Wirtschaftsforum St. Petersburg eröffnet

Engagiert
DANIEL NAUPOLD/DPA-BILDFUNK
Regisseur seiner Klasse: Heute wird
der britische Filmemacher Ken ­Loach
80 Jahre alt. Sein Werk erzählt von
den Kämpfen der Ausgebeuteten –
und besticht durch erbarmungslosen
Realismus wie durch Parteilichkeit.
Von Ingar Solty
SEITEN 12/13
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 17. JUNI 2016 · NR. 139 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Zweckbündnis
Tauchstation
Massenprotest
Gedankenaustausch
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Die deutsch-polnischen Beziehungen
sind sachlich: Man braucht sich,
aber man liebt sich nicht
Vier Jahre nach der gescheiterten Flug- Rücktritt gefordert: In Griechenland
In ihrer nun als Buch veröffentlichten
hafeneröffnung: BER-Untersuorganisieren Oppositionsparteien
E-Mail-Korrespondenz ist Marchungsausschuss legt Bericht vor
Demos gegen Regierung
got Honecker aufrichtig und klar
Rambos
Israel verschärft
Terrorgesetz
Jerusalem. Das israelische Parlament hat ein Gesetz mit härteren
Strafen für Attentäter verabschiedet. Es gibt dem Staat zudem
mehr Freiheiten bei der Strafverfolgung, wie der israelische
Rundfunk am Donnerstag berichtete. Erstmals gilt danach das
Graben von Tunneln als strafbare
Handlung. Wer sich mit einer
Terrororganisation identifiziere
oder eine terroristische Tat nicht
verhindere, könne nun ebenfalls
als Terrorist belangt werden,
berichtet die Zeitung Haaretz.
Straftäter, die zu lebenslanger
Haft verurteilt wurden, müssen
laut Rundfunk mindestens 15
Jahre ihrer Strafe absitzen. Eine
vorherige Begnadigung durch den
Präsidenten ist damit nicht mehr
möglich. (dpa/jW)
gegen
Bewaffnete Hilfssheriffs
­sollen nach dem Willen von
Innenminister de Maizière
Polizeibeamte ersetzen.
Von Michael Merz
PICTURE-ALLIANCE / PHOTOSHOT/MONTAGE JW
Räuber
»Sichere ­Herkunftsländer«
im Bundesrat
D
as Verlangen mancher Zeitgenossen nach Selbstjustiz
ist spätestens mit dem Aufkommen immer neuer Bürgerwehren
deutlich geworden. In einigen Orten
patrouillieren seit Monaten bereits Vorstadtrambos und setzen durch, was sie
unter Recht und Ordnung verstehen.
Bezeichnend ist ein Mitte Mai in einem
Supermarkt der sächsischen Kleinstadt
Arnsdorf aufgenommenes Video. Es
zeigt, wie ein psychisch kranker irakischer Asylbewerber von Männern in
»Bürgerwehr«-T-Shirts in die Mangel
genommen und verprügelt wurde. Danach schleppten sie ihn vor den Markt
und fesselten ihn an einen Baum. Hinzugekommene Polizisten sahen sich
nicht in der Lage, die Personalien der
schlagkräftigen Bürger, unter denen
sich auch ein CDU-Gemeinderat befand, aufzunehmen.
Solcherlei Vorgehen will Bundesinnenminister Thomas de Maizière ei-
nen legalen Anstrich geben. »Kräfte,
die über eine Kurzausbildung verfügen
und begrenzte Befugnisse haben, aber
Uniform und Waffe tragen«, sollen in
»besonders belasteten Vierteln« eingesetzt werden, sagte der CDU-Politiker gegenüber der Rheinischen Post
(Donnerstagausgabe). Hintergrund ist
eine steigende Zahl an Einbruchsdelikten. Als lobendes Beispiel führte de
Maizière ausgerechnet Sachsen an. Im
Freistaat wurden über Jahre hinweg
Planstellen der Polizei gestrichen, die
Belastung der verbliebenen Beamten
ist nicht zuletzt durch unzählige Einsätze bei rechten Aufmärschen groß,
einige tausend Vollzugsbeamte fehlen.
Leidlich kompensiert wird die prekäre
Personalsituation seit diesem Jahr mit
einer »Wachpolizei«. Während eine reguläre Polizeiausbildung zweieinhalb
Jahre dauert, können die Hilfssheriffs
schon nach zwölf Wochen mit Pistole
im Holster auf Streife gehen und letzt-
lich in die Grundrechte Dritter eingreifen. In den nächsten fünf Jahren will
Sachsen insgesamt 1.400 schlecht bezahlte »Wachpolizisten« rekrutiert haben. »Das ist ein zukunftsweisendes
Modell«, so de Maizière.
Rückendeckung für sein Vorhaben
erhält er von Hessens Innenminister
Peter Beuth (CDU). Es gebe Bereiche,
»wo man mit einer etwas geringeren
Ausbildung sehr erfolgreich Polizeiarbeit leisten kann«, sagte er am Donnerstag am Rande der Innenministerkonferenz in Perl-Nennig (Saarland) laut dpa.
