Das Leserforum in der

LESERFORUM
Freie Presse
Mittwoch, 10. Juni 2015
LESEROBMANN
Heute mal
eine Predigt
REINHARD OLDEWEME
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G
ern dürfen Sie schmunzeln,
liebe Leser: In jungen Jahren
wollte ich Prediger werden;
später dann, als ich davon (wegen
der weltlichen Versuchungen) Abstand genommen hatte, wollte ich
meine Begabung nutzen, um als Politiker mein Auskommen zu finden.
Zum Glück dauerte diese Phase nur
bis zu dem Zeitpunkt, als mein Mentor mir sagte: Komm zur Zeitung,
Junge, da bist du richtig, dein lockeres Mundwerk und die spitze Feder
können wir gut gebrauchen. Wegen
der folgenden Wortwahl habe ich
Ihnen davon erzählt:
Seit Jahren predige ich wie mit
Engelszungen, wenn ich mit Anrufern spreche, dass sie mir möglichst
kurze Leserbriefe schreiben; so gut
wie immer ohne den gewünschten
Erfolg, denn was ich erhalte, ist in
neun von zehn Fällen zu lang, um
komplett im Leserforum zu erscheinen. Und ich predige wirklich, das
dürfen Sie mir glauben. Mein Talent
versagt hier, deshalb ist dies ein neuer, ein anderer Versuch.
Denn es geht, wenn man nur
will: Nach der Kolumne „Alles in einem Satz“ vor einer Woche haben
mehr als 20 Leser mir einen „Esbap“
(Ein-Satz-Brief-an-Politiker) mitgeteilt und ihre Meinung auf den
Punkt gebracht; ohne meine Hilfe,
ich musste nicht zusammenfassen.
Diese vier haben mir besonders gefallen (Namen wie immer bekannt):
Esbap 1: „Herr de Maizière, reicht
es, wenn ein Minister die Parolen der
Stammtische aufnimmt, sie als
Kernbotschaft seiner Flüchtlingspolitik verkündet, oder sollte er sich
eher mit Betroffenen, Flüchtlingsverbänden, Menschenrechtlern und
unabhängigen Kennern der Wirtschaft beraten, um Lösungen zu finden, die die Menschen weder kriminalisieren noch ausgrenzen?“
Esbap 2: „Lieber Herr Schulz, bevor Sie weiter darüber nachdenken,
wie Sie auf die jüngsten Einreiseverbote für EU-Politiker nach Russland
reagieren, möchte ich Sie daran erinnern, dass es seit mehr als einem
Jahr eine Sanktionsliste der EU gibt,
auf der Reisebeschränkungen für
russische Politiker stehen, und dass
Sie dies ganz normal finden.“
Esbap 3: „Liebe Frau Bellmann,
ich würde gern alle Rechte genießen
können, die auch jeder Heterosexuelle hat, denn ich bin nicht weniger
wert, nur weil Sie glauben, Gott habe das so nicht gewollt.“
Esbap 4: „Herr Gauck, kann es
sein, dass Ihnen ein Lapsus unterlief,
als Sie die mutige Beurteilung des
Massakers an den Armeniern durch
den Papst als „ersten Völkermord im
20. Jahrhundert“ nicht korrigierten,
obwohl Sie wussten, dass der erste
Genozid (1904/05) von deutschen
Kolonialherren an dem Volk der Herero in Namibia begangen wurde?“
Für das Leserforum gilt das Angebot: Manches kann man nicht straffen, aber wer es schafft, seine Meinung in einem oder maximal zwei
Sätzen zusammenzufassen, hat bei
mir einen Stein im Brett; vielleicht
auch zwei. Den einen „Esbal“ (mit
„l“) aber möchte ich nicht vorenthalten: „Lieber Leserobmann, glauben
Sie wirklich, dass auch nur ein einziger der angeschriebenen Politiker
diese Esbap liest, oder sollen sie nur
der Unterhaltung der Leser dienen?“
HINWEIS
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Seite B1
Wer streikt eigentlich für wen?
Der wochenlange
Ausstand der Erzieher in
kommunalen Kindereinrichtungen ist zwar
beendet worden und die
Schlichtung hat begonnen,
aber die Diskussion darüber ist noch nicht vorbei.
