24. Februar 2015: Antrittsbesuch als Bevollmächtigter für

Freie und Hansestadt Hamburg
Erster Bürgermeister
Antrittsbesuch als Bevollmächtigter für die
deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit
am 24. Februar 2015
Sehr geehrte Frau Botschafterin,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich zunächst Ihnen, liebe Frau Dr. Wasum-Rainer, für diesen schönen Empfang danken.
Dies ist mein erster Besuch als Bevollmächtigter für die deutsch-französische kulturelle
Zusammenarbeit und ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen allen die neue Aufgabe anzugehen.
Sehr gern bin ich heute bei Ihnen in Paris – als langjähriger Bewunderer französischer Lebensart.
Und als großer Anhänger freiheitlichen französischen Denkens, das Europa gerade in diesen Tagen
braucht.
Das sind ja keine Klischees, auch wenn wir alle wissen und es auch begrüßen, dass unsere so
genannte Alte Welt in neuer Bewegung ist, ganz wörtlich zu nehmen, dass sich immer mehr
Bürgerinnen und Bürger Europas die Freizügigkeit zu Nutze machen, die es ihnen erlaubt, überall in
der Europäischen Union ihr Glück zu suchen. Dass man überall zwischen Marseille und Hamburg, den
beiden Partnerstädten, längst alle nur denkbaren Sprachen und Dialekte hört:
Das sind dann nicht immer nur freundliche Worte, gesprochen nicht nur von solchen, die ihr Glück
schon gefunden haben. „Einen Menschenstrom, der sich in seinem engen Bett fortwährend staute,
zurückwälzte, drehte und schwerflüssig weiter rann“, hatte Siegfried Kracauer, der später aus
Deutschland nach Paris emigrierte, schon 1928 wahrgenommen, aber auch gespürt: „Hier bin ich
beinahe zu Hause“. Das spielte – Sie werden es gewusst oder aus dem Kontext geschlossen haben –
nicht in Paris, sondern wiederum in Marseille. Gemeint war Europa, das sich nicht zum ersten und
nicht zum letzten Mal neu formierte.
Heute können wir sagen: Die Freizügigkeit in der Europäischen Union erschließt Millionen Menschen
neue Möglichkeiten und wird Europa auf lange Sicht zu einem Schmelztiegel ähnlich dem USamerikanischen machen, und doch mit sehr eigenen Hitzegraden, Farben, Gerüchen,
Schmelzpunkten. Trotz allem kann man es ja immer noch wahrnehmen, das besondere Flair so einer
Stadt wie Paris und die besondere Liebe der Franzosen zu dem, was sie Europa als Tricolore von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorgeschlagen haben und was ihnen teuer ist.
- 2 Jetzt müsste eigentlich Heinrich Heine kommen, aber ich erinnere zur Abwechslung an seinen
Zeitgenossen und Rivalen Ludwig Börne:
„Taub wie das Gewissen eines Königs“ rumpelte er 1830 in Richtung der Julirevolution hier in Paris, in
einer Postchaise; viel zu langsam ging es ihm, denn er wollte selbst sehen und beschreiben, was sich
hier glorreiches zutrug in „Frankreich, dem Ziffernblatt Europas; hier sieht man, welche Zeit es ist, in
andern Ländern muss man die Uhr erst schlagen hören, um die Stunde zu erfahren – man verhört sich
aber leichter, als man sich versieht.“
Derselbe Autor echauffiert sich dann in demselben Reisebericht darüber, dass das Zimmermädchen in
seinem Hotel auf der welschen Rheinseite freche Widerworte gegeben, weswegen es auch kein
Trinkgeld erhalten (habe). Revolutionäre des Herzens waren nicht automatisch Egalitäts-Helden des
Alltags. Das ist vermutlich heute noch so.
