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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold zu
spinnen?!“
Literarische Musiker-Porträts (1)
Mit Thomas Rübenacker
Sendung: 20. Februar 2017
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2017
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… mit Thomas Rübenacker. Heute: „Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold
zu spinnen?!“ Literarische Musiker-Porträts, Teil eins.
MUSIK
Eine der ältesten Dichtungen der Menschheit, Homers „Ilias“, beginnt mit Musik:
„Mänin aeíde theá, Päläiadiós Achilläos, oulomenän“ - heißt es da im altgriechischen
Hexameter, „Singe, o Göttin, den Zorn des Peleussohnes Achill, den Verderben
bringenden“. So erklingt das Grundthema des ganzen Werkes, der Achill'sche Zorn,
bereits in der ersten Strophe – und die sei zu singen. Nun könnte man einwenden,
dass 7- oder 8.000 Jahre vor Christus die ja nur mündlich tradierte Literatur immer
gesungen wurde. Aber abgesehen davon, dass Homers „Ilias“ die erste schriftlich
fixierte Dichtung war, meint der blinde Dichter offenbar, was er schreibt
beziehungsweise schreiben ließ. Denn aeíde bittet oder mahnt er die Göttin Athene,
lies nicht einfach vor oder rufe in die Welt hinaus, sondern singe. In der Fortsetzung
dieser Episode aus dem Trojanischen Krieg, in der „Odyssee“, klingt das schon
wesentlich nüchterner: „Andra moi énnepe, mousa“, beginnt es hier, statt singe jetzt
nur noch sage mir die Taten des vielgewanderten Mannes …
MUSIK: BERLIOZ, DIE TROJANER, CD 1, TRACK 1 (3:49; ACHTUNG! BITTE AUF
DEM ALLEINSTEHENDEN OBOENTON AUSBLENDEN, DA ES DANACH GLEICH
WEITERGEHT!; CA. 3:46)
1) Hector Berlioz, Les Troyens (Einleitungs-Chor); Chorus & Orchestra of the Royal
Opera House Covent Garden, Sir Colin Davis; Philips 416 432-2 (LC 0305)
Héctor Berlioz, der Beginn seiner Oper „Les Troyens“, die auf beiden Epen Homers
fußt, der „Ilias“ und der „Odyssee“. Das Volk von Troja freut sich lautstark über das
vermeintliche Ende des Krieges mit den Griechen, der zehn Jahre dauerte;
gleichzeitig bestaunen sie das Versöhnungs-Geschenk der ehemaligen Gegner,
dieses riesige Pferd, das sie in ihre Stadtmauern ziehen, um es in Ruhe zu studieren
… Nicht ahnend natürlich, dass Odysseus, der Listenreiche, sich dieses innen hohle
und mit Soldaten angefüllte Riesenholztier ausgedacht hat, um Troja endgültig zu
besiegen. Sir Colin Davis dirigierte Chor und Orchester des Royal Opera House
Covent Garden.
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Ja, die Literatur und die Musik sind mindestens Schwestern, wenn nicht
Zwillingsschwestern oder sogar siamesische Zwillinge. Von der Literatur zur Musik ist
der Weg klar: Sujets werden vertont, Texte zu Liedern, Gesängen, Oratorien, ja,
ganze Dichtungen erstehen in neuem, in musikalischem Glanz auf der Opernbühne.
Aber eine Einbahnstraße ist das mitnichten: „Der Musiker“ und sein Handwerk, in
welcher Form auch immer, wurde zum Zentrum von Novellen, Romanen oder
Dramen, die verwandte, aber so andersartige Kunst faszinierte die Meister des
Wortes zu allen Zeiten. Und das hat nichts damit zu tun, dass Goethe, Schiller oder
Shakespeare am Wiener Burgtheater noch im 19. Jahrhundert quasi gesungen
wurden: (singend) „Se-hei-hein ooo-der Nicht-sei-hei-hein“. Auf Englands Bühnen
„singt“ man den Skakespeare manchmal sogar heute noch.