Kompromiss mit Augenmaß
Der Streik hat die Eltern in Atem gehalten. Erzieher und Sozialarbeiter
fühlen sich unzureichend anerkannt und unterbezahlt. Die Gewerkschaft stellt sich an die Spitze
der Forderungen und generiert
durch den Streik sicherlich neue
Mitglieder, denn ohne Mitgliedschaft können die Streikenden kein
Streikgeld empfangen. Die kommunalen Arbeitgeber befinden sich in
dem Dilemma, wenn sie auf die Forderungen eingehen, ihre knappen
Haushalte zu überziehen und das
Tarifgefüge im Öffentlichen Dienst
aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Die von Verdi angestrebte höhere
Eingruppierung der Erzieher führt
auch zu einer Gleichstellung in der
Vergütung bei hoch qualifizierten
Sachbearbeitern, die einen Hochschulabschluss besitzen müssen,
mit Erziehern, die einen anerkannten Fachabschluss haben. Wonach
bemisst sich eine angemessene Vergütung, nach Nutzen für die Gesellschaft, Komplexität der Aufgabe, kognitiven, psychischen, physischen
Anforderungen oder nach Qualifikationsniveau? Hierzu gibt es weder
von gesellschaftlichen Eliten noch
von der Wissenschaft klare Regeln.
Sicherlich möchten die Eltern ihre
Kinder optimal betreut und gefördert wissen. Aber wären sie bereit,
dafür höhere Beiträge zu zahlen? Jeder beansprucht ebenso beispielsweise eine kompetente Bearbeitung
seines Bauantrages, Sozialhilfeantrages oder möchte auf eine immissionsschutzrechtliche
Genehmigung einer Anlage in seinem Umfeld vertrauen können. Die Tarifpartner müssen einen Kompromiss
mit Augenmaß anstreben, der eine
moderat verbesserte Eingruppierung bei Erziehern mit höherwertigen Tätigkeitsmerkmalen vorsieht,
ohne das gesamte Tarifsystem zu
verzerren. Andernfalls würde der
Grundstein für Streiks anderer Beschäftigungsgruppen gelegt.
Axel Barth, Reinsdorf
Und wie steht es um die Moral?
Kaum zu glauben, wie eine Gewerkschaft wochenlang mit Menschen
umgeht, um ihre Lohnforderung
Der Mensch
gehört zur
Symbiose
Zur Reportage „Bunte Falter – bedrohte Vielfalt“ über ein Schmetterlingsprojekt:
Der letzte Satz lautet: „Wenn wir es
schaffen, dass Menschen, wenn sie
morgens aus dem Haus gehen, innehalten und sich darüber freuen, dass
da was flattert, dann haben wir
schon viel erreicht.“ Es liegt an uns,
den Blick und das Ohr zu öffnen für
die Geschenke, die die Natur uns bietet. Auch der Biologieunterricht und
Exkursionen sind gut geeignet. Zuviel Technik verbaut diese gute Gewohnheit ebenso wie die Ignoranz
eines Schöpfers. Dass alles voneinander abhängt und auch der Mensch
zu dieser Symbiose gehört, wird bei
allem Wirtschaftsdenken zu oft vergessen. Alle Achtung vor dem Engagement der Naturschützer, aber diese Ignoranz und Blindheit vor dem
Artensterben und dem Raubbau
wird uns teuer zu stehen kommen.
Irene Oelschmer, Lichtenstein
Rund 3000 Erzieher hatten in Leipzig für eine bessere Bezahlung ihrer Arbeit protestiert.
durchzusetzen. Viele Eltern, die keine Großeltern oder Verwandte zur
Betreuung haben, müssen unbezahlte Freistellung – wenn es deren
Chef erlaubt – oder ihren anders geplanten Urlaub nehmen, wenn
nicht sogar ihre Entlassung riskieren. Wohl dem, der Großeltern oder
Verwandte in der Nähe hat. Der
Streik wird aber vor allem auf dem
Rücken der Schwächsten, der Kinder, ausgetragen, die der Kita entfremdet und wochenlang aus ihrem
gewohnten Umfeld gerissen werden. Aber wie ist es eigentlich um
die Moral derjenigen Erzieherinnen
bestellt, die den Streik nach vier Wochen noch immer begrüßen und ihre Berufsehre mit Füßen treten, indem sie die ihnen anvertrauten Kinder schmählich im Stich lassen? Es
ist doch beschämend, wenn in Zwickau die Oberbürgermeisterin zu einem Gespräch lädt und von mehr
als 200 nur ca. 30 Erzieherinnen erscheinen. Oder hat etwa Verdi eine
höhere Teilnahme von Erzieherinnen durch gezielte Maßnahmen unterbunden?
Wolfgang Heinig, Zwickau
Gemeinsam gegen die Politik
Streik ist ein gutes Mittel, um gegen
Arbeitgeber vorzugehen, wenn sie
den Forderungen von Gewerkschaften nicht nachkommen. Dafür hat
jeder Gewerkschafter und Arbeitnehmer meine volle Unterstützung.
