SARGANSERLAND Sarganserländer | Donnerstag, 28. Mai 2015 3 Blatter – Gewinner, nicht Verlierer Der Imageschaden für die Fifa ist gross, für Präsident Joseph S. Blatter dürfte der gestrige Tag aber keine negativen Folgen haben – im Gegenteil. Dargebotene Hand für Unternehmen in Not: Die Adlatus Südostschweiz hilft auch KMUs im Sarganserland, um geschäftsinterne Probleme zu lösen. Adlatus: Helden mit Anzug, Krawatte und silbernem Haar Sie sind allesamt Pensionäre. Und sie alle haben in ihrer Karriere schon erfolgreich ein Unternehmen geleitet. Sie wollen sich noch nicht zurücklehnen. Also helfen sie kleinen und mittleren Unternehmen. Sie beraten, sie führen, sie treffen Entscheidungen. Sie sind die Adlaten. Und irgendwie Helden. D von Michael Kohler arf es Milch oder Zucker sein? Eine Frau macht im grossen Sitzungszimmer die Runde. Sie scheint eine Sekretärin zu sein, bietet mit einem sympathischen Lächeln Kaffee an. Antwort erhält sie ausschliesslich von älteren Herren. Oftmals mit grauem Haar und Brille. Mit Falten im Gesicht. Und allesamt tragen sie Hemden. Sie sind die Adlaten, erfolgreiche Unternehmer im Pensionsalter. Manager und Banker, Buchhalter und Finanzchefs, Wirtschaftsprüfer und Personalführer, die ihr Wissen lieber in beratender Funktion an die Nachwelt weitergeben wollen, als kürzerzutreten. Sechs Mal im Jahr treffen sie sich zu Sitzungen. Heute einmal in Flums. Heute einmal bei der Bartholet BMF Group AG. Ich bestelle beides, etwas Milch und Zucker. Noch bevor ich mich an den grossen ovalen Tisch setzen kann, halte ich meinen Kaffee in der Hand. Ich schaue in die Runde. Der ehemalige Präsident René Rösch hat mich herbestellt. Ich solle an einer Sitzung teilnehmen. Ein wenig Adlatus-Luft schnuppern. Den Puls fühlen, damit ich später darüber berichten kann. Sein Nachfolger ist nicht unter den zehn Anwesenden, verweilt derzeit im Ausland. Hannes Jost übernimmt als Vizepräsident von Adlatus Südostschweiz das Zepter. Er begrüsst die Anwesenden, stellt sich vor, dankt der Bartholet BMF Group AG für das Gastrecht. Es ist Viertel nach acht. Das Prinzip ist einfach: Meldet sich ein Unternehmen mit einem Problem, nimmt einer der Adlaten ein Mandat auf. Es wird eine schriftliche Vereinbarung zwischen Mandant und Adlat getroffen, das beidseitig jederzeit gekündigt werden kann. Der Adlat wird ein Berater auf Zeit, wobei die Dauer des Mandats immer von der Problematik des Betriebs abhängig ist. Durchschnittlich dauert ein solches rund ein Vierteljahr. Treffen bei den Grossen Mittlerweile sind alle mit Kaffee bedient, das Meeting kann beginnen. Sitzungen wie diese sind dazu da, offene Mandate und den öffentlichen Auftritt zu besprechen, sich gegenseitig zu beraten und so branchenübergreifende Synergien zu nutzen – eine der grössten Stärken der Adlaten. Jedes Treffen findet in einem der grossen Betriebe im Sarganserland oder Bündnerland statt. Dabei verbinden die Adlaten ihre Sitzungen immer mit der Präsentation des jeweiligen Betriebs. «Wir hatten schon Zusammenkünfte bei Grüninger Mühlen (Flums), in der Flumserei, beim Militär Walenstadt und bei der Cobinet AG (Buchs)», so Rösch. Adrian Beer, Leiter Marketing und Verkauf (CMO) der Bartholet BMF Group AG, betritt den Raum, um sein Unternehmen erst auf der Leinwand, dann auch bei einem Durchgang durch den gesamten Betrieb vorzustellen. Nach dem betriebswirtschaftlichen Intermezzo kommen die zehn anwesenden Adlaten zum Wesentlichen. Es ist zehn Uhr. Spezialisten für den Ernstfall «Sorgentelefon» fruchtet «Adlatus» – aus dem lateinischen frei mit «Gehilfe, ein