SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Leon Werth: 33 Tage Ein Bericht mit einem Vorwort von Antoine de Saint-Exupéry und mit einem Nachwort von Peter Stamm S.Fischer Verlag 19,99 Euro Rezension von Anselm Weidner Mittwoch, 27.07.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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In Friedenszeiten brauchten sie im Auto für die Strecke acht Stunden. In den Flüchtlingsstrom geraten, im Massenexodus auf der Flucht vor den Nazis kommen sie nur mühselig voran, sind sie 33 Tage unterwegs. Gleich nach der Ankunft im rettenden Jura schreibt Werth seinen Bericht von den Ereignissen der vergangenen 33 Tage nieder. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Zitator: Sich fortbewegend wie Blinde, wie zerlumpte Schatten. Fremde für die Bauern mit ihren Karren, für die Städter in ihren Autos, für die militärischen Kolonnen, sind sie allein – gleich Bettlern, die es aufgegeben haben, um Almosen zu bitten. Es ist der Anfang der Auflösung. ... Ich bin zum Flüchtling geworden. Und ich habe keinen Zufluchtsort. Ich bin müde. (S.43) Sprecher: Was wisssen die, die es nicht selbst erlebt haben, vom Leiden, der Fremdheit, der Einsamkeit ,den Ängsten von Flüchtenden, von ihrer Verzweiflung, Mißgunst und Solidarität untereinander, vom Pragmatismus, zuweilen auch Opportunismus, ihrer Entwürdigung, davon, wie es im Inneren von Menschen auf der Flucht aussieht? Was es bedeutet auf der Flucht zu sein, davon berichtet Werth mit erschütternder Ehrlichkeit. Zitator: Ein jammernder Mann um die fünfzig, Arzt aus der Umgebung von Paris, hat seinen Wagen mangels Benzin aufgegeben. Er hat weder Koffer noch Brotbeutel noch Bündel mitgenommen. Es liegt etwas Tröstliches in der Verzeiflung, es besteht darin, sich von allem zu trennen, ganz auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Der Mann ist überhaupt nicht bereit, sein eigenes Elend im Elend aller aufgehen zu lassen. (68) Sprecher: Das auf der Flucht selbst Erlebte, der Alltag, die Begegnungen mit selbstlosen Helfern, mit Opportunisten, Menschen im Kampf um ihre Würde, die kleinen Geschichten, in denen sich die große spiegelt, das ist der Stoff aus dem dies Buch gemacht ist. Nicht umsonst hat der große Historiker Lucien Febvre Léon Werth hoch geschätzt. Ging es dem Begründer der einflußreichen Annales-Schule doch um eine Geschichtsschreibung, die den Alltag der Menschen ernst nimmt – um MicroHistoire. Besonders als Chronist der Gefühle Flüchtender gerät Werth zu wahrer, auch literarischer Größe. Haß und Güte, Gleichgültigkeit und Dankbarkeit, Ablehnung und Zuneigung kommen in allen Mischungen vor. Aber er vermeidet jede Dramatisierung, Heroisierung oder Mythisierung der Menschen auf der Flucht, von Flucht und Überlebenskampf. Selbst in Momenten großer Gefahr, unter Bombenhagel und Heckenschützenfeuer, in Momenten von Panik, klingt Werth's Fluchtbericht geradezu Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT nüchtern bis lakonisch. Allemal geht es ihm nicht um eine politische Eindordnung des Erlebten. Zitator: Im Übrigen erhebe ich hier nicht den Anspruch zu erklären – ich erzähle. ... Ich erzähle, was ich gesehen habe,was ich gefühlt habe. Ich versuche weder eine historische Rekonstruktion noch einen zusammenhängenden und kritischen nachträglichen Bericht über militärische Operationen. (60,61) Sprecher: "33 Tage" ist autobiographisches Tagebuch, Reportage und sozialpsychologische Studie von Menschen auf der Flucht, all das und viel mehr: eine große Erzählung, deren poetischer Sprachfluß sonderbar leicht selbst durch die Schilderung extremer Grenzsituationen trägt. Léon Werth erzählt über Flucht und Krieg, wie es vor und nach ihm kein anderer getan hat. Angesichts der 60 Milllionen Flüchtender weltweit und dessen was in Europa Flüchtlingskrise genannt wird, ein unverändert aktuelles und notwendges Buch – auch 76 Jahre nachdem es geschrieben wurde. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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