Pressekonferenz, 27. April 2015, Berlin Die deutsche Konjunktur im Zeichen billigen Öls und billigen Geldes IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose Frühjahr 2015 Statement Prof. Dr. Michael Hüther Direktor Institut der deutschen Wirtschaft Köln Es gilt das gesprochene Wort Sondereffekte zünden Konsum-Strohfeuer Das Konjunkturumfeld im Jahr 2015 ist außergewöhnlich gut, aber durch zahlreiche positive Sondereffekte geprägt. Dazu zählen vor allem der stark gesunkene Ölpreis, die noch weiter rückläufigen Niedrigzinsen sowie die deutliche EuroAbwertung. Viele dieser und weitere Sondereffekte wirken jedoch nur einmalig und nicht dauerhaft positiv auf die deutsche Wirtschaft. Schon im nächsten Jahr gehen wir daher wieder von einer deutlichen Wachstumsverlangsamung aus. Das leidige Wellblechmuster der Konjunktur wird demnach nicht überwunden. Daraus ergeben sich wichtige wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen. Denn die mangelnde Nachhaltigkeit des Aufschwungs belegt, dass die gute Wirtschaftslage in diesem Jahr keine Bestätigung für den wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung ist. Im Gegenteil: Viele einmalig expansiv wirkende Maßnahmen werden langfristig zu Belastungen für Wirtschaft und Beschäftigung, wie etwa der Mindestlohn oder die Rentenpolitik. Der durch Sondereffekte getriebene Konsumboom überdeckt die absehbaren negativen Wirkungen jedoch vorerst. Mit einer Wirtschaftspolitik ohne Impulse für anhaltende Investitionen und Wachstum werden die Chancen auf einen lang anhaltenden dynamischen Aufschwung verspielt. Das ist deshalb problematisch, weil wir nach der ersten wirklich globalen Finanzkrise in einer veränderten Welt leben. Die Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 2 Wachstumsfantasien der Vorkrisenzeit haben sich weitgehend in Luft aufgelöst, wie der Internationale Währungsfonds jüngst festgestellt hat. Im Weiteren werde ich Ihnen die Ergebnisse unserer Frühjahrsumfrage vorstellen und die wesentlichen Linien unserer aktuellen Konjunkturprognose. Aufgrund des StrohfeuerEffektes gehen wir für 2015 von einem Anstieg der realen Wirtschaftsleistung von knapp 2 ¼ Prozent aus. Im Jahr 2016 werden dagegen nur noch gut 1 ½ Prozent erreicht. Für das laufende Jahr erhöhen wir damit unsere Prognose deutlich. Denn seit dem Herbst ist es zu einem überraschend starken Rückgang der Ölpreise, der Inflation und des Euro-Wechselkurses gekommen. Zudem sind die Erholungstendenzen im Euroraum stärker geworden und mit Blick auf die weiter schwelende Ukraine-Krise hat sich offenbar ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt. Die gute Prognose für das laufende Jahr wird von unserer neuesten Frühjahrsumfrage bei fast 3.000 Unternehmen untermauert. Sie melden eine deutliche Verbesserung der Konjunkturperspektiven für 2015 gegenüber 2014. Zwar ist der Unterschied bei der Beurteilung der aktuellen Geschäftslage zwischen positiven und negativen Nennungen (32 Prozent versus 22 Prozent) nicht sehr groß. Bei den Geschäftsperspektiven für 2015 im Vergleich zum Vorjahr sieht das Bild in der Gesamtschau deutschlandweit aber deutlich besser aus: 40 Prozent der befragten Firmen sehen optimistischer auf 2015 als auf 2014, während nur 17 Prozent der Firmen sinPressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 3 kenden Geschäftserwartungen melden. Der positive Saldo von 23 Prozent ist deutlich höher als bei der letzten Umfrage im Herbst, als es nur 4 Prozent waren. Ein noch etwas besseres Bild zeigt sich bei den überdurchschnittlich guten Produktionserwartungen der befragten Unternehmen für 2015 im Vergleich zum Vorjahr. Hier ergibt sich deutschlandweit ein positiver Saldo von sogar 31 Prozent, mit nur begrenzten Unterschieden zwischen Westdeutschland (Saldo 31 Prozent) und Ostdeutschland (Saldo 27 Prozent). Besonders optimistisch sind deutschlandweit Investitionsgüterhersteller mit einem Saldo von 34 Prozent und Dienstleister mit 33 Prozent. Bemerkenswert ist auch, dass größere Unternehmen deutlich positiver gestimmt sind als kleinere. Das gilt für die meisten der abgefragten Kategorien. Billiges Öl, billiges Geld und weitere Sonderfaktoren als Konjunkturtreiber Die Sonderfaktoren Öl und Geld stehen besonders im Fokus. Sie haben eine hohe Bedeutung für die Konjunktur, denn sie wirken über zahlreiche Kanäle auf die deutsche Volkswirtschaft ein. Der starke Preisrückgang von Rohöl, das sich nach unserer Annahme bis Ende 2016 auf bis zu 75 USDollar pro Barrel wieder leicht verteuert, stärkt die Kaufkraft von Haushalten und Unternehmen und wirkt auch auf die globale Nachfrage nach deutschen Exporten. Extreme Niedrigzinsen, bei denen wir am langen Ende erst gegen Ende 2016 wieder einen leichten Anstieg annehmen, können die Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 4 Konsum- und Investitionsanreize erhöhen. Sie haben zudem den Euro gegenüber dem US-Dollar und anderen Währungen stark abwerten lassen. Dieser Wechselkurseffekt, der im Prognosezeitraum per Annahme nur wenig weiter fortschreitet, verbessert die Handelsbilanz und lässt über teurere Importe die Preise steigen. Darüber hinaus bewirkt die Wirtschaftspolitik weitere Sondereffekte: Vor allem die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sowie einige „Rentengeschenke“ lassen die Einkommen kurzfristig steigen. Wir gehen davon aus, dass sich verbleibende ökonomische und politische Risiken nicht nachhaltig krisenhaft auf die deutsche Konjunktur auswirken, jedenfalls – wie bisher – nach kurzer Irritation verkraften werden können. Dazu zählen vor allem die geopolitischen Risiken etwa im Jemen und insbesondere die Ukraine-Krise, eine mögliche Eskalation der Euro-Schuldenkrise durch einen Grexit oder durch Wahlen in Spanien und Portugal sowie die anstehende US-Zinswende und daraus resultierende potenziell starke Kapitalabflüsse aus Schwellenländern. Das schließt nicht aus, dass einzelne Branchen oder Regionen besonders betroffen sein können. Strohfeuer beim privaten Konsum Der preisbereinigte private Konsum wird 2015 aufgrund der erwähnten Sondereffekte das drittstärkste Wachstum seit 1991 aufweisen, nur in den Jahren 1992 und 1999 war er stärker. Damit wird er auch aufgrund seines hohen Anteils an der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage mehr als die Hälfte Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 5 zum BIP-Wachstum beitragen. So befindet sich das GFKKonsumklima derzeit auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren und die Anschaffungsneigung war nur Ende 2006 höher, als die Mehrwertsteuererhöhung 2007 anstand. Zudem gab es im Februar einen starken Anstieg der Auftragseingänge der Konsumgüterindustrie, der sich unter den üblichen monatlichen Schwankungen fortsetzen sollte. Die übrigen Industriebranchen sind eher schwach ins Jahr 2015 gestartet, wenngleich sich dies im weiteren Jahresverlauf ändern dürfte. Bislang profitiert die stark exportorientierte Industrie offenbar nur begrenzt vom heimischen Konsumboom. Der stärker inlandsorientierte Dienstleistungssektor dürfte hingegen deutliche Vorteile aus dem dynamischen privaten Verbrauch ziehen. Darauf deutet auch unsere Umfrage hin, bei der die Dienstleistungsfirmen meist überdurchschnittlich abschneiden. Allerdings wird der private Konsum nächstes Jahr schon wieder merklich an Dynamik verlieren und damit wesentlich zu der von uns prognostizierten Wachstumsabschwächung 2016 beitragen. Denn trotz stabiler Arbeitsmarktentwicklung wird es nur ein Strohfeuer beim Konsum geben: Wichtige Sonderfaktoren, die die Verbrauchsausgaben in 2015 beflügeln, wirken nur einmalig auf