Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
David Graeber: Bürokratie
Die Utopie der Regeln
Verlag Klett-Cotta
329 Seiten
22,95 Euro
Rezension von Eike Gebhardt
Mittwoch, 24. August 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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In den Hochzeiten sozialer Gärung, also den 60er und 70er Jahren des letzten
Jahrhunderts, blühte die Kritik der bürokratischen Reglementierung der gerne so
genannten „Freien Welt“. Mittlerweile sei das Thema weitgehend aus dem
zeitgenössischen Diskurs verschwunden, klagt der US-amerikanische Ethnologe David
Graeber, vermutlich wegen der unheiligen Allianz von Politik und Ökonomie: Wir hätten die
neoliberale Propaganda verinnerlicht, die angeblich Deregulierung fordere - aber nur
wirtschaftsfreundlichere Regeln meine. Tatsächlich sei die Bürokratie seit den Tagen von
Reagan und Thatcher nicht etwa geschrumpft, sondern kräftig gewachsen.
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Die Linke aber – und das enttäuscht den bekennenden Anarchisten Graeber zutiefst –
habe keine Bürokratiekritik mehr im Programm, nicht mal die einst so fruchtbare These
von der „strukturelle[n] Gewalt,“ unter der er tiefgreifende Formen der Ungleichheit
versteht, „die durch Gewaltandrohung aufrechterhalten werden“. Jeder Zwang, auch
bürokratischer, sei schließlich eine Form von Gewalt. Dass er von legalen Institutionen
ausgeübt werde, mache ihn nicht besser oder auch nur legitimer.
Denn längst bildeten, so Graeber, öffentliche und private Macht eine „Kultur der
Komplizenschaft“ - in dem Versuch nämlich, statt eines demokratiekonformen Marktes
eine marktkonforme Demokratie zu etablieren. Zu wessen Gunsten dann die Regeln, die
Gesetze und die zu ihrer Durchsetzung nötigen Bürokratien geschaffen werden, liege auf
der Hand. Das gelte selbstredend auch für Begriffe wie „Freihandel“ oder „freie Märkte“,
die in Wirklichkeit „den Aufbau globaler administrativer Strukturen“ bezeichneten. Und
selbst die neuen Kommunikationstechnologien, die angeblich Regeln spontan
unterlaufen und umgestalten können, seien nichts anderes als eine weltweit verwaltete
Kommunikation – also auch eine Form von Bürokratie.
Am schlimmsten aber sei das verbreitete Gefühl der Alternativlosigkeit: „Die
bürokratischen Verfahrensweisen und Anforderungen haben die Gesellschaft mittlerweile
so stark durchdrungen, dass wir es kaum noch wahrnehmen“, schreibt Graeber – „oder,
schlimmer noch, dass wir uns gar nicht vorstellen können, die Dinge auch anders regeln
zu können.“ Da spricht der altlinke Anarchist, der sieht und weiß, dass Ideologien gar
keine explizite Propaganda brauchen – im Gegenteil: Sie versteckt sich am wirksamsten
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hinter Zuständen, die uns natürlich und selbstverständlich erscheinen. Die umfassend, bis
in die feinsten Fasern verwaltete Welt, vor der Sozialkritiker von Max Weber bis Adorno
warnten, sei heute global, es gibt im Grunde keine Außenperspektive mehr, die sie
relativieren, geschweige Alternativen aufzeigen oder gar anbieten könnte.
Warum aber lieben wir die Bürokratie insgeheim, wie Graeber behauptet? Im Gegensatz
zu persönlichen und damit emotional aufgeladenen und oft korruptionsanfälligen
Sozialbeziehungen verspreche sie Effizienz, Transparenz, ja Gleichheit und Gerechtigkeit.
Wir misstrauten Privatinteressen, die mit Vorliebe Gesetzes- und Bürokratielücken
missbrauchten. So weit, so bekannt. Überraschend aber ist Graebers These, dass „dem
Reiz der Bürokratie letztendlich (...) die Angst vor dem Spielen“ zugrundeliege, vor Willkür
und Destruktivität, die jeder „ergebnisoffenen Kreativität“ innewohnten. Letztlich sei es also
die Angst, nicht berechenbaren Mächten ausgeliefert zu sein. Doch Graeber warnt:
Jedwede „souveräne Macht [hat, ja ist] das Recht, … [scheinbar verlässliche]
Rechtsauffassungen beiseite zu fegen oder sie je nach Bedarf neu zu begründen.“ Folter,
Attentate und rechtsfreie Zonen könnten vom Souverän verfügt werden – so erkläre sich
unsere Ambivalenz gegenüber bürokratischen Institutionen: zwischen der Sehnsucht nach
einer „Utopie der [verlässlichen] Regeln“ und der Angst vor Willkür, gegen die es keine
Berufung gebe.
Bürokratie ist Verwaltung ist Kontrolle. Wo aber die Politik weithin als Dienstleister der
Wirtschaft arbeitet, deren Prioritäten alle anderen gesellschaftlichen Belange sich fügen
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müssen,wird die angeblich neutrale Verwaltung, sprich: Bürokratie selber eine Form von
Interessenpolitik. Mit Unschuldsmiene hat hier Graeber einen Sprengsatz deponiert.
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