LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 10. Juni 2015 LESEROBMANN Heute mal eine Predigt REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] G ern dürfen Sie schmunzeln, liebe Leser: In jungen Jahren wollte ich Prediger werden; später dann, als ich davon (wegen der weltlichen Versuchungen) Abstand genommen hatte, wollte ich meine Begabung nutzen, um als Politiker mein Auskommen zu finden. Zum Glück dauerte diese Phase nur bis zu dem Zeitpunkt, als mein Mentor mir sagte: Komm zur Zeitung, Junge, da bist du richtig, dein lockeres Mundwerk und die spitze Feder können wir gut gebrauchen. Wegen der folgenden Wortwahl habe ich Ihnen davon erzählt: Seit Jahren predige ich wie mit Engelszungen, wenn ich mit Anrufern spreche, dass sie mir möglichst kurze Leserbriefe schreiben; so gut wie immer ohne den gewünschten Erfolg, denn was ich erhalte, ist in neun von zehn Fällen zu lang, um komplett im Leserforum zu erscheinen. Und ich predige wirklich, das dürfen Sie mir glauben. Mein Talent versagt hier, deshalb ist dies ein neuer, ein anderer Versuch. Denn es geht, wenn man nur will: Nach der Kolumne „Alles in einem Satz“ vor einer Woche haben mehr als 20 Leser mir einen „Esbap“ (Ein-Satz-Brief-an-Politiker) mitgeteilt und ihre Meinung auf den Punkt gebracht; ohne meine Hilfe, ich musste nicht zusammenfassen. Diese vier haben mir besonders gefallen (Namen wie immer bekannt): Esbap 1: „Herr de Maizière, reicht es, wenn ein Minister die Parolen der Stammtische aufnimmt, sie als Kernbotschaft seiner Flüchtlingspolitik verkündet, oder sollte er sich eher mit Betroffenen, Flüchtlingsverbänden, Menschenrechtlern und unabhängigen Kennern der Wirtschaft beraten, um Lösungen zu finden, die die Menschen weder kriminalisieren noch ausgrenzen?“ Esbap 2: „Lieber Herr Schulz, bevor Sie weiter darüber nachdenken, wie Sie auf die jüngsten Einreiseverbote für EU-Politiker nach Russland reagieren, möchte ich Sie daran erinnern, dass es seit mehr als einem Jahr eine Sanktionsliste der EU gibt, auf der Reisebeschränkungen für russische Politiker stehen, und dass Sie dies ganz normal finden.“ Esbap 3: „Liebe Frau Bellmann, ich würde gern alle Rechte genießen können, die auch jeder Heterosexuelle hat, denn ich bin nicht weniger wert, nur weil Sie glauben, Gott habe das so nicht gewollt.“ Esbap 4: „Herr Gauck, kann es sein, dass Ihnen ein Lapsus unterlief, als Sie die mutige Beurteilung des Massakers an den Armeniern durch den Papst als „ersten Völkermord im 20. Jahrhundert“ nicht korrigierten, obwohl Sie wussten, dass der erste Genozid (1904/05) von deutschen Kolonialherren an dem Volk der Herero in Namibia begangen wurde?“ Für das Leserforum gilt das Angebot: Manches kann man nicht straffen, aber wer es schafft, seine Meinung in einem oder maximal zwei Sätzen zusammenzufassen, hat bei mir einen Stein im Brett; vielleicht auch zwei. Den einen „Esbal“ (mit „l“) aber möchte ich nicht vorenthalten: „Lieber Leserobmann, glauben Sie wirklich, dass auch nur ein einziger der angeschriebenen Politiker diese Esbap liest, oder sollen sie nur der Unterhaltung der Leser dienen?“ HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Wer streikt eigentlich für wen? Der wochenlange Ausstand der Erzieher in kommunalen Kindereinrichtungen ist zwar beendet worden und die Schlichtung hat begonnen, aber die Diskussion darüber ist noch nicht vorbei. Kompromiss mit Augenmaß Der Streik hat die Eltern in Atem gehalten. Erzieher und Sozialarbeiter fühlen sich unzureichend anerkannt und unterbezahlt. Die Gewerkschaft stellt sich an die Spitze der Forderungen und generiert durch den Streik sicherlich neue Mitglieder, denn ohne Mitgliedschaft können