Helfer oder ein Beistand» übersetzt – bezeichnet ein schweizweit tätiges Netzwerk erfahrener ehemaliger Führungskräfte und Spezialisten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) mit Schwierigkeiten eine Hand zu bieten. Die Mitglieder bringen wertvolle Erfahrungen aus dem Gewerbe, der Gastronomie, dem Detailhandel sowie dem Tourismus mit. Ob Strategiewechsel, Nachfolgeregelung, Businessplanerstellung für Start-ups oder auch Managementersatz auf Zeit: Adlatus bietet schnelle und kompetente Unterstützung. Das jüngste Kind der Adlatus Südostschweiz ist zugleich das erste Traktandum: Der Verein hat unter der Kampagne «Wenn der Schuh drückt... Wir unterstützen Sie – ihr KMU-Partner» ein «Sorgentelefon» für kleine und mittlere Unternehmen eingerichtet. Es soll den Erstkontakt für Hilfesuchende Adlaten sind Unternehmer im Pensionsalter, die KMUs bei Problemen ihre Hilfe anbieten. erleichtern. Unter der Gratisnummer 0848 48 48 88 kann man von 7 bis 18 Uhr sein Problem schildern. Und die jüngste Initiative der Adlaten scheint zu fruchten. Obwohl nur zehn Herren anwesend sind, bestehe die Sektion Südostschweiz mittlerweile aus 19 Männern und einer Frau. «Wir sind in den letzten Jahren nicht nur anzahlmässig gewachsen», erklärt Vizepräsident Hannes Jost. Auch ideell und finanziell würden jetzt die Mittel zur Verfügung stehen, um die Dienstleistungen der breiten Öffentlichkeit anbieten zu können. «Die regionalen Sektionen sind um ein Vielfaches autonomer als früher, wo alles von der Adlatus-Zentrale in Olten gesteuert wurde», so Hannes Jost. Mit Inseraten, Zeitungsberichten und Interviews macht die Sektion Südostschweiz nun vermehrt auf sich aufmerksam. Und Schweizer Statistiken belegen, dass die Nachfrage geradezu nach dem Angebot der Adlaten schreit: Bernhard Stoll, jahrelanger Adlat für die Region Südostschweiz, führt aus: «In der Schweiz gibt es 300 000 Unternehmen. 297 000 davon sind KMUs. 12 000 kleine und mittlere Unternehmen haben jährlich Probleme mit der Nachfolgeregelung. Und diese ist nur ein Bruchteil unseres Aufgabenfelds.» Der Weg zum Adlat Die Sitzung zieht sich durch die Traktanden. Nicht nur für mich ist das meiste Neuland: Zu meiner Rechten sitzt Markus Fischer, ehemaliger Geschäftsleiter im Bankwesen, Detailhandel und in der Industrie – und seit kurzem Adlat. Er unterbricht, stellt Fragen, berichtet von einem kürzlich angenommenen Mandat in Basel (natürlich ohne den Mandanten zu erwähnen). Der Dialog entsteht. Keine hitzige Diskussion, keine Wortgefechte, nur ein Gespräch in einer aussergewöhnlich angenehmen Atmosphäre. Ich beobachte nur. Und fühle mich wohl. «Potenzielle Adlaten müssen nicht nur gewisse Kriterien erfüllen, sie müssen auch menschlich in unsere Runde passen», begründet Hannes Jost die Harmonie unter den Anwesenden. Alle weiteren Kriterien sind klar geregelt: Der Anwärter oder die Anwärterin muss pensioniert und/oder älter als 55 Jahre alt sein, eine ehemalige Funktion 12 000 Betriebe haben jährlich Probleme mit der Nachfolgeregelung. als Unternehmer oder Manager auf hoher Kaderstufe innehaben und ausgewiesene Führungspersönlichkeit aufweisen. Weiter muss die Person spezialisiert sein auf Human resources, Finanzen, Controlling, Détailhandel, Versicherungen etc. Er muss finanziell abgesichert und unabhängig sein und über die nötige Freizeit verfügen. «Und schliesslich muss auch der Wille spürbar sein, sich in der Adlatus-Gemeinschaft zu engagieren», ergänzt Hannes Jost das Anforderungsprofil. Helden mit kleinem Honorar Doch warum sich pensionierter Männer bedienen, wenn sich auf