schreibt uns was vor“ - Frankreich in Deutschland

Au sla nd
Mann ohne Grenzen
Bernard Kouchner, 70
„Kein General
schreibt uns was vor“
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Im Herzen ein Sozialist,
wurde er dennoch Außenminister in der konservativen Regierung von Präsident Sarkozy.
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Der Arzt und Mitgründer
u. a. der Hilfsorganisation
„Ärzte ohne Grenzen“ leitete
weltweit humanitäre Einsätze.
Der französische Außenminister Bernard Kouchner ist überzeugt: Ohne
den Elan Deutschlands und Frankreichs geht in Europa nichts voran
Wir waren vorige Woche zusammen
beim Diner in einem Pariser Restaurant, saßen stundenlang zusammen –
und es ging sehr gut miteinander. Mit
seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier war ich ja sogar befreundet. Wir
sind eben beide Sozialdemokraten.
Guido dagegen kommt aus einer sehr
liberalen Partei. Bis jetzt verstehen wir
uns aber sehr gut.
Erleichert oder erschwert es den Umgang,
dass er eine Generation jünger ist als Sie?
Für Guido ist Europa viel selbstverständlicher, als es für mich war. In
seiner Familie, sagte er mir, hatten alle
eine Affinität zu den Franzosen.
Als ich 1999 bis 2001 ziviler Leiter der
Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo war, hatte der deutsche
General Klaus Reinhardt für die Nato
das Sagen. Schnell nannte man uns „die
Zwillingsbrüder“, weil wir alle Entscheidungen zusammen trafen. Meine Eltern
hätten so etwas für unmöglich gehalten,
ein Franzose arbeitet mit einem deutschen General Hand in Hand! Wissen
Sie, meine Großeltern starben in Auschwitz. Insofern gehören Klaus Reinhardt
und ich einer anderen Generation an
als Guido Westerwelle. Aber wichtiger
ist: Es sind die Menschen, die die Politik
voranbringen. Man nennt sich beim Vornamen, hat die Handy-Nummern . . .
Paris und Berlin haben vergangene
Woche die deutsch-französische Agenda
2020 vorgestellt, mit 80 Maßnahmen zur
Vertiefung der Kooperation. Nach dem
ganz großen Wurf klingt das aber nicht . . .
Besser 80 Schritte in die richtige Richtung als eine einzige symbolträchtige
Geste. Aber im Ernst, die Agenda 2020,
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die übrigens in meinem Hause durch
Staatssekretär Lellouche vorbereitet
wurde, ist viel mehr als ein Maßnahmenkatalog. Sie spiegelt einen Geist
wider – den Geist der Freundschaft.
Zwischen Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel ist in den vergangenen
Jahren mehr als eine „gute Beziehung“
gewachsen. Wenn man die beiden zusammen erlebt, spürt man, dass zwischen ihnen eine ehrliche Zuneigung
besteht. Natürlich gibt es unterschiedliche Sichtweisen und Interessen, mal
ist der eine etwas konservativer, der andere liberaler. Aber in erster Linie, und
das erst im Bundestag durchbringen.
Aber das hat sicher mit der deutschen
Geschichte zu tun. Wahrscheinlich wird
sich das mit der Zeit ändern.
Wollen Deutschland und Frankreich die
Führung in Europa übernehmen?
Führung ist das falsche Wort, aber Vorreiter sein, das schon. Es gibt zwei Wege,
Europa zu bauen: Der erste geht nach
dem Motto „Wir einigen uns – nach
endlosen Verhandlungsrunden – auf
den kleinsten gemeinsamen Nenner“.
Aber so bringt man die Dinge nicht
voran! Da haben Angela Merkel und
Nicolas Sarkozy eben beschlossen, die
Dinge entschiedener anzugehen. Das
hat nichts mit Führungsanspruch zu
tun, sondern ist eine notwendige Haltung, um die Dinge voranzutreiben.
Aber gerade Frankreich hat seine
Truppen in Afghanistan anders als
Deutschland nicht aufgestockt?
Da waren wir sehr klar: Wir erhöhen
die Zahl der zivilen Helfer, setzen stärker auf Ausbildung. Militärisch allein
wird man den Krieg in Afghanistan niemals gewinnen. Wir müssen daher bescheiden beginnen mit kleinen Inseln
des Friedens in den Provinzen, mit
Krankenhäusern und Schulen. Zuerst
müssen wir Sicherheit schaffen, sonst
ist kein Frieden möglich.