die Streikenden kein Streikgeld empfangen. Die kommunalen Arbeitgeber befinden sich in dem Dilemma, wenn sie auf die Forderungen eingehen, ihre knappen Haushalte zu überziehen und das Tarifgefüge im Öffentlichen Dienst aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die von Verdi angestrebte höhere Eingruppierung der Erzieher führt auch zu einer Gleichstellung in der Vergütung bei hoch qualifizierten Sachbearbeitern, die einen Hochschulabschluss besitzen müssen, mit Erziehern, die einen anerkannten Fachabschluss haben. Wonach bemisst sich eine angemessene Vergütung, nach Nutzen für die Gesellschaft, Komplexität der Aufgabe, kognitiven, psychischen, physischen Anforderungen oder nach Qualifikationsniveau? Hierzu gibt es weder von gesellschaftlichen Eliten noch von der Wissenschaft klare Regeln. Sicherlich möchten die Eltern ihre Kinder optimal betreut und gefördert wissen. Aber wären sie bereit, dafür höhere Beiträge zu zahlen? Jeder beansprucht ebenso beispielsweise eine kompetente Bearbeitung seines Bauantrages, Sozialhilfeantrages oder möchte auf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer Anlage in seinem Umfeld vertrauen können. Die Tarifpartner müssen einen Kompromiss mit Augenmaß anstreben, der eine moderat verbesserte Eingruppierung bei Erziehern mit höherwertigen Tätigkeitsmerkmalen vorsieht, ohne das gesamte Tarifsystem zu verzerren. Andernfalls würde der Grundstein für Streiks anderer Beschäftigungsgruppen gelegt. Axel Barth, Reinsdorf Und wie steht es um die Moral? Kaum zu glauben, wie eine Gewerkschaft wochenlang mit Menschen umgeht, um ihre Lohnforderung Der Mensch gehört zur Symbiose Zur Reportage „Bunte Falter – bedrohte Vielfalt“ über ein Schmetterlingsprojekt: Der letzte Satz lautet: „Wenn wir es schaffen, dass Menschen, wenn sie morgens aus dem Haus gehen, innehalten und sich darüber freuen, dass da was flattert, dann haben wir schon viel erreicht.“ Es liegt an uns, den Blick und das Ohr zu öffnen für die Geschenke, die die Natur uns bietet. Auch der Biologieunterricht und Exkursionen sind gut geeignet. Zuviel Technik verbaut diese gute Gewohnheit ebenso wie die Ignoranz eines Schöpfers. Dass alles voneinander abhängt und auch der Mensch zu dieser Symbiose gehört, wird bei allem Wirtschaftsdenken zu oft vergessen. Alle Achtung vor dem Engagement der Naturschützer, aber diese Ignoranz und Blindheit vor dem Artensterben und dem Raubbau wird uns teuer zu stehen kommen. Irene Oelschmer, Lichtenstein Rund 3000 Erzieher hatten in Leipzig für eine bessere Bezahlung ihrer Arbeit protestiert. durchzusetzen. Viele Eltern, die keine Großeltern oder Verwandte zur Betreuung haben, müssen unbezahlte Freistellung – wenn es deren Chef erlaubt – oder ihren anders geplanten Urlaub nehmen, wenn nicht sogar ihre Entlassung riskieren. Wohl dem, der Großeltern oder Verwandte in der Nähe hat. Der Streik wird aber vor allem auf dem Rücken der Schwächsten, der Kinder, ausgetragen, die der Kita entfremdet und wochenlang aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen werden. Aber wie ist es eigentlich um die Moral derjenigen Erzieherinnen bestellt, die den Streik nach vier Wochen noch immer begrüßen und ihre Berufsehre mit Füßen treten, indem sie die ihnen anvertrauten Kinder schmählich im Stich lassen? Es ist doch beschämend, wenn in Zwickau die Oberbürgermeisterin zu einem Gespräch lädt und von mehr als 200 nur ca. 30 Erzieherinnen erscheinen. Oder hat etwa Verdi eine höhere Teilnahme von Erzieherinnen durch gezielte Maßnahmen unterbunden? Wolfgang Heinig, Zwickau Gemeinsam gegen die Politik Streik ist ein gutes Mittel, um gegen Arbeitgeber vorzugehen, wenn sie den Forderungen von