4 Monatsinterview Dorf-Blitz 05/2015 Der Nürensdorfer Gemeindeschreiber Heinz Stauch wird pensioniert «Ich bin manchmal schon etwas autokratisch» Nach 36 Jahren Verwaltungsarbeit legt der Nürensdorfer Gemeindeschreiber Heinz Stauch Mitte Juni seine vielfältigen Aufgaben in neue Hände. Seine Art, vorsichtig und umsichtig zu planen, hat dem Dorf finanzielle Sicherheit gebracht. Er sei nicht amtsmüde, verrät er im Gespräch, freue sich aber dennoch auf Zeit, die er ganz für sich privat einsetzen werde. von Annamaria Ress Wie lange waren Sie Gemeindeschreiber in Nürensdorf? 15 Jahre, aber insgesamt 36 Jahre angestellt. Ich wurde seinerzeit als Bausekretär eingestellt. Heinz Stauch leitet noch bis Mitte Juni die Gemeindeverwaltung Nürensdorf. (Bilder: Annamaria Ress) Was war der Grund für den Wechsel zum Gemeindeschreiber? Eigentlich gab mein Vorgänger den Anstoss. Er hatte sich sehr dafür verwendet, dass ich seine Aufgaben übernehmen würde, hat mich gefördert und darin bestärkt, das Nachdiplomstudium in Angriff zu nehmen. Danach war es fast ein logischer Schritt, dass ich mich melden würde. Ich hatte es natürlich durch meine vorherigen Aufgaben etwas leichter, mich innerhalb der hiesigen Verwaltung zurechtzufinden. Rückblickend denke ich, diese 36 Jahre sind im Flug vergangen. Nach fünf Jahren wechselte ich zur Gemeindeverwaltung Nürensdorf. Allerdings sollte das zuerst nur eine Zwischenlösung sein. Ich hatte tatsächlich gar nie die Absicht, hier lange zu bleiben. Das hat sich anders ergeben. Das Umfeld stimmte und auch die Zusammensetzung der Behörden. Es waren immer Gemeindepräsidenten aktiv, die mich unterstützt haben. Ist Ihr Ausscheiden eine reguläre Pensionierung? Nein, ich trete rund eineinhalb Jahre vorher zurück. Der Zeitpunkt ist so für mich richtig. Als ich hier meine Stelle angetreten habe, war doch einiges sehr viel anders organisiert als heute. Nur schon als Beispiel: Es gab keinen Fotokopierer, sondern nur einen Matrizendrucker. Die Gemeinde war arm, das ist heute unvorstellbar. 1979 hatte es 3200 Einwohner, heute zählen wir 5400. Der Steuerfuss war damals 145 Prozent, über zehn Prozent des Steuerertrags musste die Gemeinde aufwenden, um Schuldzinsen zu bezahlen. Gegenüber heute, wo rund zehn Millionen sinnbildlich in der Kasse liegen, unvorstellbar. Wie war Ihr beruflicher Weg zum Gemeindeschreiber? Eigentlich bin ich Notariatssekretär. Habe also eine Notariatsausbildung absolviert. Ich arbeitete zuerst beim Notariat Bassersdorf, später für die Stadt Kloten. Danach wurde ich stellvertretender Stadtschreiber und Parlamentssekretär in Illnau-Effretikon. Hat sich Nürensdorf in Ihrer Amtszeit sehr verändert? Oh ja, natürlich! Viele heute beliebte Wohnquartiere gab es zu Beginn noch gar nicht. Auch organisatorisch hat sich etliches verändert. Denn damals waren wir in fünf Gemeinden organisiert. Also zwei Zivilgemeinden, eine Primarschulgemeinde, «Rückblickend denke ich, diese 36 Jahre sind im Flug vergangen» Sekundarschulgemeinde und die Politische Gemeinde. Heute ist Nürensdorf eine Einheitsgemeinde. Ich erachte dies als eine gewaltige Entwicklung. Das Sekundarschulhaus Hatzenbühl wurde gebaut und die Oberstufenschulgemeinde mit Bassersdorf aufgelöst. So konnte ich auch feststellen, dass die Zukunft einer Gemeinde weitgehend durch die Bau- und Zonenordnung bestimmt wird. Man muss unbedingt agieren, nicht nur reagieren. So ist auch das ganze Zentrum in diesem Zeitraum entstanden, wenn auch zeitweise vieles mit Rückschlägen verbunden war. Im Grossen und Ganzen denke ich, die Gemeinde Nürensdorf hat sich hervorragend entwickelt. Sind die Nürensdorfer besonders initiativ oder überhaupt nicht? Also, ich will es mal so formulieren: Wie überall brauchte es auch hier sehr viel Überzeugungskraft, um