MINT-Herbstreport 2015 - Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Pressekonferenz, 15. Oktober 2015, Berlin
MINT-Herbstreport 2015 –
Regionale Herausforderungen und
Chancen der Zuwanderung
Statement
Prof. Dr. Axel Plünnecke
Leiter des Kompetenzfeldes Bildung, Zuwanderung und Innovation
Institut der deutschen Wirtschaft Köln
Es gilt das gesprochene Wort
Zunahme der MINT-Fachkräftelücke
Ende September 2015 fehlten in Deutschland 164.400 MINTArbeitskräfte – Tendenz steigend. Mit 77.800 fällt der größte Teil auf den
Bereich der MINT-Ausbildungsberufe, gefolgt von 56.800 in den MINTExpertenberufen, also vor allem Ingenieure oder Informatiker. Die
Engpässe haben sich in den letzten Quartalen in ihrer Struktur verändert
– in akademischen Berufen konnten sie konstant gehalten werden, in
Ausbildungsberufen nehmen sie seit dem Jahr 2013 zu (Abbildung 1).
Die Engpässe in den MINT-Berufen werden dabei auch durch die Rente
mit 63 verstärkt. Berücksichtigt man den bis zur Einführung der Rente
mit 63 stabilen Beschäftigungstrend, so hätten gut 64.500 Personen im
Alter ab 63 Jahren am Ende des vierten Quartals 2014 beschäftigt sein
müssen. Durch die Rente mit 63 waren es jedoch nur knapp 55.700 - ein
Rückgang von knapp 9.900 beschäftigten Personen allein in der
Berufsgruppe der MINT-Facharbeiter (Abbildung 2).
Dank Zuwanderung: Beschäftigungswachstum in 2013 und 2014
Zwischen dem vierten Quartal 2012 und dem vierten Quartal 2014 ist die
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Durchschnitt aller MINTBerufe um 2,6 Prozent gestiegen. Die Beschäftigung deutscher MINTArbeitnehmer nahm dabei um 2,0 Prozent zu, die Beschäftigung
ausländischer MINT-Arbeitnehmer um 10,6 Prozent. Die akademischen
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Berufe haben dabei noch einmal stärker profitiert als die
Ausbildungsberufe (Abbildung 3). Damit wurden die Fachkräfteengpässe
bei akademischen Berufen deutlich abgemildert. Sehr große Zuwächse
nach Herkunftsländern gab es bei den ausländischen MINTBeschäftigten aus Mittel- und Osteuropa (plus 37,3 Prozent), Indien (plus
34,6 Prozent) sowie Spanien (plus 27,1 Prozent) (Abbildung 4).
Im Umkehrschluss heißt das: Die Fachkräfteengpässe wären heute
deutlich größer, hätte Deutschland in den letzten Jahren nicht in hohem
Maße von der Zuwanderung profitiert. Wäre die Beschäftigung von
Ausländern in den letzten zwei Jahren ähnlich gering gestiegen wie die
Beschäftigung von Deutschen, würde die Fachkräftelücke heute bei
deutlich über 200.000 liegen.
Trotz geringer Netzwerke konnte auch der Osten bei der
Beschäftigung ausländischer MINT-Arbeitnehmer zulegen
Zuwanderer werden also im Rahmen der Fachkräftesicherung immer
wichtiger. Es haben vor allem solche Regionen Vorteile, Zuwanderer zu
gewinnen, in denen bereits Netzwerke existieren. So verfügt inzwischen
mehr als jeder zehnte MINT-Arbeitnehmer in einem Großteil der Kreise
in Baden-Württemberg, Süd-Hessen und rund um München – also den
besonders innovations- und wirtschaftsstarken M+E-Clustern in
Deutschland – über eine ausländische Staatsangehörigkeit. Dagegen
erreicht kaum ein Kreis in den ostdeutschen Bundesländern auch nur
einen Wert von 2 Prozent (Abbildung 5).
Positiv ist dort immerhin festzuhalten, dass die Regionen
Ostdeutschlands in etwa ähnlichem Maße von der steigenden
Beschäftigung von Ausländern in den MINT-Berufen zwischen Ende
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2012 bis Ende 2014 profitieren konnten. In viele Regionen stieg der
Anteil ausländischer Beschäftigter stark – allerdings von einem sehr
geringen Ausgangsniveau (Abbildung 6).
Ausblick: Demografische Herausforderung ist groß
Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Jahren die Fachkräftelücke
vor allem bei MINT-Ausbildungsberufen weiter steigen wird. Der Grund:
Ein hoher Anteil der Beschäftigten ist älter als 55 Jahre alt und nur
wenige jüngere rücken in den Arbeitsmarkt nach. Vor allem in den
ostdeutschen Bundesländern ist das Missverhältnis zwischen Jung und
Alt besonders groß, gerade in den MINT-Berufen (Abbildung 7): So liegt
etwa in Brandenburg der Anteil der Beschäftigten über 55 Jahren bei
21,0 Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 20,6 Prozent und in MecklenburgVorpommern bei 20,2 Prozent. Zum Vergleich: In Bayern sind es 14,3
Prozent.
Wie groß sind die Chancen der Flüchtlingsmigration?