„Es ist empörend, wie die Öffentlichkeit Catherine
Ashton behandelt. Das grenzt an Sexismus“
In Deutschland wird scharf kritisiert,
dass man Taliban-Kämpfern Geld geben
will, wenn sie die Seiten wechseln . . .
Bernard Kouchner über die EU-Außenministerin
das finde ich wirklich bewundernswert,
geht es beiden immer um Europa. Und
dieser deutsch-französische Einklang
ist für Europa unverzichtbar.
Signalisiert diese Entente nicht eher, dass
man sich von Brüssel und insbesondere
durch die als schwach geltende Hohe Repräsentantin der EU-Außenpolitik, Catherine
Ashton, nicht ausreichend vertreten fühlt?
Ich finde es wirklich empörend, wie die
Öffentlichkeit Catherine Ashton behandelt. Das grenzt wirklich an Sexismus.
So hätte man niemals über einen Mann
gesprochen . . . Aber sie wurde wirklich
falsch dargestellt. Ich versichere Ihnen,
sie ist hochintelligent und sehr kompetent. Das habe ich auch erfahren, als
es um Haiti ging, da haben wir exzellent zusammengearbeitet, und sie hat
tatsächlich in weniger als acht Tagen
400 Millionen Euro aufgetrieben.
Meinen Sie das Programm der Reinteg­
ration? Was soll daran falsch sein? Wir
kämpfen dort in erster Linie gegen
Armut und Verelendung. Man muss
sich das einmal vorstellen: Die Taliban
zahlen 300 Dollar monatlich an ihre
Kämpfer – ein Polizist hingegen verdient nicht einmal 70 Dollar, ein Soldat
der afghanischen Armee nur 100. Wie
wollen Sie erwarten, dass ein Bauer da
widersteht, er will ja nicht, dass seine
Kinder an Unterernährung sterben. Da
müssen wir einiges Geld investieren.
Das fordere ich, und dazu stehe ich.
Und wohin soll der Weg gehen?
Eine gemeinsame Verteidigung – das ist,
was wirklich noch fehlt. Eine Strategie,
wie man schrittweise zu einer deutschfranzösischen Sicherheitspolitik findet,
wäre wunderbar, aber natürlich nur als
Vorreiter für eine gesamteuropäische
Strategie. Was sehr einfach und wichtig wäre: ein Gremium der europäi­
schen Verteidigungsminister im Rat für
Auswärtige Angelegenheiten. Das wäre
ein politisches Zeichen. Aber in Europa
ist eben alles sehr kompliziert.
Wollte Frankreich auf der Agenda 2020
nicht auch die deutsch-französische
Brigade im Einsatz in Afghanistan sehen?
Wir haben uns da Gedanken gemacht.
Doch wir nehmen hin, dass die „Rules of
Engagement“, die strategischen Vorgaben, unserer beiden Armeen völlig unterschiedlich sind. Frau Merkel müsste
F ocus 7/2010
Foto: Gamma/laif
Herr Minister, haben Sie sich mit
Ihrem Amtskollegen Guido Westerwelle
bereits angefreundet?
Ein Nonkonformist als
Frankreichs erster Diplomat:
Bernard Kouchner in seinem
Büro im Außenministerium
am Quai d’Orsay
F ocus 7/2010
Aber wäre es nicht in Europas Interesse,
das Verhältnis zu den USA zu verbessern
und Präsident Barack Obama in seinem
Kampf in Afghanistan zu unterstützen?
Wenn es darum geht, die Sicherheit unserer Soldaten zu schützen, machen wir
das. Aber da es noch keinerlei Wechsel
in der Afghanistan-Strategie gegeben
hat und wir erst vor 16 Monaten auf fast
4000 Soldaten aufgestockt haben,
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Politik der Offenheit
Der konservative Präsident Sarkozy (l.) kennt
keine ideologischen Berührungsängste. Sowohl
Gattin Carla Bruni als
auch Außenminister
Kouchner sind bekennende Linke
Bernard Kouchner über Frankreichs Staatspräsidenten
sind wir nicht bereit zu erhöhen, nur
um der Politik entgegenzukommen. Wir
sind in die Nato zurückgekehrt, aber
kein General schreibt uns etwas vor.
