Gesundheitsgespräch Behandlung chronischer Schmerzen Sendedatum: 3.12.2016 Experten: Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Dr. med. Marianne Koch, Internistin, Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerzliga Autorin: Susanne Segador Schmerzen muss man ernst nehmen – und behandeln. 40 Prozent der Patienten eines Hausarztes kommen zu ihm wegen chronischer Schmerzen. Und über 60 Prozent der Patienten und einer Orthopädiepraxis leiden unter anhaltenden Schmerzen. "Die moderne Medizin kann jede Art von Schmerz zumindest soweit erleichtern, dass man sie gut ertragen kann. Was gut ertragen bedeutet, das sollte der Patient und nicht der Arzt definieren“, sagt Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Das Ziel, die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, „kann jeder Patienten erreichen, vorausgesetzt er hat Glück und findet den richtigen Arzt“, so Dr. Müller-Schwefe. Helfen kann hier das Adressverzeichnis der Deutschen Schmerzliga, das bundesweit über 3.500 Ärzte ausweist. Darunter finden sich viele hochspezialisierte Schmerztherapeuten, sogenannte Algesiologen. Dem Text liegt ein Interview mit Dr. Müller-Schwefe zugrunde, mit Anmerkungen von Dr. Marianne Koch, Ehrenpräsidentin der Deutschen Schmerzliga. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Schmerzkarrieren Schmerzen können eine Hilfe sein. Treten sie akut auf, weisen sie darauf hin, dass im Körper eine Störung vorliegt. Sie zeigen beispielsweise an, dass Steine die Harnleiter blockieren, dass ein Knochen gebrochen ist oder dass ein Zahn entzündet ist. Der Schmerz als Warnsignal des Körpers verschwindet wieder, wenn die Ursache beseitigt ist. Dennoch: die Schmerzen, die etwa bei einer Nierenkolik, einem Beinbruch oder nach einer Operation auftreten, muss ein Patient nicht einfach aushalten. Auch diese sogenannten akuten Schmerzen sollten rechtzeitig und ausreichend behandeln werden, sonst können sie chronisch werden. Chronische Schmerzen Chronische Schmerzen folgen anderen Gesetzmäßigkeiten als akute Schmerzen. Sie bestehen weiter, auch wenn die Ursache längst behoben ist. Nach einer Gürtelrose können zum Beispiel brennende Schmerzen bleiben oder das gebrochene Bein, das nach Einschätzung des Chirurgen gut zusammengewachsen ist, reagiert nach wie vor berührungsempfindlich. In solchen Fällen muss man den Schmerz sehr schnell und intensiv behandeln, denn chronische Schmerzen entstehen immer aus akuten Schmerzen. Das Schmerzgedächtnis "Der akute Schmerz entsteht, wenn Schmerzrezeptoren, das sind eine Art Fühler in unserem Gewebe, gereizt werden. Dies geschieht durch eine Verletzung oder eine sonstige Störung des Gewebes“ Dr. Müller-Schwefe. Chronisch werden die Schmerzen, wenn Lernprozesse einsetzen. Dann verändert sich das Nervensystem. Denn die Nerven sind nicht nur Leitungen, die wie Telefondrähte Informationen transportieren, sondern sie passen sich der Information an, die sie übertragen. Das bedeutet: wenn Nerven immer wieder oder über längere Zeit mit "schmerzhaften“ Informationen konfrontiert sind, dann verändert sich ihr Steuerprogramm und zwar so, dass diese Nervenzellen ein Gedächtnis anlegen. Das Einmaleins der Schmerzen… Dr. Müller-Schwefe vergleicht das Schmerzgedächtnis mit anderen Gedächtnisprozessen, denn sie funktionieren stets gleich: Schon in der Schule lernt man das kleine Einmaleins oder Englisch durch Wiederholen. "Gedächtnis aufbauen bedeutet, das Steuerprogramm so zu verändern, dass die Reaktion auf eine kurze Anfrage völlig anders als vor der Programmänderung ausfällt.“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 Beispiel: Die Antwort auf die Frage "Wie viel ist fünf mal fünf?“ hat jedermann sofort parat. Man muss nicht lange rechnen, weil man das oft genug wiederholt hat. Doch die Antwort auf die Frage „Wie viel ist 615 mal 739?“ findet sich nicht im Gedächtnis; sie ist nicht eingeübt worden. Durch das Wiederholen der einfachen Dinge kann sich das Steuerprogramm der Nervenzellen verändern und deshalb fällt dann auch die Reaktion anders aus. Das gilt für Schmerz genauso wie für Rechenaufgaben. ...prägt sich dem Körper ein "Wenn ein Schmerz immer wieder kommt, verändert diese Information das Steuerprogramm der Nervenzellen im Rückenmark, im Hirnstamm und schließlich in der Hirnrinde. Dort werden die Schmerzinformationen verarbeitet.“ Dr. Müller-Schwefe Die Folge dieser Veränderungen ist, dass schon kleine Reize Schmerzempfinden auslösen. Wurde ein Schmerzgedächtnis aufgebaut, können bereits harmlose Informationen wie etwa eine Dehnung, eine Berührung, Druck oder Zug - manchmal sogar zärtliches Streicheln - zur Qual werden, weil sofort die Nervenzellen anspringen, die Schmerzmeldung weiterleiten. "Dieser Ablauf ist typisch für chronische Schmerzen.“ Dr. Müller-Schwefe Schmerz ist nicht gleich Schmerz! Für den Laien sind Schmerzen eben Schmerzen. Und Schmerzmittel gleich Schmerzmittel. Es ist aber außerordentlich wichtig, die vielfältigen Ursachen von Schmerzen zu erkennen, weil eine erfolgreiche Behandlung jeweils eine ganz andere sein muss. Beispiel chronische Kopfschmerzen: Schon bei chronisch wiederkehrenden Kopfschmerzen unterscheidet man zwischen Migräne, Spannungskopfschmerzen, ClusterKopfschmerz, Trigeminus-Kopfschmerz und einem chronischen Schmerz, der durch die zu häufige Einnahme von Schmerzmitteln – dem Medikamentenkopfschmerz – entsteht. Die Behandlung ist in jedem dieser Fälle eine unterschiedliche und sollte unbedingt durch einen Neurologen oder Schmerztherapeuten erfolgen. Beispiel neuropathische Schmerzen: Schmerzen, die durch eine Nervenschädigung entstehen, sogenannte neuropathische Schmerzen, zu denen beispielsweise die Gürtelrose oder die Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Polyneuropathie bei Diabetes gehören, werden mit speziell auf diese Nerven wirkenden Substanzen behandelt. Beispiel Rückenschmerzen: Bei Rückenschmerzen oder Bewegungsschmerzen handelt es sich nicht selten um psychische Probleme, die nachweislich zu Veränderungen der Muskelspannung, aber auch zu einer Beeinträchtigung der körpereigenen