Meine Damen und Herren,
auf sehr viel ernstere Proben werden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in unseren Tagen in
Europa gestellt. Auch in Deutschland sind viele Gedanken immer wieder bei den Opfern des
Terroranschlags hier in Paris, und bei den Angehörigen der Toten. Ich kann berichten, dass ich kurz
darauf in Hamburg eine sehr bewegende Kundgebung miterlebt habe, in deren Verlauf viele
Rednerinnen und Redner aller großen Religions-gemeinschaften und Konfessionen, viele Vertreter
migrantischer Vereine und Verbände, eine ganz große Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger
sich einig waren: in dem Bekenntnis zur Freiheit der Meinungsäußerung, und in dem Willen, sich als
solidarische Gesellschaft nicht spalten zu lassen. Hass und Ressentiment dürfen nie über Offenheit
und Toleranz siegen.
Respekt vor allen, die in dieser Zeit in Frankreich für Demokratie und Freiheit eintreten, trägt auch an
anderen Orten dazu bei, dass die demokratische Welt enger zusammenrückt. Erst vor wenigen Tagen
haben der Präsident der Französischen Republik, M. Hollande, und die Kanzlerin der Bundesrepublik
Deutschland, Frau Merkel, im Schulterschluss miteinander und mit Polen eine wesentliche Initiative
ergriffen, die Krise im Osten der Ukraine lösen zu helfen; die Regierungen unserer Länder stimmen in
dem Willen überein, die Verletzung der territoritalen Integrität eines unabhängigen Landes als Unrecht
zu bezeichnen und mit den zur Verfügung stehen-den Mitteln der Vernunft dagegen anzugehen.
Das ist selbstverständlich und doch geschieht auch da nichts von selbst. Die Freundschaft zwischen
unseren Ländern beweist hier ihre Qualität. Übrigens, auch das deutsch-französische Kulturfestival
vor einigen Wochen in Hamburg war eine Demonstration dafür, dass nur Demokratie die Freiheit des
Wortes, der Kunst, der Kultur gewährleisten kann.
- 3 Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich nun aber zu meiner neuen Aufgabe zurückkehren und etwas konkreter und aktueller
auf die kulturelle Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern eingehen. Auch Kultur, wer ahnte es
nicht, spielt sich ja zu einem nicht geringen Teil an Konferenztischen ab.
Der Deutsch-Französische Kulturrat (DFKR), der abwechselnd in verschiedenen Bundesländern und
Regionen in Deutschland und Frankreich tagt, erinnert immer wieder daran und weist auf wichtige
Themen hin.
Thomas Ostermeier, dem von deutscher Seite benannten Vorsitzenden dieses bilateralen
Beratungsgremiums, wurde jüngst der französische Orden für Kunst und Literatur in der höchsten
Auszeichnungsstufe verliehen. Bei dieser Gelegenheit nannte er auch das Erfordernis eines neuen
Urheberrechts zur Wahrung kultureller Vielfalt und geistigen Eigentums im Internet. Eine
„Gemeinsame Erklärung zum Urheberrecht“ wurde vom DFKR bei der Plenarsitzung im April vorigen
Jahres in Berlin verabschiedet.
Als Bürgermeister einer Medienstadt liegt mir dieses Thema am Herzen. Und ich weiß um die
Notwendigkeit der Abwägung. Sie wissen, dass es innerhalb der EU-Kommission unterschiedliche
Ansichten gibt und die „Harmonisierung“ des polyphonen Urheberrechts einen wirklich überzeugenden
Schlussakkord noch sucht – vielleicht kennen Sie die Stelle des Rock-Musicals „Faust“, in dem Randy
Newman als Mephisto die Band dreimal anflehen muss: „Give it to me“, bevor sie den offen
gehaltenen Akkord endlich auflöst:
Auch am Verhandlungstisch steckt der Teufel oft im Detail, zumal wenn es um die Nutzung fremden,
oder ehemals fremden, oder eigentlich fremden geistigen Eigentums geht. Um die naturgemäß
divergierenden Interessen von Dichtern, Reportern, Singer-Songwritern und denjenigen, die in der
einen oder anderen Weise darauf zugreifen möchten, ohne dass es viel kosten darf. Ein Widerspruch,
der sich im digitalen Zeitalter in ungeahnter Weise zugespitzt hat.
