Chronische Schmerzen - Bayerischer Rundfunk

Gesundheitsgespräch
Behandlung chronischer Schmerzen
Sendedatum: 3.12.2016
Experten:
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie e.V.
Dr. med. Marianne Koch, Internistin, Ehrenpräsidentin der Deutschen
Schmerzliga
Autorin: Susanne Segador
Schmerzen muss man ernst nehmen – und behandeln. 40 Prozent der
Patienten eines Hausarztes kommen zu ihm wegen chronischer Schmerzen.
Und über 60 Prozent der Patienten und einer Orthopädiepraxis leiden unter
anhaltenden Schmerzen.
"Die moderne Medizin kann jede Art von Schmerz zumindest soweit erleichtern,
dass man sie gut ertragen kann. Was gut ertragen bedeutet, das sollte der
Patient und nicht der Arzt definieren“, sagt Dr. Gerhard Müller-Schwefe,
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Das Ziel, die
Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, „kann jeder Patienten
erreichen, vorausgesetzt er hat Glück und findet den richtigen Arzt“, so Dr.
Müller-Schwefe. Helfen kann hier das Adressverzeichnis der Deutschen
Schmerzliga, das bundesweit über 3.500 Ärzte ausweist. Darunter finden sich
viele hochspezialisierte Schmerztherapeuten, sogenannte Algesiologen.
Dem Text liegt ein Interview mit Dr. Müller-Schwefe zugrunde, mit
Anmerkungen von Dr. Marianne Koch, Ehrenpräsidentin der Deutschen
Schmerzliga.
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Schmerzkarrieren
Schmerzen können eine Hilfe sein. Treten sie akut auf, weisen sie darauf hin,
dass im Körper eine Störung vorliegt. Sie zeigen beispielsweise an, dass Steine
die Harnleiter blockieren, dass ein Knochen gebrochen ist oder dass ein Zahn
entzündet ist. Der Schmerz als Warnsignal des Körpers verschwindet wieder,
wenn die Ursache beseitigt ist. Dennoch: die Schmerzen, die etwa bei einer
Nierenkolik, einem Beinbruch oder nach einer Operation auftreten, muss ein
Patient nicht einfach aushalten. Auch diese sogenannten akuten Schmerzen
sollten rechtzeitig und ausreichend behandeln werden, sonst können sie
chronisch werden.
Chronische Schmerzen
Chronische Schmerzen folgen anderen Gesetzmäßigkeiten als akute
Schmerzen. Sie bestehen weiter, auch wenn die Ursache längst behoben ist.
Nach einer Gürtelrose können zum Beispiel brennende Schmerzen bleiben
oder das gebrochene Bein, das nach Einschätzung des Chirurgen gut
zusammengewachsen ist, reagiert nach wie vor berührungsempfindlich. In
solchen Fällen muss man den Schmerz sehr schnell und intensiv behandeln,
denn chronische Schmerzen entstehen immer aus akuten Schmerzen.
Das Schmerzgedächtnis
"Der akute Schmerz entsteht, wenn Schmerzrezeptoren, das sind eine Art
Fühler in unserem Gewebe, gereizt werden. Dies geschieht durch eine
Verletzung oder eine sonstige Störung des Gewebes“ Dr. Müller-Schwefe.
Chronisch werden die Schmerzen, wenn Lernprozesse einsetzen. Dann
verändert sich das Nervensystem. Denn die Nerven sind nicht nur Leitungen,
die wie Telefondrähte Informationen transportieren, sondern sie passen sich
der Information an, die sie übertragen. Das bedeutet: wenn Nerven immer
wieder oder über längere Zeit mit "schmerzhaften“ Informationen konfrontiert
sind, dann verändert sich ihr Steuerprogramm und zwar so, dass diese
Nervenzellen ein Gedächtnis anlegen.
Das Einmaleins der Schmerzen…
Dr. Müller-Schwefe vergleicht das Schmerzgedächtnis mit anderen
Gedächtnisprozessen, denn sie funktionieren stets gleich: Schon in der Schule
lernt man das kleine Einmaleins oder Englisch durch Wiederholen. "Gedächtnis
aufbauen bedeutet, das Steuerprogramm so zu verändern, dass die Reaktion
auf eine kurze Anfrage völlig anders als vor der Programmänderung ausfällt.“
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Beispiel:
Die Antwort auf die Frage "Wie viel ist fünf mal fünf?“ hat jedermann sofort
parat. Man muss nicht lange rechnen, weil man das oft genug wiederholt hat.
Doch die Antwort auf die Frage „Wie viel ist 615 mal 739?“ findet sich nicht im
Gedächtnis; sie ist nicht eingeübt worden. Durch das Wiederholen der
einfachen Dinge kann sich das Steuerprogramm der Nervenzellen verändern
und deshalb fällt dann auch die Reaktion anders aus. Das gilt für Schmerz
genauso wie für Rechenaufgaben.
...prägt sich dem Körper ein
"Wenn ein Schmerz immer wieder kommt, verändert diese Information das
Steuerprogramm der Nervenzellen im Rückenmark, im Hirnstamm und
schließlich in der Hirnrinde. Dort werden die Schmerzinformationen verarbeitet.“
Dr. Müller-Schwefe
Die Folge dieser Veränderungen ist, dass schon kleine Reize
Schmerzempfinden auslösen. Wurde ein Schmerzgedächtnis aufgebaut,
können bereits harmlose Informationen wie etwa eine Dehnung, eine
Berührung, Druck oder Zug - manchmal sogar zärtliches Streicheln - zur Qual
werden, weil sofort die Nervenzellen anspringen, die Schmerzmeldung
weiterleiten.
"Dieser Ablauf ist typisch für chronische Schmerzen.“ Dr. Müller-Schwefe
Schmerz ist nicht gleich Schmerz!
Für den Laien sind Schmerzen eben Schmerzen. Und Schmerzmittel gleich
Schmerzmittel. Es ist aber außerordentlich wichtig, die vielfältigen Ursachen
von Schmerzen zu erkennen, weil eine erfolgreiche Behandlung jeweils eine
ganz andere sein muss.
Beispiel chronische Kopfschmerzen:
Schon bei chronisch wiederkehrenden Kopfschmerzen unterscheidet
man zwischen Migräne, Spannungskopfschmerzen, ClusterKopfschmerz, Trigeminus-Kopfschmerz und einem chronischen
Schmerz, der durch die zu häufige Einnahme von Schmerzmitteln –
dem Medikamentenkopfschmerz – entsteht. Die Behandlung ist in
jedem dieser Fälle eine unterschiedliche und sollte unbedingt durch
einen Neurologen oder Schmerztherapeuten erfolgen.
Beispiel neuropathische Schmerzen:
Schmerzen, die durch eine Nervenschädigung entstehen, sogenannte
neuropathische Schmerzen, zu denen beispielsweise die Gürtelrose oder die
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Polyneuropathie bei Diabetes gehören, werden mit speziell auf diese Nerven
wirkenden Substanzen behandelt.
