Wilhelm-Schickard-Institut fur ¨ Informatik Arbeitsbereich Symbolisches Rechnen Prof. Dr. Wolfgang Kuchlin ¨ Dipl. Inf. Christoph Zengler 04.05.2011 Was ist eine Boolesche Algebra?1 Mathematisch betrachtet ist eine Boolesche Algebra eine Algebraische Struktur. Eine Algebraische Struktur besteht aus 1. einer nicht-leeren Menge A, dem Universum, 2. ausgezeichneten Elementen des Universums, z.B. 0 oder 1, 3. einstelligen oder mehrstelligen Operationen auf A, z.B. − : A → A oder + : A × A → A. Aus den Grundlagen der Mathematik sind wahrscheinlich bereits einige Algebraische Strukturen bekannt, z.B. • das kommutative Monoid (N; 0, +) der nat¨urlichen Zahlen mit Addition und der 0, • die abelsche Gruppe (Z; 0, +, −) der ganzen Zahlen mit Addition, einstelliger Negation und der 0, • der K¨orper (R; 0, 1, +, −, ·) der reellen Zahlen mit den u¨ blichen Operationen. Aus dieser mathematischen Sicht ist eine Boolesche Algebra ein spezieller Verband. Da ein Verband wiederum aus Halbverb¨anden besteht und diese wiederum spezielle Halbgruppen sind, wollen wir das Ganze bottom-up aufziehen und uns von unten nach oben hocharbeiten. Halbgruppen Definition 1 (Halbgruppe). Eine Halbgruppe H = (H; ◦) besteht aus einer nicht-leeren Menge H und einer zweistelligen assoziativen Operation ◦ : H × H → H. H heißt eine kommutative Halbgruppe falls die Operation ◦ kommutativ ist. Beispiel 1. Die positiven nat¨urlichen Zahlen mit der Addition bilden eine kommutative Halbgruppe (N \ {0}; +). Offensichtlich ist N \ {0} eine nicht-leere Menge und die Addition ist eine zweistellige assoziative und kommutative Operation auf dieser Menge. Halbverb¨ande Um zu verstehen, was ein Halbverband ist, m¨ussen wir zuerst das Konzept der Idempotenz kl¨aren. Definition 2 (Idempotenz). Sei A = ∅ eine Menge und sei f : A × A → A eine zweistellige Operation auf A. f heißt idempotent, falls f¨ur alle a ∈ A gilt, dass f (a, a) = a. Beispiel 2. Betrachten wir die Menge { , ⊥} der aussagenlogischen Wahrheitswerte mit der Verkn¨upfung ∧. Dann ist ∧ idempotent, da ∧ = und ⊥ ∧ ⊥ = ⊥ gilt. Ebenso ist ∨ idempotent. Nun k¨onnen wir einen Halbverband definieren: Definition 3. Eine kommutative Halbgruppe (A; ◦) heißt ein Halbverband, falls ◦ idempotent ist. 1 Die Definitionen und Beispiele in dieser Abhandlung sind aus dem bisher unver¨ offentlichtem Buch ”Algebra und Logik” von Thomas Sturm und Volker Weispfenning. 1 Mit anderen Worten: Ein Halbverband ist eine algebraische Struktur bestehend aus einer nicht-leeren Menge A und einer zweistelligen Operation ◦ : A × A → A, die 1. assoziativ, 2. kommutativ und 3. idempotent ist. Verb¨ande Nachdem wir nun wissen, was Halbverb¨ande sind, k¨onnen wir Verb¨ande definieren: Definition 4. Seien (A; ) und (A; ) zwei Halbverb¨ande mit der Menge A und zwei unterschiedlichen zweistelligen Operationen und . Dann heißt A = (A; , ) ein Verband, falls f¨ur alle a, b ∈ A die folgenden Absorptionsgesetze gelten: a (a b) = a, a (a b) = a. Wir wissen bereits, dass eine Boolesche Algebra ein spezieller Verband ist, d.h. f¨ur ∧ und ∨ gelten die Absorbtionsgesetze. Dies kann man z.B. in der Aussagenlogik einfach u¨ berpr¨ufen: Es gilt sowohl a ∧ (a ∨ b) = a als auch a ∨ (a ∧ b) = a f¨ur alle a, b ∈ { , ⊥}. Ein Verband kann zus¨atzliche Eigenschaften besitzen. Zwei davon sind f¨ur uns von Interesse: 1. Ein Verband A heißt ein distributiver Verband, falls sowohl distributiv u¨ ber ist. D.h. es gelten f¨ur alle a, b, c ∈ A folgende beiden Distributivgesetze: a (b c) = (a b) (a c) und a (b c) = (a b) als auch (a distributiv u¨ ber c). 