Zum Glück gibt es ein Recht auf Arbeitskämpfe. Nur sollte man darüber nachdenken, warum ein Arbeitskampf erfolgt. Es hat den Anschein, dass es der Machtbesessenheit einzelner Gewerkschaftsfunktionäre geschuldet ist, dass zum Arbeitskampf gerufen wird. Aus meiner Sicht geht es im Verdi-Arbeitskampf um Luxusprobleme, die fern
der Realität sind. Ich wüsste gern,
wie viele Reinigungskräfte, Angestellte bei Pflegediensten oder Zeitarbeitsfirmen oder Erzieher bei freien Trägern demnächst mit einer
Lohn- bzw. Gehaltserhöhung von
zehn Prozent rechnen können? Diese Berufsgruppen leisten einen
ebenso wichtigen Beitrag. Genauso
würde es mich interessieren, welcher Qualitätsschub bei der Erziehung unserer Kinder zu erwarten
ist, wenn die Arbeitgeber den Forderungen nachkommen. Sinkt die erzieherische Qualität bei einem
Kompromiss? Ich denke, es ist an der
Zeit, dass sich die Gewerkschaften
gegen Politik und Wirtschaft stellen,
damit es keine armen Kinder und
Familien mehr gibt.
Enrico Oertel, Zwickau
Mehr Bescheidenheit anstreben
Ob Lehrer und Erzieher, Lokführer
und Piloten oder wer auch immer
unter den Gutverdienenden – brauchen wir wirklich so viel Geld, um
leben zu können? Es gab und gibt
FOTO: PETER ENDIG/DPA
Menschen mit einem deutlich geringeren Einkommen. Bei gewollter
Einstimmung auf mehr Bescheidenheit ist ein Auskommen in Zufriedenheit dennoch auch mit weniger
Luxus möglich. Das sind Erfahrungswerte von einst und jetzt. Daher an alle, die sich schon eines guten Einkommens erfreuen können,
aber ein noch besseres erstreiken
wollen, die Frage, ob man das viele
Geld wirklich braucht, um (über-)leben zu können, oder ob es mehr oder
weniger nur um eine wünschenswerte Anpassung an den Standard
der noch besser Verdienenden geht?
Beim Streben nach mehr werden sowohl die Lohn- und Gehaltsspirale
kein Ende haben als auch die (globalen) Ungerechtigkeiten und die tatsächliche Armut in unserer unmittelbaren und fernen Umgebung. Liebe Leute, kommt zur Vernunft zurück. Unsere Gesellschaft und die
Welt brauchen euch ganz dringend.
Im Übrigen warte ich auf den Tag,
an dem am Ende eines erfolgreichen
Streiks einer x-beliebigen Berufsgruppe im Moment der Wiederaufnahme des Normalbetriebes die
„Kunden“ der im Ausstand Gewesenen ihre Transparente mit der Aufschrift „Jetzt streiken wir“ hochhalten. Ein solcher Boykott hätte sicher
eine nachhaltig heilsame Wirkung,
lässt sich aber leider gewerkschaftlich nicht organisieren.
Reiner Bätz, Neumark
Dederon als Antwort
auf den Nylonstrumpf
Zur Reportage „Die künstliche
Versuchung“:
Der Autor scheint sich mit der Mode
im Osten nicht auszukennen, sonst
hätte er den Dederonstrumpf erwähnen müssen. Aus dem in der
DDR entwickelten Grundstoff wurden vielfältige Dinge auf den Markt
gebracht, Hemden, Einkaufsbeutel
und eben auch Strümpfe. Wieder eine modische Antwort der sozialistischen Planwirtschaft auf ein Produkt der westlichen Marktwirtschaft. Jedenfalls gehören zur Modegeschichte nicht nur Nylon- und
Perlonstrümpfe, sondern auch Beinkleider aus Dederon.
Peter Langenhagen, Limbach-O.
KURZ UND KNAPP
Zum Artikel „Bald weniger Verkehrsverbünde? Strategie für
Nahverkehr gesucht“:
Bei der Einführung eines einheitlichen Tarifsystems im Nahverkehr
sollte man von den ungerechten Tarifzonen Abschied nehmen. Diese
können zu hohen Preissprüngen
führen, wenn eine Zonengrenze gerade eben überquert wird. Die Zonen-Tarife sind überlebt, denn sie
stammen aus einer Zeit, in der es
noch keine Automaten gab, die in
der Lage sind, Fahrkarten mit kilometergenauem Preis auszugeben.