Beispiel Rückenschmerzen:
Bei Rückenschmerzen oder Bewegungsschmerzen handelt es sich nicht selten
um psychische Probleme, die nachweislich zu Veränderungen der
Muskelspannung, aber auch zu einer Beeinträchtigung der körpereigenen
Verarbeitung von Schmerzreizen führt. Hier helfen dann psychologische
Verfahren oder Entspannungstechniken. Bei anderen Ursachen von
Rückenschmerzen – zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall – sollte
zunächst eine wirkungsvolle Schmerzbekämpfung mit Medikamenten erfolgen,
damit der Patient sich weiter bewegen und die sogenannte Multimodale
Therapie gut mitmachen kann. Falls allerdings Lähmungen oder andere
Nervenausfälle nachgewiesen werden, muss operiert werden, um keine
dauerhaften Nervenschädigungen zu riskieren.
Auch Osteoporose kann ähnliche Symptome wie ein Bandscheibenvorfall
machen, wenn ein Wirbel zusammenbricht. Hier gibt es wiederum andere
Behandlungstechniken, und auch die Nachbehandlung wird eine andere sein.
Andere Auslöser von chronischen Schmerzen
• Tumorschmerzen – die mit starken Medikamenten, aber auch
durch Bestrahlung (der Knochen) gut gelindert werden können.
• Fibromyalgie – eine immer noch rätselhafte SchmerzÜberempfindlichkeit des ganzen Körpers.
• Arthrose – Veränderung der Gelenke, zum Beispiel der Knieoder Hüftgelenke
• Chronische Polyarthritis – das entzündliche Rheuma, eine
Autoimmunerkrankung, die ebenfalls die Gelenke befällt, aber
auch Auswirkungen im gesamten Körper haben kann.
Schmerztherapie
Eine chronische Schmerzkrankheit ist eine Erkrankung des ganzen Körpers
und der Seele des Patienten: Deshalb ist es so wichtig, dass die Behandlung
durch ein Zusammenwirken von Schmerzärzten, Psychologen, Physio- und
Ergotherapeuten, manchmal auch von Spezialisten in komplementären
Verfahren wie Akupunktur oder Hypnotherapie, vor allem aber durch die aktive
Mitwirkung des Patienten selbst erfolgt.
Bei der Behandlung chronischer Schmerzen reicht es also nicht aus, die
Ursachen zu behandeln. Therapieziel ist es, auch das Schmerzgedächtnis zu
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beeinflussen. Die aufgebauten Lernprozesse müssen wieder rückgängig
gemacht werden. Denn Nerven können auch vergessen und zur Ruhe
kommen. Die Schmerztherapie wirkt darauf hin, dass sich das ganze
Nervensystem wieder entspannt.
Die vier Komponenten der Schmerztherapie
Die Schmerztherapeuten (Algesiologen), unterscheiden vier Schwerpunkte in
der Behandlung von Schmerzen:
•
•
•
•
Verhinderung von Gedächtnisprozessen
Wenn man frühzeitig genug eingreift, kann man die Chronifizierung von
Schmerzen verhindern. Sind die Schmerzen bereits chronisch, muss
man diese Lernprozesse wieder umkehren. So kann man bewirken, dass
das Schmerzgedächtnis gelöscht wird und der Schmerz wieder
verschwindet.
Einbeziehung der körpereigenen Schmerzkontrolle
Der Körper besitzt ein eigenes Schmerzkontrollsystem. Dieses produziert
unter anderem Morphin, mit Endorphin, Serotonin und auch
körpereigenes Cannabis. Serotonin spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.
Die Schmerztherapie versucht dieses körpereigene
Schmerzkontrollsystem zu stärken.
Verbesserung der gestörten Körperfunktionen
Patienten mit Schmerzen können sich in aller Regel nicht so wie
Gesunde bewegen. Die Folge ist beispielsweise, dass Muskeln
abgeschwächt werden, andere sich verkürzen und dass Gelenke nicht
reibungslos funktionieren. Diese gestörten Körperfunktionen sind bei 80
Prozent der Schmerzpatienten die Ursache ihrer Schmerzen, teils aber
auch erst die mittelbare Folge anderer Schmerzen.
Aufbrechen sozialer Isolation
Schmerzpatienten ziehen sich oftmals zurück und werden einsam. Sie
isolieren sich sozial, denn auch die Seele leidet, wenn man immer
körperliche Schmerzen hat. Schmerztherapeuten sprechen hier von
einem schmerzbedingten Psychosyndrom. Die Reintegration in das
soziale Leben ist deshalb ebenfalls ein wichtiges Standbein der
Schmerztherapie.
Medikamente gegen den Schmerz
Medikamente spielen in der Schmerztherapie eine wichtige Rolle. Sie können
helfen, das Schmerzgedächtnis zu löschen. Wenn im Nervensystem
Lernprozesse in Gang gekommen sind, wird zum Beispiel Morphin eingesetzt,
das laut Dr. Müller-Schwefe "das körpereigene Endorphin nachmacht“. Andere
Substanzen wirken beruhigend auf die Nervenzellen ein. Bei
Gewebeschädigungen – etwa Verletzungen oder Entzündungen – werden
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entzündungshemmende Mittel verwendet. Kombinationen sind notwendig,
wenn eine Entzündung zu behandeln ist, die schon länger andauert und bereits
ein Schmerzgedächtnis aufgebaut wurde.
Angst vor Abhängigkeit: Wie groß ist die Gefahr?
"Die Angst vieler Patienten vor einer Abhängigkeit von starken
Schmerzmedikamenten ist unbegründet – vorausgesetzt die Präparate werden
richtig eingesetzt.“ Dr. Müller-Schwefe
Dabei gelten laut dem Schmerzexperten folgende Regeln:
• Schmerzpatienten, die beispielsweise stark wirksame Schmerzmittel vom
Morphintyp (also Opioide) brauchen, müssen sie in einer
Darreichungsform bekommen, die diese Substanzen sehr gleichmäßig
freisetzt. Somit besteht keine Sorge, dass die Patienten abhängig
werden.
• Die Gefahr, dass die Patienten immer mehr brauchen, besteht nur dann,
wenn man kurzwirksame Substanzen nimmt. Dann haben nämlich die
Patienten immer wieder nach der kurzen Wirkdauer Schmerzen. Folglich
wollen sie zu früh ihr Medikament nehmen und verlangen zunehmend
mehr, um diese schlechte Schmerzerfahrung nicht zu wiederholen.
Das heißt: Wenn man mit gleichmäßig freisetzenden Präparaten arbeitet (zum
Beispiel auch mit Pflasterdarreichungen), besteht die Gefahr der Abhängigkeit
nicht.
„Neuere Medikamente berücksichtigen auch die Tatsache, dass unter einer
Behandlung mit Opioiden in fast allen Fällen eine Darmträgheit auftritt, die man
bisher mit entsprechenden zusätzlichen Mitteln – Laxantien – bekämpfen
musste. Eine neue Medikamentengeneration (die Kombination von Oxycodon
und Naaloxon) verhindert diese manchmal unangenehme Nebenwirkung.“ Dr.
Marianne Koch
Darüber hinaus gibt es eine neuere Substanzgruppe starker Schmerzmittel, die
körpereigene Schmerzkontrolle verstärkt und nur geringe Opioidwirkung hat
und somit auch weniger Nebenwirkungen auf den Darm (Tapentadol).