Verarbeitung von Schmerzreizen führt. Hier helfen dann psychologische Verfahren oder Entspannungstechniken. Bei anderen Ursachen von Rückenschmerzen – zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall – sollte zunächst eine wirkungsvolle Schmerzbekämpfung mit Medikamenten erfolgen, damit der Patient sich weiter bewegen und die sogenannte Multimodale Therapie gut mitmachen kann. Falls allerdings Lähmungen oder andere Nervenausfälle nachgewiesen werden, muss operiert werden, um keine dauerhaften Nervenschädigungen zu riskieren. Auch Osteoporose kann ähnliche Symptome wie ein Bandscheibenvorfall machen, wenn ein Wirbel zusammenbricht. Hier gibt es wiederum andere Behandlungstechniken, und auch die Nachbehandlung wird eine andere sein. Andere Auslöser von chronischen Schmerzen • Tumorschmerzen – die mit starken Medikamenten, aber auch durch Bestrahlung (der Knochen) gut gelindert werden können. • Fibromyalgie – eine immer noch rätselhafte SchmerzÜberempfindlichkeit des ganzen Körpers. • Arthrose – Veränderung der Gelenke, zum Beispiel der Knieoder Hüftgelenke • Chronische Polyarthritis – das entzündliche Rheuma, eine Autoimmunerkrankung, die ebenfalls die Gelenke befällt, aber auch Auswirkungen im gesamten Körper haben kann. Schmerztherapie Eine chronische Schmerzkrankheit ist eine Erkrankung des ganzen Körpers und der Seele des Patienten: Deshalb ist es so wichtig, dass die Behandlung durch ein Zusammenwirken von Schmerzärzten, Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten, manchmal auch von Spezialisten in komplementären Verfahren wie Akupunktur oder Hypnotherapie, vor allem aber durch die aktive Mitwirkung des Patienten selbst erfolgt. Bei der Behandlung chronischer Schmerzen reicht es also nicht aus, die Ursachen zu behandeln. Therapieziel ist es, auch das Schmerzgedächtnis zu Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 beeinflussen. Die aufgebauten Lernprozesse müssen wieder rückgängig gemacht werden. Denn Nerven können auch vergessen und zur Ruhe kommen. Die Schmerztherapie wirkt darauf hin, dass sich das ganze Nervensystem wieder entspannt. Die vier Komponenten der Schmerztherapie Die Schmerztherapeuten (Algesiologen), unterscheiden vier Schwerpunkte in der Behandlung von Schmerzen: • • • • Verhinderung von Gedächtnisprozessen Wenn man frühzeitig genug eingreift, kann man die Chronifizierung von Schmerzen verhindern. Sind die Schmerzen bereits chronisch, muss man diese Lernprozesse wieder umkehren. So kann man bewirken, dass das Schmerzgedächtnis gelöscht wird und der Schmerz wieder verschwindet. Einbeziehung der körpereigenen Schmerzkontrolle Der Körper besitzt ein eigenes Schmerzkontrollsystem. Dieses produziert unter anderem Morphin, mit Endorphin, Serotonin und auch körpereigenes Cannabis. Serotonin spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Schmerztherapie versucht dieses körpereigene Schmerzkontrollsystem zu stärken. Verbesserung der gestörten Körperfunktionen Patienten mit Schmerzen können sich in aller Regel nicht so wie Gesunde bewegen. Die Folge ist beispielsweise, dass Muskeln abgeschwächt werden, andere sich verkürzen und dass Gelenke nicht reibungslos funktionieren. Diese gestörten Körperfunktionen sind bei 80 Prozent der Schmerzpatienten die Ursache ihrer Schmerzen, teils aber auch erst die mittelbare Folge anderer Schmerzen. Aufbrechen sozialer Isolation Schmerzpatienten ziehen sich oftmals zurück und werden einsam. Sie isolieren sich sozial, denn auch die Seele leidet, wenn man immer körperliche Schmerzen hat. Schmerztherapeuten sprechen hier von einem schmerzbedingten Psychosyndrom. Die Reintegration in das soziale Leben ist deshalb ebenfalls ein wichtiges Standbein der Schmerztherapie. Medikamente gegen den Schmerz Medikamente spielen in der Schmerztherapie eine wichtige Rolle. Sie können helfen, das Schmerzgedächtnis zu löschen. Wenn im Nervensystem Lernprozesse in Gang gekommen sind, wird zum Beispiel Morphin eingesetzt, das laut Dr. Müller-Schwefe "das körpereigene Endorphin nachmacht“. Andere Substanzen wirken beruhigend auf die Nervenzellen ein. Bei Gewebeschädigungen – etwa Verletzungen oder Entzündungen – werden Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 entzündungshemmende Mittel verwendet. Kombinationen sind notwendig, wenn eine Entzündung zu behandeln ist, die schon länger andauert und bereits ein Schmerzgedächtnis aufgebaut wurde. Angst vor Abhängigkeit: Wie groß ist die Gefahr? "Die Angst vieler Patienten vor einer Abhängigkeit von starken Schmerzmedikamenten ist unbegründet – vorausgesetzt die Präparate werden richtig eingesetzt.“ Dr. Müller-Schwefe Dabei gelten laut dem Schmerzexperten folgende Regeln: • Schmerzpatienten, die beispielsweise stark wirksame Schmerzmittel vom Morphintyp (also Opioide) brauchen, müssen sie in einer Darreichungsform bekommen, die diese Substanzen sehr gleichmäßig freisetzt. Somit besteht keine Sorge, dass die Patienten abhängig werden. • Die Gefahr, dass die Patienten immer mehr brauchen, besteht nur dann, wenn man kurzwirksame Substanzen nimmt. Dann haben nämlich die Patienten immer wieder nach der kurzen Wirkdauer Schmerzen. Folglich wollen sie zu früh ihr Medikament nehmen und verlangen zunehmend mehr, um diese schlechte Schmerzerfahrung nicht zu wiederholen. Das heißt: Wenn man mit gleichmäßig freisetzenden Präparaten arbeitet (zum Beispiel auch mit Pflasterdarreichungen), besteht die Gefahr der Abhängigkeit nicht. „Neuere Medikamente berücksichtigen auch die Tatsache, dass unter einer Behandlung mit Opioiden in fast allen Fällen eine Darmträgheit auftritt, die man bisher mit entsprechenden zusätzlichen Mitteln – Laxantien – bekämpfen musste. Eine neue Medikamentengeneration (die Kombination von Oxycodon und Naaloxon) verhindert diese manchmal unangenehme Nebenwirkung.