Sachbearbeiter Seefracht / Landverkehre / Zoll

Natürliche Regulierung statt Giftspritze
Im deutschen Wald dominiert die Monokultur – ein Festessen für
Insekten. Forstwirte und Ökologen streiten um Lösungen. Seite 27
Fotos: imago/Gerhard Leber, imagebroker
Sonnabend/Sonntag, 25./26. Oktober 2014
69. Jahrgang/Nr. 249
STANDPUNKT
Kohlelobby macht Wind
Kurt Stenger über die
Klimabeschlüsse des EU-Gipfels
EU-Gipfel beschließt reduzierte Klimaziele für 2030 – Grüne wollen klagen
UNTEN LINKS
Ovo-lacto-vegetarische, lactosefreie, fruktarische, vegane oder
rohköstlerische Lebensweise –
das war gestern! Essen, was auf
den Tisch fällt, heißt die neue
Devise. Gekocht oder geschüttelt,
gerührt oder gerüttelt, mit oder
ohne Glutamat, falsche Farben,
Konservierungsstoffe oder Käseersatz. Am liebsten Fleisch, Fisch
und Eier; Obst und Gemüse nur
in Maßen. Paleo power for life
heißt die Steinzeitküche, die keineswegs aus dem Powerlabor
kommt, sondern aus dem Paläolithikum, ein paar Hunderttausende von Jahren vor Beginn der
Zeitrechnung. Man klaubte Nüsse
vom Baum, lernte gerade, Trinkwasser in Muschelschalen mit in
die Höhle zu nehmen und sich
mit dem Faustkeil ein Stück
Mammut abzusäbeln. Warum
ausgerechnet das modern werden
soll, verstehe, wer will. Vielleicht
ist es allerhöchste Eisenbahn, alte
Sprüche im neuen Kontext zu sehen, und »Vorwärts immer, rückwärts nimmer« heißt jetzt »Vorwärts nimmer, rückwärts immer«? ott
ISSN 0323-3375
www.neues-deutschland.de
Verfassungsschutz
bremst Aufklärung
im NSU-Prozess
Es ist nicht
alles relativ
Bei Politikern klaffen Taten und
Worte bekanntlich besonders
weit auseinander. Jüngstes Beispiel der EU-Gipfel: Einen »großen Schritt« nannte die scheidende EU-Klimakommissarin
Connie Hedegaard die Beschlüsse
der Staats- und Regierungschefs.
Sie hoffe, dass »Peking und Washington dieses Signal wahrnehmen«.
Man kann die Erleichterung
nachvollziehen, die in den Worten Hedegaards zum Ausdruck
kommt. Kohle- und Wirtschaftslobby haben im Vorfeld sehr viel
Druck ausgeübt, um ambitionierte Klimaziele der EU zu verhindern. Und absolut klimaschutzunwillige Staaten wie Polen und
Großbritannien konnten aufgrund des fatalen Einstimmigkeitsprinzips in diesem Politikbereich alles verhindern, was sie
störte. Schließlich ist von der
Kommissionsebene künftig gar
nichts mehr zu erwarten – der
Klimaschutzbereich wird dem
Energieressort zugeschanzt, das
künftig von einem Öllobbyisten
geleitet wird. So gesehen, ist das
beschlossene verbindliche Ziel,
bis 2030 die CO2-Emissionen um
40 Prozent zu reduzieren, ein relativ gutes Ergebnis. Oder anders
gesagt: Es hätte noch schlimmer
kommen können.
In der Realpolitik ist natürlich
alles relativ – für den Klimawandel gilt dies nicht. Mehr als zwei
Grad Erderwärmung dürfen es auf
keinen Fall werden, sollen deren
Folgen nicht katastrophal werden.
So gesehen, ist das 40-ProzentZiel ein Misserfolg ohne Wenn
und Aber. China und die USA sollen sich nicht daran orientieren.
Bundesausgabe 2,00 €
Brandenburg will Ex-V-Mann
»Piatto« nicht vernehmen lassen
Berlin. Brandenburgs Verfassungsschutz will
verhindern, dass sein ehemaliger V-Mann
Carsten Szczepanski – alias »Piatto« – vor dem
NSU-Prozess in München aussagt. Er hatte eine Zeugenladung für den 4. November erhalten. Dass eine sogenannte Sperrerklärung
ergangen ist, wurde am Donnerstagabend
durch Nebenklagevertreter bekannt.