Schmerz und Depression – leider oft Hand in Hand
"Die Schmerzforschung hat herausgefunden, dass Schmerzen auch in
Gehirnregionen wirksam werden, die mit dem Gefühlsleben der Patienten zu
tun haben, dem so genannten "Limbischen System". Dadurch wird klar, warum
Schmerzpatienten so oft gleichzeitig unter Depressionen leiden. Die Experten
wollen auf diese Tatsache in Zukunft noch stärker eingehen und den Patienten
durch die zusätzliche Gabe von antidepressiv wirkenden Medikamenten nicht
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nur seelische Unterstützung geben, sondern dadurch auch gleichzeitig ihre
Schmerzwahrnehmung positiv beeinflussen.“ Dr. Marianne Koch
Oft sind diese Schmerzen in Ruhe (nachts) stärker als in Bewegung.
Bewegungsschmerz
Entgegen dem Wortlaut werden als Bewegungsschmerzen alle Schmerzen
bezeichnet, die vom Bewegungssystem ausgehen. Das heißt: auch
Schmerzen, die in Ruhe auftreten. Das Bewegungssystem umfasst alles, was
der Mensch braucht, um sich zu bewegen, also Knochen, aber auch
Muskulatur, Bänder, Sehnen und Nerven. Für die meisten
Bewegungsschmerzen findet sich deshalb im Röntgenbild kein Nachweis.
Wenig Aufschluss durch Röntgenbilder
"Die Patienten haben massive Schmerzen, obwohl das Röntgenbild nichts
anzeigt. Auf der anderen Seiten sieht man oft dramatische Röntgenbilder mit
teils heftig veränderten Knochen, aber die Untersuchten haben keine
Beschwerden.“ Dr. Müller-Schwefe
Häufigster Auslöser: Bagatellunfälle
Die häufigsten Ursachen für Bewegungsschmerzen sind Funktionsstörungen.
Auslöser dafür sing oft kleinere Unfälle, die nicht ernst genommen werden, zum
Beispiel Stürze von der Kellertreppe oder vom Wickeltisch, Rad-, Ski- oder
Schulunfälle, auch kleinere Autounfälle, bei denen äußerlich nichts verletzt und
auch nichts gebrochen wurde. Bei diesen Störungen kommt es in der Folge zu
einer Veränderung der Muskelfunktion und damit zu einer Fehlbelastung von
Gelenken. Die Folge können Schmerzen sein, die von Kopf bis Fuß bestehen.
Schmerzen nach Operationen - und anderes
Nicht selten sind Operationen die Ursache für spätere Bewegungsschmerzen.
Auslöser ist die Lagerung des Patienten während der Narkose, die der betäubte
Patient nicht korrigieren kann, auch wenn sie ihm unangenehm ist. Zum
Beispiel klagen mitunter Patientinnen nach einem Kaiserschnitt über Rückenund Kopfschmerzen. Weitere Ursachen für Bewegungsschmerzen sind
entzündliche Veränderungen durch Rheuma oder Arthritis, aber auch
Abnutzungserscheinungen, etwa Arthrose.
Richtige Diagnose
Für eine sinnvolle Diagnose muss der Patient ausführlich befragt werden, wann
und welche Schmerzen er hat.
"Zudem muss der Patient von Kopf bis Fuß eingehend untersucht werden. Ein
Patient mit Kopfschmerzen hat ein Recht darauf, das auch sein Becken
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angeschaut wird und sein Rücken und seine Füße. Jemand, den
Rückenschmerzen plagen, kann verlangen, dass auch seine Kopfgelenke
angeschaut werden.“ Dr. Müller-Schwefe
Diese Art der Diagnose nennt sich neuroorthopädische Untersuchung, weil sie
in den Bereichen der Neurologie und Manualtherapie entwickelt wurde.
Spezialisiert auf neuroorthopädische Untersuchungen sind Manualtherapeuten
und Schmerztherapeuten.
Neue Therapieansätze
"Wir sehen Bewegungsschmerz heute völlig anderes als früher“, betont
Schmerzspezialist Dr. Müller-Schwefe. Nach dem klassischen Therapieansatz
wurden Patienten einfach zur Krankengymnastik geschickt. Der Erfolg blieb
allerdings vielfach aus. Studien belegen, dass 27 Prozent der
Rückenschmerzpatienten nach der klassischen Rehabilitation mehr Schmerzen
haben als zuvor. Grund dafür ist, dass 56 Prozent der Patienten die
verordneten Übungen aufgrund ihrer Schmerzen nur sehr eingeschränkt
durchführen können.
Effektive Schmerztherapie
"Der richtige Ansatz ist eine effektive Schmerztherapie. Untersuchungen
zeigen, dass rund 47 Prozent dieser Patienten eine Verlängerung ihrer
Rehabilitationsmaßnahmen brauchen. Diese Zahl sinkt auf 27 Prozent, wenn
Patienten eine gute Schmerztherapie erhalten. Durch effektive
Schmerztherapie könnten bundesweit allein bei Rückenschmerzpatienten
jährlich 1,3 Millionen Reha-Tage eingespart werden!“ Dr. Müller-Schwefe
Mobil trotz Bewegungsschmerzen
Wer Schmerzen hat, versucht sie zu vermeiden. Doch ruhig stellen,
verschlimmert das Problem, veranschaulicht Dr. Müller-Schwefe:
"Der Körper ist ein fauler Hund, alles was er nicht benützt, wird abgebaut und
reduziert. Das bedeutet Muskulatur verschwindet und zwar in ganz kurzer Zeit.
Gelenkkapseln und Sehen ziehen sich zusammen. Am Ende kann man sich gar
nicht mehr rühren. Deshalb ist Bewegung existenziell.“
Tipp
Der Schmerzexperte Dr. Müller-Schwefe rät Bewegungsschmerzpatienten
dringend, nicht lange mit dem Arztbesuch zu warten. Auch nach einem kleinen
Sturz sollte man gleich überprüfen, ob die Funktion gestört ist und eine
entsprechende Therapie einleiten. "Die Devise heißt nicht: ‚Zähne
zusammenbeißen und durch!‘, sondern: ausreichende Schmerzkontrolle und
dann Bewegung!“
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Eigeninitiative
Schmerzpatienten können viel für sich selber tun. Denn zahlreiche Therapien
können nach Anleitung zuhause alleine durchgeführt werden. Zur
Eigenverantwortung der Patienten gehört auch, gestörte Körperfunktionen
durch Übungen zu verbessern.
"Es gibt sogenannte postisometrische Entspannungsübungen (PIR), die durch
weder durch Massage noch durch Krankengymnastik ersetzt werden können.
Nur der Patient selbst kann sie ausführen. Viele dieser Übungen sind
hochwirksam, wenn sie täglich gemacht werden“ Dr. Müller-Schwefe.
Trankskutane elektrische Nervenstimulation TENS
Die trankskutane elektrische Nervenstimulation, kurz TENS genannt, ist ein
Verfahren, das dazu dient, die körpereigene Schmerzkontrolle zu aktivieren.
