1 SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde „Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold zu spinnen?!“ Literarische Musiker-Porträts (1) Mit Thomas Rübenacker Sendung: 20. Februar 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 … mit Thomas Rübenacker. Heute: „Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold zu spinnen?!“ Literarische Musiker-Porträts, Teil eins. MUSIK Eine der ältesten Dichtungen der Menschheit, Homers „Ilias“, beginnt mit Musik: „Mänin aeíde theá, Päläiadiós Achilläos, oulomenän“ - heißt es da im altgriechischen Hexameter, „Singe, o Göttin, den Zorn des Peleussohnes Achill, den Verderben bringenden“. So erklingt das Grundthema des ganzen Werkes, der Achill'sche Zorn, bereits in der ersten Strophe – und die sei zu singen. Nun könnte man einwenden, dass 7- oder 8.000 Jahre vor Christus die ja nur mündlich tradierte Literatur immer gesungen wurde. Aber abgesehen davon, dass Homers „Ilias“ die erste schriftlich fixierte Dichtung war, meint der blinde Dichter offenbar, was er schreibt beziehungsweise schreiben ließ. Denn aeíde bittet oder mahnt er die Göttin Athene, lies nicht einfach vor oder rufe in die Welt hinaus, sondern singe. In der Fortsetzung dieser Episode aus dem Trojanischen Krieg, in der „Odyssee“, klingt das schon wesentlich nüchterner: „Andra moi énnepe, mousa“, beginnt es hier, statt singe jetzt nur noch sage mir die Taten des vielgewanderten Mannes … MUSIK: BERLIOZ, DIE TROJANER, CD 1, TRACK 1 (3:49; ACHTUNG! BITTE AUF DEM ALLEINSTEHENDEN OBOENTON AUSBLENDEN, DA ES DANACH GLEICH WEITERGEHT!; CA. 3:46) 1) Hector Berlioz, Les Troyens (Einleitungs-Chor); Chorus & Orchestra of the Royal Opera House Covent Garden, Sir Colin Davis; Philips 416 432-2 (LC 0305) Héctor Berlioz, der Beginn seiner Oper „Les Troyens“, die auf beiden Epen Homers fußt, der „Ilias“ und der „Odyssee“. Das Volk von Troja freut sich lautstark über das vermeintliche Ende des Krieges mit den Griechen, der zehn Jahre dauerte; gleichzeitig bestaunen sie das Versöhnungs-Geschenk der ehemaligen Gegner, dieses riesige Pferd, das sie in ihre Stadtmauern ziehen, um es in Ruhe zu studieren … Nicht ahnend natürlich, dass Odysseus, der Listenreiche, sich dieses innen hohle und mit Soldaten angefüllte Riesenholztier ausgedacht hat, um Troja endgültig zu besiegen. Sir Colin Davis dirigierte Chor und Orchester des Royal Opera House Covent Garden. 3 Ja, die Literatur und die Musik sind mindestens Schwestern, wenn nicht Zwillingsschwestern oder sogar siamesische Zwillinge. Von der Literatur zur Musik ist der Weg klar: Sujets werden vertont, Texte zu Liedern, Gesängen, Oratorien, ja, ganze Dichtungen erstehen in neuem, in musikalischem Glanz auf der Opernbühne. Aber eine Einbahnstraße ist das mitnichten: „Der Musiker“ und sein Handwerk, in welcher Form auch immer, wurde zum Zentrum von Novellen, Romanen oder Dramen, die verwandte, aber so andersartige Kunst faszinierte die Meister des Wortes zu allen Zeiten. Und das hat nichts damit zu tun, dass Goethe, Schiller oder Shakespeare am Wiener Burgtheater noch im 19. Jahrhundert quasi gesungen wurden: (singend) „Se-hei-hein ooo-der Nicht-sei-hei-hein“. Auf Englands Bühnen „singt“ man den Skakespeare manchmal sogar heute noch. Der erste wahrhaft globalisierte Held der Literatur tritt (man glaubt es kaum) bereits im Jahr 1669 auf: der „Simplicius Simplicissimus“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Dieses