Der erste wahrhaft globalisierte Held der Literatur tritt (man glaubt es kaum) bereits
im Jahr 1669 auf: der „Simplicius Simplicissimus“ von Hans Jakob Christoffel von
Grimmelshausen. Dieses zwischen Schelmen-, Entwicklungs- und Erbauungsroman
pendelnde Werk, das mit oft scharfer Satire gewürzt wurde, ist quasi über die ganze
Welt verstreut: Kaum ein Ort derselben, wohin es den „heiligen“ Toren, diesen
Parsifal des Dreißigjährigen Krieges nicht verschlägt. Im Grunde kann man, nur leicht
zugespitzt, sagen: Der „Simplicius“ enthält ungefähr so viele Abenteuer wie zwanzig
bis dreißig Bände Karl May. Und die Musik spielt in dem Roman eine ganz, ganz
wichtige Rolle. Bevor Simplicius überhaupt lesen und schreiben kann, spielt er
bereits hochvirtuos die Flöte, in einer späteren Episode verdingt er sich als
Stadtpfeifer. Die Laute hat es ihm ebenfalls angetan, und in einem der prächtigsten
Abschnitte agiert er sogar als Opernsänger! Die Musik ermöglicht also den sozialen
Aufstieg des Protagonisten, aber dann verstummt sie plötzlich. Simplicissimus kann
sie nicht mehr hören, sie scheint ihm die wahre Welt – die des Krieges und der
Niedertracht – zu verzuckern mit ihrem Wohlklang. Seine Laute zerschlägt er sogar –
und studiert fortan die Theologie und die Dichtkunst. Auf einer einsamen Insel lebt er
als Eremit, nachdenkend über die Dinge und spekulierend, wie man sie verbessern
könne. Um Buße zu tun, schreibt er sogar sein gesamtes Leben bis dato auf – die
Autobiographie als Lebensbeichte und Erlösung von demselben. Das geht so weit,
dass Grimmelshausen seinen Helden mit dem biblischen „Dichter-Theologen“ König
David vergleicht, der auch – einst die Leier zupfend – herausgefunden habe, dass
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nur mit der Dichtkunst Gott wahrlich zu würdigen sei. Das Werk war unglaublich
einflussreich. Romantische Dichter wie Brentano, Uhland oder Eichendorff liebten es,
und noch Thomas Mann nannte es „ein Literatur- und Lebens-Denkmal der
seltensten Art, das (…) fast drei Jahrhunderte überdauert hat und noch viele
überdauern wird.“. Was für eine Spannweite der Roman hat, zeigt uns auch Johann
Strauß: Er machte daraus eine Operette!
MUSIK: J. STRAUSS II, SIMPLICIUS, CD 1, TRACK 1 (6:18)
2) Johann Strauß II, Simplicius (Ouv.); Orchester der Oper Zürich, Franz WelserMöst; EMI 5 57009 2)
Johann Strauß II, die seltsamste und am wenigsten bekannte seiner Operetten:
„Simplicius“, diese Schelmengeschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, ein Werk
des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Die Ouvertüre spielte das
Orchester der Oper Zürich, der Dirigent war Franz Welser-Möst.