“ Dr. Marianne Koch Darüber hinaus gibt es eine neuere Substanzgruppe starker Schmerzmittel, die körpereigene Schmerzkontrolle verstärkt und nur geringe Opioidwirkung hat und somit auch weniger Nebenwirkungen auf den Darm (Tapentadol). Schmerz und Depression – leider oft Hand in Hand "Die Schmerzforschung hat herausgefunden, dass Schmerzen auch in Gehirnregionen wirksam werden, die mit dem Gefühlsleben der Patienten zu tun haben, dem so genannten "Limbischen System". Dadurch wird klar, warum Schmerzpatienten so oft gleichzeitig unter Depressionen leiden. Die Experten wollen auf diese Tatsache in Zukunft noch stärker eingehen und den Patienten durch die zusätzliche Gabe von antidepressiv wirkenden Medikamenten nicht Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 nur seelische Unterstützung geben, sondern dadurch auch gleichzeitig ihre Schmerzwahrnehmung positiv beeinflussen.“ Dr. Marianne Koch Oft sind diese Schmerzen in Ruhe (nachts) stärker als in Bewegung. Bewegungsschmerz Entgegen dem Wortlaut werden als Bewegungsschmerzen alle Schmerzen bezeichnet, die vom Bewegungssystem ausgehen. Das heißt: auch Schmerzen, die in Ruhe auftreten. Das Bewegungssystem umfasst alles, was der Mensch braucht, um sich zu bewegen, also Knochen, aber auch Muskulatur, Bänder, Sehnen und Nerven. Für die meisten Bewegungsschmerzen findet sich deshalb im Röntgenbild kein Nachweis. Wenig Aufschluss durch Röntgenbilder "Die Patienten haben massive Schmerzen, obwohl das Röntgenbild nichts anzeigt. Auf der anderen Seiten sieht man oft dramatische Röntgenbilder mit teils heftig veränderten Knochen, aber die Untersuchten haben keine Beschwerden.“ Dr. Müller-Schwefe Häufigster Auslöser: Bagatellunfälle Die häufigsten Ursachen für Bewegungsschmerzen sind Funktionsstörungen. Auslöser dafür sing oft kleinere Unfälle, die nicht ernst genommen werden, zum Beispiel Stürze von der Kellertreppe oder vom Wickeltisch, Rad-, Ski- oder Schulunfälle, auch kleinere Autounfälle, bei denen äußerlich nichts verletzt und auch nichts gebrochen wurde. Bei diesen Störungen kommt es in der Folge zu einer Veränderung der Muskelfunktion und damit zu einer Fehlbelastung von Gelenken. Die Folge können Schmerzen sein, die von Kopf bis Fuß bestehen. Schmerzen nach Operationen - und anderes Nicht selten sind Operationen die Ursache für spätere Bewegungsschmerzen. Auslöser ist die Lagerung des Patienten während der Narkose, die der betäubte Patient nicht korrigieren kann, auch wenn sie ihm unangenehm ist. Zum Beispiel klagen mitunter Patientinnen nach einem Kaiserschnitt über Rückenund Kopfschmerzen. Weitere Ursachen für Bewegungsschmerzen sind entzündliche Veränderungen durch Rheuma oder Arthritis, aber auch Abnutzungserscheinungen, etwa Arthrose. Richtige Diagnose Für eine sinnvolle Diagnose muss der Patient ausführlich befragt werden, wann und welche Schmerzen er hat. "Zudem muss der Patient von Kopf bis Fuß eingehend untersucht werden. Ein Patient mit Kopfschmerzen hat ein Recht darauf, das auch sein Becken Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 angeschaut wird und sein Rücken und seine Füße. Jemand, den Rückenschmerzen plagen, kann verlangen, dass auch seine Kopfgelenke angeschaut werden.“ Dr. Müller-Schwefe Diese Art der Diagnose nennt sich neuroorthopädische Untersuchung, weil sie in den Bereichen der Neurologie und Manualtherapie entwickelt wurde. Spezialisiert auf neuroorthopädische Untersuchungen sind Manualtherapeuten und Schmerztherapeuten. Neue Therapieansätze "Wir sehen Bewegungsschmerz heute völlig anderes als früher“, betont Schmerzspezialist Dr. Müller-Schwefe. Nach dem klassischen Therapieansatz wurden Patienten einfach zur Krankengymnastik geschickt. Der Erfolg blieb allerdings vielfach aus. Studien belegen, dass 27 Prozent der Rückenschmerzpatienten nach der klassischen Rehabilitation mehr Schmerzen haben als zuvor. Grund dafür ist, dass 56 Prozent der Patienten die verordneten Übungen aufgrund ihrer Schmerzen nur sehr eingeschränkt durchführen können. Effektive Schmerztherapie "Der richtige Ansatz ist eine effektive Schmerztherapie. Untersuchungen zeigen, dass rund 47 Prozent dieser Patienten eine Verlängerung ihrer Rehabilitationsmaßnahmen brauchen. Diese Zahl sinkt auf 27 Prozent, wenn Patienten eine gute Schmerztherapie erhalten. Durch effektive Schmerztherapie könnten bundesweit allein bei Rückenschmerzpatienten jährlich 1,3 Millionen Reha-Tage eingespart werden!“ Dr. Müller-Schwefe Mobil trotz Bewegungsschmerzen Wer Schmerzen hat, versucht sie zu vermeiden. Doch ruhig stellen, verschlimmert das Problem, veranschaulicht Dr. Müller-Schwefe: "Der Körper ist ein fauler Hund, alles was er nicht benützt, wird abgebaut und reduziert. Das bedeutet Muskulatur verschwindet und zwar in ganz kurzer Zeit. Gelenkkapseln und Sehen ziehen sich zusammen. Am Ende kann man sich gar nicht mehr rühren. Deshalb ist Bewegung existenziell.“ Tipp Der Schmerzexperte Dr. Müller-Schwefe rät Bewegungsschmerzpatienten dringend, nicht lange mit dem Arztbesuch zu warten. Auch nach einem kleinen Sturz sollte man gleich überprüfen, ob die Funktion gestört ist und eine entsprechende Therapie einleiten. "Die Devise heißt nicht: ‚Zähne zusammenbeißen und durch!‘, sondern: ausreichende Schmerzkontrolle und dann Bewegung!“ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 8 Eigeninitiative Schmerzpatienten können viel für sich selber tun. Denn zahlreiche Therapien können nach Anleitung zuhause alleine durchgeführt werden. Zur Eigenverantwortung der Patienten gehört auch, gestörte Körperfunktionen durch Übungen zu verbessern. "Es gibt sogenannte postisometrische Entspannungsübungen (PIR), die durch weder durch Massage noch durch Krankengymnastik ersetzt werden können. Nur der Patient selbst kann sie ausführen. Viele dieser Übungen sind hochwirksam, wenn sie täglich gemacht werden“ Dr. Müller-Schwefe. Trankskutane elektrische Nervenstimulation TENS Die trankskutane elektrische Nervenstimulation, kurz TENS genannt, ist ein Verfahren, das dazu dient, die körpereigene Schmerzkontrolle zu aktivieren. Aufgelegten Hautelektroden wird Strom zugeführt und somit die Produktion körpereigener Endorphine angeregt. Im Rahmen der Schmerztherapie werden die entsprechenden Körperstellen wie auch die Stromform vom Arzt ausgetestet. Anschließend können Patienten das Verfahren selbstständig täglich zuhause anwenden. Von Fakiren lernen Schmerzpatienten können sich durch sogenannte psychologische Schmerztherapieverfahren selbst helfen. Dr. Müller-Schwefe: "Diese Verfahren werden auch Fakirtechniken genannt, weil sie sich an die Art und Weise anlehnen, mit ein Fakir Schmerzen begegnet. Obwohl ein Fakir auf spitzen Nägeln liegt, tun sie ihm nicht weh. Die so genannten Fakirtechniken wollen dem Patienten vermitteln, sich von seinen Schmerzen zu distanzieren und so damit umzugehen, dass sie ihn nicht mehr so quälen.