse- und Ackerbau), MecklenburgVorpommern (Ackerbau), Sachsen-Anhalt (Ackerbau) sowie Thüringen (Ackerbau). Das Projekt startete im Herbst 2010 mit der ersten Phase in den Produktionsbereichen Obst- und Weinbau sowie Ackerbau. 2014 folgte die zweite Projektphase unter Hinzunahme weiterer Bundesländer und Produktionsbereiche (Feldgemüsebau und Hopfen) sowie Schwerpunktbildung in den Bundesländern Baden-Württemberg mit Obstbau sowie Rheinland-Pfalz (Weinbau). Das Modellvorhaben umfasst nach gegenwärtiger Planung in der Endstufe bis zu 67 Praxisbetriebe, die als Demonstrationsbetriebe arbeiten. Die einzelnen Betriebe können bis zu fünf Jahre an dem Vorhaben teilnehmen um belastbare Daten aus der betrieblichen Praxis zu gewinnen, die im Pflanzenschutz auch jährlich sehr durch Witterung, Populationsschwankungen von Schädlingen und Krankheiten sowie den Vegetationsverlauf beeinflusst werden. Ein eigens dafür eingerichtetes Themenportal, das vom Julius Kühn-Institut betreut wird, informiert detailliert zum „Modellvorhaben Integrierter Pflanzenschutz“ im Internet (http://demo-ips.jki.bund.de). Landinfo 5 | 2014 Betrieb und Markt Demonstrationsbetriebe Integrierter -Ń=JVAJO?DQPVEJ Baden-Württemberg Baden-Württemberg war neben Rheinland-Pfalz eines der ersten Bundesländer, die 2011 mit der Einrichtung von Demonstrationsbetrieben im Obstbau mit Schwerpunkt Apfelanbau sowie im Weinbau begonnen haben. Um den verschiedenen Regionen in Baden-Württemberg Rechnung zu tragen und um die effektive Betreuung vor Ort durch den örtlichen Pflanzenschutzdienst zu gewährleisten, wurden 2 Obstbau- und 2 Weinbaubetriebe in Nordbaden für das Modellvorhaben gewonnen. Ein weiterer Obstbaubetrieb mit Schwerpunkt Apfelanbau kam am Bodensee hinzu. Sowohl für Nordbaden mit 4 Betrieben, als auch für den Bodensee mit zunächst nur einem Betrieb wurden neue Mitarbeiter eingestellt. 2014 erfolgte die Teilnahme von 5 weiteren Obstbaubetrieben, davon 3 in Nordbaden, deren Betreuung eine weitere Mitarbeiterin übernahm sowie 2 am Bodensee, die zusammen mit dem ersten Betrieb von einem Kollegen betreut werden. Fachlich vor Ort unterstützt werden die Betreuer in Nordbaden vom Landratsamt Karlsruhe und dem LTZ Augustenberg und am Bodensee vom Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee in Bavendorf. Ebenfalls 2014 wurden in Baden-Württemberg 3 Ackerbaubetriebe in das Vorhaben einbezogen, die von einem erfahrenen Mitarbeiter des LTZ Augustenberg betreut werden. Die Betriebe liegen im Raum Karlsruhe, im Kraichgau und im Raum Bad Waldsee. ten qualitativ und quantitativ auf repräsentativen Teilflächen der Betriebe erfassen. Die auf dem Feld oder in der Anlage gesammelten Daten werden mit einer speziell von der ZEPP für das Modellvorhaben konzipierten App für das Smartphone per E-Mail auf den PC am Arbeitsplatz übertragen und können dort ausgewertet werden. Die App wird seitens der ZEPP ständig weiterentwickelt und kann auf die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer eingestellt werden. Ein Beispiel für die gezielte Erfassung der Schadorganismen und eine mögliche Reduktion von Pflanzenschutzanwendungen im Apfelanbau ist die Ermittlung der Anzahl von Apfelblütenstechern in einer Anlage durch die Klopfprobe. Der Apfelblütenstecher ist ein Käfer, der seine Eier im Frühjahr in die Apfelblütenknospen legt und dessen Larven in den Knospen eine Weiterentwicklung bis zur Frucht verhindern. Werden nur wenige Käfer gefangen, ist keine Behandlung mit Insektiziden notwendig. Wird ein spezifischer Schwellenwert überschritten („wirtschaftliche Schadschwelle“), wird dem Betriebsleiter die Empfehlung gegeben, den Schädling zu bekämpfen. Die Entscheidung liegt in jedem Falle beim Betriebsleiter. Die über die Klopfprobe und andere Methoden der Befallserhebung gewonnenen Daten dienen zur Beratung und besseren Entscheidungsfindung über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Weitere wichtige Entscheidungshilfen, die über die Projektmitarbeiter den Betriebsleitern betriebsspezifisch zur Verfügung gestellt werden, sind die Vorhersagen aus den Prognosemodellen, Marienkäfer - ein natürlicher Gegenspieler an Blutlauskolonie Bild: L. Schreiner, LTZ Nach bisherigem Stand ist die Projektlaufzeit bis Ende 2016 vorgesehen. Gegebenenfalls kann das Projekt noch um 2 weitere Jahre für die Betriebe verlängert werden, die 2014 begonnen haben. Somit könnte sich die Gesamtlaufzeit des Modellvorhabens von 2010 bis 2018 auf 8 Jahre belaufen, wodurch in den genannten Kulturgruppen sehr wichtige und aussagekräftige Daten zum integrierten, sachgerechten und nachhaltigen Pflanzenschutz aus Praxisbetrieben erarbeitet werden. Die am Projekt teilnehmenden Betriebe sollen eine „Leuchtturmfunktion“ für die Produzenten der Umgebung einnehmen. Gewünscht und gefordert sind die Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteleinsätzen, die Erprobung neuartiger, nichtchemischer Maßnahmen sowie eine verstärkte Nützlingsförderung. Diese Ziele werden dadurch erreicht, dass die Betreuer nach speziellen kulturabhängigen Erfassungs- und Boniturplänen das Aufkommen von Schädlingen und Krankhei- Landinfo 5 | 2014 47 Betrieb und Markt Das Projekt wird weiterhin dafür genutzt, in Abstimmung mit den Betriebsleitern kleine Demonstrationsversuche durchzuführen, bei denen Behandlungsabfolgen, z. B. bei der Grauschimmelbekämpfung im Weinbau, variiert werden und somit die Notwendigkeit der Maßnahmen unter den spezifischen Bedingungen im Betrieb und in dem entsprechenden Jahr demonstriert werden kann. Solche Tastversuche sind neben den o. g. Zielen des Demonstrationsvorhabens die Inhalte von öffentlichen Veranstaltungen zum Projekt. Im Rahmen von Hofseminaren und Hoffesten wird das Fachpublikum und interessierte Laien über innovative Maßnahmen, bewährte Methoden des Pflanzenschutzes sowie über die Notwendigkeit von sachgerechtem Pflanzenschutz informiert. Apfelanlage mit Pheromondispenser zur Apfelwicklerverwirrung Bild: L. Schreiner, LTZ Dr. Kirsten Köppler LTZ Augustenberg Tel. 0721/ 9468472 Kirsten.koeppler@ltz. bwl.de 48 z.B. für die Infektionsrisiken der Kulturpflanzen durch pilzliche Krankheitserreger, wie Schorf im Apfelanbau oder Peronospora im Weinbau. Im Ackerbau wird z.B. das Prognoseprogramm SEPTRI1 eingesetzt. Bei Erreichen von Schwellenwerten werden entsprechend Behandlungsempfehlungen gegeben. Ergänzend hierzu wird das Programm auch dazu genutzt, den bisherigen und zukünftigen Infektionsverlauf der Krankheiten zu beurteilen und aufgrund einer niedrig prognostizierten Infektionswahrscheinlichkeit trotz der Überschreitung der Schadschwelle auf eine Behandlung zu verzichten. Daneben fließen die großräumigeren Warndienstinformationen des örtlichen Pflanzenschutzdienstes sowie die eigenen Erfahrungen der Betriebsleiter in die Entscheidungsfindung ein. Am Ende soll der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß reduziert werden. Ebenfalls unerlässlich ist die Erfassung von Nützlingen in den Anlagen der Betriebe, die bei ausreichendem Auftreten als natürliche Regulatoren gegenüber Schädlingen fungieren. Auch wird innerhalb des Projektes der Einsatz nichtchemischer Pflanzenschutzmaßnahmen gefördert. Ein Beispiel ist die Übernahme von zusätzlichen Kosten durch die BLE bei einem Einsatz von biologischen oder biotechnischen Präparaten gegen den Traubenwickler im Weinbau oder gegen den Apfelwickler, einem bedeutenden Schadschmetterling im Apfelanbau. Da diese Verfahren unter bestimmten Umständen eine geringere Wirksamkeit zeigen können und der Betrieb somit bei deren Einsatz ein Risiko im Hinblick auf Ertragsausfälle eingeht, können innerhalb des Projektes auch entsprechende Entschädigungen geltend gemacht werden. Die aufgrund der intensiven Beratung und Begleitung der Betriebe in allen Pflanzenschutzfragen erfassten Daten werden von den Projektbetreuern in elektronische Schlagkarteien erfasst und dem JKI zur Gesamtauswertung zugeleitet. Das heißt, alle Pflanzenschutzmaßnahmen werden mit der Begründung zur Entscheidungsfindung schlaggenau elektronisch erfasst, und aus ihnen werden spezifische Kennziffern und Behandlungsindizes errechnet. Diese Daten dienen der Beurteilung des notwendigen Maßes im Pflanzenschutz, dem Vergleich der Betriebe bundesweit und zwischen den Regionen, im Projektverlauf sowie mit Vergleichsbetrieben, denen die innerhalb des Modellvorhabens gewährte zusätzliche Beratung nicht zur Verfügung steht. Weiterhin werden pro Betrieb sogenannte Checklisten erstellt, die die Umsetzbarkeit der Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes vor dem Hintergrund ökonomischer Aspekte, Verfügbarkeit, Wirksamkeit sowie standort- bzw. regionsspezifischer Besonderheiten beleuchtet. Nach den bisherigen Erfahrungen im Projekt und aufgrund der positiven Rückmeldungen der Betriebsleiter profitieren die Betriebe von der zusätzlichen intensiven Beratung und können ihre Pflanzenschutzmaßnahmen besser an die konkreten Bedingungen auf den einzelnen Flächen anpassen, d.h. sie können das notwendige Maß in der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln einhalten. Weitere Öffentlichkeitsarbeit sowie Veröffentlichungen in der Fach- und Tagespresse können ebenfalls dazu beitragen, den Pflanzenschutz als notwendige Maßnahme in der Sicherung der Nahrungsmittelproduktion sowie der Produktion qualitativ hochwertiger Lebensmittel anzuerkennen. Landinfo 5 | 2014
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