Gewerkschaften nicht nachkommen. Dafür hat jeder Gewerkschafter und Arbeitnehmer meine volle Unterstützung. Zum Glück gibt es ein Recht auf Arbeitskämpfe. Nur sollte man darüber nachdenken, warum ein Arbeitskampf erfolgt. Es hat den Anschein, dass es der Machtbesessenheit einzelner Gewerkschaftsfunktionäre geschuldet ist, dass zum Arbeitskampf gerufen wird. Aus meiner Sicht geht es im Verdi-Arbeitskampf um Luxusprobleme, die fern der Realität sind. Ich wüsste gern, wie viele Reinigungskräfte, Angestellte bei Pflegediensten oder Zeitarbeitsfirmen oder Erzieher bei freien Trägern demnächst mit einer Lohn- bzw. Gehaltserhöhung von zehn Prozent rechnen können? Diese Berufsgruppen leisten einen ebenso wichtigen Beitrag. Genauso würde es mich interessieren, welcher Qualitätsschub bei der Erziehung unserer Kinder zu erwarten ist, wenn die Arbeitgeber den Forderungen nachkommen. Sinkt die erzieherische Qualität bei einem Kompromiss? Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich die Gewerkschaften gegen Politik und Wirtschaft stellen, damit es keine armen Kinder und Familien mehr gibt. Enrico Oertel, Zwickau Mehr Bescheidenheit anstreben Ob Lehrer und Erzieher, Lokführer und Piloten oder wer auch immer unter den Gutverdienenden – brauchen wir wirklich so viel Geld, um leben zu können? Es gab und gibt FOTO: PETER ENDIG/DPA Menschen mit einem deutlich geringeren Einkommen. Bei gewollter Einstimmung auf mehr Bescheidenheit ist ein Auskommen in Zufriedenheit dennoch auch mit weniger Luxus möglich. Das sind Erfahrungswerte von einst und jetzt. Daher an alle, die sich schon eines guten Einkommens erfreuen können, aber ein noch besseres erstreiken wollen, die Frage, ob man das viele Geld wirklich braucht, um (über-)leben zu können, oder ob es mehr oder weniger nur um eine wünschenswerte Anpassung an den Standard der noch besser Verdienenden geht? Beim Streben nach mehr werden sowohl die Lohn- und Gehaltsspirale kein Ende haben als auch die (globalen) Ungerechtigkeiten und die tatsächliche Armut in unserer unmittelbaren und fernen Umgebung. Liebe Leute, kommt zur Vernunft zurück. Unsere Gesellschaft und die Welt brauchen euch ganz dringend. Im Übrigen warte ich auf den Tag, an dem am Ende eines erfolgreichen Streiks einer x-beliebigen Berufsgruppe im Moment der Wiederaufnahme des Normalbetriebes die „Kunden“ der im Ausstand Gewesenen ihre Transparente mit der Aufschrift „Jetzt streiken wir“ hochhalten. Ein solcher Boykott hätte sicher eine nachhaltig heilsame Wirkung, lässt sich aber leider gewerkschaftlich nicht organisieren. Reiner Bätz, Neumark Dederon als Antwort auf den Nylonstrumpf Zur Reportage „Die künstliche Versuchung“: Der Autor scheint sich mit der Mode im Osten nicht auszukennen, sonst hätte er den Dederonstrumpf erwähnen müssen. Aus dem in der DDR entwickelten Grundstoff wurden vielfältige Dinge auf den Markt gebracht, Hemden, Einkaufsbeutel und eben auch Strümpfe. Wieder eine modische Antwort der sozialistischen Planwirtschaft auf ein Produkt der westlichen Marktwirtschaft. Jedenfalls gehören zur Modegeschichte nicht nur Nylon- und Perlonstrümpfe, sondern auch Beinkleider aus Dederon. Peter Langenhagen, Limbach-O. KURZ UND KNAPP Zum Artikel „Bald weniger Verkehrsverbünde? Strategie für Nahverkehr gesucht“: Bei der Einführung eines einheitlichen Tarifsystems im Nahverkehr sollte man von den ungerechten Tarifzonen Abschied nehmen. Diese können zu hohen Preissprüngen führen, wenn eine Zonengrenze gerade eben überquert wird. Die Zonen-Tarife sind überlebt, denn sie stammen aus einer Zeit, in der es noch keine Automaten gab, die in der Lage sind, Fahrkarten mit kilometergenauem Preis auszugeben. Peter