Rückzug, Kampf oder Dialog – was hilft beim Kriseneinsatz? Militärseelsorger und Psychologen betreuen und trösten Bundeswehrsoldaten im Ausland „Warum hat es ihn erwischt und nicht mich?“ Fassungslos steht der Pilot vor den verkohlten Trümmern des Hubschraubers. Bei einem Erkundungsflug der Bundeswehr-Einsatztruppen in Afghanistan stürzte er ab. Kurzfristig war ein Kamerad eingesprungen. So war es nur Zufall, dass es ihn nicht selbst getroffen hatte. Solche Erfahrungen berühren das Innerste der Existenz – nicht nur für die Betroffenen. Besonderes Fingerspitzengefühl ist genauso bei Militärseelsorger und Truppenpsychologen gefragt, die die Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen begleiten. Das ergibt dann natürlich keine spektakulären Bilder für die Abendnachrichten, ist aber um so wichtiger für die Betroffenen. Gerade jetzt, wo die schwersten Kämpfe und die meisten Anschläge in Afghanistan seit dem Fall der Taliban 2001 gemeldet werden, kommt dem eine große Bedeutung zu. „Heilger Geist, du Tröster mein“ – dieses Jahrhunderte alte Gesangbuchlied werden die Soldaten in Afghanistan oder im Kosovo wohl kaum singen. Doch Begleitung und Stärkung erfahren – auch das gehört zum Pfingstgeschehen. „Besonders Ohnmachtserfahrungen erfordern einen intensiven Gesprächsbedarf“, erklärt Professor Horst Schuh. Der Tr u p p e npsychologe und Oberst der Reserve hat deutsche Soldaten in den vergangenen Jahren bereits zu Einsätzen nach Afghanistan, in den Kosovo und nach Bosnien begleitet. Frage nach eigener Identität „Was tue ich in einer Gefährdungssituation? – Dies ist eine der zentralen Fragen, über die sich Soldaten aussprechen wollen“, ergänzt Militärseelsorger Jens Fortmann. Der evangelische Pfarrer, der vor seinem Auslandseinsatz am Truppenstandort Munster Soldaten betreute, ist seit beinahe drei Monaten in Afghanistan. „Ich bin kein Muslim, aber was bin ich dann?“ Das Nachdenken über die eigene Identität und Religion gehöre dabei zu den Herausforderungen des Einsatzes, wie Militärpfarrer Christoph Thiele vom Standort Roth bestätigt. „Viele deutsche Soldaten in Afghanistan wer- 8 Pfarrer Jens Fortmann als evangelischer Militärseelsorger in Afghanistan. Foto: privat den sich in dem fremden kulturellen Umfeld wieder ihrer evangelischen Wurzeln bewusst.“ Kollege Jens Fortmann ist begeistert darüber, wie gut die Kirche im Bundeswehr-Lager Aufnahme findet. Kürzlich erst haben sich vier Soldaten taufen lassen. „Die 20- bis 35-jährigen Menschen erreicht die Kirche im normalen Leben kaum“, schließt er. Gleichzeitig hat Jens Fortmann bereits zusammen mit den örtlichen Mullahs Hilfsprojekte eingeweiht. Nicht Kampf, sondern Dialog zwischen den Kulturen ist wichtig. Das empfindet auch Psychologe Horst Schuh so, der in Bosnien-Herzegowina gemeinsame Projekte ins Leben gerufen hat, um das gegenseitige Verstehen zu verbessern. So gab er den Gedichtband „Sterne über Rajlovac“ heraus, in dem er Poesie von Germanistikstudenten aus Sarajevo sammelte. Und im brandenburgischen Strausberg organisierte er kürzlich ein deutschbosnisches Treffen. Oberstleutnant Klaus Geier, zur Zeit Pressesprecher des deutschen Einsatzkommandos in Afghanistan, koordiniert ebenfalls Hilfsprojekte vor Ort. Dazu führen er und Fach- leute der Bundeswehr oft lange Gespräche mit Dorfältesten und Mullahs. „Wir vermitteln unter anderem Projekte des Vereins ‘Lachen helfen e. V.’, einer Hilfsinitiative deutscher Soldaten.“ Schulen würden gebaut, auch gemischte Einrichtungen für Jungen und Mädchen. „Wir können bei unseren Besuchen nichts versprechen, meist nur prüfen oder weiter vermitteln.“ Hitze, Armut, Gefahr belasten Jenseits der spektakulären Ereignisse sind es gerade die alltäglichen Widrigkeiten des Lagerlebens, die Soldaten als besonders kräftezehrend wahrnehmen. „Staub und Schmutz wurden bei einer Befragung unter deutschen Soldaten als besonders belastend empfunden“, berichtet Psychologe Horst Schuh. „Darauf folgt erst das hautnahe Erleben der Armut, besonders unter Kindern. Erst danach gaben die Soldaten die Gefährdung an.“ Trotzdem bleiben die Bundeswehrsoldaten natürlich vorsichtig: „Eine latente Gefährdung ist immer gegeben. Es gibt Anschlagswarnungen. Wir hören in der Nähe Bomben oder Minen explodieren. Die Ein- schläge rücken näher“, erklärt Obstleutnant Geier. Er selbst erlebte bereits zu Beginn des 2. Irak-Krieges, im Frühjahr 2003, Bedrohlicheres, als er mit einer kleinen Spezialeinheit als Gäste der Amerikaner in einem Camp in Kuwait: „Dauernd gab es Raketenalarme und wir mussten in einem Behelfsbunker. Damals war ja noch nicht klar, ob Saddam noch etwas in der Giftküche hatte.“ Zurück nach Afghanistan. Klaus Geier berichtet von dort weiter: „Wenn unsere Leute rausgehen, sind an einem Einsatz mindestens zwei Wagen mit jeweils zwei Leuten Besatzung beteiligt. Und sie bleiben in ständigem Kontakt mit der Zentrale.“ Die so genannten „Rules of Engagement“ regeln genau die Reaktionen der Bundeswehrsoldaten bei Konfrontationen und Provokationen über mehrere Warnstufen hinweg bis zum Schusswaffengebrauch. Trotzdem bleibt für Truppenpsychologe Horst Schuh das Gefühl der Hilflosigkeit besonders schrecklich. Konfrontation oder Rückzug – beides kann falsch sein und fatale Folgen nach sich ziehen. Als Beispiel nennt er die Unruhen in Prizren vor gut zwei Jahren. Am 17. März 2004 wurde dort das ehemalige serbische Viertel Podkalaya von randalierenden Albanern in Schutt und Asche gelegt. Beschädigt wurden außerdem zwei serbisch-orthodoxe Klöster, darunter das berühmte Erzengelkloster. Mittendrin im Chaos befanden sich etwa ein Dutzend deutscher Soldaten. Sie entschieden sich dafür, den Ort nicht mit Waffen zu verteidigen, sondern ihn aufzugeben und wenigstens das Leben möglichst vieler Serben zu retten. „So etwas steckt man natürlich nicht mehr einfach weg.“ Truppenpsychologe Schuh macht eine Pause. Oder den Sanitätern stirbt ein minenverstümmeltes Kind in den Armen, ohne dass sie es wiederbeleben können. Die Belastungen werden bei dem aktuell diskutierten Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Kongo eher zunehmen. Dann könnte es ihnen passieren, zwölfjährigen Kindersoldaten – bis an die Zähne bewaffnet und zu allem entschlossen – gegenüber zu stehen. Susanne Borée Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern · Nr. 22 vom 4. 6. 2006
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