A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 23./24. JULI 2016 FOTOS: CHRIS MCGRATH/GETTY IMAGES, WERNER OTTO, STEFFENS/DDP IMAGES; ILLUSTRATION: MARC HEROLD Angst und Macht Recep Tayyip Erdoğan schaffte es aus den Slums an die Spitze des Staates. Ihn treibt die Furcht vor dem Ende seiner Herrschaft – und die Furcht um sein Leben Thema der Woche, Seite 2 (SZ) Vorneweg gleich mal das Wichtigste: Am Sonntag, unmittelbar nach der „Tagesschau“, läuft wieder „Tatort“, wunderbarerweise auch noch mit Professor Boerne und Kommissar Thiel, dem St.-PauliProll mit schlechten Manieren und einem kiffenden Vater. Kaum ist der Münsteraner Fall abgeschlossen, übernimmt Kommissar Wallander (21.45 Uhr, ARD) die Ermittlungen, diesmal untersucht er rituelle Selbstmorde in Ystad, einem schwedischen Ort, der ausschließlich von Mord und Totschlag lebt. Zum Chill-out sei „Inspector Barnaby“ empfohlen (ZDF, 0.50 Uhr), der in der englischen Grafschaft Midsomer tätig ist, wo man auch nur von Mord und Totschlag lebt. Wer nicht lang herumzappen will, kann den Krimiabend auf ZDF neo verbringen, wo die Mordserie um 18.30 Uhr mit „Death in Paradise“ beginnt. Danach geht des Schlag auf Schlag: „Der Kommissar und das Meer“, „Der Tote am Strand“, „Der Tote an der Elbe“, „Der letzte Zeuge“ und wiederum „Inspector Barnaby“, dessen bizarre Mordfälle das Wochenende abrunden. Die Freude auf den Sonntag hat der frühere ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser nun ein wenig getrübt, indem er in einem Interview behauptet, im Fernsehen gebe es zu viele Krimis. Bitte, das ist eine Einzelmeinung, der Rest der zivilisierten Menschheit ist sich einig, dass es gar nicht genug TV-Krimis geben kann. Andernfalls wären die Leute gezwungen, ihre Abende im Biergarten zu verbringen, wo sie Gefahr liefen, Brüderschaft mit fragwürdigen Gestalten zu schließen, dem Alkohol zu verfallen und beim Heimweg ausgeraubt zu werden. Richtig, ein gutes Buch könnten sie lesen. Wallander gibt es auch gedruckt, ja eigentlich ist jedes Buch, das heute publiziert wird, ein Krimi. Jedes Kuhdorf hält sich mittlerweile einen Autor, der den Ort als Schauplatz ruchloser Verbrechen schildert. Nur ein abgelegener Weiler im Hunsrück soll noch keinen eigenen Regionalkrimi haben, was schwer am Selbstbewusstsein der Bewohner nagt und den Bürgermeister veranlasst hat, den Schriftführer des dortigen Bauernverbands zum Verfassen ländlicher Detektivgeschichten zu zwingen. Die erste Folge („Der Tote im Maishäcksler“) soll demnächst erscheinen. Warum die Deutschen dem Krimigenre verfallen sind, ist sonnenklar. Die Gegenwart ist düster, überall Katastrophen, da sehnt man sich nach der heilen Welt der Kriminalpolizei. Gewiss, auch dort gibt es Kommissare, die missratene Kinder haben, mit ihrer Exfrau streiten und maßlos Rotwein trinken; gern sind sie auch in die Kollegin verliebt, die unglücklich verheiratet ist mit einem Mann, der latent schwul ist und ein Verhältnis mit einer Dragqueen pflegt. Ansonsten aber sind die Dinge geregelt: Jemand wird umgebracht, schlimme Sache, aber der Kommissar stellt die Ordnung wieder her. Manchmal siegt auch das Böse, aber da ist man dann schon in der „Tagesschau“. Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 42-44 14 41 59 20,21 61029 4 190655 803203 72. JAHRGANG / 29. WOCHE / NR. 169 / 3,20 EURO HEARTBREAKING NEWS MORGEN EIN KÖNIG Claus Kleber über seriöse Nachrichten in erschütternden Zeiten Markus Söder steht ganz vorn in Bayerns Thronfolge. Wie konnte das passieren? Medien, Seite 42 Buch Zwei, Seite 11 TERROR IM PARADIES Warum man trotz Anschlägen und Ausnahmezustand noch Urlaub machen darf Gesellschaft, Seite 45 Die Welt schaut auf Hillary Clinton Christine Lagarde muss vor Gericht Sie will erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Aber kann die Demokratin Donald Trump, den selbsternannten Retter der Nation, verhindern? IWF-Chefin soll sich wegen einer Millionen-Zahlung verantworten von nicolas richter Cleveland – In amerikanischen Wahlkämpfen geht es manchmal zu wie beim Autohändler: Ab und zu haben die Leute Lust auf ein neues Modell. „Sie wollen den fabrikneuen Geruch“, hat US-Präsident Barack Obama einmal gesagt. Für die Demokratin Hillary Clinton, die sich im Herbst für das Weiße Haus bewirbt, ist das ein Problem: Sie ist zu lange im Geschäft, um als fabrikneu durchzugehen. Beim Parteitag der Demokraten kommende Woche in Philadelphia wird sie also dafür werben müssen, dass das Solide und Bewährte manchmal einfach am besten ist. Und sie dürfte eindringlich warnen vor dem feuerroten Cabrio, das ihr republikanischer Rivale Donald Trump den Wählern anpreist – dieses Cabrio besitzt bei genauem Hinsehen nämlich nur drei Räder und kann jederzeit durch die Leitplanke rauschen. Trump hat die USA in seiner Rede beim republikanischen Parteitag am Donnerstag als Chaoszone beschrieben, durchsetzt von Gewaltverbrechern, belagert von Terroristen, geplündert von China. Trump, der im gesamten Vorwahlkampf auf Beleidigungen und düstere Drohungen gesetzt hatte, stilisierte sich zum Erlöser. Das Land brauche dringend Wandel, und er, nur er, könne dafür sorgen. Trump suggerierte, dass seine Stärke ausreiche, um Amerika zu retten. Er nannte allerdings keinerlei Einzelheiten. Das Kontrastprogramm folgt nun in der kommenden Woche: Die Demokraten werden Clinton zur Kandidatin ausrufen und voraussichtlich drei Unterschiede zu Trump herausarbeiten. Erstens werden sie darauf hinweisen, dass es Amerika viel besser gehe, als es Trump behauptet. Zweitens werden sie dafür plädieren, dass un- Manchmal kommen die Dinge zufällig ans Tageslicht. So wie im Fall eines Kunden des von BMW und dem Autovermieter Sixt gemeinsam betriebenen Car-Sharing-Anbieters Drive Now, der einen Radfahrer überfahren und getötet hatte. Ende Mai wurde er wegen fahrlässiger Tötung zu 33 Monaten Haft verurteilt. Vielleicht wäre er nie der Tat überführt worden, wenn das Kölner Landgericht nicht die gespeicherten Daten aus dem Auto angefordert hätte, aus denen es dann ein sogenanntes Bewegungsprofil über den Mann und seine Fahrt erstellen ließ. Der Fall ist aufgeklärt, der Mann verurteilt. Aber die Hintergründe des Gerichtsverfahrens entfachen nun Diskussionen. Dass Autohersteller Daten ihrer Kunden speichern können, dass sie in Zeiten digital vernetzter Fahrzeuge wissen könnten, wer wann wohin gefahren ist – zu befürchten war das schon lange. Jetzt aber fragen sich viele: Kann es sein, dass mich mein eigenes, vernetztes Auto ausspioniert und am Ende sogar verrät? DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche ruhige Zeiten wie diese nach Kompetenz und Ernsthaftigkeit verlangten, über die Hillary im Gegensatz zu Trump verfüge. Und drittens dürfte Clinton darauf hinweisen, wie lange sie sich schon in diversen Ämtern für das Wohl ihrer Landsleute einsetze, während Trump immer nur an seinen eigenen Vorteil gedacht habe. Clintons Problem ist es, dass all dies zwar stimmen mag, leider aber nicht sehr aufregend klingt. Die Geschichte des Jahres hat Donald Trump geschrieben: Er hat als Außenseiter die republikanische Partei