das Wachstum oder kehren ihre Wirkungsrichtung gar um. Dies gilt vor allem für den Ölpreis und die Inflation, die in 2016 wieder ansteigen werden. Der massive Rückgang des Ölpreises seit dem letzten Herbst hat zu einem starken Inflationsrückgang geführt. Zudem entstand so Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 6 eine große Kluft von fast einem Prozentpunkt zwischen der ausgewiesenen Inflationsrate und der Inflationsrate ohne Energie. Diese Kluft wird bei einem prognostiziert niedrigen Ölpreis bis zum Herbst in leicht abgeschwächter Form noch erhalten bleiben. Danach läuft die inflationssenkende Wirkung des Energiepreisverfalls aus und die Verbraucherpreise werden wieder stärker zunehmen. Im Jahresdurchschnitt 2015 gehen wir daher von einer Inflationsrate von nur rund ½ Prozent aus. Unsere Konjunkturumfrage, bei der nach verschiedenen Folgen des Energiepreisverfalls gefragt wurde, untermauert diese Erwartung. Demnach gehen fast vier von zehn befragten Unternehmen davon aus, dass ihre Absatzpreise durch den starken Rückgang der Energiepreise unter Druck geraten, bei mehr als jedem zehnten Betrieb gilt dies sogar in starkem Maß. Die derzeit sehr niedrige Inflation birgt aufgrund der guten Konjunkturlage in Deutschland – anders als in anderen Teilen des Euroraums – keine Gefahr einer Deflationsspirale. Vielmehr stärkt sie über die höhere Kaufkraft den Konsum und damit die Wirtschaftsdynamik weiter. Im Jahr 2016 gilt das aber nicht mehr in diesem Ausmaß, denn die Inflation wird deutlich auf rund 1½ Prozent zunehmen. Grund dafür sind neben dem leicht steigenden Ölpreis vor allem Erhöhungen von Lohnkosten und Importpreisen sowie eine Zunahme der Kapazitätsauslastung. Die starke Nachfrage macht es zudem Unternehmen leichter, eigene Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 7 gestiegene Kosten über ihre Absatzpreise weiterzugeben. Zudem spielt auch die EZB mit ihrer starken Expansionspolitik eine Rolle. Weitere Einmaleffekte auf das Einkommens- und Konsumwachstum gehen in 2015 vom neuen gesetzlichen Mindestlohn sowie von der Rentenpolitik aus – hier vor allem von der Rente mit 63 und der Mütterrente, die beide erst in diesem Jahr voll auszahlungswirksam werden. Der Mindestlohn trägt immerhin rund ein Drittel zum Wachstum der Stundenlöhne in 2015 bei. Etwa 4 Millionen Beschäftigte dürften zunächst von höheren Stundenlöhnen profitieren. Allerdings werden die Unternehmen versuchen, den Kostenschub aufzufangen. Eine Unternehmensbefragung des ifo-Instituts zeigt, dass jeweils rund ein Fünftel der befragten Firmen dazu Sonderzahlungen kürzen, Personal abbauen oder die Arbeitszeit verringern wollen. Nach dem Auslaufen dieser Effekte fällt das Konsumwachstum im nächsten Jahr auf eine wesentlich geringere Grunddynamik von knapp 1½ Prozent zurück. Dieser verringerte Zuwachs wird vor allem durch die niedrigen Zinsen, eine wohl anhaltende Lohndynamik und die Beschäftigungsentwicklung getragen, die sich 2016 allerdings auch abschwächt. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 8 Beschäftigung positiv, aber weniger dynamisch Wir gehen im laufenden Jahr davon aus, dass die Beschäftigung um mehr als ¾ Prozent und im nächsten Jahr um gut ½ Prozent steigen wird. Die gute Beschäftigungsprognose für 2015 basiert auch auf unserer Frühjahrsumfrage. So gehen deutschlandweit rund 34 Prozent der befragten Unternehmen von einem Beschäftigungsanstieg gegenüber dem Vorjahr aus, nur 17 Prozent sehen einen Rückgang voraus. Der Saldo aus positiven und negativen Meldungen ist damit auf einen überdurchschnittlichen Wert von 18 Prozent gestiegen von lediglich 2 Prozent in der letzten Herbstumfrage. Die Unternehmen in Westdeutschland sind dabei mit einem Saldo von 19 Prozent aber deutlich optimistischer als Firmen in Ostdeutschland (Saldo 8 Prozent). Eine Erklärung könnte sein, dass Ostdeutschland stärker vom Mindestlohn betroffen ist. Zum konsumgetriebenen Konjunkturbild passt, dass deutschlandweit Dienstleistungsfirmen besonders optimistisch sind (Saldo von 25 Prozent). Doch auch Industriebetriebe melden einen positiven Saldo von 6 Prozent. Gründe für den Rückgang des Beschäftigungszuwachses im kommenden Jahr sind in erster Linie die dann anstehende Abschwächung der Konjunktur sowie der deutlich gestiegene Lohnkostendruck. Hier spielt gerade im Dienstleistungssektor der Mindestlohn eine kritische Rolle. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 9 Außenhandel mit moderat stärkerer Dynamik Die Sondereffekte Wechselkurs und Ölpreisverfall wirken auch auf die Weltwirtschaft und den deutschen Außenhandel. So stützt die Euro-Abwertung tendenziell deutsche Exporte und der Energiepreisverfall beeinflusst die globale Nachfrage nach deutschen Exporten. Wir prognostizieren vor diesem Hintergrund einen Anstieg der preisbereinigten Exporte von 5 ¼ Prozent im Jahr 2015 und von 5 ½ Prozent im Jahr 2016. Bei den realen Importen gehen wir in diesem Jahr von einen Zuwachs von 6 Prozent aus und von 5 ½ Prozent im nächsten. Dass die Importe in 2015 schneller wachsen als die Exporte, liegt vor allem an der starken Konsumkonjunktur und den moderat steigenden Investitionen hierzulande. Damit trägt der Außenhandel insgesamt im laufenden Jahr so gut wie nicht, im nächsten Jahr aber moderat zu Wachstum in Deutschland bei. Der merkliche Anstieg der Exportprognose für das Jahr 2015 gegenüber unserer letzten Vorhersage aus dem Herbst (4 Prozent Zuwachs) begründen wir zunächst mit den deutlich verbesserten Exporterwartungen der von uns befragten Unternehmen. Knapp ein Drittel der Firmen gehen deutschlandweit von höheren Exporten als 2014 aus und nur knapp 12 Prozent von geringeren Ausfuhren. Der Positivsaldo steigt damit auf fast 21 Prozent gegenüber nur 6 Prozent bei der letzten Herbstumfrage. Dieser Saldo ist bei ostdeutschen Unternehmen deutlich geringer (2 Prozent) als bei westdeutschen Firmen (23 Prozent). Mit einem Saldo von Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 10 33 Prozent sind deutschlandweit insbesondere Betriebe aus dem Investitionsgüterbereich positiv gestimmt. Weitere Gründe für die verbesserte Exportprognose sind der Ölpreisrückgang und die etwas dynamischere Weltkonjunktur. Die Wirkung der Euro-Abwertung ist ebenfalls relevant, sollte aber auch nicht überschätzt werden, zumal in vielen Zielländern unserer Exporte die Währung ebenfalls gegenüber dem US-Dollar abgewertet hat. Die Rolle des Energiepreisrückgangs für die globale Nachfrage nach deutschen Exporten ist ambivalent: Energieexportländer verzeichnen Einbußen und dürften daher zurückhaltender mit dem Import deutscher Güter sein, während für Energieimporteure das Umgekehrte gilt. Allerdings zeigt unsere Konjunkturumfrage, dass sich die Relevanz dieses Effekts in Grenzen hält. Etwas mehr als 22 Prozent der Unternehmen erwartet energiepreisbedingt eine höhere Nachfrage nach ihren Produkten aus dem Ausland, nur gut 2 Prozent der Betriebe rechnen hier mit einem starken Effekt. Knapp 24 Prozent der Firmen sehen hingegen einen energiepreisbedingten Rückgang der Nachfrage aus Rohstoffländern, gut 4 Prozent erwarten hier einen starken Effekt. Weltwirtschaft legt einen kleinen Gang zu Wesentlich relevanter für den deutschen Exportzuwachs ist die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft. Hier bleibt es im laufenden Jahr bei einer eher moderaten Expansion, die im Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 11 Jahr 2016 etwas an Tempo zulegt. Sie wird wie zuletzt mehr von den Industrieländern als den Schwellenländern getragen. Dabei ist das Wachstum in den USA und im Vereinigten Königreich