Aber finden Sie es nicht beunruhigend, dass
Obama Europa kaum wahrnimmt? Selbst
zum amerikanisch-europäischen Gipfel im
Mai in Madrid wird er nicht kommen.
Da muss man ihm wohl zugutehalten,
dass er momentan in der Innenpolitik
genug damit zu tun hat, seine hervorragende Gesundheitsreform durchzubringen. Ich war mal Gesundheitsminister,
ich weiß, was für eine Sisyphusarbeit
das ist. Obama hat Präsident Sarkozy im
Übrigen in die Staaten eingeladen. Man
wird sehen, wie sich das entwickelt. Die
transatlantischen Beziehungen sind tatsächlich nicht einfach. Es gibt da Ansprüche von europäischer Seite, und das sage
ich ohne jede Animosität gegenüber den
USA. Wir Europäer wollen und müssen
eine stärkere politische Rolle spielen. Es
reicht uns zum Beispiel nicht, dass Europa nur Geld für den Nahen Osten gibt,
man muss uns auch unsere Rolle im Friedensprozess spielen lassen. Frankreich
etwa drängt auf eine Konferenz. Es muss
Frieden geschlossen werden! Und eine
Anerkennung Palästinas wäre ein wichti140
ger Schritt. In dieser Frage sind wir eben
nicht ganz einig mit den Amerikanern.
Ob Obama, Sarkozy oder Merkel, bei
allen Politikern sinkt derzeit die Popularität – alles wegen der Finanzkrise?
Die Wirtschaftskrise macht es tatsächlich noch schwieriger zu regieren. Ich
persönlich kann mich über Kritik nicht
beklagen. Ich bin immerhin der einzige
Politiker, der von links nach rechts gewechselt ist und sogar bei den linken
Wählern immer noch populär ist.
Dass Sie als Sozialist in eine konservative Regierung eingetreten sind, hat
Ihnen aber nicht nur Freunde eingebracht.
Hatten Sie sich das gut überlegt?
Also, ich musste nicht wirklich lange
überlegen. Schließlich habe ich die
Linke mit meinem Schritt nicht verraten. Worüber ich nachdenken musste,
war, dass ich im Grunde kein professioneller Politiker bin. Ich bin Arzt, habe
humanitäre Organisationen gegründet,
immerhin hat „Ärzte ohne Grenzen“ den
Friedensnobelpreis bekommen. Das ist
meine Arbeit! Als erster hat mir François
Mitterrand vorgeschlagen, in die Regierung zu kommen. Das habe ich getan,
weil ich meine Popularität dort besser
nutzen konnte als in einer NGO.
Und jetzt arbeiten Sie für die Konservativen . . .
Nach seinem Wahlsieg schlug Nicolas
Sarkozy mir vor, Außenminister zu werden. Wir sind die Themenliste durchgegangen, und außer in Fragen der Türkei
gab es zwischen uns absolute Übereinstimmung. Außerdem fand ich, dass es
in der Außenpolitik viel zu tun gab. Für
mein Land, nicht für eine Partei, vor
allem aber für die Menschen etwa in
Afghanistan oder im Nahen Osten. Ich
hatte es mir allerdings nicht so schwer
vorgestellt, dass man überall und in jeder Minute Politiker bleibt. Aber dennoch, es ist ein toller Job. Ich habe es
nicht bereut.
Und würden Sie Sarkozy beim
nächsten Mal wählen?
Das werde ich Ihnen gerade auf die
Nase binden, immerhin haben wir geheime Wahlen. Es ist allerdings kein
Geheimnis, dass ich ihn beim letzten
Mal nicht gewählt habe. Aber ich habe
in ihm einen Menschen entdeckt, der
ganz anders ist, als alle annehmen. Er ist
sehr, sehr liebenswürdig. Sehr energisch
und gleichzeitig nett. Bei ihm herrscht
ein moderner Stil. Ich diskutiere mit
ihm viel angeregter und mehr zur Sache
als etwa mit Jacques Chirac oder François Mitterrand. Ich bin von Nicolas Sarkozy noch nie im Elan gebremst worden,
und Befehle gibt er keine.

Interview: Caroline Mascher /
Manfred Weber-Lamberdiere
F ocus 7/2010
Foto: dpa
„Ich habe in Sarkozy einen Menschen entdeckt,
der ganz anders ist, als alle annehmen“