erobert und einen neuen politischen Stil geprägt. Natürlich verkörpert auch Clinton etwas Neues: Sie ist die erste Frau, die von einer der großen Parteien nominiert wird, und könnte die erste Präsiden- tin werden. Aber dieses Neuartige verblasst oft, weil Clinton eben schon so lange im Geschäft ist. Sie hat die politische Bühne nicht verlassen, seit sie Anfang der Neunzigerjahre First Lady wurde. Sie kann nicht einmal Wandel im Weißen Haus versprechen: Die Politik Obamas will sie weitgehend fortsetzen, allenfalls in der Außenpolitik ist sie ein bisschen interventionistischer als er. Sie wird über Obama schon deshalb kein böses Wort verlieren, weil sie seine Koalition aus Jungen, Frauen, Schwarzen und Latinos braucht. Clinton muss also darauf hoffen, dass die Wähler in diesem Jahr auf das neue Auto verzichten und sich für eine weitere Amtszeit mit dem alten begnügen. Das Land ist in einem ordentlichen Zustand, Das Duell – Clinton gegen Trump Durchschnitt der US-Meinungsumfragen seit Juli 2015; Angaben in Prozent 52 Hillary Clinton 50 48 46 44 42 40 Donald Trump 38 36 34 0 SZ-Grafik; Quelle: realclearpolitics.com; Fotos: Reuters, AP Juli 2015 Oktober Januar 2016 April Juli Kronzeuge an Bord Auto- und Carsharing-Firmen sammeln brisante Daten über ihre Kunden. Ein BMW-Fahrer wurde böse überrascht Datenschützer sind alarmiert. „Das Problem ist: Es ist nicht bekannt, welche Daten am Ende von welchen Autos gespeichert werden“, sagt Daniela Mielchen, Fachanwältin für Verkehrsrecht: „Allerdings wissen wir, dass BMW mit seinen vernetzten Connected-Drive-Modellen schon sehr weit ist. Sie können Bewegungsprofile erstellen, sie dürfen es aber eigentlich nicht.“ Im Fall von BMW und Drive Now seien die Grenzen klar gezogen, sagt ein BMWSprecher. In den Autos der CarsharingFlotte stecke ein sogenanntes CSM-Modul, das Informationen über die Fahrten sammelt. Dieses Modul ist Teil des Geschäftsmodells; es soll Zeiten, Start- und Endpunkte der Fahrten erfassen, um am Ende die Rechnung für die Fahrt ausstellen oder Kundenbeschwerden nachgehen zu können. Beim Autobauer liegen also alle Daten, die An- und Abfahrt oder den Streckenverlauf betreffen. Der Anbieter Drive Now dagegen behält den Zugriff auf die Vertragsdaten einzelner Kunden. Beide Datensätze dürfen aus Datenschutzgründen nicht zusammengeführt werden. Außer, wie im Fall Köln geschehen, die Herausgabe beider Datensätze wird gerichtlich verfügt, um ein personen- die Arbeitslosigkeit liegt bei fünf Prozent, das Benzin ist billig, und die USA sind in keinen größeren Krieg verwickelt. Obama wünscht sich Clinton ausdrücklich als seine Nachfolgerin, weil sie sein politisches Erbe bewahren wird; am Mittwoch wird er auf dem Parteitag sprechen, er hat Clinton bereits als die qualifizierteste Person gelobt, die sich je für das Weiße Haus beworben hat. Aber Clinton hat auch deutliche Schwächen, die Mehrheit der Amerikaner hält sie nicht für vertrauenswürdig. Die Bundespolizei FBI hat sie jüngst scharf dafür gerügt, dass sie ihre dienstlichen E-Mails als Ministerin auf einem Privatserver speicherte. Clinton ist auch keine besonders begabte Wahlkämpferin, anders als ihrem Mann Bill fällt es ihr schwer, sich als natürlich und charmant zu vermarkten. Wo Trump den öffentlichen Auftritt als Chance begreift, sieht ihn Clinton als Risiko. Schließlich hat ihr Parteirivale Bernie Sanders, der am Montag reden wird, die Stimmung an weiten Teilen der Basis besser erkannt als sie: Mit seiner zornigen Kritik an der Korruptheit des politischen Systems und des globalisierten