Peter Blaudeck, Neukirchen
Statt Populismus mehr seriöse Ermittlungen
Zu Berichten und
Kommentaren über die
Vorwürfe der Korruption
beim Weltfußballverband
(Fifa) und internationale
Reaktionen darauf haben
uns Leser ihre Meinung
mitgeteilt.
Aufarbeitung nur umfassend
Wenn die Fifa unter dem „Netzwerk“ des Herrn Blatter korrupt und
kriminell ist, wie es den Anschein
hat, und wenn Unregelmäßigkeiten
bei den WM-Vergaben 2018 und
2022 aufgetreten sein sollten, dann
ergibt sich notwendigerweise folgende Überlegung: Natürlich ist es
im Interesse des Fußballs nicht nur
wünschenswert, sondern sogar dringend erforderlich, alle Unregelmäßigkeiten und kriminellen Hand-
lungen umfassend aufzuklären und
abzustellen. Hier helfen nur seriöse
Ermittlungen bzw. Beweise und keine populistischen Beiträge wie der
ARD-Film „Der verkaufte Fußball“.
Deutsche Politiker und Journalisten
sollten ohnehin den Ball flach halten. Blatter ist seit 1998 Fifa-Präsident. Demzufolge fällt auch die
WM-Vergabe an Deutschland (2006)
in seine offensichtlich endlose
Amtszeit und in die Wirkungsepoche seines „Netzwerkes“. Also müssen sämtliche WM-Vergaben unter
Blatter untersucht werden und
nicht nur die an Russland und Katar.
Oder will man den Fußballanhängern – und nicht nur denen – ernsthaft weismachen, dass die angebliche Kriminalität der skandalumwitterten Fifa nun ausgerechnet (und
wie politisch passend) bei der WMVergabe an Russland begann, während bei den vorangegangenen
WM-Vergaben (also auch jener für
2006) alles ganz sauber abgelaufen
sein soll? Dann kann es natürlich
man aufarbeitet, dann umfassend
und nicht nur einseitig, um eine politisch motivierte Neuvergabe der
nächsten Weltmeisterschaft zu betreiben.
Gert Aisch, Chemnitz
Auf dem Höhepunkt des Skandals
war Fifa-Präsident Joseph Blatter
zurückgetreten. FOTO: ENNIO LEANZA/DPA
sein, dass bei einer umfassenden
Aufarbeitung und Ermittlung auch
das deutsche Sommermärchen 2006
einen sehr üblen Nachgeschmack
bekommt und zukünftig in einem
ganz anderen Licht erscheint. Wenn
Es geht um politische Ziele
Betrachtet man die Entwicklung in
der Fifa genauer, so bestehen die
Probleme des Machtmissbrauchs,
der Korruption, der Bestechung bei
der Vergabe von TV-Rechten usw.
schon über viele Jahre. Doch warum
sollte es hier anders sein als in allen
anderen Bereichen der Gesellschaft.
Stellt sich die Frage, warum die USA
kurz vor der Wahl des Fifa-Präsidenten öffentlichkeitswirksam Ermittlungen gegen Personen aus der Führungsriege wegen Vorfällen, die teilweise bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen, einleiten? Offensichtlich wollten sie damit versuchen, ihren Kandidaten, den Sohn des jordanischen Königs Hussein (Prinz Ali),
an die Spitze der Fifa zu bringen. Jor-
danien gehört zu den wichtigsten
Verbündeten der USA und ist aus
Sicht der gegenwärtigen Kriege im
arabischen Raum von strategischer
Bedeutung. Ein weiterer Aspekt:
Zwei Mitglieder des USA-Senats
richteten einen offenen Brief an den
Fifa-Kongress, in dem sie dazu aufriefen, einen neuen Präsidenten – also Prinz Ali als einzigen Gegenkandidaten zu Blatter – zu wählen, der
Russland die Ausführung der WM
2018 entzieht. Bekanntermaßen
wurde auch in der Vergangenheit
Druck auf Blatter ausgeübt, um die
Vergabe der Fußball-WM 2018 an
Russland zu verhindern. Und auch
aus Deutschland gibt es Stimmen,
die sich derartigen Forderungen anschließen. Diese und weitere Faktoren werden durch die USA jetzt, zu
einem für sie passenden Zeitpunkt
ins Spiel gebracht, um nunmehr
auch mithilfe des Sports ihre politischen Ziele und globalen Machtinteressen durchzusetzen.
Dietmar Hänel, Flöha