zwischen Schelmen-, Entwicklungs- und Erbauungsroman pendelnde Werk, das mit oft scharfer Satire gewürzt wurde, ist quasi über die ganze Welt verstreut: Kaum ein Ort derselben, wohin es den „heiligen“ Toren, diesen Parsifal des Dreißigjährigen Krieges nicht verschlägt. Im Grunde kann man, nur leicht zugespitzt, sagen: Der „Simplicius“ enthält ungefähr so viele Abenteuer wie zwanzig bis dreißig Bände Karl May. Und die Musik spielt in dem Roman eine ganz, ganz wichtige Rolle. Bevor Simplicius überhaupt lesen und schreiben kann, spielt er bereits hochvirtuos die Flöte, in einer späteren Episode verdingt er sich als Stadtpfeifer. Die Laute hat es ihm ebenfalls angetan, und in einem der prächtigsten Abschnitte agiert er sogar als Opernsänger! Die Musik ermöglicht also den sozialen Aufstieg des Protagonisten, aber dann verstummt sie plötzlich. Simplicissimus kann sie nicht mehr hören, sie scheint ihm die wahre Welt – die des Krieges und der Niedertracht – zu verzuckern mit ihrem Wohlklang. Seine Laute zerschlägt er sogar – und studiert fortan die Theologie und die Dichtkunst. Auf einer einsamen Insel lebt er als Eremit, nachdenkend über die Dinge und spekulierend, wie man sie verbessern könne. Um Buße zu tun, schreibt er sogar sein gesamtes Leben bis dato auf – die Autobiographie als Lebensbeichte und Erlösung von demselben. Das geht so weit, dass Grimmelshausen seinen Helden mit dem biblischen „Dichter-Theologen“ König David vergleicht, der auch – einst die Leier zupfend – herausgefunden habe, dass 4 nur mit der Dichtkunst Gott wahrlich zu würdigen sei. Das Werk war unglaublich einflussreich. Romantische Dichter wie Brentano, Uhland oder Eichendorff liebten es, und noch Thomas Mann nannte es „ein Literatur- und Lebens-Denkmal der seltensten Art, das (…) fast drei Jahrhunderte überdauert hat und noch viele überdauern wird.“. Was für eine Spannweite der Roman hat, zeigt uns auch Johann Strauß: Er machte daraus eine Operette! MUSIK: J. STRAUSS II, SIMPLICIUS, CD 1, TRACK 1 (6:18) 2) Johann Strauß II, Simplicius (Ouv.); Orchester der Oper Zürich, Franz WelserMöst; EMI 5 57009 2) Johann Strauß II, die seltsamste und am wenigsten bekannte seiner Operetten: „Simplicius“, diese Schelmengeschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, ein Werk des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Die Ouvertüre spielte das Orchester der Oper Zürich, der Dirigent war Franz Welser-Möst. Was haben Robert Schumann und Héctor Berlioz, E. T. A. Hoffmann und Peter Cornelius gemeinsam mit Johann Kuhnau, dem unmittelbaren Vorgänger Bachs als Thomaskantor? Ganz einfach: Sie waren sowohl Komponisten – als auch Literaten, wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung. Das heißt, Schumann war auch Literat, Hoffmann auch Komponist; Kuhnau aber war beides. Überhaupt eine ziemlich exotische Figur des Barocks, ein Musiker, der die Musik nicht recht leiden konnte – und der die Literatur unter anderem dazu nutzte, sich über sie lustig zu machen. Der 1660 im Erzgebirge geborene Kuhnau nannte sein literarisches Hauptwerk, einen der ersten sogenannten Tonkünstlerromane: „Der musicalische Quack-Salber; nicht alleine denen verständigen Liebhabern der Music/sondern auch allen andern/welche in dieser Kunst keine sonderbahre Wissenschafft haben/In einer kurtzweiligen und angenehmen Historie zur Lust und Ergetzlichkeit beschrieben“. Darin vertritt er – oft geradezu triefend vor Spott – die These, nur der dürfe sich „ein wahrhafftiger Musicus und Virtuos“ nennen, „wo nit nur von Noten getreulich herbeten“ könne, sondern „im extempore“ (also der Improvisation) „das Garn fort spinnen“, so „vordringend ins Hertz der Musicke (…), in ihro unveräußerliche Seele“. Das weicht von unserem Virtuosenbegriff gewaltig ab, war im 18. Jahrhundert aber eine weit verbreitete Vorstellung; Werckmeister, Mizler und sogar noch Beethoven hingen 5 demselben Glauben an – nur dass niemand ihn so unerbittlich formulierte wie der Universalgelehrte Johann Kuhnau. Der versah zwar seine musikalischen Ämter wohl – aber genau so gut hätte er Theologe, Rhetor, Vollzeit-Dichter, Mathematiker, Sprachenforscher, Jurist oder Astronom werden können. Im Musicalischen QuackSalber schildert er den wahren Virtuosen nicht überraschend als ein Spiegelbild seiner selbst, nämlich als „Künstler ingleichen Gelehrten und Poeten“. Und entsprechend exzentrisch sind seine Kompositionen, etwa die Biblische Sonate Nr. 1 für Posaunenquartett, „Der Kampf Davids mit Goliath“. Diese frühe Programmmusik beginnt mit dem „Schnarchen des Goliath“, fährt fort mit dem „Zittern der Israeliten“, dem „Mut des David“, dem „Zweikampf der beiden“ sowie der „Fuga der Philister“ mithin deren Flucht. MUSIK: KUHNAU, BIBLISCHE SONATE NR. 1, TRACKS 8 BIS 11 (6‘22) 3) Johann Kuhnau, Biblische Sonate Nr. 1; Datura-Posaunenquartett Ars Musici 232168 (LC 05152) Johann Kuhnau, Biblische Sonate Nr. 1, eine frühe Programmmusik für Posaunenquartett, den Zweikampf zwischen David und Goliath mit barocken Mitteln ausmalend – zuletzt die „Flucht der Philister“. Das Datura-Posaunenquartett spielte. Sie waren Klassenkameraden, sozusagen die Lümmel von der letzten Bank, und sie wurden beide Schriftsteller, Romantiker, Kunstversteher: Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck. Gemeinsam gaben sie 1796 ein Kompendium kunsttheoretischer Aufsätze, Gedichte und Künstlernovellen heraus, anonym allerdings, das sie „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ nannten. Nachgeborene rühmten das Werk als „erstes Manifest“ und „Geburtsstunde der deutschen Romantik“, deren Geniekult es vorwegnimmt und auch den Kunstgenuss als Akt religiöser Hingabe. Die letzte, längste Geschichte heißt „Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Josef Berglinger“, und sie warf ihren Schatten weit voraus: Thomas Mann bezieht sich in seinem Musikerroman „Doktor Faustus“ mehrfach darauf. Der (fiktive) Kirchenmusiker jedenfalls geht an seiner Kunst irre, weil er deren Unterhaltungspotenzial und quasi „transzendente“ Bestimmung nicht recht zu vereinen weiß; die Kunstabsicht will er dazu verklären, was Schleiermacher und Novalis später „Kunstreligion“ nannten. Und folgerichtig 6 braust dem Verfechter absoluter, gottgegebener Musik jedes derbe TanzbodenGefiedel, jede blökende Blaskapelle schauerlich in den Ohren – als nicht ausrottbarer „Frevel“, als blanke „Gottlosigkeit“. Er verzweifelt an seinem Handwerk und seiner Kunst, also an seiner Identität, bis er sich konsequenterweise erhängt. Requiescat in pace, ein anderer wird sein Requiem schreiben. Goethe übrigens konnte diesen Kunstbegriff nicht leiden; er, den Heinrich Heine immer als „großen Heiden“ bezeichnete, lehnte Kunstreligion als „klosterbrudisierendes, sternbaldisierendes Unwesen“ glatt ab. … und so erschien es Berlingern am dritten