überdurchschnittlich. Doch auch im Euroraum, der für Deutschland besonders relevant ist, zeigen sich zunehmende Erholungstendenzen, wenngleich das Wachstum hier noch recht schwach bleibt. Die Strukturreformen der Krisenländer, die umfangreicher sind als gemeinhin angenommen, beginnen sich endlich auszuzahlen. Auch die Banken in Südeuropa sind weniger zurückhaltend bei der Kreditvergabe. Beim Export in manche dieser Länder spüren einige Industriebranchen derzeit bemerkenswerte Nachholeffekte. Auch Frankreich als wichtigster deutscher Handelspartner findet im Prognosezeitraum – nicht zuletzt wegen erster wichtiger Reformen – zu einem freilich nur schwachen Wachstum von 1 Prozent zurück. Die meisten der für die deutsche Wirtschaft wichtigen BRICStaaten enttäuschen im Prognosezeitraum erneut. Das gilt vor allem für das krisengezeichnete Russland, aber auch für Brasilien. Chinas Wachstum bleibt in beiden Prognosejahren bei knapp 7 Prozent und damit sehr viel geringer als noch vor einigen Jahren. Hier steht weiterhin der Umbau von einem investitions- und exportgetriebenen Wachstum hin zu mehr Konsumorientierung und einer stärkeren Berücksichtigung des Umweltschutzes an. Allein Indien dürfte unter der relativ wirtschaftsfreundlichen Regierung Modi wieder dynamischer und damit 2016 sogar schneller als China wachsen. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 12 Nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds ist der Wachstumsrückgang der Schwellenländer nicht nur ein konjunktureller Effekt, sondern spiegelt ein kontinuierlich vermindertes Potenzialwachstum wider. Grund dafür sind auch erhebliche Governance-Probleme. Investitionsdynamik weiter ohne Fantasie Auch in den Industrieländern ermittelt der IWF vor allem nach der Finanzkrise einen Rückgang des Potenzialwachstums, der sich zuletzt nur leicht zurückbildet. Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund der Diskussion um eine vermeintliche säkulare Stagnation hoch relevant. Begründen lassen sich die schwächeren Wachstumsaussichten nicht zuletzt durch den starken Investitionseinbruch, der gerade im Euroraum und vor allem in den Krisenländern groß war und das Produktionspotenzial geschwächt hat. Das ist auch der Hintergrund des Investitionsprogramms der EU-Kommission, das aber mit Blick auf seine Begründung (vermeintliches Staatsversagen) und seine Umsetzung (u.a. substitutive Finanzierung) durchaus kritisch gesehen werden kann. Auch in Deutschland wird zu Recht über eine anhaltende Schwäche der privaten Ausrüstungsinvestitionen diskutiert. Die Frage, ob die deutschen Investitionen wieder anziehen, ist zudem relevant für die Nachhaltigkeit des Aufschwungs. Denn ohne eine neue Investitionsdynamik, die dem Konsumrückgang im nächsten Jahr deutlich entgegenwirkt, wird das Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 13 BIP-Wachstum wieder sinken. In der Tat ist genau das unser Konjunkturbild. Im laufenden Jahr dürften die preisbereinigten Ausrüstungsinvestitionen zwar moderat um rund 4 Prozent ansteigen. Diese Erwartung wird von unserer Frühjahrsumfrage gestützt: Hier ist der Saldo aus positiven und negativen Meldungen im Vorjahresvergleich auf ein im längerfristigen Vergleich überdurchschnittliches Niveau von rund 24 Prozent der befragten Unternehmen gestiegen – von lediglich 6 Prozent im Herbst. Doch liegen die Erwartungen weit hinter dem hohen Wert von 29 Prozent bei der Frühjahrsumfrage 2014 zurück, als sie im weiteren Jahresverlauf enttäuscht wurden. Wieder schneidet der Westen Deutschlands (Saldo 27 Prozent) deutlich besser ab als der Osten (Saldo 7 Prozent). Auch sind deutschlandweit erneut die Dienstleister und die Investitionsgüterhersteller besonders optimistisch. Die Umfrage macht darüber hinaus deutlich, dass die Zunahme der Bauinvestitionen in 2015 Jahr eher gering sein wird. Denn die Produktionserwartungen des Baugewerbes sind mit einem Saldo von 15 Prozent für 2015 stark unterdurchschnittlich im Branchenvergleich. Für das Jahr 2016 sehen wir keinen neuen dynamischen Zyklus bei den realen Ausrüstungsinvestitionen, sondern prognostizieren einen leicht schwächeren Anstieg von 3 ½ Prozent. Unserer Ansicht nach platzt der Knoten nicht und es bleibt somit auch hier bei der Wellblechkonjunktur. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 14 Wir begründen unsere verhaltene Skepsis mit der Abwägung aus positiven und negativen Einflussfaktoren: So könnten die gesunkenen Energiepreise zwar stimulierend wirken, weil mehr Geld für Investitionen bleibt. Tatsächlich zeigt unsere Frühjahrsumfrage, dass mehr als drei von vier Unternehmen deshalb einen Rückgang ihrer Produktions- und Betriebskosten erwarten und 15 Prozent hier sogar einen starken Effekt sehen. Doch nur ein deutlich geringerer Anteil von 37 Prozent der befragten Firmen will aufgrund der energiepreisbedingten Kosteneinsparungen mehr investieren, nur 6 Prozent will dies stark tun. Der tatsächliche Effekt der gesunkenen Energiepreise ist also begrenzt und wird bei dem angenommenen leichten Energiepreisanstieg bis 2016 seine Relevanz wieder verlieren. Entscheidender sind sicherlich die zunehmende Kapazitätsauslastung, die Anreize zu Erweiterungsinvestitionen gibt, sowie der steigende Kostendruck, der Rationalisierungsinvestitionen begründen kann. Auch die nochmals gesunkenen Kreditzinsen könnten die Investitionstätigkeit stützen. Doch die Erfahrung zeigt: Die Relevanz der Zinsen sollte nicht überschätzt werden, es kommt vor allem auf belastbare Nachfrage- und Absatzperspektiven an. Doch gerade hier fehlt die Fantasie, was auch die Bedeutung der höheren Kapazitätsauslastung begrenzt. So erscheint das Exportwachstum nicht stark genug, um in Deutschland kräftige Investitionen anzukurbeln. Auch das Strohfeuer beim Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 15 Konsum dürfte von den Unternehmen als solches erkannt werden. Die zentralen Gründe für unsere Zurückhaltung bei den Investitionsperspektiven sind jedoch die folgenden: - Die vergangenen Jahre waren durch eine hohe Unsicherheit geprägt und die Erfahrung mit den verschiedenen Krisen wirkt unserer Ansicht nach. Die eingangs erwähnten geopolitischen und ökonomischen Risiken sind weiter relevant. Zudem bleibt die wirtschaftspolitische Unsicherheit in Europa hoch. - Es mehren sich strukturelle Indizien, dass die exportorientierte Industrie in Zukunft Erweiterungsinvestitionen vorwiegend im Ausland vornehmen und in Deutschland nur noch begrenzt investieren könnte. Man sieht dies beispielsweise an der hohen Reinvestition der im Ausland erzielten Gewinne ebendort. - Die beiden vorgenannten Aspekte werden durch die investitions- und wachstumsschädliche Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre weiter verschärft, worauf ich gleich näher eingehen werde. Insgesamt verhindern die dämpfenden Faktoren die Entstehung eines anhaltenden Investitionsbooms. Da auch die Perspektiven bei den Bauinvestitionen und beim Export verhalten bleiben, kann der Rückgang des privaten Konsums im nächsten Jahr kaum kompensiert werden. Damit wird das Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 16 gesamtwirtschaftliche Wachstum wieder deutlich schwächer und ein Boom bleibt aus. Wirtschaftspolitik verbraucht die Anstrengungen der Vergangenheit und schafft Zukunftslasten Die Wirtschaftspolitik hat es in den vergangenen Jahren versäumt, die Investitionsbedingungen zu verbessern. Es fehlt jede nachhaltige Sicht für eine Politik, die das Wachstum stärkt. Statt dessen werden Maßnahmen ergriffen, die die zukünftige Entwicklung gefährden. Derzeit überdecken das Konsumstrohfeuer und die gute