Noch sträubt sich allerdings der Koalitionspartner. De Maizière wolle »billige
Hilfssheriffs für Kriminalitätsbekämpfung« einsetzen, erklärte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner
(SPD). Es würden jedoch »gut ausgebildete, ordentlich bezahlte Polizisten» gebraucht. Die öffentliche Sicherheit sei
kein »Feld für Crashkurs-Ordnungshüter«. Als »unverantwortlich« bezeich-
nete es Niedersachsens Innenminister
Boris Pistorius (SPD), Hilfspolizisten
mit Waffen auszustatten. Das Gewaltmonopol liege bei einer »hervorragend
und qualifiziert ausgebildeten Polizei«.
Harsche Kritik kommt zudem von der
Opposition. »Der Aufbau einer solchen
Truppe ist die beste Gewährleistung dafür, Verrohung und Brutalisierung zu
befördern – und zwar im Namen des
Staates«, befürchtet Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Reguläre Polizisten
sollten einschätzen, »wann Grundrechtseinschränkungen gegenüber Bürgern
verhältnismäßig sind«.
Für den Fall, dass Einbrecher den
Hilfspolizisten durch die Lappen gehen, hat de Maizière noch eine weitere
Lösung parat: Massenüberwachung.
Kreuzungen in Einfamilienhaussiedlungen sollen zum Kriminalitätsschwerpunkt erklärt und dort Kameras installiert werden.
Wirtschaftsforum St. Petersburg eröffnet
Geschäfte bei Wohlverhalten? Juncker stellt Bedingungen für Aufhebung der Russland-Sanktionen
E
U-Kommissionschef JeanClaude Juncker hat Tacheles
geredet: Zum Auftakt des jährlich stattfindenden Wirtschaftsforum
in St. Petersburg am Donnerstag hat
der Luxemburger die russische Regierung aufgefordert, die Minsker Vereinbarungen für Frieden in der Ukraine vollständig umzusetzen. Nur dann
könne Moskau mit der Aufhebung der
EU-Wirtschaftssanktionen rechnen.
Es ist bei Großmächten (und Gruppierungen, die sich dafür halten) nicht
unüblich, dem Kontrahenten Bedingungen zu diktieren. Zu den Erwar-
tungen an die anderen Parteien der
Minsker Runde äußerte sich Juncker
nicht. Doch er betonte, dass er dafür
sei, trotz des »Misstrauens« zwischen
Russland und der EU im Gespräch zu
bleiben und die ökonomischen Beziehungen auszubauen.
Vertreter der Wirtschaft aus den
EU-Staaten dürften Junckers Auftritt
mit gemischten Gefühlen beobachtet
haben. Schließlich gehen ihnen durch
die Sanktionen Geschäfte im Milliardenvolumen verloren, vom ausbleibenden Profit ganz zu schweigen. Dies
ist der Grund, weshalb immer mehr
EU-Firmenvertreter und -Lobbyisten
fordern, die Sanktionen aufzuheben,
oder wenigstens zu lockern. Nur passt
das offenbar weniger ins »strategische
Konzept« der EU (falls die so etwas
überhaupt besitzt) als Militärmanöver
in Osteuropa zur »Abschreckung« der
Russen.
Manches geht dennoch – oder wieder. Am Mittwoch war bekannt geworden, dass Daimler in Russland eine
neue Autofabrik für 200 Millionen
Euro bauen will. Noch wird auch am
Gasleitungsprojekt »Nord Stream 2«
durch die Ostsee gebaut. »Das ist ein
wirtschaftlich hocheffizientes Projekt«, lobte Gasprom-Vorstandschef
Alexej Miller gestern zu Beginn des
Forums. An dem Bau sind von deutscher Seite die BASF-Tochter Wintershall sowie Uniper beteiligt. Das
Vorhaben wird in Brüssel angefeindet, weil es angeblich die Abhängigkeit von russischem Gas erhöhe.
Das Wirtschaftsforum mit etwa
10.000 Teilnehmern dauert noch bis
Sonnabend. Am heutigen Freitag ist eine Rede von Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin geplant. (AFP/jW)
Siehe Kommentar Seite 8
DANIEL BOCKWOLDT/DPA-BILDFUNK
Ein Crashkurs werde reichen, um Hilfspolizisten in Zukunft »besonders belastete Viertel« bestreifen zu lassen, meint de Maizière
Berlin. Die Entscheidung über
eine Einstufung der MaghrebStaaten Marokko, Algerien und
Tunesien als sogenannte »sichere
Herkunftsländer« wird am heutigen Freitag wohl erst in letzter
Minute vor der Sitzung des Bundesrates fallen. Die Gespräche
sollten bis in den späten Donnerstag abend fortgesetzt werden,
sagte der Ministerpräsident von
Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff
(CDU), am Donnerstag nach der
Konferenz der Ministerpräsidenten in Berlin.
Insbesondere bei den Grünen
gebe es noch »Beratungsbedarf«,
sagte Haseloff weiter. Mindestens drei Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Grünen
müssten dem Gesetz zustimmen,
um die erforderliche Mehrheit
im Bundesrat zu erreichen. Sollte
das nicht der Fall sein, muss der
Vermittlungsausschuss angerufen
werden. (AFP/jW)
wird herausgegeben von
1.841 Genossinnen und
Genossen (Stand 2.6.2016)
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