Was haben Robert Schumann und Héctor Berlioz, E. T. A. Hoffmann und Peter
Cornelius gemeinsam mit Johann Kuhnau, dem unmittelbaren Vorgänger Bachs als
Thomaskantor? Ganz einfach: Sie waren sowohl Komponisten – als auch Literaten,
wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung. Das heißt, Schumann war auch Literat,
Hoffmann auch Komponist; Kuhnau aber war beides. Überhaupt eine ziemlich
exotische Figur des Barocks, ein Musiker, der die Musik nicht recht leiden konnte –
und der die Literatur unter anderem dazu nutzte, sich über sie lustig zu machen. Der
1660 im Erzgebirge geborene Kuhnau nannte sein literarisches Hauptwerk, einen der
ersten sogenannten Tonkünstlerromane: „Der musicalische Quack-Salber; nicht
alleine denen verständigen Liebhabern der Music/sondern auch allen andern/welche
in dieser Kunst keine sonderbahre Wissenschafft haben/In einer kurtzweiligen und
angenehmen Historie zur Lust und Ergetzlichkeit beschrieben“. Darin vertritt er – oft
geradezu triefend vor Spott – die These, nur der dürfe sich „ein wahrhafftiger
Musicus und Virtuos“ nennen, „wo nit nur von Noten getreulich herbeten“ könne,
sondern „im extempore“ (also der Improvisation) „das Garn fort spinnen“, so
„vordringend ins Hertz der Musicke (…), in ihro unveräußerliche Seele“. Das weicht
von unserem Virtuosenbegriff gewaltig ab, war im 18. Jahrhundert aber eine weit
verbreitete Vorstellung; Werckmeister, Mizler und sogar noch Beethoven hingen
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demselben Glauben an – nur dass niemand ihn so unerbittlich formulierte wie der
Universalgelehrte Johann Kuhnau. Der versah zwar seine musikalischen Ämter wohl
– aber genau so gut hätte er Theologe, Rhetor, Vollzeit-Dichter, Mathematiker,
Sprachenforscher, Jurist oder Astronom werden können. Im Musicalischen QuackSalber schildert er den wahren Virtuosen nicht überraschend als ein Spiegelbild
seiner selbst, nämlich als „Künstler ingleichen Gelehrten und Poeten“. Und
entsprechend exzentrisch sind seine Kompositionen, etwa die Biblische Sonate Nr. 1
für Posaunenquartett, „Der Kampf Davids mit Goliath“. Diese frühe Programmmusik
beginnt mit dem „Schnarchen des Goliath“, fährt fort mit dem „Zittern der Israeliten“,
dem „Mut des David“, dem „Zweikampf der beiden“ sowie der „Fuga der Philister“ mithin deren Flucht.
MUSIK: KUHNAU, BIBLISCHE SONATE NR. 1, TRACKS 8 BIS 11 (6‘22)
3) Johann Kuhnau, Biblische Sonate Nr. 1; Datura-Posaunenquartett
Ars Musici 232168 (LC 05152)
Johann Kuhnau, Biblische Sonate Nr. 1, eine frühe Programmmusik für
Posaunenquartett, den Zweikampf zwischen David und Goliath mit barocken Mitteln
ausmalend – zuletzt die „Flucht der Philister“. Das Datura-Posaunenquartett spielte.
Sie waren Klassenkameraden, sozusagen die Lümmel von der letzten Bank, und sie
wurden beide Schriftsteller, Romantiker, Kunstversteher: Wilhelm Heinrich
Wackenroder und Ludwig Tieck. Gemeinsam gaben sie 1796 ein Kompendium
kunsttheoretischer Aufsätze, Gedichte und Künstlernovellen heraus, anonym
allerdings, das sie „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“
nannten. Nachgeborene rühmten das Werk als „erstes Manifest“ und „Geburtsstunde
der deutschen Romantik“, deren Geniekult es vorwegnimmt und auch den
Kunstgenuss als Akt religiöser Hingabe. Die letzte, längste Geschichte heißt „Das
merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Josef Berglinger“, und sie warf
ihren Schatten weit voraus: Thomas Mann bezieht sich in seinem Musikerroman
„Doktor Faustus“ mehrfach darauf. Der (fiktive) Kirchenmusiker jedenfalls geht an
seiner Kunst irre, weil er deren Unterhaltungspotenzial und quasi „transzendente“
Bestimmung nicht recht zu vereinen weiß; die Kunstabsicht will er dazu verklären,
was Schleiermacher und Novalis später „Kunstreligion“ nannten. Und folgerichtig
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braust dem Verfechter absoluter, gottgegebener Musik jedes derbe TanzbodenGefiedel, jede blökende Blaskapelle schauerlich in den Ohren – als nicht ausrottbarer
„Frevel“, als blanke „Gottlosigkeit“. Er verzweifelt an seinem Handwerk und seiner
Kunst, also an seiner Identität, bis er sich konsequenterweise erhängt. Requiescat in
pace, ein anderer wird sein Requiem schreiben. Goethe übrigens konnte diesen
Kunstbegriff nicht leiden; er, den Heinrich Heine immer als „großen Heiden“
bezeichnete, lehnte Kunstreligion als „klosterbrudisierendes, sternbaldisierendes
Unwesen“ glatt ab.