Blaudeck, Neukirchen Statt Populismus mehr seriöse Ermittlungen Zu Berichten und Kommentaren über die Vorwürfe der Korruption beim Weltfußballverband (Fifa) und internationale Reaktionen darauf haben uns Leser ihre Meinung mitgeteilt. Aufarbeitung nur umfassend Wenn die Fifa unter dem „Netzwerk“ des Herrn Blatter korrupt und kriminell ist, wie es den Anschein hat, und wenn Unregelmäßigkeiten bei den WM-Vergaben 2018 und 2022 aufgetreten sein sollten, dann ergibt sich notwendigerweise folgende Überlegung: Natürlich ist es im Interesse des Fußballs nicht nur wünschenswert, sondern sogar dringend erforderlich, alle Unregelmäßigkeiten und kriminellen Hand- lungen umfassend aufzuklären und abzustellen. Hier helfen nur seriöse Ermittlungen bzw. Beweise und keine populistischen Beiträge wie der ARD-Film „Der verkaufte Fußball“. Deutsche Politiker und Journalisten sollten ohnehin den Ball flach halten. Blatter ist seit 1998 Fifa-Präsident. Demzufolge fällt auch die WM-Vergabe an Deutschland (2006) in seine offensichtlich endlose Amtszeit und in die Wirkungsepoche seines „Netzwerkes“. Also müssen sämtliche WM-Vergaben unter Blatter untersucht werden und nicht nur die an Russland und Katar. Oder will man den Fußballanhängern – und nicht nur denen – ernsthaft weismachen, dass die angebliche Kriminalität der skandalumwitterten Fifa nun ausgerechnet (und wie politisch passend) bei der WMVergabe an Russland begann, während bei den vorangegangenen WM-Vergaben (also auch jener für 2006) alles ganz sauber abgelaufen sein soll? Dann kann es natürlich man aufarbeitet, dann umfassend und nicht nur einseitig, um eine politisch motivierte Neuvergabe der nächsten Weltmeisterschaft zu betreiben. Gert Aisch, Chemnitz Auf dem Höhepunkt des Skandals war Fifa-Präsident Joseph Blatter zurückgetreten. FOTO: ENNIO LEANZA/DPA sein, dass bei einer umfassenden Aufarbeitung und Ermittlung auch das deutsche Sommermärchen 2006 einen sehr üblen Nachgeschmack bekommt und zukünftig in einem ganz anderen Licht erscheint. Wenn Es geht um politische Ziele Betrachtet man die Entwicklung in der Fifa genauer, so bestehen die Probleme des Machtmissbrauchs, der Korruption, der Bestechung bei der Vergabe von TV-Rechten usw. schon über viele Jahre. Doch warum sollte es hier anders sein als in allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Stellt sich die Frage, warum die USA kurz vor der Wahl des Fifa-Präsidenten öffentlichkeitswirksam Ermittlungen gegen Personen aus der Führungsriege wegen Vorfällen, die teilweise bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen, einleiten? Offensichtlich wollten sie damit versuchen, ihren Kandidaten, den Sohn des jordanischen Königs Hussein (Prinz Ali), an die Spitze der Fifa zu bringen. Jor- danien gehört zu den wichtigsten Verbündeten der USA und ist aus Sicht der gegenwärtigen Kriege im arabischen Raum von strategischer Bedeutung. Ein weiterer Aspekt: Zwei Mitglieder des USA-Senats richteten einen offenen Brief an den Fifa-Kongress, in dem sie dazu aufriefen, einen neuen Präsidenten – also Prinz Ali als einzigen Gegenkandidaten zu Blatter – zu wählen, der Russland die Ausführung der WM 2018 entzieht. Bekanntermaßen wurde auch in der Vergangenheit Druck auf Blatter ausgeübt, um die Vergabe der Fußball-WM 2018 an Russland zu verhindern. Und auch aus Deutschland gibt es Stimmen, die sich derartigen Forderungen anschließen. Diese und weitere Faktoren werden durch die USA jetzt, zu einem für sie passenden Zeitpunkt ins Spiel gebracht, um nunmehr auch mithilfe des Sports ihre politischen Ziele und globalen Machtinteressen durchzusetzen. Dietmar Hänel, Flöha
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