In Deutschland liegen diese Fragen zentral in der Kompetenz der Bundesregierung, allerdings können
die „Länder“, die Regionen der föderativen Republik, über den Bundesrat mitwirken. Hamburg hat ein
Interesse daran, das Urheberrecht auf nationaler und europäischer Ebene so auszugestalten, dass
klassische, an Inhalten ausgerichtete Geschäftsmodelle auch künftig aussichtsreich bleiben – und
dass neue digitale Vertriebsformen erprobt werden können.
Deswegen ist es gut, wenn Günther Oettinger auch das Urheberrecht zum Gegenstand seiner
Initiativen machen will. Zu Recht weist er darauf hin, dass ein solches Projekt nur erfolgreich sein wird,
wenn die beiden Kulturnationen Frankreich und Deutschland hier gestaltend tätig werden.
Es gibt hier noch manches zu diskutieren und ich denke, dass sich die Parlamentarier aller Parteien
darin einig sein sollten, dass Sorgfalt vor Tempo geht. In Bezug auf eine konvergente Medienordnung
- 4 bin ich aber eindeutig für eine einheitlichere Regelung des Urheberrechts auf europäischer Ebene. Ein
einheitliches europäisches Urheberrecht ist mehr wert als 28 Einzelregelungen. Es ist eine
Voraussetzung dafür, dass wir einen europäischen Kulturraum schaffen können.
Eine solche Regelung darf nicht dazu führen, dass der Schutz der Urheber und Rechteinhaber stetig
mehr und mehr ausgehöhlt wird. Es geht um den fairen Ausgleich zwischen Urhebern, Werkmittlern
und Nutzern. Jeder, der sich um das Urheberrecht kümmert, muss wissen, dass es die Grundlage
aller relevanten kultur- und kreativwirtschaftlichen Geschäftsmodelle ist und bleiben wird.
Meine Damen und Herren,
sehr am Herzen liegt mir außerdem – in Hamburg, in Deutschland, in Europa – die berufliche Bildung.
Lebenslanges Lernen und Weiterbildung haben in den EU-Mitgliedsstaaten einen hohen Rang,
dennoch zeigt sich bei näherer Betrachtung die Ausgestaltung der beruflichen Bildung in Frankreich
und Deutschland recht unterschiedlich.
Für mich muss sie der krönende… nein, besser: der Erfolg versprechende und möglich machende
Abschluss der gesamten Bildungskarriere junger Leute sein, die in den Kitas beginnt und über die
Schulen, die alle das Abitur ermöglichen, bis zur Hochschulkarriere und darüber hinaus geht. Oder
eben bis zur Berufsausbildung, die allen jungen Leuten nicht nur theoretisch offenstehen darf, sondern
alle einbeziehen muss, denen keine privilegierte intellektuelle oder künstlerische Karriere, und auch
keine als Profisportler offensteht. Niemand darf da durch irgendein Sieb fallen oder am Wegesrand
zurückbleiben, weder aufgrund sozialer Handicaps noch eigener Initiativlosigkeit. Jede und jeder muss
am Ende in eine selbstbestimmte Existenz auf der Basis guter und gut bezahlter Erwerbsarbeit
gelangen.
Mit der so genannten dualen Ausbildung haben wir in Deutschland seit langer Zeit gute Erfahrungen
gemacht. Da sind junge Erwachsene in der Ausbildung über zwei bis dreieinhalb Jahre in demselben
Unternehmen in Betriebsprozesse aktiv und kontinuierlich eingebunden. Und genau damit stehen sie
nach Abschluss der Ausbildung bereits qualifiziert dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Ein weiterer Vorteil der deutschen dualen Ausbildung besteht in einer starken finanziellen und
inhaltlichen Einbindung der Unternehmen. Auch das trägt dazu bei, dass nach der regulären
Ausbildungszeit qualifizierte und sofort einsetzbare Arbeitnehmer in den Startlöchern, und oft schon
aus ihnen heraus sind.