“ Diese Verfahren arbeiten häufig mit Visualisierungen, also mit Vorstellungen und Bildern, die die Patienten in bestimmten Situationen aufrufen und für sich wirksam einsetzen können. Auf diese Weise kann die körpereigene Schmerzkontrolle sehr gut aktiviert werden. Auch extreme Schmerzen sind beeinflussbar Hochwirksam ist auch das Biofeedbackverfahren. Hier lernen die Patienten, biologische Signale wie die Muskelspannung, die sie normalerweise nicht registrieren, wahrzunehmen und dann zu beeinflussen. Diese Verfahren wirken auch bei starken oder chronischen Schmerzen. Voraussetzung ist allerdings, dass man die Patienten vorher in einen Zustand bringen muss, der es ihnen ermöglicht, Eigeninitiative einzubringen. Hierzu benötigt der Schmerztherapeut häufig Medikamente. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 Dr. Marianne Koch zu Behandlungschancen für Schmerzpatienten: "Ein neues Behandlungsmodell wird derzeit im Rahmen der "Integrierten Versorgung" von einigen Kassen unterstützt und hat sich als hoch wirksam herausgestellt: Patienten, die seit Wochen an Rückenschmerzen leiden, werden von ihrer Kasse zu einer zunächst vierwöchigen Intensivtherapie ausgewählt. Das bedeutet, dass sie in besonderen Schmerzzentren bis zu fünfmal wöchentlich interdisziplinär von Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten und Schmerzpsychologen behandelt werden. Sollten ihre Beschwerden nach vier Wochen noch nicht so gebessert sein, dass sie wieder arbeitsfähig sind, dann kann sich daran noch einmal eine Behandlungszeit von bis zu vier Wochen anschließen. Erfreulicherweise hat sich gezeigt, dass die Behandlungserfolge hervorragend sind - 92 Prozent der Patienten waren spätestens nach acht Wochen wieder arbeitsfähig, in der normalen Versorgung sind dies nur 53 Prozent. Und die Patienten waren äußerst zufrieden, auch wenn sie eine Menge selbst für ihre Genesung tun mussten. Bezahlt wird diese Komplextherapie durch die an dem Modell teilnehmenden Kassen, die auf diese Weise Krankengeld sparen.“ Tipps zur Vorbereitung auf eine Schmerztherapie • Hilfreich ist es, wenn man schon vor dem ersten Besuch beim Schmerztherapeuten einen sogenannten Schmerzfragebogen ausfüllt. Er umfasst nicht nur Fragen zu Dauer, Zeitpunkt und Intensität der Schmerzen, sondern geht auch auf Beeinträchtigungen im häuslichen und beruflichen Bereich ein. Durch die Auseinandersetzung mit diesen Fragen gewinnt das Erstgespräch mit dem Arzt an Effizienz. Diesen Bogen gibt es z.B. elektronisch im Internet unter http://mein-schmerz.de • Vor Beginn einer Schmerztherapie erweist sich das Führen eines Schmerztagebuchs als sinnvoll. In Vordrucken, die zum Beispiel über die Deutsche Schmerzliga zu erhalten sind, notiert man unter anderem über den Tage hinweg die Schmerzintensität. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 Schmerzempfinden: Alte Menschen, Frauen und Männer unterscheiden sich Experten: Dr. med. Oliver Emrich, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Ludwigshafen, Facharzt für Allgemeinmedizin Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Prof. für Physiologische Psychologie an der Universität Bamberg Autorin: Beate Beheim-Schwarzbach Unterschiedliches Schmerzempfinden Schmerz ist ein unangenehmes Sinnesgefühl, häufig begleitet von einer erheblichen subjektiven Behinderung und kann sehr stark variieren, von vergleichsweise harmlos bis lebensbedrohlich, von akut bis chronisch (also lang anhaltend). Die Ursachen für Schmerzen sind immer wechselseitig, sowohl organisch als auch psychisch. Entstehung In den meisten Fällen entsteht Schmerz durch einen peripheren Auslöser, z.B. im Gelenk, in den Nerven oder im Gewebe. Von dieser Stelle aus wird er über bestimmte Nerven ins Rückenmark projiziert und anschließend ins Gehirn. Das löst anschließend die Schmerzempfindung in der Körperregion aus, in der sie entstanden ist. Und es leitet die Information in benachbarte Hirnareale weiter, auch z.B. in die, die für eine emotionale Bewertung wie Angst oder Depression zuständig sind. Akute und chronische Schmerzen Akute Schmerzen entstehen z.B. durch eine Verletzung, Entzündung oder Infektion. In den meisten Fällen können Patienten damit umgehen, denn sie wissen, wenn die Ursache verschwunden ist, ist der Schmerz vorbei. Bei chronischen Schmerzen ist der Auslöser zwar beseitigt (z.B. die Entzündung abgeheilt), doch der Schmerz hält trotzdem an. Wenn chronischer Schmerz nicht schnell und konsequent behandelt wird, und der Patient anhaltende emotionale Veränderungen spürt, kann sich der Schmerzzustand ins Gedächtnis einprägen und sich auch räumlich ausdehnen z.B. vom Fuß auf das ganze Bein. Das Vorurteil: Schmerz gehöre zum Alter Eine Untersuchung in sechs europäischen Ländern stellte fest: Rund 70 Prozent der über 75-Jährigen leiden unter Schmerzen - viele von ihnen sind der Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11 Auffassung, das sei unabdingbar und deswegen sprechen sie kaum darüber. Chronische Schmerzen und nicht nur körperliche Abbauvorgänge schränken aber die Lebensqualität im Alter oft sehr stark ein, was fatale Folgen hat: Schmerz löst vielfach Angst, Depression oder Furcht sich zu bewegen aus, was wiederum den Schmerz verstärken kann und zu massiven Einschränkungen eines selbstbestimmten Lebensablaufs führt. Der alte Mensch Generell leiden Ältere häufiger unter Schmerzen, weil fast alle Organe im Alter Abbauvorgängen unterliegen. Beispielsweise verändert sich der Bewegungsapparat degenerativ, das betrifft auch Wirbelsäule, Gelenke und Muskulatur. Zudem altert auch das Nervensystem und wird dabei anfälliger für