den Beweis zu erbringen, dass in die Zukunft investiert werden muss. Dennoch: In Nürensdorf herrscht ein positives Flair, das von aussen kaum wahrgenommen wird, ganz unabhängig von der enorm hohen Wohnqualität. Was hat sich während Ihrer Amtszeit bewegt und welches waren die grössten Herausforderungen? Für mich persönlich war eine der grössten Herausforderungen die Organisation der Einheitsgemeinde. Wir haben das hier alles ohne teure Rechtsberatungen durchgezogen, wie übrigens jede Form von Gemeindeorganisation. Ziel war natürlich immer, ein TopLevel zu erreichen. Gemeinderat und Verwaltung haben stets am gleichen Strick gezogen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Erreichten und kann mir schlicht nicht vorstellen, wie es für gewisse Gemeinden noch möglich ist, reformfaul in alten Strukturen weiter zu wursteln. Gut, ich bin manchmal schon etwas autokratisch, das darf man sagen. Auch nicht immer der allzu bequemste Partner. Aber in den letzten 15 Jahren kann ich immerhin behaupten, keine zusätzlichen Stellen im Verwaltungsbereich geschaffen zu haben, sondern es wurde jeweils eine nutzvolle Umverteilung im Sinne des Steuerzahlers angestrebt. Und für unser Personal heute ganz wichtig: Für alle gilt die gleiche Personalpolitik, die gleiche Besoldungsverordnung. Die Plätze der Behördenvertreter konnten von 90 im Jahr 2000 bis auf heute 48, inklusive Wahlbüro, vermindert werden. So oder so ist die wichtigste Aufgabe des Gemeindeschreibers, den ganzen ‹Laden› so zu organisieren, dass er funktioniert. Dorf-Blitz 05/2015 «Für alle gilt die gleiche Personalpolitik» Gab es Widerstand aus den Reihen der Angestellten? Selbstverständlich, der neue Wind war nicht immer für alle ganz einfach. Aber jetzt sind wir auf gutem Kurs. Ich will hier nicht alles auf meine eigene Fahne schreiben. Aber vermutlich habe ich nicht ganz alles falsch gemacht, denn ich durfte immer auf langjährige Mitarbeitende zählen, die mit ihrer Erfahrung natürlich eine Bereicherung sind. Etliche haben bei uns die Berufslehre absolviert und sind nach Zwischenjahren im Ausland oder anderen Stellen wieder zu uns zurückgekehrt. Eine Gemeinde muss geführt werden wie ein KMU-Betrieb, meine ich. Ich bin nicht so staatsgläubig wie andere Kollegen. Verwalten allein reicht nicht. Die Realisation des Zentrums Bären zum Beispiel ist letztlich zu Stande gekommen, weil uns Bassersdorf die Plätze im Altersheim Breiti gekündigt hatte. Im Nachhinein war das sehr gut für die Gemeinde. Es gelang mir aufzuzeigen, wie man die Aufgabe lösen kann, ohne viele Steuermittel aufzuwenden. Das Zentrum Bären erwirtschaftet sogar einen Monatsinterview Ertrag, der es ermöglicht, 16 Pflegeplätze kostenneutral zu betreiben. Ziel einer Gemeinde muss immer sein, mit wenig Mitteln viel für das Gemeinwohl zu tun. Mit dem Zentrum Bären ist uns das sicher gelungen. Wie viele Angestellte arbeiten für die Gemeinde Nürensdorf? Es sind derzeit 1100 Stellenprozente, aufgeteilt auf 16 Verwaltungsangestellte. 90 Prozent davon sind Frauen. Das sind sehr motivierte Mitarbeiterinnen, in die es sich immer lohnte, mehr zu investieren. Ich war auch gerne bereit, nach einer Kinderpause über eine Weiterbeschäftigung zu sprechen. Es war für mich ganz toll, wenn diese Personen in unserem Team geblieben sind. Total führe ich rund 55 Leute. Über die ganzen Jahre gab es wenig Wechsel, was uns vor grossen Dossier-Bearbeitungsarbeiten verschonte. «Das Wichtigste ist für mich nach wie vor die Kosteneffizienz» Was war Ihnen besonders wichtig in Ihrer Tätigkeit als Gemeindeschreiber? Das Wichtigste ist für mich nach wie vor die Kosteneffizienz. Eine Ge- meinde muss funktionieren, ohne laufend neue Kosten zu generieren. Wir sind sicher träger als Betriebe in der Wirtschaft und haben