Tage, dass er Eins würde mit der Musik …Wie aber könnte das sein?! Wusste er doch, dass ein jeglicher Mensch ein Einziger sei, ein Singuläres, unwiederholbar selbst für Jenen, den er Schöpfer nannte … Wie könnte er da Eins werden mit Etwas Anderem – außer mit eben Jenem ...? Und so wurd's ihm bewusster von Augenblick zu Gedankenschlag: (…) dass die Musik die Stimme Jenes sei, und dass, indem sie durch ihn hindurchflösse, Der Geist selbst durch ihn spräche … Und so würde der heilige Klang wieder zu dem, was er von Anbeginn an gewesen wäre: Das Wort ... MUSIK: HAYDN, DIE SIEBEN LETZTEN WORTE …, TRACKS 9 + 10 (7:30) 4) Joseph Haydn, Die sieben letzten Worte …; Gewandhaus-Quartett M0339546 008-009 Diese Musik hätte Josef Berglinger eigentlich wohlgefällig sein müssen, jener manisch-kunstreligiösen Musikerfigur Wackenroders und Tiecks: Joseph Haydn komponierte die letzte Station des Kreuzgangs und das abschließende Unwetter in den „Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze“ als Auftragsarbeit für die Karwoche im spanischen Cadíz. Das Gewandhaus-Quartett spielte. Ebenfalls um Musik als „Erweckungserlebnis“ geht es in Heinrich von Kleists Erzählung „Die heilige Cäcilie“ - allerdings auf ganz andere Art. Kleist wurde 1777 in Frankfurt a. d. Oder geboren und schied 34 Jahre später durch Suizid aus dem Leben. Seine Familie war von altem pommerschen Adel, und sie produzierte vor allem eines: Soldaten. Auch Heinrich schloss sich zuerst einmal der preußischen Armee an – bis er merkte, dass er eigentlich Pazifist war. Ruhelos und jahrelang suchte er nach seiner Identität, studierte dies und das, gab alles wieder auf: und 7 wurde endlich Dichter, einer der größten deutscher Zunge. Das wohl entscheidende Erlebnis kam um 1800 mit der Lektüre von Immanuel Kant, dem Philosophen der Vernunft; Kleist schreibt davon in einem Brief an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge: „Wir können nicht entscheiden“, schreibt er, „ob das was wir Wahrheit nennen, wahrhaftig Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint … Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, ich habe nun keines mehr.“ Man muss sich das einmal vorstellen: Für einen, der in seine Geschichte quasi hineingeboren wurde, der immer ein geradliniger Vernunftmensch zu sein hatte, war das eine Wendung um 180 Grad. Danach konnte eines der besten deutschen Lustspiele entstehen, „Der zerbrochne Krug“, das wundersam verrätselte Ritterdrama vom „Käthchen von Heilbronn“, das Trauerspiel um den „Prinzen von Homburg“ oder die revolutionäre Novelle „Michael Kohlhaas“. Was „Die heilige Cäcilie“ betrifft, zitiere ich kurzerhand Rainer Schmitz, denn knapper und besser kann man es nicht sagen: „Vier Brüder aus Holland haben vor, als Bilderstürmer den Dom von Aachen zu verwüsten. Den historischen Hintergrund der Erzählung, die zuerst am 15. und 16. November 1810 in den Berliner Abendblättern veröffentlicht wurde, liefert der Bildersturm in den Niederlanden, bei dem radikale Calvinisten im August 1566 mehr als 400 Kirchen verwüsteten. Die Erzählung wird als Sage ausgegeben, denn es passiert ein Wunder: Obwohl sie von dem bevorstehenden Bildersturm wissen, feiern die Nonnen im Dom das Fronleichnamsfest. Als die Brüder in die Kirche eindringen, werden sie von der Musik derart bezaubert, dass sie von ihrem Vorhaben ablassen und schließlich sogar tiefgläubig werden. Später erfährt ihre Mutter von der Äbtissin, dass Schwester Antonia, die Kantorin der Nonnen, das fragliche Fronleichnamsfest krank in ihrem Zimmer verbracht habe, und die Nonnen glaubten, dass die heilige Cäcilie, die Patronin der Kirchenmusik, an jenem Tag den Gottesdienst geleitet hat.