Aufgelegten Hautelektroden wird Strom zugeführt und somit die Produktion
körpereigener Endorphine angeregt. Im Rahmen der Schmerztherapie werden
die entsprechenden Körperstellen wie auch die Stromform vom Arzt
ausgetestet. Anschließend können Patienten das Verfahren selbstständig
täglich zuhause anwenden.
Von Fakiren lernen
Schmerzpatienten können sich durch sogenannte psychologische
Schmerztherapieverfahren selbst helfen. Dr. Müller-Schwefe: "Diese Verfahren
werden auch Fakirtechniken genannt, weil sie sich an die Art und Weise
anlehnen, mit ein Fakir Schmerzen begegnet. Obwohl ein Fakir auf spitzen
Nägeln liegt, tun sie ihm nicht weh. Die so genannten Fakirtechniken wollen
dem Patienten vermitteln, sich von seinen Schmerzen zu distanzieren und so
damit umzugehen, dass sie ihn nicht mehr so quälen.“ Diese Verfahren arbeiten
häufig mit Visualisierungen, also mit Vorstellungen und Bildern, die die
Patienten in bestimmten Situationen aufrufen und für sich wirksam einsetzen
können. Auf diese Weise kann die körpereigene Schmerzkontrolle sehr gut
aktiviert werden.
Auch extreme Schmerzen sind beeinflussbar
Hochwirksam ist auch das Biofeedbackverfahren. Hier lernen die Patienten,
biologische Signale wie die Muskelspannung, die sie normalerweise nicht
registrieren, wahrzunehmen und dann zu beeinflussen. Diese Verfahren wirken
auch bei starken oder chronischen Schmerzen. Voraussetzung ist allerdings,
dass man die Patienten vorher in einen Zustand bringen muss, der es ihnen
ermöglicht, Eigeninitiative einzubringen. Hierzu benötigt der Schmerztherapeut
häufig Medikamente.
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Dr. Marianne Koch zu Behandlungschancen für Schmerzpatienten:
"Ein neues Behandlungsmodell wird derzeit im Rahmen der "Integrierten
Versorgung" von einigen Kassen unterstützt und hat sich als hoch wirksam
herausgestellt: Patienten, die seit Wochen an Rückenschmerzen leiden,
werden von ihrer Kasse zu einer zunächst vierwöchigen Intensivtherapie
ausgewählt. Das bedeutet, dass sie in besonderen Schmerzzentren bis zu
fünfmal wöchentlich interdisziplinär von Schmerztherapeuten,
Physiotherapeuten und Schmerzpsychologen behandelt werden. Sollten ihre
Beschwerden nach vier Wochen noch nicht so gebessert sein, dass sie wieder
arbeitsfähig sind, dann kann sich daran noch einmal eine Behandlungszeit von
bis zu vier Wochen anschließen.
Erfreulicherweise hat sich gezeigt, dass die Behandlungserfolge hervorragend
sind - 92 Prozent der Patienten waren spätestens nach acht Wochen wieder
arbeitsfähig, in der normalen Versorgung sind dies nur 53 Prozent. Und die
Patienten waren äußerst zufrieden, auch wenn sie eine Menge selbst für ihre
Genesung tun mussten. Bezahlt wird diese Komplextherapie durch die an dem
Modell teilnehmenden Kassen, die auf diese Weise Krankengeld sparen.“
Tipps zur Vorbereitung auf eine Schmerztherapie
• Hilfreich ist es, wenn man schon vor dem ersten Besuch beim
Schmerztherapeuten einen sogenannten Schmerzfragebogen ausfüllt. Er
umfasst nicht nur Fragen zu Dauer, Zeitpunkt und Intensität der
Schmerzen, sondern geht auch auf Beeinträchtigungen im häuslichen
und beruflichen Bereich ein. Durch die Auseinandersetzung mit diesen
Fragen gewinnt das Erstgespräch mit dem Arzt an Effizienz. Diesen
Bogen gibt es z.B. elektronisch im Internet unter
http://mein-schmerz.de
• Vor Beginn einer Schmerztherapie erweist sich das Führen eines
Schmerztagebuchs als sinnvoll. In Vordrucken, die zum Beispiel über die
Deutsche Schmerzliga zu erhalten sind, notiert man unter anderem über
den Tage hinweg die Schmerzintensität.
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Schmerzempfinden:
Alte Menschen, Frauen und Männer unterscheiden sich
Experten:
Dr. med. Oliver Emrich, Leiter des Regionalen Schmerzzentrums der
Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Ludwigshafen, Facharzt für
Allgemeinmedizin
Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Prof. für Physiologische Psychologie an der
Universität Bamberg
Autorin: Beate Beheim-Schwarzbach
Unterschiedliches Schmerzempfinden
Schmerz ist ein unangenehmes Sinnesgefühl, häufig begleitet von einer
erheblichen subjektiven Behinderung und kann sehr stark variieren, von
vergleichsweise harmlos bis lebensbedrohlich, von akut bis chronisch (also lang
anhaltend). Die Ursachen für Schmerzen sind immer wechselseitig, sowohl
organisch als auch psychisch.
Entstehung
In den meisten Fällen entsteht Schmerz durch einen peripheren Auslöser, z.B.
im Gelenk, in den Nerven oder im Gewebe. Von dieser Stelle aus wird er über
bestimmte Nerven ins Rückenmark projiziert und anschließend ins Gehirn. Das
löst anschließend die Schmerzempfindung in der Körperregion aus, in der sie
entstanden ist. Und es leitet die Information in benachbarte Hirnareale weiter,
auch z.B. in die, die für eine emotionale Bewertung wie Angst oder Depression
zuständig sind.
Akute und chronische Schmerzen
Akute Schmerzen entstehen z.B. durch eine Verletzung, Entzündung oder
Infektion. In den meisten Fällen können Patienten damit umgehen, denn sie
wissen, wenn die Ursache verschwunden ist, ist der Schmerz vorbei.
Bei chronischen Schmerzen ist der Auslöser zwar beseitigt (z.B. die
Entzündung abgeheilt), doch der Schmerz hält trotzdem an. Wenn chronischer
Schmerz nicht schnell und konsequent behandelt wird, und der Patient
anhaltende emotionale Veränderungen spürt, kann sich der Schmerzzustand
ins Gedächtnis einprägen und sich auch räumlich ausdehnen z.B. vom Fuß auf
das ganze Bein.
Das Vorurteil: Schmerz gehöre zum Alter
Eine Untersuchung in sechs europäischen Ländern stellte fest: Rund 70
Prozent der über 75-Jährigen leiden unter Schmerzen - viele von ihnen sind der
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Auffassung, das sei unabdingbar und deswegen sprechen sie kaum darüber.
Chronische Schmerzen und nicht nur körperliche Abbauvorgänge schränken
aber die Lebensqualität im Alter oft sehr stark ein, was fatale Folgen hat:
Schmerz löst vielfach Angst, Depression oder Furcht sich zu bewegen aus, was
wiederum den Schmerz verstärken kann und zu massiven Einschränkungen
eines selbstbestimmten Lebensablaufs führt.
