Rückzug, Kampf oder Dialog – was hilft beim - Susanne Borée

Rückzug, Kampf oder Dialog – was hilft beim Kriseneinsatz?
Militärseelsorger und Psychologen betreuen und trösten Bundeswehrsoldaten im Ausland
„Warum hat es ihn erwischt und
nicht mich?“ Fassungslos steht der
Pilot vor den verkohlten Trümmern
des Hubschraubers. Bei einem Erkundungsflug der Bundeswehr-Einsatztruppen in Afghanistan stürzte
er ab. Kurzfristig war ein Kamerad
eingesprungen. So war es nur Zufall, dass es ihn nicht selbst getroffen hatte.
Solche Erfahrungen berühren
das Innerste der Existenz – nicht
nur für die Betroffenen. Besonderes
Fingerspitzengefühl ist genauso bei
Militärseelsorger und Truppenpsychologen gefragt, die die Soldaten
bei ihren Auslandseinsätzen begleiten. Das ergibt dann natürlich keine
spektakulären Bilder für die Abendnachrichten, ist aber um so wichtiger für die Betroffenen. Gerade
jetzt, wo die schwersten Kämpfe
und die meisten Anschläge in Afghanistan seit dem Fall der Taliban
2001 gemeldet werden, kommt dem
eine große Bedeutung zu. „Heilger
Geist, du Tröster mein“ – dieses
Jahrhunderte alte Gesangbuchlied
werden die Soldaten in Afghanistan
oder im Kosovo wohl kaum singen.
Doch Begleitung und Stärkung erfahren – auch das gehört zum
Pfingstgeschehen.
„Besonders Ohnmachtserfahrungen erfordern einen intensiven
Gesprächsbedarf“, erklärt Professor Horst Schuh. Der Tr u p p e npsychologe und Oberst der Reserve hat deutsche Soldaten in den
vergangenen Jahren bereits zu Einsätzen nach Afghanistan, in den
Kosovo und nach Bosnien begleitet.
Frage nach eigener Identität
„Was tue ich in einer Gefährdungssituation? – Dies ist eine der zentralen Fragen, über die sich Soldaten
aussprechen wollen“, ergänzt Militärseelsorger Jens Fortmann. Der
evangelische Pfarrer, der vor seinem Auslandseinsatz am Truppenstandort Munster Soldaten betreute, ist seit beinahe drei Monaten
in Afghanistan.
„Ich bin kein Muslim, aber was
bin ich dann?“ Das Nachdenken
über die eigene Identität und Religion gehöre dabei zu den Herausforderungen des Einsatzes, wie Militärpfarrer Christoph Thiele vom
Standort Roth bestätigt. „Viele deutsche Soldaten in Afghanistan wer-
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Pfarrer Jens Fortmann als evangelischer Militärseelsorger in Afghanistan. Foto: privat
den sich in dem fremden kulturellen
Umfeld wieder ihrer evangelischen
Wurzeln bewusst.“ Kollege Jens
Fortmann ist begeistert darüber, wie
gut die Kirche im Bundeswehr-Lager Aufnahme findet. Kürzlich erst
haben sich vier Soldaten taufen lassen. „Die 20- bis 35-jährigen Menschen erreicht die Kirche im normalen Leben kaum“, schließt er.
Gleichzeitig hat Jens Fortmann
bereits zusammen mit den örtlichen
Mullahs Hilfsprojekte eingeweiht.
Nicht Kampf, sondern Dialog zwischen den Kulturen ist wichtig. Das
empfindet auch Psychologe Horst
Schuh so, der in Bosnien-Herzegowina gemeinsame Projekte ins Leben gerufen hat, um das gegenseitige Verstehen zu verbessern. So
gab er den Gedichtband „Sterne
über Rajlovac“ heraus, in dem er
Poesie von Germanistikstudenten
aus Sarajevo sammelte. Und im
brandenburgischen Strausberg organisierte er kürzlich ein deutschbosnisches Treffen.