chronische Schmerzen. Problem: Doch viele alte Menschen bekommen keine ausreichende und angemessene Schmerzbehandlung, obwohl das durchaus möglich wäre. Die Herausforderung dabei ist, dass diese mit den anderen erforderlichen Behandlungen des Patienten (respektive der doch häufigen Vielzahl von Medikamenten) sorgfältig abgestimmt werden muss. Wichtig: Spezielle Risiken im Alter wie z.B. Sturzgefahr oder Magen-, Darmblutungen durch Schmerzmedikamente sind dabei sehr kritisch abzuwägen. Beispiel: die Nervenentzündung Gürtelrose Statistisch gesehen sind Menschen unter 60 Jahren kaum gefährdet, im Zusammenhang mit einer Gürtelrose chronische Schmerzen zu bekommen, unabhängig davon ob im Gesicht, auf der Brust oder an den Beinen. Bei Älteren dagegen ist dieses Risiko erheblich größer. Jeder Zweite über 60-Jährige entwickelt aus einer Gürtelrose einen lang anhaltenden, chronischen Schmerz. Dies kann nur mit spezifischen Alterungsvorgängen im Verarbeitungsprozess von Schmerzsignalen und der Nervenfunktion zusammenhängen. Alte Männer und Frauen Ab etwa 65 Jahren werden die Unterschiede in Punkto Schmerzempfindlichkeit innerhalb der Geschlechter größer: Vergleicht man junge Frauen und Männer, dann sind beide Gruppen eher homogen und die Unterschiede zwischen beiden Gruppen überwiegen. Bei 85-jährigen Männern und Frauen aber sind die Unterschiede innerhalb der Geschlechtsgruppe teilweise enorm. Vermutlich spielt also das Geschlecht bei der Schmerzempfindlichkeit im Alter eher eine kleinere Rolle. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 12 Schmerz bei Demenz: Das stille Leiden Eine der häufigsten und folgenreichsten Erkrankungen im Alter ist die Entwicklung einer Demenz. Demente Patienten können ihre Situation nicht mehr so einordnen wie andere und sie sind zunehmend desorientiert. Das wirkt sich auch auf ihr Schmerzempfinden aus. Dabei werden diese Patienten auf Schmerzreize empfindlicher. Gleichzeitig vermögen sie häufig ihren Schmerz nicht mehr adäquat mitzuteilen. „Das Problem ist: Demente Patienten leiden oft heftig, aber stumm und heimlich. Sie klagen leider nicht. Dieses Problem lässt sich nur multiprofessionell lösen.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg Fremdbeobachtung Weil sich demente Patienten schwer tun, ihren Schmerz zu beschreiben, sind Schmerzfachleute derzeit dabei, sogenannte Fremdbeobachtungsbögen zu entwickeln, zum Beispiel den Beurteilungsbogen für Schmerz bei Demenz (BESD). Mit dessen Hilfe sollen der Zustand und die Schmerzreaktionen des Patienten von Pflegern und Angehörigen bewertet werden. „Es kann darin beurteilt werden, ob der Patient angestrengt atmet, hyperventiliert, stöhnt, ächzt, ruft oder weint. Und ob er grimassiert, die Fäuste ballt, wenn man ihn anfasst. Alles wird in Punkten bewertet. Zum Schluss kann man erkennen, ob wahrscheinlich ein signifikanter Schmerz vorliegt, obwohl der Patient das so nicht mehr allgemein verständlich in Worten äußern kann.“ Dr. Emrich, Schmerzzentrum Ludwigshafen Allerdings verfügen bisher noch nicht sehr viele Altenheime über ein entsprechendes Qualitätsmanagement zum Schmerz-Assessment bei Dementen. Dabei wäre das bei der in Zukunft zunehmenden Anzahl alter Menschen dringend wünschenswert. Alle sind gefordert Schmerzen im Alter völlig zu beseitigen, ist nicht möglich, doch man kann sie lindern und damit den Menschen zu einer größtmöglichen Selbständigkeit im Alter verhelfen. Dazu bedarf es einer wachsenden und wachen Sensibilität aller Beteiligten gegenüber den besonderen Problemen älterer Menschen. Angehörige, Pflegende und die älteren Patienten gemeinsam brauchen dafür eine Kommunikationskultur, die die richtigen und wichtigen Fragen zu den besonderen Probleme älterer Menschen analysiert und die geeignete Antwort darauf, in jedem Einzelfall neu formuliert. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 13 Das Ziel: Schließlich kommt es darauf an, die natürlichen und die krankheitsbedingten Abbauvorgänge so zu beeinflussen, dass die Patienten sich so lange wie möglich selbst bewegen und auch kontrollieren können. Auf diese Weise bleiben sie auch mit signifikanten Schmerzen so autonom wie möglich. Tipp: Beweglich bleiben Bezüglich der Veränderungen im Alter gibt es aber auch gute Nachrichten: Gleichzeitig wächst die Gruppe derjenigen Älteren, die noch lange vergleichsweise gesund und leistungsfähig bleiben. Viele von ihnen beugen Schmerzen vor, indem sie sich körperlich und geistig fit halten. Ein mobiler 70Jähriger muss z.B. nicht zwangsläufig mehr Schmerzen haben als ein wesentlich jüngerer Mensch. Wer allerdings betroffen ist, der empfindet Schmerzen genauso wie in jungen Jahren. Schmerzempfinden bei Frauen und Männern Die Unterschiede im Schmerzempfinden bei Männern und Frauen sind für viele Schmerztherapeuten unstrittig. Aller Wahrscheinlichkeit nach leiden Frauen eher an chronischen und auch an multiplen Schmerzen als Männer, allerdings fällt der Unterschied je nach Schmerz verschieden groß aus: Bei Muskelschmerzen und bei Migräne sind Frauen allem Anschein nach eher betroffen als Männer. Neuropathischen Schmerzen, bei denen ein Nerv erkrankt ist, betreffen beide Geschlechter in etwa gleich. Einen Bereich, in dem Männer häufiger oder intensiver Schmerzen empfinden, gibt es aber nicht. „Offensichtlich kann man sagen, dass das System, das die Schmerzinformation aus den Muskeln ins Gehirn weiter leitet, bei Frauen empfindlicher eingestellt ist als bei Männern.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg Für die Ursachen, warum Frauen und Männer Schmerz unterschiedlich empfinden können, haben Schmerztherapeuten diverse Hypothesen. Experimentelle Untersuchungen Um herauszufinden, was hinter den Unterschieden im Schmerzempfinden steht, überprüfen Schmerzexperten wie Biologen, Psychologen und Mediziner in diversen Tests: • Schmerzsensibilität • Schmerztoleranz • Schmerz-Hemm-System Unterschiedliche Schmerzsensibilität Um die Empfindlichkeit zu messen, drückt man z.B. kleine, aufheizbare Metallblättchen auf die Haut und beobachtet, bei welcher Temperatur der Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 14 Patient leichten Schmerz empfindet. Als Berichtsschwelle gilt der Punkt, ab dem ein Patient das Ganze als Schmerz bezeichnet. „Insgesamt messen wir sogar zwei Schwellen: Erstens diejenige, bei der ein Schmerz einsetzt (Schmerzschwelle), und im Anschluss die Schwelle, bei der ein Patient signalisiert, dass er einen stärkeren Reiz nicht mehr akzeptieren würde (Schmerztoleranzschwelle).