Der alte Mensch
Generell leiden Ältere häufiger unter Schmerzen, weil fast alle Organe im Alter
Abbauvorgängen unterliegen. Beispielsweise verändert sich der
Bewegungsapparat degenerativ, das betrifft auch Wirbelsäule, Gelenke und
Muskulatur. Zudem altert auch das Nervensystem und wird dabei anfälliger für
chronische Schmerzen.
Problem:
Doch viele alte Menschen bekommen keine ausreichende und angemessene
Schmerzbehandlung, obwohl das durchaus möglich wäre. Die Herausforderung
dabei ist, dass diese mit den anderen erforderlichen Behandlungen des
Patienten (respektive der doch häufigen Vielzahl von Medikamenten) sorgfältig
abgestimmt werden muss.
Wichtig:
Spezielle Risiken im Alter wie z.B. Sturzgefahr oder Magen-, Darmblutungen
durch Schmerzmedikamente sind dabei sehr kritisch abzuwägen.
Beispiel: die Nervenentzündung Gürtelrose
Statistisch gesehen sind Menschen unter 60 Jahren kaum gefährdet, im
Zusammenhang mit einer Gürtelrose chronische Schmerzen zu bekommen,
unabhängig davon ob im Gesicht, auf der Brust oder an den Beinen. Bei Älteren
dagegen ist dieses Risiko erheblich größer. Jeder Zweite über 60-Jährige
entwickelt aus einer Gürtelrose einen lang anhaltenden, chronischen Schmerz.
Dies kann nur mit spezifischen Alterungsvorgängen im Verarbeitungsprozess
von Schmerzsignalen und der Nervenfunktion zusammenhängen.
Alte Männer und Frauen
Ab etwa 65 Jahren werden die Unterschiede in Punkto Schmerzempfindlichkeit
innerhalb der Geschlechter größer: Vergleicht man junge Frauen und Männer,
dann sind beide Gruppen eher homogen und die Unterschiede zwischen beiden
Gruppen überwiegen. Bei 85-jährigen Männern und Frauen aber sind die
Unterschiede innerhalb der Geschlechtsgruppe teilweise enorm. Vermutlich
spielt also das Geschlecht bei der Schmerzempfindlichkeit im Alter eher eine
kleinere Rolle.
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Schmerz bei Demenz: Das stille Leiden
Eine der häufigsten und folgenreichsten Erkrankungen im Alter ist die
Entwicklung einer Demenz. Demente Patienten können ihre Situation nicht
mehr so einordnen wie andere und sie sind zunehmend desorientiert. Das wirkt
sich auch auf ihr Schmerzempfinden aus. Dabei werden diese Patienten auf
Schmerzreize empfindlicher. Gleichzeitig vermögen sie häufig ihren Schmerz
nicht mehr adäquat mitzuteilen.
„Das Problem ist: Demente Patienten leiden oft heftig, aber stumm und
heimlich. Sie klagen leider nicht. Dieses Problem lässt sich nur
multiprofessionell lösen.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg
Fremdbeobachtung
Weil sich demente Patienten schwer tun, ihren Schmerz zu beschreiben, sind
Schmerzfachleute derzeit dabei, sogenannte Fremdbeobachtungsbögen zu
entwickeln, zum Beispiel den Beurteilungsbogen für Schmerz bei Demenz
(BESD). Mit dessen Hilfe sollen der Zustand und die Schmerzreaktionen des
Patienten von Pflegern und Angehörigen bewertet werden.
„Es kann darin beurteilt werden, ob der Patient angestrengt atmet,
hyperventiliert, stöhnt, ächzt, ruft oder weint. Und ob er grimassiert, die Fäuste
ballt, wenn man ihn anfasst. Alles wird in Punkten bewertet. Zum Schluss kann
man erkennen, ob wahrscheinlich ein signifikanter Schmerz vorliegt, obwohl der
Patient das so nicht mehr allgemein verständlich in Worten äußern kann.“ Dr.
Emrich, Schmerzzentrum Ludwigshafen
Allerdings verfügen bisher noch nicht sehr viele Altenheime über ein
entsprechendes Qualitätsmanagement zum Schmerz-Assessment bei
Dementen. Dabei wäre das bei der in Zukunft zunehmenden Anzahl alter
Menschen dringend wünschenswert.
Alle sind gefordert
Schmerzen im Alter völlig zu beseitigen, ist nicht möglich, doch man kann sie
lindern und damit den Menschen zu einer größtmöglichen Selbständigkeit im
Alter verhelfen. Dazu bedarf es einer wachsenden und wachen Sensibilität aller
Beteiligten gegenüber den besonderen Problemen älterer Menschen.
Angehörige, Pflegende und die älteren Patienten gemeinsam brauchen dafür
eine Kommunikationskultur, die die richtigen und wichtigen Fragen zu den
besonderen Probleme älterer Menschen analysiert und die geeignete Antwort
darauf, in jedem Einzelfall neu formuliert.
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Das Ziel:
Schließlich kommt es darauf an, die natürlichen und die krankheitsbedingten
Abbauvorgänge so zu beeinflussen, dass die Patienten sich so lange wie
möglich selbst bewegen und auch kontrollieren können. Auf diese Weise
bleiben sie auch mit signifikanten Schmerzen so autonom wie möglich.
Tipp: Beweglich bleiben
Bezüglich der Veränderungen im Alter gibt es aber auch gute Nachrichten:
Gleichzeitig wächst die Gruppe derjenigen Älteren, die noch lange
vergleichsweise gesund und leistungsfähig bleiben. Viele von ihnen beugen
Schmerzen vor, indem sie sich körperlich und geistig fit halten. Ein mobiler 70Jähriger muss z.B. nicht zwangsläufig mehr Schmerzen haben als ein
wesentlich jüngerer Mensch. Wer allerdings betroffen ist, der empfindet
Schmerzen genauso wie in jungen Jahren.
Schmerzempfinden bei Frauen und Männern
Die Unterschiede im Schmerzempfinden bei Männern und Frauen sind für viele
Schmerztherapeuten unstrittig. Aller Wahrscheinlichkeit nach leiden Frauen
eher an chronischen und auch an multiplen Schmerzen als Männer, allerdings
fällt der Unterschied je nach Schmerz verschieden groß aus: Bei
Muskelschmerzen und bei Migräne sind Frauen allem Anschein nach eher
betroffen als Männer. Neuropathischen Schmerzen, bei denen ein Nerv
erkrankt ist, betreffen beide Geschlechter in etwa gleich. Einen Bereich, in dem
Männer häufiger oder intensiver Schmerzen empfinden, gibt es aber nicht.
„Offensichtlich kann man sagen, dass das System, das die Schmerzinformation
aus den Muskeln ins Gehirn weiter leitet, bei Frauen empfindlicher eingestellt ist
als bei Männern.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg
Für die Ursachen, warum Frauen und Männer Schmerz unterschiedlich
empfinden können, haben Schmerztherapeuten diverse Hypothesen.