Oberstleutnant Klaus Geier, zur
Zeit Pressesprecher des deutschen
Einsatzkommandos in Afghanistan,
koordiniert ebenfalls Hilfsprojekte
vor Ort. Dazu führen er und Fach-
leute der Bundeswehr oft lange Gespräche mit Dorfältesten und Mullahs. „Wir vermitteln unter anderem
Projekte des Vereins ‘Lachen helfen
e. V.’, einer Hilfsinitiative deutscher
Soldaten.“ Schulen würden gebaut,
auch gemischte Einrichtungen für
Jungen und Mädchen. „Wir können
bei unseren Besuchen nichts versprechen, meist nur prüfen oder
weiter vermitteln.“
Hitze, Armut, Gefahr belasten
Jenseits der spektakulären Ereignisse sind es gerade die alltäglichen
Widrigkeiten des Lagerlebens, die
Soldaten als besonders kräftezehrend wahrnehmen. „Staub und
Schmutz wurden bei einer Befragung unter deutschen Soldaten als
besonders belastend empfunden“,
berichtet Psychologe Horst Schuh.
„Darauf folgt erst das hautnahe Erleben der Armut, besonders unter
Kindern. Erst danach gaben die Soldaten die Gefährdung an.“
Trotzdem bleiben die Bundeswehrsoldaten natürlich vorsichtig:
„Eine latente Gefährdung ist immer
gegeben. Es gibt Anschlagswarnungen. Wir hören in der Nähe Bomben
oder Minen explodieren. Die Ein-
schläge rücken näher“, erklärt Obstleutnant Geier.
Er selbst erlebte bereits zu Beginn des 2. Irak-Krieges, im Frühjahr 2003, Bedrohlicheres, als er mit
einer kleinen Spezialeinheit als
Gäste der Amerikaner in einem
Camp in Kuwait: „Dauernd gab es
Raketenalarme und wir mussten in
einem Behelfsbunker. Damals war
ja noch nicht klar, ob Saddam noch
etwas in der Giftküche hatte.“
Zurück nach Afghanistan. Klaus
Geier berichtet von dort weiter:
„Wenn unsere Leute rausgehen,
sind an einem Einsatz mindestens
zwei Wagen mit jeweils zwei Leuten
Besatzung beteiligt. Und sie bleiben
in ständigem Kontakt mit der Zentrale.“ Die so genannten „Rules of
Engagement“ regeln genau die Reaktionen der Bundeswehrsoldaten
bei Konfrontationen und Provokationen über mehrere Warnstufen hinweg bis zum Schusswaffengebrauch.
Trotzdem bleibt für Truppenpsychologe Horst Schuh das Gefühl
der Hilflosigkeit besonders schrecklich. Konfrontation oder Rückzug –
beides kann falsch sein und fatale
Folgen nach sich ziehen. Als Beispiel nennt er die Unruhen in Prizren vor gut zwei Jahren. Am 17.
März 2004 wurde dort das ehemalige serbische Viertel Podkalaya von
randalierenden Albanern in Schutt
und Asche gelegt. Beschädigt wurden außerdem zwei serbisch-orthodoxe Klöster, darunter das berühmte Erzengelkloster. Mittendrin im
Chaos befanden sich etwa ein Dutzend deutscher Soldaten. Sie entschieden sich dafür, den Ort nicht
mit Waffen zu verteidigen, sondern
ihn aufzugeben und wenigstens das
Leben möglichst vieler Serben zu
retten. „So etwas steckt man natürlich nicht mehr einfach weg.“ Truppenpsychologe Schuh macht eine
Pause.
Oder den Sanitätern stirbt ein minenverstümmeltes Kind in den Armen, ohne dass sie es wiederbeleben können. Die Belastungen werden bei dem aktuell diskutierten
Einsatz von Bundeswehrsoldaten
im Kongo eher zunehmen. Dann
könnte es ihnen passieren, zwölfjährigen Kindersoldaten – bis an die
Zähne bewaffnet und zu allem entschlossen – gegenüber zu stehen.
Susanne Borée
Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern · Nr. 22 vom 4. 6. 2006