keine Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Dennoch müssen wir kosteneffizient sein und uns darin immer wieder verbessern. Das ist natürlich nicht immer so einfach, wir müssen uns ja an Gesetze halten und sind immer grösseren Regulierungen ausgesetzt. Welches waren die schönsten Momente? Zum Beispiel als wir das Zentrum Bären realisiert haben, habe ich gesehen, wie viele Leute dafür dankbar waren. Ich bin auch sehr stolz auf unsere Mitarbeitenden, die ein gutes Image der Gemeinde gegen aussen widerspiegeln. Und besonders gefreut haben mich auch jene Einwohner und Einwohnerinnen, die sich bei mir für meine Arbeit über die Jahre persönlich bedankt haben, als durchgesickert war, dass ich Mitte Juni aufhöre. Gab es auch negative Erlebnisse? Ja natürlich. Ich habe zum Teil auch langjährige Freunde oder Bekannte verloren, weil ich nicht Hand bieten konnte und wollte, um ihnen einen Vorteil zu verschaffen. Ich habe nie einen Steuerzettel angeschaut, wenn ich mit Einwohnern verhandelt habe, denn ich habe ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Nicht immer zu meinem Vorteil, wie man sich unschwer vorstellen kann. Es gibt keine Ausnahmen – alle müssen gleich behandelt werden, so sehe ich das als jemand, der für eine öffentliche Verwaltung arbeitet. Schauen Sie durch ein sinnbildliches Fernglas: Wie möchten Sie Nürensdorf in zehn Jahren verändert sehen? Ein qualitatives Wachstum ist nötig, auch in der Ortsplanung sollen Lösungen erarbeitet werden, mit denen verdichteter gebaut werden kann. Eine explosive Entwicklung – in allen Bereichen – wäre nicht gut. Weiter befürworte ich eine homogene Zusammensetzung von Mietwohnungen und Wohneigentum. Damit wird eine gute Durchmischung der Einwohner erzielt. Heinz Stauch arbeitete gern in Nürensdorf, freut sich aber jetzt auf private, freie Zeit. Was möchten Sie Ihrem Nachfolger Andreas Ledermann, der am 5 1. Mai seine Stelle angetreten hat, mit auf den Weg geben? Ich gebe nicht gerne Ratschläge. Er wird seinen Weg gehen und das sicher gut machen. Ich werde ihm selbstverständlich helfen, wenn er das möchte. Werden Sie aus Ihrer Arbeitstätigkeit Freunde behalten, oder haben Sie privat und Beruf streng getrennt? Ich habe etliche Freunde in Nürensdorf, auch solche, die am gleichen Ort wie wir eine Ferienwohnung besitzen. Ich würde sogar behaupten, ich habe mehr Freunde hier in Nürensdorf als an meinem Wohnort Illnau. «Ich bin weiterhin bereit, mich für die Gemeinschaft einzusetzen» Haben Sie den nächsten Lebensabschnitt nach Ihrem reich befrachteten Arbeitsalltag vorbereitet oder etwas geplant? Klar habe ich zusammen mit meiner Frau Vorstellungen und Pläne. Aber die müssen nicht unbedingt alle sofort oder überhaupt umgesetzt werden. Ich konnte zum Beispiel als junger Mensch nie in eine andere Region reisen, um die Sprache zu lernen. Das würde ich gerne noch machen. Vielleicht lässt sich etwas in dieser Art realisieren, vielleicht auch nicht – da bleibe ich offen. Dann gibt es in unserem Haus immer etwas zu tun, oder ich werde mehr Zeit in unserer Ferienwohnung verbringen können, wandern, Ski fahren oder Golf spielen. Und ich freue mich, meine Töchter und ihre Familien wieder mehr sehen zu können. Zuerst aber dünne ich meinen Terminkalender so aus, dass ich auch wirklich sehe, dass ich Freiheiten habe. Dann wird mich noch das Mandat des Geschäftsführers der Genossenschaft Zentrum Bären bis im Frühling nächsten Jahres ein wenig beschäftigen. Ich bin weiterhin bereit, mich für die Gemeinschaft einzusetzen, wenn man mich brauchen kann. Dennoch: Man soll dann gehen, wenn es am Schönsten ist. Ich bin nicht amtsmüde, aber ich freue mich auf die freie Zeit. Und: Man wird mich sicher wieder in ◾ Nürensdorf sehen.
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