Ich glaube, dass vor dem Hintergrund der bedrückend hohen Jugendarbeitslosigkeit in etlichen
Ländern der Europäischen Union, und dem enormen Fachkräftemangel, die duale Ausbildung, wie
Deutschland sie kennt, gute Lösungsansätze bietet. Voraussetzung ist allerdings, dass es gelingt, die
beteiligten Interessengruppen dafür zu gewinnen und davon zu überzeugen, dass die Investition in
eine qualifizierte Berufsausbildung eine Investition in die Zukunft bedeutet.
- 5 Von dem Potenzial an hoch qualifizierten Fachkräften hängen Innovation, Wettbewerbsfähigkeit,
Wachstum, kurz: der Wohlstand eines Landes ab. Und Europas, denn das sind wir alle.
Wir fangen ja nicht bei Null an; es gibt gute, Erfolg versprechende Kooperationen. Meine Vorgängerin
in diesem Amt hat tolle Arbeit geleistet, auf die ich aufbauen will.
Auch wir Hamburger haben, zum Beispiel im Bereich der Luftfahrt, gemeinsam mit den anderen
Airbus-Standorten wie Toulouse gemeinsame Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von
Ausbildungsleistungen entwickelt. Dass 30 Prozent der Praktikanten später in den Ausbildungsbetrieben angestellt werden, gibt uns Recht.
Die bestehenden Programme Erasmus und Erasmus+ werden durch die speziellen bilateralen
Angebote – des Deutsch-Französischen Sekretariats oder des Deutsch-Französischen Jugendwerks –
ergänzt. Seit 2013 gibt es ein Memorandum zur Kooperation in der beruflichen Bildung zwischen der
Académie de Toulouse und dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB). Ziel ist es,
Partnerschaften zwischen beruflichen Schulen zu fördern. Warum soll nicht ein Netzwerk dabei
herauskommen, wie es beim AbiBac längst selbstverständlich ist?
Meine Damen und Herren,
ich stehe hier als deutscher Bevollmächtigter für die kulturelle Zusammenarbeit, will aber, Sie merken
es schon, meine Stadt Hamburg nicht unerwähnt lassen. Die eine frankreichfreundliche ist und fast
immer war, auch wenn Napoléon Bonaparte seinerzeit beim Festlegen von Départementsgrenzen
anders vorging als es heute erforderlich wäre. Wir hießen damals „Bouches de l´Elbe“,
Elbmündungen, und dazu gehörte flussabwärts das westliche Ufer bis halbwegs nach Bremen. Auf
der anderen Flussseite war Dänemark, fertig. Im Gegensatz dazu haben sich mit der Abgrenzung der
heutigen Metropolregion Hamburg – über deutsche Ländergrenzen hinweg – viele Gremien über viele
Legislaturperioden befasst.
Andererseits, Stichwort Legislatur, gilt derselbe Staatsmann als Begründer einer kodifizierten, in vieler
Hinsicht vorbildlichen, vereinheitlichten Rechtsprechung im damaligen, noch weit vorrevolutionären
Deutschland.
Nicht nur der schon erwähnte Deutsch-Französische Kulturrat, sondern auch zahlreiche andere
Personen und Institutionen arbeiten über Staatsgrenzen hinweg. Alle gemeinsam kümmern sich um
den Zusammenhalt unserer beiden Länder im Herzen Europas. Sei es durch das Vermitteln des
kulturellen Erbes zur Stärkung einer regionalen Identität, die, so heißt es, Voraussetzung einer
europäischen Identität sei. Sei es durch das Zusammenbringen junger Leute, das so wichtig ist, um
einander zu verstehen. Und vieles mehr, wobei die kostbaren französischen Impressionisten und
Maler der Moderne in der Hamburger Kunsthalle längst Teil unserer hanseatischen Identität sind.
- 6 Von der werden, da bin ich sicher, in diesem und nächstem Jahr auch die Hamburg-Wochen des
Goethe-Instituts Frankreich in Paris, Toulouse und Marseille unter dem Titel „HeimatHafen Hamburg“
beredtes Zeugnis ablegen.
Ich wünsche Frankreich und Deutschland eine gute gemeinsame Zukunft. Und ich freue mich, in
meiner neuen Funktion daran mitwirken zu können.