Experimentelle Untersuchungen
Um herauszufinden, was hinter den Unterschieden im Schmerzempfinden steht,
überprüfen Schmerzexperten wie Biologen, Psychologen und Mediziner in
diversen Tests:
•
Schmerzsensibilität
•
Schmerztoleranz
•
Schmerz-Hemm-System
Unterschiedliche Schmerzsensibilität
Um die Empfindlichkeit zu messen, drückt man z.B. kleine, aufheizbare
Metallblättchen auf die Haut und beobachtet, bei welcher Temperatur der
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Patient leichten Schmerz empfindet. Als Berichtsschwelle gilt der Punkt, ab dem
ein Patient das Ganze als Schmerz bezeichnet.
„Insgesamt messen wir sogar zwei Schwellen: Erstens diejenige, bei der ein
Schmerz einsetzt (Schmerzschwelle), und im Anschluss die Schwelle, bei der
ein Patient signalisiert, dass er einen stärkeren Reiz nicht mehr akzeptieren
würde (Schmerztoleranzschwelle).“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg
In der Regel wird deutlich, Frauen reagieren sensibler. Dieses Ergebnis tritt
beim Versuch mit manuellem Druck auf die Muskeln besonders häufig auf.
Verschiedene Schmerztoleranz
Auch die Schmerztoleranz scheint bei Frauen geringer ausgeprägt zu sein,
hierbei spielen psychologische Faktoren eine Rolle: Denn die Auffassung
davon, wie schmerzempfindlich generell Männer und Frauen typischerweise
sind, beeinflusst auch ihr Verhalten.
Das Schmerz-Hemm-System
Sobald man Schmerzen bekommt, fängt der Körper an, sich dagegen zu
wehren, indem er sogenannte Schmerz-Hemm-Systeme aktiviert (teilweise über
endogene Opiate). Löst man also bei einer Person einen ganz leichten
Schmerz aus, dann setzt sich das Schmerz-Hemm-System in Gang und wirkt
dagegen. Die Folge: Wenn ein Schmerz da ist, werden weitere Schmerzen in
ihrer Intensität reduziert. Wie eine Art Brandmauer hemmt also der erste
Schmerz die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweiter Schmerz auftritt. Dieser
Effekt ist bei Männern in der Regel effizienter als bei Frauen.
Mimischer Ausdruck
Im Großen und Ganzen drücken Männer und Frauen Schmerzen mimisch
ähnlich aus. Allerdings sind Frauen in der Lage, feinere Unterschiede mimisch
abzubilden, während man bei Männern oft nur sieht, ob sie Schmerzen haben
oder nicht. Die Folge ist, dass beide Geschlechter ihren Mitmenschen
unterschiedliche Informationen über ihre Schmerzen geben und die können
darauf verschieden reagieren.
Geschlechterrollen: Vom Umgang mit dem Schmerz
Untersuchungen zeigen: Sowohl Männer als auch Frauen vermuten oft, Frauen
seien empfindlicher und würden eher dazu tendieren, einen Schmerz einer
größeren Gefahr zuzuordnen, zu „katastrophisieren“; d.h. den Schmerz nicht als
Signal zu nehmen für eine möglicherweise vorübergehende Gefahr, sondern
gleich eine schwere Erkrankung zu vermuten. Die Geschlechterrolle kann mit
dem biologischen Geschlecht zusammenfallen, muss aber nicht.
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Stereotype Rollenbilder
Einig sind sich beide Geschlechter darin, dass Männer Schmerz eher ignorieren
und deswegen öfter verpassen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass
Männer einem gängigen Vorurteil entsprechend eher die „Weicheier“ sind, dafür
lassen sich allerdings wenig bis keine Beweise finden.
Die Rolle der Hormone
Das biologische Geschlecht scheint die Schmerzempfindlichkeit unabhängig
von der Geschlechterrolle zu beeinflussen. In Tierexperimenten konnten
Wissenschaftler nachweisen, dass die Hormone Testosteron und Östrogen
unterschiedlich auf das Schmerzsystem wirken: Testosteron macht es etwas
unempfindlicher und Östrogen etwas empfindlicher. Forscher vermuten, das
könnte auch die Erklärung für die Unterschiede beim Menschen sein. Die
Ergebnisse sind allerdings heterogen.
„Männer unterscheiden sich in ihrer Schmerzempfindlichkeit meist unabhängig
davon, ob sie einen niedrigen oder hohen Testosteron-Spiegel haben. Und
auch bei Frauen weisen die Experimente nicht darauf hin, dass man sagen
könnte, unterschiedliches Schmerzempfinden habe mit den Hormonen zu tun.“
Dr. Stefan Lautenbacher, Universität Bamberg
Unklare Schmerzen: Das Beispiel Fibromyalgie
Bei dieser chronischen Erkrankung hat der Patient so starke Schmerzen am
ganzen Körper in Muskeln, Gelenken und Sehnen, dass er sich kaum bewegen
kann. Der körperliche Befund ist jedoch völlig unauffällig. Charakteristisch ist:
70 bis 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen.
„Ich gehe davon aus, dass Fibromyalgie-Patienten eine sehr hohe
Schmerzempfindlichkeit haben, weil ihr Schmerz-Hemm-System nicht richtig
funktioniert.“ Dr. Lautenbacher, Universität Bamberg
Diagnose
Eine der diagnostischen Kriterien für Fibromyalgie ist eine erhöhte
Druckempfindlichkeit. Berührt man genau definierte Punkte, wie z.B. zwischen
den Schultern und dem Nackenansatz, dann reagieren Betroffene extrem
sensibel.
Geräuschempfindlichkeit
Viele Fibromyalgie-Patienten sind außerdem extrem anfällig für laute
Geräusche. Sie können z.B. störendes Rauschen einer Lüftung oder eines
weinenden Kindes im Zug nicht einfach ausblenden. Und weil sich Betroffene
ganz generell die unangenehmen Seiten des Lebens nicht vom Leib halten
können, sind sie einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt.
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Therapie bei Fibromyalgie
Eine spezifische Therapie für Fibromyalgie-Patientinnen ist nicht bekannt, denn
der Auslöser ist noch nicht zweifelsfrei belegt. Zwar helfen manchen
Betroffenen Medikamente, die deren Schmerzhemmung verbessern, doch das
gilt nicht für alle. Manchen Betroffenen tut Bewegung gut und körperliche
Fitness, denn viele schonen sich wegen der chronischen Schmerzen - teilweise
hilft auch Psychotherapie.
Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen
Experte: Prof. Dr. Johannes-Peter Haas, Ärztlicher Leiter der Kinderklinik
Garmisch-Partenkirchen
Autor: Holger Kiesel
Schmerzen sind eine Erfahrung, die alle immer wieder machen müssen. Als
Erwachsene entwickelt man Strategien, damit umzugehen. Man versucht
sich bewusst zu entspannen oder abzulenken. Kinder dagegen müssen
Vieles erst lernen: Ihren Schmerz zu äußern, ihn richtig zuzuordnen und
dann – sofern er nicht beseitigt werden kann - damit klarzukommen. Je
nachdem, ob es sich um akute oder chronische Schmerzen handelt, für
kürzere oder längere Zeit. Und natürlich spielen in der Schmerztherapie –
gerade bei chronischen Schmerzen - auch Medikamente unterschiedlichster
Stärke eine wichtige Rolle.
Warum hat man Schmerzen?