“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg In der Regel wird deutlich, Frauen reagieren sensibler. Dieses Ergebnis tritt beim Versuch mit manuellem Druck auf die Muskeln besonders häufig auf. Verschiedene Schmerztoleranz Auch die Schmerztoleranz scheint bei Frauen geringer ausgeprägt zu sein, hierbei spielen psychologische Faktoren eine Rolle: Denn die Auffassung davon, wie schmerzempfindlich generell Männer und Frauen typischerweise sind, beeinflusst auch ihr Verhalten. Das Schmerz-Hemm-System Sobald man Schmerzen bekommt, fängt der Körper an, sich dagegen zu wehren, indem er sogenannte Schmerz-Hemm-Systeme aktiviert (teilweise über endogene Opiate). Löst man also bei einer Person einen ganz leichten Schmerz aus, dann setzt sich das Schmerz-Hemm-System in Gang und wirkt dagegen. Die Folge: Wenn ein Schmerz da ist, werden weitere Schmerzen in ihrer Intensität reduziert. Wie eine Art Brandmauer hemmt also der erste Schmerz die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweiter Schmerz auftritt. Dieser Effekt ist bei Männern in der Regel effizienter als bei Frauen. Mimischer Ausdruck Im Großen und Ganzen drücken Männer und Frauen Schmerzen mimisch ähnlich aus. Allerdings sind Frauen in der Lage, feinere Unterschiede mimisch abzubilden, während man bei Männern oft nur sieht, ob sie Schmerzen haben oder nicht. Die Folge ist, dass beide Geschlechter ihren Mitmenschen unterschiedliche Informationen über ihre Schmerzen geben und die können darauf verschieden reagieren. Geschlechterrollen: Vom Umgang mit dem Schmerz Untersuchungen zeigen: Sowohl Männer als auch Frauen vermuten oft, Frauen seien empfindlicher und würden eher dazu tendieren, einen Schmerz einer größeren Gefahr zuzuordnen, zu „katastrophisieren“; d.h. den Schmerz nicht als Signal zu nehmen für eine möglicherweise vorübergehende Gefahr, sondern gleich eine schwere Erkrankung zu vermuten. Die Geschlechterrolle kann mit dem biologischen Geschlecht zusammenfallen, muss aber nicht. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 15 Stereotype Rollenbilder Einig sind sich beide Geschlechter darin, dass Männer Schmerz eher ignorieren und deswegen öfter verpassen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass Männer einem gängigen Vorurteil entsprechend eher die „Weicheier“ sind, dafür lassen sich allerdings wenig bis keine Beweise finden. Die Rolle der Hormone Das biologische Geschlecht scheint die Schmerzempfindlichkeit unabhängig von der Geschlechterrolle zu beeinflussen. In Tierexperimenten konnten Wissenschaftler nachweisen, dass die Hormone Testosteron und Östrogen unterschiedlich auf das Schmerzsystem wirken: Testosteron macht es etwas unempfindlicher und Östrogen etwas empfindlicher. Forscher vermuten, das könnte auch die Erklärung für die Unterschiede beim Menschen sein. Die Ergebnisse sind allerdings heterogen. „Männer unterscheiden sich in ihrer Schmerzempfindlichkeit meist unabhängig davon, ob sie einen niedrigen oder hohen Testosteron-Spiegel haben. Und auch bei Frauen weisen die Experimente nicht darauf hin, dass man sagen könnte, unterschiedliches Schmerzempfinden habe mit den Hormonen zu tun.“ Dr. Stefan Lautenbacher, Universität Bamberg Unklare Schmerzen: Das Beispiel Fibromyalgie Bei dieser chronischen Erkrankung hat der Patient so starke Schmerzen am ganzen Körper in Muskeln, Gelenken und Sehnen, dass er sich kaum bewegen kann. Der körperliche Befund ist jedoch völlig unauffällig. Charakteristisch ist: 70 bis 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. „Ich gehe davon aus, dass Fibromyalgie-Patienten eine sehr hohe Schmerzempfindlichkeit haben, weil ihr Schmerz-Hemm-System nicht richtig funktioniert.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg Diagnose Eine der diagnostischen Kriterien für Fibromyalgie ist eine erhöhte Druckempfindlichkeit. Berührt man genau definierte Punkte, wie z.B. zwischen den Schultern und dem Nackenansatz, dann reagieren Betroffene extrem sensibel. Geräuschempfindlichkeit Viele Fibromyalgie-Patienten sind außerdem extrem anfällig für laute Geräusche. Sie können z.B. störendes Rauschen einer Lüftung oder eines weinenden Kindes im Zug nicht einfach ausblenden. Und weil sich Betroffene ganz generell die unangenehmen Seiten des Lebens nicht vom Leib halten können, sind sie einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 16 Therapie bei Fibromyalgie Eine spezifische Therapie für Fibromyalgie-Patientinnen ist nicht bekannt, denn der Auslöser ist noch nicht zweifelsfrei belegt. Zwar helfen manchen Betroffenen Medikamente, die deren Schmerzhemmung verbessern, doch das gilt nicht für alle. Manchen Betroffenen tut Bewegung gut und körperliche Fitness, denn viele schonen sich wegen der chronischen Schmerzen - teilweise hilft auch Psychotherapie. Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Experte: Prof. Dr. Johannes-Peter Haas, Ärztlicher Leiter der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen Autor: Holger Kiesel Schmerzen sind eine Erfahrung, die alle immer wieder machen müssen. Als Erwachsene entwickelt man Strategien, damit umzugehen. Man versucht sich bewusst zu entspannen oder abzulenken. Kinder dagegen müssen Vieles erst lernen: Ihren Schmerz zu äußern, ihn richtig zuzuordnen und dann – sofern er nicht beseitigt werden kann - damit klarzukommen. Je nachdem, ob es sich um akute oder chronische Schmerzen handelt, für kürzere oder längere Zeit. Und natürlich spielen in der Schmerztherapie – gerade bei chronischen Schmerzen - auch Medikamente unterschiedlichster Stärke eine wichtige Rolle. Warum hat man Schmerzen? Schmerz ist ein ganz unmittelbares Warnsignal des Körpers. Er deutet auf eine Gefahr oder Verletzung hin, die eine Reaktion erfordert. Wenn Schmerz fühlbar wird, ist das aber bereits die letzte Stufe einer Reaktionskette. Die allermeisten Reize, die die Schmerzrezeptoren empfangen, nimmt man bewusst gar nicht wahr. Sie dienen lediglich dazu, Prozesse der Selbstregulation im Körper in Gang zu setzen, einen schmerzvermeidenden Reflex auszulösen (Wegziehen der Hand von der heißen Herdplatte) oder zur Schonung zu zwingen. Erst wenn eine geplante Handlung als Reaktion nötig ist (Behandlung, Wundversorgung) empfindet man Schmerz bewusst. Schmerzempfinden bei Kindern und Erwachsenen Ob und wie sich das Schmerzempfinden von Kindern und Erwachsenen unterscheidet, hängt stark vom Alter eines Kindes ab. Etwa ab dem Kindergartenalter gibt es gar keinen wesentlichen Unterschied in der Schmerzwahrnehmung mehr. Bei Babys und Kleinkindern dagegen sind Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 17 viele Nervenbahnen im Gehirn und im Rückenmark noch nicht vollständig ausgebildet. Schmerz kann daher noch keiner bestimmten Körperregion zugeordnet werden, sondern wird nur als genereller Reiz wahrgenommen. Das erschwert die Behandlung. Schmerzen bereits im Mutterbauch? Ob bereits ein Fötus im Mutterbauch Schmerzen empfindet, ist eine schwierige Frage. Die grundsätzlichen Voraussetzungen dafür – in Form erster neuronaler Strukturen – wären jedenfalls bereits ab etwa der sechsten Schwangerschaftswoche vorhanden. Allerdings besitzt er zu diesem Zeitpunkt noch kein Gehirnareal, in dem er solche Reize abbilden kann. Fest steht, dass bereits extrem kleine Frühgeborene ein – wenn auch sehr generalisiertes - Schmerzempfinden haben. Kleinkinder empfinden Schmerz anders Annahmen, Säuglinge würden keinen Schmerz empfinden oder ihn sofort wieder vergessen, sind mittlerweile eindeutig wissenschaftlich widerlegt. Allerdings sind bei ihnen die Neuronen, die die Schmerzintensität regulieren, noch nicht voll ausgebildet. Außerdem fehlen Kleinkindern die Möglichkeiten, bewusst mit Schmerz umzugehen (Ablenkung, Entspannung). Auch kulturell bedingte Faktoren, die das Schmerzempfinden beeinflussen - zu beobachten etwa im Zusammenhang mit den Initiationsriten mancher Kulturkreise spielen in diesem Alter noch keine Rolle. Schmerzen zuordnen Wie erkennt man Schmerz bei Kindern, die aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung (noch) nicht sprechen können? Verschiedene Signale können Hinweise auf Schmerzen geben: • Das Kind wird zunehmend unruhig und unleidlich. • Es nimmt eine Schonhaltung ein. • Seine Herzfrequenz steigt. • Sein Blutdruck ist erhöht. • Es trinkt nicht mehr. • Es zeigt andere Stresssymptome. Ähnliches gilt auch für Kinder, die zwar schon sprechen, aber Schmerz noch nicht richtig zuordnen können. Mithilfe sogenannter 'Schmerzskalen' kann die Summe der vorhandenen Werte und Symptome mittlerweile entsprechend interpretiert werden, so dass gezielter behandelt werden kann. Formen des Schmerzes Eine grundsätzliche Unterscheidung ist die zwischen akuten (plötzlich auftretenden, meist ereignisbezogenen) und chronischen (dauerhaften, Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 18 wiederkehrenden) Schmerzen: Schmerzen die länger als drei Monate anhalten. Außerdem bestehen große Unterschiede in der Schmerzqualität (beispielsweise dumpf und pochend). Manche Schmerzen treten bei bestimmtem Verhalten auf (etwa Belastungsschmerzen), andere haben gar keinen Bezug. Zu den häufigsten einer bestimmten Körperregion zugeordneten Schmerzen, gerade bei Kindern und Jugendlichen, gehört der Kopfschmerz. Gründe für Schmerzen bei Kindern – Diagnose Bei akuten Schmerzen ist es im Gespräch mit dem Patienten meist relativ einfach, den Bezug zu einem konkreten Ereignis (z.B. einer Verletzung) herzustellen. Wesentlich komplizierter wird die Ursachenforschung dagegen bei chronischen Schmerzen. Bei chronischen Schmerzen gilt es, sehr gezielte Fragen zu stellen: • Seit wann tritt der Schmerz auf? • Wo genau sitzt er? • Hat sich seine Intensität verändert? • Wie fühlt er sich genau an? • Wann tritt er auf? "Die Tageszeit, zu der Schmerzen auftreten, kann Hinweise auf deren Ursache geben. So schmerzt Rheuma eher morgens, Knochentumoren dagegen meist nachts." Prof. Dr. Johannes-Peter Haas, Ärztlicher Leiter der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen Ausführliche Anamnese Im Anamnesegespräch soll herausgefunden werden, ob es an der schmerzenden Stelle Gewebeveränderungen gibt, die den Schmerz erklären. Falls nicht, muss nach anderen auslösenden Faktoren gesucht werden. Je länger ein Schmerz besteht, desto größer wird die Gefahr, dass immer mehr Körperregionen betroffen sind, bis irgendwann alles wehtut (generalisierter Schmerz). Wichtig: Auch wenn keine Schmerzursache lokalisierbar ist, kann jemand reale Schmerzen empfinden (Beispiel Phantomschmerzen)! Psyche und Schmerzempfinden Leidet ein Patient bereits unter chronischen oder dauerhaften, lebensbedrohlichen Schmerzen (etwa aufgrund eines Krebsleidens), werden zusätzlich auftretende akute Schmerzen stärker empfunden. In sehr seltenen Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 19 Fällen können auch psychische Erkrankungen die Vorstellung von Schmerzen erzeugen. Wie intensiv und unangenehm man Schmerz im Einzelfall empfindet, hängt auch von der jeweiligen psychischen Verfassung ab: "Jemand, der sich sein Knie stößt und frisch verliebt ist, wird wahrscheinlich weniger Schmerz empfinden als ein frisch Getrennter mit derselben Verletzung." Prof. Dr. Johannes-Peter Haas Häufige Schmerzen bei Kindern Studien zeigen bei Kindern und Jugendlichen - vor allem im chronischen Bereich - drei besonders häufig auftretende Arten von Schmerzen: • Kopfschmerzen • Schmerzen an Muskeln und Gelenken • Bauchschmerzen Kinder mit chronischen Schmerzen Wie viele Kinder in Deutschland unter chronischen Schmerzen leiden, ist statistisch nicht exakt erfasst und kann deshalb nur geschätzt werden. Man kann aber wohl von einer fünfstelligen Zahl von Betroffenen ausgehen. Kopfschmerzen bei Kindern nehmen zu Immer mehr Kinder und Jugendliche klagen häufiger