Fraglich ist, ob die derzeitige Rekordzuwanderung von Flüchtlingen
einen deutlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten kann. Von Ende
2012 bis Ende 2014 ist die Beschäftigung in den MINT-Berufen von
Personen mit einer Nationalität aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und dem
Irak von einem sehr geringen Ausgangsniveau zwar dynamisch
gestiegen (Abbildung 8). Zum Stichtag 31. Dezember 2014 hatten aber
erst 3.554 Personen aus den genannten vier Flüchtlingsländern eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in einem MINT-Beruf.
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Um die Flüchtlinge in Arbeit zu integrieren, müssen Sprachkenntnisse
und Qualifikationen verbessert werden. Eigene Datenauswertungen des
IW zu früher zugewanderten Flüchtlingen in Deutschland zeigen, dass
diese geringere Sprachkenntnisse als andere Zuwanderer hatten. Auch
bei den formalen Qualifikationen wiesen die Zuwanderer mit
Flüchtlingshintergrund im Jahr 2013 geringere Abschlüsse als sonstige
Zuwanderer auf. 54,3 Prozent der Personen im Alter zwischen 25 und 64
Jahren hatten keine abgeschlossene Berufsausbildung, 27,2 Prozent
einen beruflichen Abschluss und nur 18,5 Prozent einen
Hochschulabschluss. Erste Auswertungen des IAB zu den aktuellen
Flüchtlingen aus den Krisen- und Bürgerkriegsländern zeigen, dass
diese noch einmal deutlich niedriger qualifiziert sind und mehr als 71
Prozent weder ein Studium noch eine Berufsausbildung haben. Es geht
also in punkto Fachkräftesicherung vor allem darum, die hohe Anzahl an
jungen Flüchtlingen in der Schule für eine MINT-Ausbildung fit zu
machen.
Im Bereich der Berufsausbildung muss für junge Flüchtlinge mit hoher
Bleibeperspektive der Aufenthalt während der Ausbildung und im Fall
einer Übernahme durch den Betrieb rechtssicher sein. Betriebe als auch
junge Menschen brauchen die Sicherheit, dass eine einmal begonnene
Ausbildung auch abgeschlossen werden kann. Darüber hinaus sollte für
diesen Personenkreis der Zugang zu allen relevanten
Förderinstrumenten der Berufsbildung inklusive der Berufsvorbereitung
frühzeitig möglich sein und nicht erst nach 15 Monaten in Anspruch
genommen werden können.
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Abbildung 1: Bereinigte MINT-Arbeitskräftelücke
Aggregierte Differenz aus gesamtwirtschaftlich zu besetzenden Stellen und Arbeitslosen in den
Berufskategorien mit Fachkräfteengpässen (Berücksichtigung von qualifikatorischem Mismatch)
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, 2015; IW-Zukunftspanel, 2011; eigene Berechnungen
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Abbildung 2: Erosion der Beschäftigungsgewinne älterer MINTFacharbeiter
SV-pflichtig Beschäftigte in fachlich ausgerichteten MINT-Berufen im Alter ab 63 Jahren
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 3: Beschäftigungsentwicklung deutscher und
ausländischer MINT-Arbeitnehmer
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach MINT-Berufsaggregaten, Index (2012-Q4 = 100)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 4: Beschäftigungsentwicklung in MINT-Berufen nach
Nationalitäten (Zuwanderungsländer)
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in MINT-Berufen, Index (2012-Q4 = 100)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 5: MINT-Fachkräftesicherung durch ausländische
Arbeitnehmer
Anteil ausländischer Beschäftigter an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in MINTBerufen; Kreise und kreisfreie Städte; Stichtag: 31. Dezember 2014
Je dunkler das Blau/Grau, desto
stärker/schwächer die MINTFachkräftesicherung durch
ausländische Arbeitnehmer
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 6: MINT-Fachkräftesicherung durch ausländische
Arbeitnehmer - Veränderungsdynamik
Veränderung des Anteils ausländischer Beschäftigter an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in MINT-Berufen zwischen dem 31. Dezember 2012 und dem 31. Dezember 2014, in
Prozentpunkten; Kreise und kreisfreie Städte
Je dunkler das Grün/Rot, desto
stärker/schwächer die Zunahme
der MINT-Fachkräftesicherung
durch ausländische
Arbeitnehmer
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 7: Herausforderung Demografie: Ältere Arbeitnehmer in
MINT-Berufen
Anteil des Alterssegments ab 55 Jahren an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in MINTBerufen, in Prozent; Kreise und kreisfreie Städte; Stichtag: 31. Dezember 2014
Je dunkler das Blau/Grau, desto
kleiner/größer die demografische
Herausforderung in den MINTBerufen
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 8: Beschäftigungsentwicklung in MINT-Berufen nach
Nationalitäten (Flüchtlingsländer)
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in MINT-Berufen, Index (2012-Q4 = 100)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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Abbildung 9: Beschäftigungsdichte der MINT-Berufe nach
Nationalitätengruppen (Flüchtlingsländer)
Anteil der MINT-Berufe an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, in Prozent
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, 2015; eigene Berechnungen
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