“ MUSIK: J. STRAUSS II, CASANOVA (NONNENCHOR), ? (3:43) 5) Johann Strauß II, Casanova (Nonnenchor); Joan Sutherland, Ambrosian Light Opera Chorus, New Philharmonia Orchestra, Richard Bonynge; M9037397-001 Das war nun, streng genommen, keine Sakralmusik, wie sie Heinrich von Kleist in seiner „Heiligen Cäcilie“ vorgeschwebt haben mag, nämlich Musik, welche die vier 8 calvinistischen Bilderstürmer aus Holland abgebracht hätte von ihrem ruchlosen Pfad und hingeführt zum wahren Glauben – nein, das war der „Nonnenchor“ wiederum aus einer Operette von Johann Strauß junior, nämlich der sündige „Casanova“. La stupenda Joan Sutherland sang die Mutter Oberin, Damen des Ambrosian Light Opera Chorus die Nonnen, dazu das New Philharmonia Orchestra London, den Stab schwang Richard Bonynge. Und noch einmal: Ludwig Tieck. 1822 veröffentlichte er den ersten MusikerGroschenroman, betitelt „Musikalische Leiden und Freuden“. Ein reisender Kapellmeister und sein Freund, von Beruf Tenorist, kommen in eine Kleinstadt, woselbst sie eine Oper aufführen sollen – im Haus des Barons Fernow, der dafür eine illustre Gesellschaft versammelt hat. Aber weil das Bühnenrepertoire nur für Tenor und Kapellmeister doch sehr überschaubar ist, müssen heimische Kräfte dazuengagiert werden, und da hapert's gewaltig: Alle Sängerinnen sind dürftig bis schlecht, der Kapellmeister schlägt drei Kreuze, und der Tenor will überhaupt nicht auftreten. Was kann helfen? Nun, wie bei Heinrich von Kleist: ein Wunder. Es ist hier aber ein ganz und gar irdisches: Eine geheimnisvolle Frau namens Julie tritt auf, die nicht nur sehr schön ist, sondern auch sehr schön singt – und der Abend ist gerettet. Tieck belauscht die Gesellschaft, wie sie Kluges und Doofes über Musik sagt, sein romantisierendes Genrebild zeigt eine Gruppe Menschen im Einklang mit sich selbst – und erfüllt am Ende Forderungen des Kolportage-Romans: Julie stiebitzt alle Herzen, es wird sich verliebt und letzthohepünktlich sogar geheiratet. Und wenn sie noch nicht geschieden sind, dann liegen sie mehr oder weniger gemeinsam im Familiengrab. Ludwig Tieck bewunderte Carl Maria von Weber und war befreundet mit ihm; den „Freischütz“ empfand er als Wohltat gegenüber dem Klingklang und den endlosen Wiederholungen bei Rossini – ansonsten damals der letzte Schrei. Dennoch will ich Ihnen jetzt nicht ein Exzerpt aus dieser eher düsteren Oper vorführen, sondern etwas Helles, etwas mit Charme und Schönheit – eine Art Julie, die ihr Publikum bezaubert als Frau und als Sängerin. Irmgard Seefried spielte in den Sechzigerjahren „Die schöne Magelone“ ein, 15 Romanzen op. 33 von Johannes Brahms; übrigens eine der wenigen Annäherungen Brahmsens an die Oper, für die er gerne „Carmen“ komponiert hätte, aber die gab's ja schon. Aus der „Schönen Magelone“ singt uns Irmgard Seefried jetzt das neunte Lied, die neunte Romanze: „Ruhe, Süßliebchen, im 9 Schatten“. Sie wird dabei begleitet von Erik Werba, und jetzt raten Sie mal, von wem der Text stammt? Richtig – von Ludwig Tieck. MUSIK: BRAHMS, DIE SCHÖNE MAGELONE (9), TRACK … (...) 6) Brahms: Schöne Magelone M0371418.017 Absage
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