Schmerz ist ein ganz unmittelbares Warnsignal des Körpers. Er deutet auf
eine Gefahr oder Verletzung hin, die eine Reaktion erfordert. Wenn Schmerz
fühlbar wird, ist das aber bereits die letzte Stufe einer Reaktionskette. Die
allermeisten Reize, die die Schmerzrezeptoren empfangen, nimmt man
bewusst gar nicht wahr. Sie dienen lediglich dazu, Prozesse der
Selbstregulation im Körper in Gang zu setzen, einen schmerzvermeidenden
Reflex auszulösen (Wegziehen der Hand von der heißen Herdplatte) oder
zur Schonung zu zwingen. Erst wenn eine geplante Handlung als Reaktion
nötig ist (Behandlung, Wundversorgung) empfindet man Schmerz bewusst.
Schmerzempfinden bei Kindern und Erwachsenen
Ob und wie sich das Schmerzempfinden von Kindern und Erwachsenen
unterscheidet, hängt stark vom Alter eines Kindes ab. Etwa ab dem
Kindergartenalter gibt es gar keinen wesentlichen Unterschied in der
Schmerzwahrnehmung mehr. Bei Babys und Kleinkindern dagegen sind
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viele Nervenbahnen im Gehirn und im Rückenmark noch nicht vollständig
ausgebildet. Schmerz kann daher noch keiner bestimmten Körperregion
zugeordnet werden, sondern wird nur als genereller Reiz wahrgenommen.
Das erschwert die Behandlung.
Schmerzen bereits im Mutterbauch?
Ob bereits ein Fötus im Mutterbauch Schmerzen empfindet, ist eine
schwierige Frage. Die grundsätzlichen Voraussetzungen dafür – in Form
erster neuronaler Strukturen – wären jedenfalls bereits ab etwa der sechsten
Schwangerschaftswoche vorhanden. Allerdings besitzt er zu diesem
Zeitpunkt noch kein Gehirnareal, in dem er solche Reize abbilden kann. Fest
steht, dass bereits extrem kleine Frühgeborene ein – wenn auch sehr
generalisiertes - Schmerzempfinden haben.
Kleinkinder empfinden Schmerz anders
Annahmen, Säuglinge würden keinen Schmerz empfinden oder ihn sofort
wieder vergessen, sind mittlerweile eindeutig wissenschaftlich widerlegt.
Allerdings sind bei ihnen die Neuronen, die die Schmerzintensität regulieren,
noch nicht voll ausgebildet. Außerdem fehlen Kleinkindern die Möglichkeiten,
bewusst mit Schmerz umzugehen (Ablenkung, Entspannung). Auch kulturell
bedingte Faktoren, die das Schmerzempfinden beeinflussen - zu beobachten
etwa im Zusammenhang mit den Initiationsriten mancher Kulturkreise spielen in diesem Alter noch keine Rolle.
Schmerzen zuordnen
Wie erkennt man Schmerz bei Kindern, die aufgrund ihres Alters oder einer
Behinderung (noch) nicht sprechen können? Verschiedene Signale können
Hinweise auf Schmerzen geben:
• Das Kind wird zunehmend unruhig und unleidlich.
• Es nimmt eine Schonhaltung ein.
• Seine Herzfrequenz steigt.
• Sein Blutdruck ist erhöht.
• Es trinkt nicht mehr.
• Es zeigt andere Stresssymptome.
Ähnliches gilt auch für Kinder, die zwar schon sprechen, aber Schmerz noch
nicht richtig zuordnen können. Mithilfe sogenannter 'Schmerzskalen' kann die
Summe der vorhandenen Werte und Symptome mittlerweile entsprechend
interpretiert werden, so dass gezielter behandelt werden kann.
Formen des Schmerzes
Eine grundsätzliche Unterscheidung ist die zwischen akuten (plötzlich
auftretenden, meist ereignisbezogenen) und chronischen (dauerhaften,
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wiederkehrenden) Schmerzen: Schmerzen die länger als drei Monate
anhalten. Außerdem bestehen große Unterschiede in der Schmerzqualität
(beispielsweise dumpf und pochend). Manche Schmerzen treten bei
bestimmtem Verhalten auf (etwa Belastungsschmerzen), andere haben gar
keinen Bezug. Zu den häufigsten einer bestimmten Körperregion
zugeordneten Schmerzen, gerade bei Kindern und Jugendlichen, gehört der
Kopfschmerz.
Gründe für Schmerzen bei Kindern – Diagnose
Bei akuten Schmerzen ist es im Gespräch mit dem Patienten meist relativ
einfach, den Bezug zu einem konkreten Ereignis (z.B. einer Verletzung)
herzustellen. Wesentlich komplizierter wird die Ursachenforschung dagegen
bei chronischen Schmerzen.
Bei chronischen Schmerzen gilt es, sehr gezielte Fragen zu stellen:
• Seit wann tritt der Schmerz auf?
• Wo genau sitzt er?
• Hat sich seine Intensität verändert?
• Wie fühlt er sich genau an?
• Wann tritt er auf?
"Die Tageszeit, zu der Schmerzen auftreten, kann Hinweise auf deren
Ursache geben. So schmerzt Rheuma eher morgens, Knochentumoren
dagegen meist nachts." Prof. Dr. Johannes-Peter Haas, Ärztlicher Leiter der
Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen
Ausführliche Anamnese
Im Anamnesegespräch soll herausgefunden werden, ob es an der
schmerzenden Stelle Gewebeveränderungen gibt, die den Schmerz erklären.
Falls nicht, muss nach anderen auslösenden Faktoren gesucht werden. Je
länger ein Schmerz besteht, desto größer wird die Gefahr, dass immer mehr
Körperregionen betroffen sind, bis irgendwann alles wehtut (generalisierter
Schmerz).
Wichtig: Auch wenn keine Schmerzursache lokalisierbar ist, kann jemand
reale Schmerzen empfinden (Beispiel Phantomschmerzen)!
Psyche und Schmerzempfinden
Leidet ein Patient bereits unter chronischen oder dauerhaften,
lebensbedrohlichen Schmerzen (etwa aufgrund eines Krebsleidens), werden
zusätzlich auftretende akute Schmerzen stärker empfunden. In sehr seltenen
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Fällen können auch psychische Erkrankungen die Vorstellung von
Schmerzen erzeugen. Wie intensiv und unangenehm man Schmerz im
Einzelfall empfindet, hängt auch von der jeweiligen psychischen Verfassung
ab:
"Jemand, der sich sein Knie stößt und frisch verliebt ist, wird wahrscheinlich
weniger Schmerz empfinden als ein frisch Getrennter mit derselben
Verletzung." Prof. Dr. Johannes-Peter Haas
Häufige Schmerzen bei Kindern
Studien zeigen bei Kindern und Jugendlichen - vor allem im chronischen
Bereich - drei besonders häufig auftretende Arten von Schmerzen:
• Kopfschmerzen
• Schmerzen an Muskeln und Gelenken
• Bauchschmerzen
Kinder mit chronischen Schmerzen
Wie viele Kinder in Deutschland unter chronischen Schmerzen leiden, ist
statistisch nicht exakt erfasst und kann deshalb nur geschätzt werden. Man
kann aber wohl von einer fünfstelligen Zahl von Betroffenen ausgehen.
