Einsatz im Inneren bleibt beim alten

Kein Fanal
RAFAEL MARCHANTE/REUTERS
Die Wahlerfolge linker Parteien im
»Süden« Europas brachten nicht die
erhofften Veränderungen. Die Resultate blieben ernüchternd. Von einem
Aufbruch in Europa kann keine Rede
sein. Eine Zwischenbilanz.
Von Klaus Dräger
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Israel: Lieberman wird
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REUTERS
Frankreichs Gewerkschaften führen einen verzweifelten Kampf gegen Hollandes
»Reform« des Arbeitsmarktes. Generalstreik angekündigt. Von Hansgeorg Hermann, Paris
EPA/THIBAULT VANDERMERSCH/DPA - BILDFUNK
F
rankreich »im Krieg« – mal
wieder. Diesmal sind es nicht
die »Terroristen«, die nach
Meinung des sozialdemokratischen
Ministerpräsidenten Manuel Valls
und seines schwächelnden Präsidenten François Hollande die Nation bedrohen, sondern die eigene Klientel.
Die Millionen Linkswähler also, die
2012 den Rechtskonservativen Nicolas
Sarkozy aus dem Amt jagten und sich
vom Parti Socialiste (PS) eine gegen
den Turbokapitalismus gerichtete Politik erwarteten. Nun, ein Jahr vor der
nächsten Wahl, müssen sie feststellen, dass sie sich schwer geirrt haben.
Hollande und Valls haben mit Hilfe
des Verfassungsartikels 49.3 – ohne
das Parlament zu bemühen – eine
»Arbeitsmarktreform« nach dem Vorbild von Gerhard Schröders »Agenda
2010« beschlossen, die den Unternehmern alles gibt und den Arbeitern viel
nimmt. Es wird gestreikt.
Die 700.000 Mitglieder starke
Gewerkschaft CGT steht mit ihrem
Vorsitzenden Philippe Martinez an
der Spitze des Widerstands. Seit Tagen werden nicht nur der öffentliche
Nah- und Fernverkehr, sondern vor
allem die Energielieferanten des Landes bestreikt: Raffinerien und Atomkraftwerke. Gegen die Blockierer hat
Valls Spezialeinheiten der Polizei in
den Einsatz geschickt. Am Mittwoch
morgen wurde, wie die CGT erklärte, die Raffinerie Douchy-les-Mines
»gewaltlos« freigegeben. Die 80 Arbeiter, die das Werk besetzt hatten,
zogen zunächst friedlich ab. Das soll
nicht so bleiben. Für den heutigen
Donnerstag haben Martinez und seine Kollegen zu einem neuerlichen
Generalstreik aufgerufen, der Widerstand gegen das neue Gesetz und die
verantwortliche Regierung soll »so
Widerstand gegen Regierungspläne: Ein Gewerkschafter blockiert die Raffinerie in Douchy-les-Mines (24.5.2016)
stark wie möglich« aufgebaut werden.
Bestreikt wird derzeit auch der
Atommeiler Nogent-sur-Seine, der
rund ein Drittel des Stroms für die Îlede-France mit der Hauptstadt Paris
liefert. Bürgermeister und Präfekten
erwarten in den kommenden Tagen
Engpässe bei der Elektrizitätsversorgung. Von den 58 AKW können nach
Angaben der Regierung zumindest
zwölf nicht abgeschaltet werden, darunter die für das Militär wichtigen.
Rund 2.500 der 12.000 französischen Tankstellen sind nach Angaben des Fernsehkanals i-Tele derzeit
in Not und können ihre Kundschaft
nur noch unzulänglich mit Treibstoff
versorgen. Die Besitzer sind dazu
übergegangen, Benzin nur noch bis
zu einem Gegenwert von maximal
40 Euro zu zapfen. Die zu erwartenden Engpässe im Einzelhandel haben
bereits zu Hamsterkäufen geführt.
Die großen Städte, vor allem Paris,
bereiten sich auf Tage mit stark reduziertem Warenangebot vor.
Ministerpräsident Valls hat unterdessen die Gewerkschaften als Schuldige für die zunehmenden Probleme
in der Energie- und Warenversorgung
ausgemacht. Die CGT sei dafür verantwortlich. Dass sowohl Gewerkschaften als auch Demonstranten in
den vergangenen Wochen darauf hingewiesen haben, der neue Code du
travail sei nicht einmal durch das Parlament gegangen, sondern in »höchst
undemokratischer Weise den Lohnabhängigen aufgezwungen worden«,
wie es CGT-Vormann Martinez ausdrückte, erwähnte Valls nicht.