über Kopfschmerzen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Kinder heute schon früh immer größerem Stress ausgesetzt sind und eine immer größere Flut von Reizen zu bewältigen haben. Ganz allgemein fehlen Kindern heute oft Strategien, um mit Schmerzen umzugehen, da sie häufig weniger draußen sind als früher und deshalb auch weniger harmlose und daher selbst zu bewältigende Schmerzerfahrungen machen. Schmerz muss behandelt werden - Schmerztherapie Jeder Schmerz bei Kindern ist 'behandlungsbedürftig'. Dafür braucht es aber nicht immer einen Arzt oder Medikamente. Auch elterlicher Trost oder ein Stück Schokolade können im Einzelfall eine Art 'Therapie' sein. Reicht das alleine nicht, ist der nächste Schritt, die schmerzende Stelle zu kühlen. Erst, wenn auch das nichts mehr hilft, kommen leichte Schmerzmittel wie Ibuprofen zum Einsatz. Gleichzeitig sollte dann ein Arzt aufgesucht werden. Schmerztherapie ohne Medikamente Bei Kindern mit chronischen Schmerzen müssen oft nicht-medikamentöse Therapiemethoden angewandt werden, da sie auf Medikamente nicht Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 20 ansprechen. Meist wird dann in einer sogenannten 'multimodalen Therapie' zusammen mit dem Patienten ein individuelles Anti-Schmerz-Programm erstellt, in das verschiedene Ärzte und Therapeuten Behandlungselemente einbringen. Elemente nicht medikamentöser Schmerzbehandlung Zu den Elementen nicht medikamentöser Schmerztherapie können gehören: • Altersgerechte Entspannungsmethoden (bei kleinen Kindern z.B. Phantasiereisen) • Wärme- oder Kälteanwendungen • Übungen mit dem Igelball (z.B. um Gegenreize zu setzen) • verhaltenstherapeutische Hilfen im Umgang mit dem Schmerz • Förderung von körperlicher und geistiger Aktivität (Devise: nicht immer nur Schmerz erleiden) Zur Therapie können grundsätzlich sowohl Maßnahmen gehören, die vom Schmerz ablenken, als auch solche, die helfen, ihn bewusst wahrzunehmen und aktiv zu bekämpfen. Darf Schmerztherapie wehtun? Grundsätzlich sollte Schmerztherapie mit so wenig zusätzlichen Schmerzen wie möglich verbunden sein. In einigen Ausnahmefällen – wie etwa bei sehr fortgeschrittenen regionalen Schmerzstörungen (z.B. ein Fuß, der wegen Schmerzen nicht mehr benutzt wird und seine Funktion deshalb nicht mehr erfüllen kann) – ist das jedoch nicht ganz zu vermeiden. Qualität der Schmerztherapie für Kinder Die schmerztherapeutische Versorgung von Kindern in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren - zumindest im Akutbereich - erheblich verbessert. Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen sieht es dagegen leider anders aus. Sowohl im Kinder- als auch im Erwachsenenbereich gibt es zu wenige speziell ausgebildete Schmerztherapeuten. "Es fehlt vor allem der entsprechende Fortbildungsweg für Kinderärzte. Viele unserer Patienten sind schmerztherapeutisch bereits seit Monaten oder gar Jahren unterversorgt, bevor sie zu uns kommen." Prof. Dr. Johannes-Peter Haas, Ärztlicher Leiter der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen Medikamente gegen Schmerzen Medikamente kommen vor allem in der Behandlung von akuten Schmerzen bei größeren Kindern zum Einsatz. Je nach Stärke des Schmerzes werden folgende Präparate eingesetzt: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 21 • • • • Glukose: Vor allem bei Frühchen und Säuglingen reduziert die orale Gabe von Zucker – etwa bei Blutabnahmen – das Schmerzempfinden. Lokalanästhetika (z.B. Lidocain oder Eis) zur Betäubung einzelner Stellen helfen etwa, wenn Kinder häufiger gestochen werden müssen oder bei Operationen. Leichte Schmerzmittel (Ibuprofen, Paracetamol) hemmen die Herstellung schmerzvermittelnder Proteine im Körper. Metamizol bekämpft stärkere Schmerzen. Es darf aber nur unter ärztlicher Kontrolle eingenommen werden, da das Blutbild kontrolliert werden muss. Wichtig: Bei Säuglingen und Kleinkindern kommen (mit Ausnahme vor allem der Glukose) deutlich weniger Medikamente zum Einsatz, weil viele Mittel für diese Altersgruppe nicht zugelassen sind! Opiate: Morphin in der Schmerztherapie Das Problem bei der Anwendung von Opiaten in der Schmerztherapie sind ihre unerwünschten Nebeneffekte: Viele von ihnen machen entweder euphorisch oder müde. Außerdem besteht – wie bei nahezu allen Schmerzmitteln – die Gefahr einer Abhängigkeit. Deshalb waren Opiate wie Morphin in der Schmerztherapie für Kinder lange komplett verpönt. Heute hat man die Gefahr einer Abhängigkeit besser im Griff. Darüber hinaus hat Morphin einen großen Vorteil: Im Gegensatz zu anderen Mitteln verursacht es bei richtiger Dosierung keine Organschäden! Antidepressiva und Narkotika Auch einige Antidepressiva haben einen gewissen schmerzstillenden Effekt, aber natürlich auch starke Nebenwirkungen auf die Psyche. Deshalb werden sie - gerade bei Kindern und Jugendlichen - nur selten eingesetzt. Narkotika nehmen dem Patienten nicht nur den Schmerz, sondern auch das Bewusstsein und finden daher praktisch nur bei Operationen Verwendung. Dosierung von Schmerzmitteln bei Kindern Wie Schmerzmittel bei Kindern dosiert werden, hängt von ihrem Alter, ihrem Gewicht und ihrer Körpergröße ab. Außerdem gilt es abzuschätzen, wie heftig der Schmerz wird und wie lange er voraussichtlich andauert. Das ist deshalb notwendig, weil die Wirkung einiger Schmerzmittel sofort aufhört, sobald ihre Gabe (etwa über eine Infusion) unterbrochen wird. Andere Mittel sollten aus Gründen der Verträglichkeit möglichst nicht zu lange verabreicht werden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 22 Folgen nicht behandelter Schmerzen Werden Schmerzen in einem sehr frühen Lebensalter nicht oder nur unzureichend behandelt, kann das dazu führen, dass der Betroffene später Schmerzen stärker empfindet, stärker als andere mit Stress auf Schmerzen reagiert oder eine geringere Schmerztoleranz entwickelt. Gleichzeitig wächst auch die Gefahr, irgendwann eine chronische Schmerzstörung mit überdurchschnittlich ausgeprägten Symptomen zu erleiden. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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