dem Markt professionelle Managementund Beraterfirmen anbieten? Die Frage brennt mir unter den Nägeln, ich brauche sie aber nicht zu stellen. Jost kommt mir zuvor: Einerseits zeuge das Alter der Adlaten von einem grossen Fundus an Erfahrungen, andererseits strahle es Vertrauenswürdigkeit aus. «Zudem sind wir eine Non-Profit-Vereinigung und können darum völlig unabhängig agieren. Weil wir nicht vom Umsatz abhängig sind, müssen wir kein Blatt vor den Mund nehmen», erklärt Jost. Das erleichtere ein Gespräch auf Augenhöhe. Das Honorar fällt dabei meist moderat aus, je nach Mandat und Möglichkeit der Kunden. Es ist elf Uhr. Nächstes Traktandum: Die Mandate. Der Diskretion halber wird es Zeit für mich, das Sitzungszimmer zu verlassen. Verständlich, bei einer Geschäftsidee, die auf einem solchen Mass auf Vertrauen basiert. Ein letzter Schluck Kaffee, dann verabschiede ich mich. Die Herren erheben sich, geben mir die Hand. Da ist diese Vertrautheit, die Jost angesprochen hat. Dieser Anstand, wie früher. Die Gesellschaft erinnert mich irgendwie an Sean Connery und seine Liga der aussergewöhnlichen Gentlemen. Mit diesem Gedanken trete ich aus der Tür. Ihre Absicht zu helfen zeigt es: Irgendwie sind diese Adlaten auf ihre eigene Art Helden. Ein Kommentar von René Weber Sportchef V orwürfe und Mutmassungen gehören bei der Fifa zum Alltag. Obwohl sie in regelmässigen Abständen im Kreuzfeuer der Kritik steht, Korruptionsvorwürfen ausgesetzt ist und ihr Schmiergeldaffären nachgesagt werden, fehlen dafür die grossen Beweise. Was sich gestern in Zürich ereignet hat, war aber auch für die Fifa einmalig. Wie gross der Imageschaden nach mehreren Verhaftungen zwei Tage vor der traditionell pompösen Präsidentenwahl ist, ist schwer einzuschätzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dadurch kaum etwas verändern wird, ist dagegen gross. Die dunklen Wolken, die über dem Fifa-Hauptsitz auf dem Zürichberg aufgezogen sind, werden sich schnell verziehen. Just in der Stunde des grössten Skandals des Weltfussballverbandes zeigte sich, wie clever ausgerechnet die Fifa und ihr Sonnenkönig agieren. Statt sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen und abzuwarten, gingen sie in die Offensive. Sie hätten den Skandal mit einer Anzeige selbst ausgelöst. Sie würden mit den Behörden kooperieren. Mit ungetreuer Geschäftsbesorgung und Geldwäscherei hätten sie nichts zu tun. Das und Ähnliches liess Fifa-Boss Blatter über seine Getreuen verlauten. Dass die Fifa davon sprach, dass sie die geschädigte Partei sei, geht aber entschieden zu weit. Heiliger als der Papst ist der Weltfussball nicht, ist auch Joseph S. Blatter nicht. Blatter ist ein schlauer Mann. Seit Jahren wehrt er Angriffe auf seine Position erfolgreich ab. Von den Kandidaten, die ihn vom Thron stossen wollten, ist einer übrig geblieben. Seine Wiederwahl gilt nicht nur als sicher, sie war nie ernsthaft gefährdet. Mit dem gestrigen Tag ist Blatters Macht sogar grösser geworden. Die Personen, die von den Schweizer Behörden im US-Auftrag dingfest gemacht wurden, gehören primär dem gegnerischen Lager an. So komisch es klingen mag, Blatter ist kein Verlierer, sondern ein Gewinner. Dem Walliser winkt nicht nur eine fünfte Amtszeit. Er bekommt gleichzeitig die einmalige Chance, sich unsterblich zu machen und von allen gefeiert zu werden. Dafür müsste er nur über die nächsten WM-Endrunden nochmals transparent abstimmen lassen. Dass Katar ein riesengrosser Irrtum ist, weiss der «Sepp» aus dem Wallis so gut wie wir alle auch.
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