… und so erschien es Berlingern am dritten Tage, dass er Eins würde mit der Musik
…Wie aber könnte das sein?! Wusste er doch, dass ein jeglicher Mensch ein
Einziger sei, ein Singuläres, unwiederholbar selbst für Jenen, den er Schöpfer
nannte … Wie könnte er da Eins werden mit Etwas Anderem – außer mit eben
Jenem ...? Und so wurd's ihm bewusster von Augenblick zu Gedankenschlag: (…)
dass die Musik die Stimme Jenes sei, und dass, indem sie durch ihn hindurchflösse,
Der Geist selbst durch ihn spräche … Und so würde der heilige Klang wieder zu
dem, was er von Anbeginn an gewesen wäre: Das Wort ...
MUSIK: HAYDN, DIE SIEBEN LETZTEN WORTE …, TRACKS 9 + 10 (7:30)
4) Joseph Haydn, Die sieben letzten Worte …; Gewandhaus-Quartett
M0339546 008-009
Diese Musik hätte Josef Berglinger eigentlich wohlgefällig sein müssen, jener
manisch-kunstreligiösen Musikerfigur Wackenroders und Tiecks: Joseph Haydn
komponierte die letzte Station des Kreuzgangs und das abschließende Unwetter in
den „Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze“ als Auftragsarbeit für die
Karwoche im spanischen Cadíz. Das Gewandhaus-Quartett spielte.
Ebenfalls um Musik als „Erweckungserlebnis“ geht es in Heinrich von Kleists
Erzählung „Die heilige Cäcilie“ - allerdings auf ganz andere Art. Kleist wurde 1777 in
Frankfurt a. d. Oder geboren und schied 34 Jahre später durch Suizid aus dem
Leben. Seine Familie war von altem pommerschen Adel, und sie produzierte vor
allem eines: Soldaten. Auch Heinrich schloss sich zuerst einmal der preußischen
Armee an – bis er merkte, dass er eigentlich Pazifist war. Ruhelos und jahrelang
suchte er nach seiner Identität, studierte dies und das, gab alles wieder auf: und
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wurde endlich Dichter, einer der größten deutscher Zunge. Das wohl entscheidende
Erlebnis kam um 1800 mit der Lektüre von Immanuel Kant, dem Philosophen der
Vernunft; Kleist schreibt davon in einem Brief an seine Verlobte Wilhelmine von
Zenge: „Wir können nicht entscheiden“, schreibt er, „ob das was wir Wahrheit
nennen, wahrhaftig Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint … Mein einziges,
mein höchstes Ziel ist gesunken, ich habe nun keines mehr.“ Man muss sich das
einmal vorstellen: Für einen, der in seine Geschichte quasi hineingeboren wurde, der
immer ein geradliniger Vernunftmensch zu sein hatte, war das eine Wendung um
180 Grad. Danach konnte eines der besten deutschen Lustspiele entstehen, „Der
zerbrochne Krug“, das wundersam verrätselte Ritterdrama vom „Käthchen von
Heilbronn“, das Trauerspiel um den „Prinzen von Homburg“ oder die revolutionäre
Novelle „Michael Kohlhaas“.