Dass die »Reform« ein knappes
Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl mit Gewalt durchgedrückt werden soll, kann als Hinweis darauf gelten, dass Hollande
vermutlich nicht erneut als Kandidat
antreten will. An der Spitze der sozialdemokratischen Bewerber stehen
daher mit Valls und dem derzeitigen
Wirtschafts- und Industrieminister
Emmanuel Macron zwei überzeugte
Wirtschaftsliberale.
Einsatz im Inneren bleibt beim alten
Bundeswehr im Inland: Koalition nimmt angestrebte Grundgesetzverschärfung zunächst zurück
U
nionsparteien und SPD haben ihren Streit über den Einsatz der Bundeswehr im Inland beigelegt. Eine Grundgesetzänderung, um den Einsatz der Armee im
Innern zu erleichtern, ist vorerst vom
Tisch. Das Verteidigungsministerium
bestätigte am Mittwoch einen entsprechenden Bericht der Süddeutschen
Zeitung. Danach haben sich Verteidigungsressort und Auswärtiges Amt
auf eine Kompromissformulierung
für das neue sogenannte BundeswehrWeißbuch geeinigt.
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, sagte,
nach der Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, dem Innenministerium und dem Justizministerium werde
diese Woche die allgemeine Ressortabstimmung beginnen. Das nächste
Weißbuch soll voraussichtlich kurz
vor der Sommerpause vom Kabinett
beschlossen werden.
Der Entwurf geht ausführlicher
als in der Ursprungsfassung auf die
Möglichkeiten ein, die das Grundgesetz bereits für den Einsatz der Bun-
deswehr im Inland bietet. Dazu zählt
eine Beteiligung der Streitkräfte bei
»bei terroristischen Großlagen« zur
»Unterstützung der Polizeikräfte«.
In derartigen Situationen soll die
Armee auch hoheitliche Aufgaben
übernehmen dürfen, die sonst der Polizei vorbehalten sind. Aus dem Verteidigungsministerium heißt es, diese Präzisierung der im Grundgesetz
bereits vorhandenen Möglichkeiten
sei wichtig, damit die Bundeswehr
solche Einsätze zusammen mit der
Polizei üben könne. Was die Rolle des
Bundessicherheitsrates angeht, gibt
es dem Bericht zufolge noch immer
Meinungsverschiedenheiten zwischen
dem Auswärtigen Amt und dem Haus
von Verteidigungsministerin Ursula
von der Leyen (CDU).
Die Union will den Einsatz der
Bundeswehr im Inneren erleichtern.
Die in einem früheren Entwurf des
Weißbuches dazu enthaltenen relativ
allgemein gehaltenen Formulierungen lehnten führende SPD-Politiker
wie Außenminister Frank-Walter
Steinmeier jedoch strikt ab. (dpa/jW)
Tel Aviv. Israels Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu hat die ultranationalistische Partei Israel
Beitenu in die Regierungskoalition
aufgenommen. Ein entsprechendes
Abkommen wurde am Mittwoch
von Netanjahu und dem Chef von
»Unser Haus Israel«, Avigdor
Liebermann (Foto), unterzeichnet.
Damit verfügt die Regierung im 120
Abgeordnete zählenden Parlament
nun über 66 statt bislang 61 Stimmen. Der ehemalige Außenminister
Lieberman wurde am Mittwoch
zum neuen Verteidigungsminister
ernannt. Sein Vorgänger Mosche
Jaalon war am Freitag zurückgetreten. Lieberman war in der
Vergangenheit immer wieder durch
rassistische Ausfälle in Erscheinung
getreten. So nannte er arabische
Israelis eine »fünfte Kolonne« und
drohte freigelassenen palästinensischen Gefangenen, sie an eine Ort
zu bringen, »von dem aus sie nicht
zurückkehren«. (AFP/dpa/jW)
Trotz Lieferstopps: Weiter
Waffen an Ägypten
Berlin. Trotz eines grundsätzlichen
Lieferstopps für Munition und
Waffen verkaufen nach Angaben
von Amnesty International zwölf
der 28 EU-Mitgliedsstaaten weiter
Rüstungsgüter an Ägypten. Dazu
gehöre auch Deutschland, erklärte
die Menschenrechtsorganisation
am Mittwoch. Berlin habe 2014
Rüstungsexporte im Umfang von
22,7 Millionen Euro genehmigt,
darunter vor allem U-Boot-Technologie.
In den Vorjahren seien zudem
immer wieder Zulieferungen für
gepanzerte Fahrzeuge erlaubt worden, die auch gegen Demonstranten
eingesetzt worden seien, teilte die
Organisation in Berlin mit. Die EU
hatte einen grundsätzlichen Lieferstopp für Waffen und Munition
nach Ägypten beschlossen, nachdem ägyptische Sicherheitskräfte
im August 2013 Hunderte Demonstranten getötet hatten.
(dpa/jW)
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