Kopfschmerzen bei Kindern nehmen zu
Immer mehr Kinder und Jugendliche klagen häufiger über Kopfschmerzen.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass Kinder heute schon früh immer größerem
Stress ausgesetzt sind und eine immer größere Flut von Reizen zu
bewältigen haben. Ganz allgemein fehlen Kindern heute oft Strategien, um
mit Schmerzen umzugehen, da sie häufig weniger draußen sind als früher
und deshalb auch weniger harmlose und daher selbst zu bewältigende
Schmerzerfahrungen machen.
Schmerz muss behandelt werden - Schmerztherapie
Jeder Schmerz bei Kindern ist 'behandlungsbedürftig'. Dafür braucht es aber
nicht immer einen Arzt oder Medikamente. Auch elterlicher Trost oder ein
Stück Schokolade können im Einzelfall eine Art 'Therapie' sein. Reicht das
alleine nicht, ist der nächste Schritt, die schmerzende Stelle zu kühlen.
Erst, wenn auch das nichts mehr hilft, kommen leichte Schmerzmittel wie
Ibuprofen zum Einsatz. Gleichzeitig sollte dann ein Arzt aufgesucht werden.
Schmerztherapie ohne Medikamente
Bei Kindern mit chronischen Schmerzen müssen oft nicht-medikamentöse
Therapiemethoden angewandt werden, da sie auf Medikamente nicht
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ansprechen. Meist wird dann in einer sogenannten 'multimodalen Therapie'
zusammen mit dem Patienten ein individuelles Anti-Schmerz-Programm
erstellt, in das verschiedene Ärzte und Therapeuten Behandlungselemente
einbringen.
Elemente nicht medikamentöser Schmerzbehandlung
Zu den Elementen nicht medikamentöser Schmerztherapie können gehören:
• Altersgerechte Entspannungsmethoden (bei kleinen Kindern z.B.
Phantasiereisen)
• Wärme- oder Kälteanwendungen
• Übungen mit dem Igelball (z.B. um Gegenreize zu setzen)
• verhaltenstherapeutische Hilfen im Umgang mit dem Schmerz
• Förderung von körperlicher und geistiger Aktivität (Devise: nicht immer
nur Schmerz erleiden)
Zur Therapie können grundsätzlich sowohl Maßnahmen gehören, die vom
Schmerz ablenken, als auch solche, die helfen, ihn bewusst wahrzunehmen
und aktiv zu bekämpfen.
Darf Schmerztherapie wehtun?
Grundsätzlich sollte Schmerztherapie mit so wenig zusätzlichen Schmerzen
wie möglich verbunden sein. In einigen Ausnahmefällen – wie etwa bei sehr
fortgeschrittenen regionalen Schmerzstörungen (z.B. ein Fuß, der wegen
Schmerzen nicht mehr benutzt wird und seine Funktion deshalb nicht mehr
erfüllen kann) – ist das jedoch nicht ganz zu vermeiden.
Qualität der Schmerztherapie für Kinder
Die schmerztherapeutische Versorgung von Kindern in Deutschland hat sich
in den vergangenen Jahren - zumindest im Akutbereich - erheblich
verbessert. Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen sieht es
dagegen leider anders aus. Sowohl im Kinder- als auch im
Erwachsenenbereich gibt es zu wenige speziell ausgebildete
Schmerztherapeuten.
"Es fehlt vor allem der entsprechende Fortbildungsweg für Kinderärzte. Viele
unserer Patienten sind schmerztherapeutisch bereits seit Monaten oder gar
Jahren unterversorgt, bevor sie zu uns kommen." Prof. Dr. Johannes-Peter
Haas, Ärztlicher Leiter der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen
Medikamente gegen Schmerzen
Medikamente kommen vor allem in der Behandlung von akuten Schmerzen
bei größeren Kindern zum Einsatz. Je nach Stärke des Schmerzes werden
folgende Präparate eingesetzt:
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Glukose: Vor allem bei Frühchen und Säuglingen reduziert die orale
Gabe von Zucker – etwa bei Blutabnahmen – das Schmerzempfinden.
Lokalanästhetika (z.B. Lidocain oder Eis) zur Betäubung einzelner
Stellen helfen etwa, wenn Kinder häufiger gestochen werden müssen
oder bei Operationen.
Leichte Schmerzmittel (Ibuprofen, Paracetamol) hemmen die
Herstellung schmerzvermittelnder Proteine im Körper.
Metamizol bekämpft stärkere Schmerzen. Es darf aber nur unter
ärztlicher Kontrolle eingenommen werden, da das Blutbild kontrolliert
werden muss.
Wichtig: Bei Säuglingen und Kleinkindern kommen (mit Ausnahme vor allem
der Glukose) deutlich weniger Medikamente zum Einsatz, weil viele Mittel für
diese Altersgruppe nicht zugelassen sind!
Opiate: Morphin in der Schmerztherapie
Das Problem bei der Anwendung von Opiaten in der Schmerztherapie sind
ihre unerwünschten Nebeneffekte: Viele von ihnen machen entweder
euphorisch oder müde. Außerdem besteht – wie bei nahezu allen
Schmerzmitteln – die Gefahr einer Abhängigkeit. Deshalb waren Opiate wie
Morphin in der Schmerztherapie für Kinder lange komplett verpönt. Heute hat
man die Gefahr einer Abhängigkeit besser im Griff. Darüber hinaus hat
Morphin einen großen Vorteil: Im Gegensatz zu anderen Mitteln verursacht
es bei richtiger Dosierung keine Organschäden!
Antidepressiva und Narkotika
Auch einige Antidepressiva haben einen gewissen schmerzstillenden Effekt,
aber natürlich auch starke Nebenwirkungen auf die Psyche. Deshalb werden
sie - gerade bei Kindern und Jugendlichen - nur selten eingesetzt. Narkotika
nehmen dem Patienten nicht nur den Schmerz, sondern auch das
Bewusstsein und finden daher praktisch nur bei Operationen Verwendung.
Dosierung von Schmerzmitteln bei Kindern
Wie Schmerzmittel bei Kindern dosiert werden, hängt von ihrem Alter, ihrem
Gewicht und ihrer Körpergröße ab. Außerdem gilt es abzuschätzen, wie
heftig der Schmerz wird und wie lange er voraussichtlich andauert. Das ist
deshalb notwendig, weil die Wirkung einiger Schmerzmittel sofort aufhört,
sobald ihre Gabe (etwa über eine Infusion) unterbrochen wird. Andere Mittel
sollten aus Gründen der Verträglichkeit möglichst nicht zu lange verabreicht
werden.
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Folgen nicht behandelter Schmerzen
Werden Schmerzen in einem sehr frühen Lebensalter nicht oder nur
unzureichend behandelt, kann das dazu führen, dass der Betroffene später
Schmerzen stärker empfindet, stärker als andere mit Stress auf Schmerzen
reagiert oder eine geringere Schmerztoleranz entwickelt. Gleichzeitig wächst
auch die Gefahr, irgendwann eine chronische Schmerzstörung mit
überdurchschnittlich ausgeprägten Symptomen zu erleiden.
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