Was „Die heilige Cäcilie“ betrifft, zitiere ich kurzerhand Rainer Schmitz, denn knapper
und besser kann man es nicht sagen: „Vier Brüder aus Holland haben vor, als
Bilderstürmer den Dom von Aachen zu verwüsten. Den historischen Hintergrund der
Erzählung, die zuerst am 15. und 16. November 1810 in den Berliner Abendblättern
veröffentlicht wurde, liefert der Bildersturm in den Niederlanden, bei dem radikale
Calvinisten im August 1566 mehr als 400 Kirchen verwüsteten. Die Erzählung wird
als Sage ausgegeben, denn es passiert ein Wunder: Obwohl sie von dem
bevorstehenden Bildersturm wissen, feiern die Nonnen im Dom das
Fronleichnamsfest. Als die Brüder in die Kirche eindringen, werden sie von der Musik
derart bezaubert, dass sie von ihrem Vorhaben ablassen und schließlich sogar
tiefgläubig werden. Später erfährt ihre Mutter von der Äbtissin, dass Schwester
Antonia, die Kantorin der Nonnen, das fragliche Fronleichnamsfest krank in ihrem
Zimmer verbracht habe, und die Nonnen glaubten, dass die heilige Cäcilie, die
Patronin der Kirchenmusik, an jenem Tag den Gottesdienst geleitet hat.“
MUSIK: J. STRAUSS II, CASANOVA (NONNENCHOR), ? (3:43)
5) Johann Strauß II, Casanova (Nonnenchor); Joan Sutherland, Ambrosian Light
Opera Chorus, New Philharmonia Orchestra, Richard Bonynge; M9037397-001
Das war nun, streng genommen, keine Sakralmusik, wie sie Heinrich von Kleist in
seiner „Heiligen Cäcilie“ vorgeschwebt haben mag, nämlich Musik, welche die vier
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calvinistischen Bilderstürmer aus Holland abgebracht hätte von ihrem ruchlosen Pfad
und hingeführt zum wahren Glauben – nein, das war der „Nonnenchor“ wiederum
aus einer Operette von Johann Strauß junior, nämlich der sündige „Casanova“. La
stupenda Joan Sutherland sang die Mutter Oberin, Damen des Ambrosian Light
Opera Chorus die Nonnen, dazu das New Philharmonia Orchestra London, den Stab
schwang Richard Bonynge.
Und noch einmal: Ludwig Tieck. 1822 veröffentlichte er den ersten MusikerGroschenroman, betitelt „Musikalische Leiden und Freuden“. Ein reisender
Kapellmeister und sein Freund, von Beruf Tenorist, kommen in eine Kleinstadt,
woselbst sie eine Oper aufführen sollen – im Haus des Barons Fernow, der dafür
eine illustre Gesellschaft versammelt hat. Aber weil das Bühnenrepertoire nur für
Tenor und Kapellmeister doch sehr überschaubar ist, müssen heimische Kräfte
dazuengagiert werden, und da hapert's gewaltig: Alle Sängerinnen sind dürftig bis
schlecht, der Kapellmeister schlägt drei Kreuze, und der Tenor will überhaupt nicht
auftreten. Was kann helfen? Nun, wie bei Heinrich von Kleist: ein Wunder. Es ist hier
aber ein ganz und gar irdisches: Eine geheimnisvolle Frau namens Julie tritt auf, die
nicht nur sehr schön ist, sondern auch sehr schön singt – und der Abend ist gerettet.
Tieck belauscht die Gesellschaft, wie sie Kluges und Doofes über Musik sagt, sein
romantisierendes Genrebild zeigt eine Gruppe Menschen im Einklang mit sich selbst
– und erfüllt am Ende Forderungen des Kolportage-Romans: Julie stiebitzt alle
Herzen, es wird sich verliebt und letzthohepünktlich sogar geheiratet. Und wenn sie
noch nicht geschieden sind, dann liegen sie mehr oder weniger gemeinsam im
Familiengrab.
Ludwig Tieck bewunderte Carl Maria von Weber und war befreundet mit ihm; den
„Freischütz“ empfand er als Wohltat gegenüber dem Klingklang und den endlosen
Wiederholungen bei Rossini – ansonsten damals der letzte Schrei. Dennoch will ich
Ihnen jetzt nicht ein Exzerpt aus dieser eher düsteren Oper vorführen, sondern etwas
Helles, etwas mit Charme und Schönheit – eine Art Julie, die ihr Publikum bezaubert
als Frau und als Sängerin. Irmgard Seefried spielte in den Sechzigerjahren „Die
schöne Magelone“ ein, 15 Romanzen op. 33 von Johannes Brahms; übrigens eine
der wenigen Annäherungen Brahmsens an die Oper, für die er gerne „Carmen“
komponiert hätte, aber die gab's ja schon. Aus der „Schönen Magelone“ singt uns
Irmgard Seefried jetzt das neunte Lied, die neunte Romanze: „Ruhe, Süßliebchen, im
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Schatten“. Sie wird dabei begleitet von Erik Werba, und jetzt raten Sie mal, von wem
der Text stammt? Richtig – von Ludwig Tieck.
MUSIK: BRAHMS, DIE SCHÖNE MAGELONE (9), TRACK … (...)
6) Brahms: Schöne Magelone M0371418.017
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