Freihandels und der Verheißung eines „demokratischen Sozialismus“ begeisterte er junge Wähler, und es ist unklar, ob diese Wähler am Ende Clinton ihre Stimme geben werden. Hillary Clinton begeistert nicht gerade viele Amerikaner, aber ihre große Chance liegt darin, dass Donald Trump ihr Rivale ist. Immerhin haben die Amerikaner eine klare Wahl dazwischen, ob sie eher beruhigt oder aufgepeitscht werden möchten. Im November wird sich zeigen, ob sie noch einmal in Obamas bewährtes Coupé mit dem stumpfen Lack einsteigen, diesmal mit Hillary am Steuer, oder aber in Trumps blitzblankes Cabrio mit dem fehlenden Rad. Seiten 4 und 9 bezogenes Bewegungsprofil anzufertigen. Auch bei dem von Daimler betriebenen Car-Sharing-Dienst Car2go verfüge man „nur über Informationen zu den Anfangs- und Endpunkten einer Kundenfahrt und möglichen Parkstationen zwischendurch“, sagt eine Sprecherin. Allerdings: „Wenn Gerichte mit konkreten Fragen auf uns zukommen, prüfen wir das und geben die Informationen im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung heraus. So viel wie nötig und so wenig wie möglich.“ Technisch geht heute mehr, als viele denken. Ein Auto hat, schätzen Experten, an die 70 Steuerungsgeräte, mit denen Daten ausgelesen werden können. „Es gibt Navigationsgeräte, die können, sogar wenn sie nicht in Betrieb sind, bis zu 3000 Kilometer speichern und so sehr detaillierte Bewegungsprofile liefern“, sagt die Anwältin Mielchen. Sogar Airbags könnten Daten speichern. Die Gefahr bestehe daher, „dass Autohersteller in den kommenden Jahren zu Helfershelfern der Justiz werden“. thomas fromm Paris – Wegen einer Affäre um eine staatliche Millionen-Entschädigung an einen Geschäftsmann wird der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, der Prozess gemacht. Frankreichs Oberster Gerichtshof wies am Freitag den Einspruch Lagardes gegen das Verfahren ab. Die Justiz wirft der 60-Jährigen Nachlässigkeit im Umgang mit öffentlichem Geld vor. In dem Fall geht es um eine staatliche Schadenersatzzahlung von 404 Millionen Euro an den Geschäftsmann Bernard Tapie. Ein von der damaligen Finanzministerin Lagarde angerufenes privates Schiedsgericht hatte Tapie die Entschädigung 2008 nach dem Verkauf von Anteilen des Sportartikelherstellers Adidas zugesprochen. Er hatte der damals noch staatlichen Bank Crédit Lyonnais vorgeworfen, ihn bei dem Verkauf übervorteilt zu haben. Der Schiedsspruch wurde im Februar 2015 für ungültig erklärt. sz Seiten 4 und 9 Berlin bremst EU-Türkei-Gespräche Berlin – Das Vorgehen der türkischen Regierung nach dem Putschversuch behindert aus Sicht der Bundesregierung die Verhandlungen über einen EU-Beitritt des Landes. Es sei derzeit „nicht denkbar, dass neue Verhandlungskapitel geöffnet werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Grundsätzlich stellte er den Beitrittsprozess nicht infrage, betonte aber, dass „rechtsstaatliche Fragen eine ganz entscheidende, zentrale Rolle“ spielten. sz Seite 7 MIT STELLENMARKT Dax ▼ Dow ▶ Euro ▼ Xetra 16.30 h 10138 Punkte N.Y. 16.30 h 18506 Punkte 16.30 h 1,1009 US-$ - 0,18% - 0,06% - 0,0014 DAS WETTER ▲ TAGS 30°/ 13° ▼ NACHTS Im äußersten Norden und Osten Sonne und Wolken. Im Westen und Süden teilweise kräftige Regengüsse. Die Gefahr von lokalen Unwettern ist im Süden am größten. Temperaturen zwischen 22 und 30 Grad. Seite 14 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,90; dkr. 31; £ 3,60; kn 35; SFr. 5,00; czk 115; Ft 1050 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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