Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Hartmut Rosa: „Resonanz“
Suhrkamp Verlag
34,95 Euro
Rezension von Jochen Rack
Freitag, 09. September 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Autor:
Schon am Ende seines Essays zu „Beschleunigung und Entfremdung“ deutete Hartmut
Rosa an, dass er sich ein „reponsives wechselseitiges Verhältnis von Selbst und Welt“ als
möglichen Gegenentwurf einer kritischen Theorie der Gesellschaft vorstellt, die nicht bei
der Analyse des verfehlten Lebens stehen bleibt. In seinem Opus Magnum „Resonanz“
führt er diese Idee nun weitläufig aus und fragt danach, wie man sich eine Beziehung des
Menschen zur Welt vorstellen kann, in der beide durch einen „vibrierenden Draht“
verbunden sind. Resonanz als der leitende, aus der Akustik entlehnte Begriff soll dabei
einer „Soziologie des guten Lebens“ den Weg weisen. Es geht, so Rosa, heute nicht vor
allem darum, immer noch mehr Ressourcen für ein gutes Leben zu mobilisieren - mehr
Freizeit, mehr Einkommen, mehr Bildung usw. – sondern die Qualität der
Weltbeziehungen zu verbessern, ein „anschmiegsames Weltverhältnis“ zu etablieren, in
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dem sich Menschen und Dinge nicht stumm gegenübertreten, sondern in „gegenseitiger
Berührbarkeit“. Um dieses Verhältnis zu beschreiben, knüpft Rosa ebenso an Klassiker
der Frankfurter Schule wie Erich Fromm und dessen Buch „Haben oder Sein“ an, wie an
die Tradition der Romantik, in der ein Sinn für Stimmungen, Atmosphären und mimetische,
nicht-instrumentelle, nicht auf Beherrschung angelegte Weltbeziehungen zum Ausdruck
kam.
Resonanz versteht der Soziologe dabei durchaus als leibliches Phänomen und
angeborene Fähigkeit – eine Beziehung, die durch die Haut gestiftet wird, schon durch die
embryonale Beziehung zwischen Mutter und Kind vorgeprägt ist und den Menschen als
„Stimmgabel“ konstituiert. Im Verliebtsein wie der Wetterfühligkeit sieht Rosa diese
gewissermaßen anthropologische Fähigkeit am Werk, auch die Gehirnforschung mit der
Theorie der Spiegelneuronen stütze die Vorstellung, dass Resonanzempfinden zur
ursprünglichen Ausstattung des Menschen gehört. Wie aber kam es dazu, dass die
Menschen diese Resonanzfähigkeit verloren und vielfach in der Entfremdung von Natur,
Mitmenschen und von sich selbst gefangen sind?
Rosa zeichnet den Prozess des Resonanzverlustes in einer „resonanzkritischen
Rekonstruktion“ der Moderne nach, in der er die großen Theoretiker der Gesellschaftskritik
von Marx bis Adorno und Habermas alle noch einmal zu Wort kommen lässt. Das Fazit
seines Durchgangs durch die Theoriegeschichte fällt dabei doppelsinnig aus: Einerseits
haben Kapitalismus, Wettbewerb, Beschleunigung etc. ein bloß instrumentalistisches und
verdinglichendes Weltverhältnis forciert, andererseits aber konnten sich in der Moderne
auch neue Resonanzsensibilitäten ausprägen, auf die sich eine kritische Theorie heute
stützen kann, die danach fragt, wie ein gutes Leben möglich ist. Rosa diskutiert das an
einer ganzen Reihe von konkreten Beispielen – das ist durchaus eine Stärke seines
Buches: er bleibt nicht bei der abstrakten Analyse stehen, sondern zeigt wie in der Familie,
in der Freundschaft, in der Politik, in der Bildung, aber auch im Sport oder in Kunst und
Religion mit dem Leitbegriff der Resonanz sowohl die Kritik entfremdeter
Lebensverhältnisse möglich wird, wie auch die Konturen eines gelingenden Lebens
umrissen werden können. Seine Konzeption „einer nicht-verdinglichenden Existenzweise“,
in der „mimetische, auratische, erotische und charismatische“ Beziehungen zu ihrem
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Recht kommen, aber ist nicht individualethischer Natur. Zwar sollten die Menschen selbst
ihre Resonanzsensibilität stärken und z.B. die Symptome von Burnout und Depression
ernst nehmen als Zeichen des falschen Lebens, aber nicht individuelle Entschleunigung
oder Achtsamkeit allein vermögen den Zwang der auf Beschleunigung und Entfremdung
hin gerichteten Moderne zu bremsen. Es bedarf, sagt Rosa ganz in der Tradition kritischer
Gesellschaftstheorie, eines Umbaus der Institutionen, anders gesagt: einer Änderung der
gesellschaftlichen Verhältnisse. So endet Rosas groß angelegte Studie zur Resonanz in
der Utopie einer „Postwachstumsgesellschaft“, in der eine „Zähmung, oder mehr noch:
Ersetzung der `blindlaufenden` kapitalistischen Verwertungsmaschinerie durch
wirtschaftsdemokratische Institutionen“ gelingen soll. Konkret fordert Rosa ein garantiertes
Grundeinkommen, das den Menschen von der Existenzangst befreien und „libidinöse
Arbeitsstrukturen“ möglich machen könnte. Finanzieren ließe sich, sagt er, ein solches
Grundeinkommen durch eine „globale Erbschaftssteuer“. Ob damit allerdings auch die von
Hartmut Rosa erhoffte Überwindung des Kapitalismus einherginge, der entfremdende
Weltbeziehungen ja immer wieder neu produziert, ist äußerst fragwürdig. Trotzdem: Seine
sehr lesbare „Soziologie der Weltbeziehung“ wagt mutig den großen Wurf einer Utopie, die
heute nicht mehr hoch im Kurs steht. Eine wichtige Anregung nicht nur für Politiker,
sondern alle engagierten Bürger, die sich nicht mit dem Hinweis auf die Alternativlosigkeit
unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zufrieden geben wollen.
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