Der V-Mann soll laut internen Dokumenten des Potsdamer Geheimdienstes dichter als
jeder andere Spitzel an dem mutmaßlichen
Mördertrio des rechtsextremistischen Terrornetzwerkes Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) »dran« gewesen sein. Er hatte
unter anderem darüber berichtet, dass für die
Untergetauchten Waffen beschafft wurden.
Das Brandenburger Innenministerium hat
am Freitag eine entsprechende nd-Meldung
vom Vortag bestätigt. Man habe ein Schreiben an den Vorsitzenden Richter nach München geschickt und »ein in der Strafprozessordnung vorgesehenes Verfahren zur Zeugenvernehmung aufgezeigt«. Klartext: Es geht
um den Ausschluss der Öffentlichkeit.
Der Einspruch aus Potsdam habe nicht den
Zweck, eine Aussage des Zeugen zu verhindern, rudert das Innenministerium gegenüber »nd« zurück und behauptet, es gehe auch
nicht um inhaltliche Einschränkungen der
Aussage des Zeugen zum NSU-Komplex. »Die
Anforderungen dienen einzig und allein dem
persönlichen Schutz des Zeugen und seiner
Familienangehörigen.« hei
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Foto: Reuters/Cathal McNaughton
Berlin. Was haben der Mai, der Juni, der August und der September 2014 gemeinsam? Es
waren die jeweils wärmsten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1880. Die
Durchschnittstemperatur der Erd- und Meeresoberflächen lag nach Angaben der US-Klimabehörde NOAA im September bei 15,72
Grad Celsius und damit 0,72 Grad höher als
im langfristigen Mittel für den Monat. Das laufende Jahr ist damit auf bestem Wege, insgesamt einen Temperaturrekord aufzustellen.
Während sich die Erde also weiter erwärmt,
wird vielerorts an neuen Klimaschutzzielen gearbeitet. In der Nacht zum Freitag beschloss der
Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in
Brüssel neue Vorgaben für das Jahr 2030: Bis
dahin soll der Treibhausgasausstoß in der Europäischen Union um 40 Prozent gegenüber
1990 gesenkt werden. Zudem sollen der Anteil der Erneuerbaren auf mindestens 27 Prozent steigen und der Energieverbrauch um 27
Prozent gedrosselt werden. Letzteres Ziel ist jedoch nicht verbindlich. Vor allem Großbritannien und das Kohleland Polen verhinderten
ambitioniertere Vorgaben.
Mit ihrem Kompromiss, dem monatelange
Verhandlungen vorausgegangen waren und
den Umweltschützer als völlig unzureichend
kritisierten, stellten die nationalen Regierungen unter Beweis, dass sie auch beim Klimaschutz die größten Bremser in der EU sind. So
wollte die EU-Kommission bei der Energieeffizienz ein Ziel von 30 Prozent verbindlich festschreiben. Und das Europaparlament hatte Anfang des Jahres ein CO2-Reduktionsziel von 40
Prozent verlangt. Abgeordnete wie der Luxemburger Grünen-Politiker Claude Turmes
kündigten eine Klage gegen den Gipfeldeal an:
»Über Änderungen bestehender EU-Richtlinien kann nicht einfach von oben herab entschieden werden«, erklärte Turmes im OnlineMagazin »klimaretter.info«. nd
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Frankreichs Sozialisten im Stresstest
Premier Valls will die Regierungspartei nach rechts öffnen und umbenennen
Ein anderer Name für die Sozialistische Partei (PS) als umgemodelte Mitte-Links-Bewegung
– Frankreichs Premier Manuel
Valls sorgt in den eigenen Reihen für neue Aufregung.
Von Ralf Klingsieck, Paris
Frankreichs Sozialisten sind über
den Spar- und Reformkurs von
Staatschef François Hollande zutiefst zerstritten. Nun hat Manuel
Valls auf die wachsende Kritik des
linken Flügels stellvertretend mit
neuem Zündstoff reagiert. Der
eher als »linksliberal« denn »sozialistisch« einzuschätzende Premier, der für seine unternehmerfreundliche Politik und das Bekenntnis zu den »freien Kräften
des Marktes« auf einer Tagung des
Unternehmerverbandes
Medef
stehende Ovationen erhielt, hat in
einem Interview scharf Stellung
bezogen: »Es muss Schluss sein
mit der passiven Linken, die der
Vergangenheit und den 30 Wirt-
schaftswunderjahren nachtrauert, die vom Marxismus besessen
und in sich verschlossen ist.«
Fortschrittlich sein heiße heute
seiner Überzeugung nach pragmatisch sein. Als Vorbilder nennt
Valls Gerhard Schröder und Tony
Blair. Für eine breite Linke, wie sie
ihm vorschwebt und die nach
rechts wie links über den jetzigen
Rahmen der Partei hinausreichen
soll, lehnt Valls den Begriff »sozialistisch« ab. Daher plädiert er
auch für eine Umbenennung seiner Partei. »Das ist ein Fehler«, so
der sozialistische Präsident der
Nationalversammlung,
Claude
Bartolone, auf RTL. Valls solle sich
erst mal auf seine Arbeit als Premierminister konzentrieren und
auf die Erwartungen der Franzosen bei Sicherheit, Beschäftigung
und Energiewende antworten.