Beschäftigungsentwicklung diese Gefahren noch, doch die Belastungsfaktoren summieren sich und dürften ihre volle Wirkung beim nächsten Abschwung zeigen. So geben die deutlichen Lohnerhöhungen und der Mindestlohn lediglich einmalige Kaufkraftschübe, verteuern aber dauerhaft den Faktor Arbeit und mindern die Einstellungsanreize. Bei einer künftig schwächeren Konsumentwicklung dürften sich vor allem bei Dienstleistungen, die durch den Mindestlohn teurer geworden sind, merkliche Nachfragerückgänge einstellen und so Entlassungen nötig machen. Ich warne davor, die Kraft relativer Preisverschiebungen zu unterschätzen. Der deutliche Rückgang bei der Anzahl geringfügig Beschäftigter (ohne Nebenerwerbstätige) in den letzten Monaten könnte – bei aller Vorsicht aufgrund der noch dünnen Datenlage – ein erster Hinweis darauf sein, was hier am Arbeitsmarkt auf längere Sicht droht. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 17 Auch die Rentenpolitik belastet den Faktor Arbeit zusätzlich: Statt Beitragssenkungen werden ihre Leistungen in fragwürdiger Weise immer weiter ausbaut. Gerade auf längere Sicht wachsen damit die Belastungen im Zuge der demografischen Entwicklung. Auch vermindert die Rente mit 63 das Erwerbspersonenpotenzial trotz des absehbar hohen Fachkräftebedarfs. Bedeutsam für die Investitionsperspektiven sind auch die Kostenbelastungen durch die Energiewende. Denn das Wegbrechen von energieintensiven Unternehmen würde ganze Wertschöpfungskettens gefährden und damit den Standort Deutschland nachhaltig schwächen. Die Bundesregierung sollte daher sehr bald eine neue angebotspolitische Agenda für bessere Investitionsbedingungen und nachhaltige Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven entwickeln. Zu den wesentlichen Elementen einer solchen Agenda gehören: - Vorbereitung der sozialen Sicherungssysteme auf die demografische Herausforderung ab dem Jahr 2020. Hierzu zählt auch eine weitere Erhöhung der Lebensarbeitszeit. - Die Flexibilität des Arbeitsmarkts, die mitverantwortlich für das hohe Beschäftigungsniveau in Deutschland ist, darf nicht durch derzeit diskutierte Begrenzungen bei Zeitarbeit und Werkverträgen eingeschränkt werden. - Weitergehende Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, insbesondere auch über die Ausgabenseite. Es wäre fahrPressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 18 lässig, dauerhaft mit dem derzeitigen Einnahmewachstum von mehr als 3 Prozent zu rechnen, um damit ein ähnlich hohes Wachstum der Ausgaben zu finanzieren. - Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen, wofür im Bundeshaushalt Vorsorge getroffen werden muss. Dies betrifft den Ausbau der digitalen Netze, ebenso die Verkehrsnetze. Den Vorschlag, dafür eine Infrastrukturgesellschaft nach österreichischem Vorbild (Asfinag) einzurichten, haben wir bereits vor längerem gefordert. Notwendig ist ebenso eine Infrastrukturplanung, die Bund und Länder sowie alle Netze integriert. - Begrenzung der Abgabenbelastung für Unternehmen und Bürger. Über die Abschaffung der kalten Progression sollten neue Belastungen vermieden werden. Mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags könnte sogar eine nennenswerte Entlastung erfolgen. - Abbau nationaler Zusatzbelastungen und Schaffung von Planungssicherheit in der Energiewende. Rein nationale Belastungen und immer wieder drohende Mehrbelastungen durch die Befristung von Ausnahmeregeln haben sich als erhebliches Investitionshemmnis herausgestellt. Die Energiewende zeigt prototypisch die Verantwortung der Politik, klare ordnungspolitische Perspektiven zu entwickeln statt laufend in Prozesse einzugreifen und damit Unsicherheiten zu produzieren. Pressestatement, 27. April 2015: „IW-Konjunkturumfrage und IW-Konjunkturprognose“ 19
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