2. Eine Struktur A = (A; 0, 1, , ) heißt ein beschr¨ankter Verband, falls (A, , ) ein Verband ist und 0 ∈ A ein neutrales Element f¨ur und 1 ∈ A ein neutrales Element f¨ur ist. Eine Boolesche Algebra ist sowohl distributiv als auch beschr¨ankt. Wir wollen dies wieder anhand der Aussagenlogik illustrieren: Beispiel 3. Wir wissen bereits, dass in der Aussagenlogik die Distributivgesetzte gelten. f¨ur ∧, ⊥ ist das neutrale Element f¨ur ∨. Es gilt also f¨ur alle a ∈ { , ⊥} a∧ ist das neutrale Element = a sowie a ∨ ⊥ = a. Boolesche Algebren Definition 5 (Boolesche Algebra). Eine Struktur A = (A; 0, 1, , ,∗ ) heißt eine Boolesche Algebra, falls die Struktur (A; 0, 1, , ) ein beschr¨ankter distributiver Verband ist und f¨ur alle a ∈ A gilt: a a∗ = 0, a a∗ = 1 F¨ur a ∈ A heißt a∗ dann das Komplement von a. Auch diese letzte Eigenschaft k¨onnen wir anhand der Aussagenlogik zeigen: Beispiel 4. Das Komplement in der Aussagenlogik ist die Negation ¬. Es gilt f¨ur alle a ∈ { , ⊥}: a ∧ ¬a = ⊥ und a ∨ ¬a = . Nun kann man auch zeigen, dass das Komplement zu einem Element in einer Booleschen Algebra eindeutig bestimmt ist. 2 Satz 1 (Endeutigkeit des Komplements). Das Komplement a∗ ist das jeweils einzige Element, das die beiden Gleichungen a a∗ = 0, a a∗ = 1 simultan erf¨ullt. Beweis. Sei b ∈ A mit a b=0 b = 0 und a b = 1. Dann folgt b = (a (0 ist neutral f¨ur ) ∗ a ) b = (a b) (a =1 (a∗ b) = (a ∗ =a = a∗ ∗ a ) (a 0 (Komplementregel f¨ur Boolesche Algebra) ∗ b) (Distributivgesetz) (gilt nach Voraussetzung) ∗ (a b) (Komplementregel f¨ur Boolesche Algebra) b) (Distributivgesetz) (gilt nach Voraussetzung) = a∗ (0 ist neutral f¨ur ) Damit ist gezeigt, dass jedes Element, das beide Gleichungen simultan erf¨ullt, das Komplement a∗ von a sein muss und dieses damit eindeutig bestimmt ist. Aus der Eindeutigkeit des Komplements folgt auch die Involutivit¨at, d.h. a∗∗ = a. Auch diesen Fakt kennen wir bereits aus der Aussagenlogik, in der f¨ur alle a ∈ { , ⊥} gilt ¬¬a = a. In einer Booleschen Algebra haben auch die beiden Gesetze von de Morgan G¨ultigkeit, d.h. a b = (a∗ b∗ )∗ und a b = (a∗ b∗ )∗ . ¨ Boolesche Algebren Beispiele fur Wie nun schon des o¨ fteren erw¨ahnt, ist das wohl bekannteste Beispiel f¨ur eine Boolesche Algebra die Aussagenlogik, bzw. das Aussagenkalk¨ul. Dabei handelt es sich um die Struktur ({ , ⊥}; ⊥, , ∧, ∨, ¬). Dies ist eine zweielementige Boolesche Algebra, d.h. das Universum besteht aus nur zwei Elementen. Es gibt jedoch durchaus auch Boolesche Algebren mit mehr als zwei Elementen. Beispiel 5. Sei M eine Menge und ℘(M ) die Potenzmenge dieser Menge (die Menge aller Teilmengen von M ). Definiere f¨ur A ∈ ℘(M ) das Komplement A = M \ A. Dann bildet die Struktur (℘(M ); ∅, M, ∪, ∩, ) eine Boolesche Algebra, die Potenzmengenalgebra von M . Die Potenzmengenalgebra ist genau dann unendlich, wenn M unendlich ist. In diesem Fall ist die Potenzmengenalgebra sogar u¨ berabz¨ahlbar unendlich. Man kann jedoch auch abz¨ahlbar unendliche Boolesche Algebren konstruieren. Wir wollen es hier jedoch bei diesen beiden Beispielen belassen. Rekapitulation Wir wollen noch einmal zusammenfassen, welche Eigenschaften eine Boolesche Algebra (A; 0, 1, , ,∗ ) hat: • A ist eine nicht-leere Menge (wg. Halbgruppe). • 0 ∈ A ist neutrales Element f¨ur (wg. beschr¨anktem Verband). • 1 ∈ A ist neutrales Element f¨ur (wg. beschr¨anktem Verband). • und sind jeweils – assoziativ und kommutativ (wg. kommutativer Halbgruppe), – idempotent (wg. Halbverband) und – distributiv u¨ bereinander (wg. distributivem Verband). • Es gelten die Absorptionsgesetze (wg. Verband). • F¨ur alle a ∈ A gilt a a∗ = 0 und a a∗ = 1 (wg. Boolescher Algebra). 3
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