In den zehn Jahren als Parteivorsitzender hat es François Hollande mit dem ihm eigenen Sinn
für Kompromisse verstanden, die
Strömungen bei den französi-
schen Sozialisten einigermaßen
zusammenzuhalten. Doch in den
etwas über zwei Jahren im Präsidentenamt hat seine Politik, die
von zwei Dritteln der Franzosen
»Es muss Schluss sein
mit einer ewig
gestrigen Linken, die
sich an längst
vergangene Zeiten
klammert.«
Manuel Valls
und auch sehr vielen seiner Wähler wie PS-Mitgliedern als »verfehlt« beurteilt wird, die Partei in
eine tiefe Krise geführt. Davon
zeugte auch die Stimmenthaltung
von 39 Abgeordneten beim Votum über den Haushalt 2015.
Diese immer stärker werdende
Strömung der »Frondeurs« (Aufrührer) in der Partei hat in dieser
Woche weiter Zuwachs bekommen durch die Ex-Parteivorsitzende und jetzige Bürgermeisterin
von Lille, Martine Aubry. Auch sie
hat nachdrücklich eine Rückbesinnung auf linke Traditionen und
Werte angemahnt. So fordert Aubry, die Hälfte der 40 Milliarden
Euro, die den Unternehmen zur
Verbesserung ihrer Konkurrenzfähigkeit zugeschanzt werden sollen, dafür zu verwenden, die Kaufkraft der Haushalte und die Infrastruktur der Städte und Gemeinden zu verbessern, um so zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze
beizutragen. Der als Minister ausgeschiedene Benoit Hamon geht
noch weiter: Die Wirtschafts- und
Sozialpolitik von Hollande und
Valls »gefährdet die Grundlagen
der Republik« und öffne der
rechtsextremen Front National Tür
und Tor. Als ihm mit Parteiausschluss gedroht wurde, bot JeanLuc Mélanchon seinem ehemaligen Parteifreund »politisches Asyl
in der Linksfront« an.
Karstadt schließt
mindestens sechs
Warenhäuser
Aufsichtsrat kündigt Einschnitte an /
Tausende Arbeitsplätze bedroht
Essen. Sechs Häuser des kriselnden KarstadtKonzerns werden bis Mitte nächsten Jahres
geschlossen, mindestens 240 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Unmittelbar nach seinem
Amtsantritt kündigte der neue Konzern-Chef
Stephan Fanderl auf der Aufsichtsratssitzung
am späten Donnerstagabend harte Einschnitte an. Betroffen sind zwei klassische
Warenhäuser in Hamburg-Billstedt und Stuttgart, die Filialen der auf junge Mode spezialisierten Kette »K-Town« in Köln und Göttingen sowie die Schnäppchenmärkte in Paderborn und Frankfurt (Oder).
Fanderl sprach von zum »Teil sehr
schmerzlichen Entscheidungen«, die jedoch
notwendig seien, um das »Überleben des Gesamtkonzerns zu sichern«. Man habe aber
auch ein Zukunftskonzept erarbeitet, mit dem
das Unternehmen strategisch neu ausgerichtet werden könne.
Gesamtbetriebsratchef Hellmut Patzelt
sagte, das sei ein »dunkler Tag für die Beschäftigten«. An den sechs betroffenen Standorten hätten bis zu 240 Mitarbeiter die Mitteilung bekommen, dass sie ihre Jobs verlieren. Zusätzlich sei der Abbau von rund 2000
Stellen in den übrigen Warenhäusern und der
Zentrale geplant. Stefanie Nutzenberger,
ver.di-Vertreterin im Aufsichtsrat, kritisierte,
das Konzept der Karstadt-Führung wolle nur
Kosten reduzieren, nicht Umsätze steigern.
dpa/nd
Seiten 2 und 8
} Achtung,
Winterzeit!
In der Nacht von Samstag auf
Sonntag werden die Uhren um
eine Stunde zurückgestellt.