SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Josef Formánek: Die Wahrheit sagen Aus dem Tschechischen übersetzt von Martin Roscher Verlag Gekko World 23 Euro Rezension von Christoph Schmälzle Donnerstag, 14. Juli 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Die tschechische Gegenwartsliteratur hat in Deutschland nicht die Präsenz, die sie verdient. Einer ihrer profiliertesten Vertreter, Josef Formánek, hat jetzt selbst die Initiative ergriffen und einen Verlag gegründet, der seine Bücher ins Deutsche übersetzt. Den Auftakt macht sein in Tschechien gefeierter Roman „Die Wahrheit sagen“ – die schonungslos ehrliche Geschichte eines alten Mannes, der sowohl den Nazis als auch den Kommunisten gedient hat. Der Spiegel hatte ausnahmsweise keine Chance: 1969 wollte er die brisante Geschichte des tschechischen SS-Mannes Waldemar Solar erzählen, der nach dem Krieg Karriere bei den Kommunisten machte. Aber Solar lehnte das gut dotierte Angebot ab. Zu groß war seine Angst vor dem tschechischen Geheimdienst. Jahrzehnte später hat Solar es sich anders überlegt. In Aussig an der Elbe trifft er zufällig den Autor und Journalisten Josef Formánek, der sein abenteuerliches Leben zu einem Roman verarbeitet. Das Buch wird in Tschechien 2008 ein großer Erfolg, doch die deutschen Verlage winken ab: kein Interesse an einer Übersetzung. Deshalb gründete Formánek schließlich selbst einen Verlag mit Sitz in Prag: Er heißt Gekko World und publiziert ausschließlich Übersetzungen tschechischer Literatur für den internationalen Markt. Den Auftakt macht die deutsche Ausgabe von Formáneks eigenem Buch über Waldemar Solar. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Der Titel des Romans ist zugleich sein Programm: „Die Wahrheit sagen.“ Gekonnt verbindet Formánek reportagehafte Elemente mit einer vergleichsweise konventionellen historischen Erzählung. Dichterische Freiheit verschafft sich der Autor, indem er den realen Waldemar Solar durch die Kunstfigur Bernhard Mares ersetzt. Auf zwei typographisch strikt getrennten Ebenen rekonstruiert Formánek einerseits Mares’ vielschichtige Vergangenheit und berichtet andererseits von der prekären Symbiose, die ihn für die Dauer des Buchprojekts mit seinem Gesprächspartner verbindet. Mares wird als uneheliches Kind in einer Wiener Straßenbahn geboren und wächst in einem Waisenhaus im tschechischen Trebitsch auf. 1942 meldet er sich freiwillig zur Waffen-SS, die ihm eine Heimat verspricht. Nach Kriegsende dient er der Roten Armee als Übersetzer. Er wird enttarnt und beinahe hingerichtet – und macht trotz allem Karriere in der Kommunistischen Partei in Südmähren. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch in den Westen verbringt er fast zwei Jahrzehnte in tschechischen Gefängnissen. Im Zentrum des Romans steht eine so romantische wie fragwürdige Liebesgeschichte: In einer Außenstelle des Konzentrationslagers Mauthausen verliebt sich Mares in die dort inhaftierte, minderjährige Sophie Rubinstein und zögert keinen Moment, diese Liebe auch körperlich zu vollziehen. Es gelingt Mares, Sophie zu befreien und nach dem Krieg wiederzufinden. Doch nach einer Vergewaltigung durch Angehörige der Roten Armee, die Mares mit ansehen muß, verschiedet sich Sophie mit den Worten: „Es gibt keine Liebe, die ist längst verreckt.“ Sophie heiratet einen anderen. Mares verbringt seine besten Jahre in Haft, hält aber an der Liebe fest. Noch als alter Mann hofft er auf ein Wiedersehen mit Sophie. 1969 wird Mares auf Betreiben des Roten Kreuzes aus dem Gefängnis entlassen und nach Deutschland abgeschoben. Die Zeit zwischen seiner Abschiebung und der Rückkehr ins postkommunistische Tschechien wird im Zeitraffer erzählt, böte aber genug Stoff für ein weiteres Buch: Mares kommt zu unerwartetem Reichtum, wird Wohltäter eines Waisenhauses, findet und verliert die zweite große Liebe. Auf der Suche nach seiner Mutter reist er nach Venezuela, wo ihm klar wird, daß er selbst auch Jude ist. Mares’ vielschichtige Identität spiegelt die für das alte Mitteleuropa typische Mischung der Völker und Kulturen, die jede Form von Nationalismus ad absurdum führt. Wer könnte entscheiden, ob er nun Österreicher, Tscheche oder Deutscher ist? Formáneks Version der in ihrem Kern realen Geschichte führt in moralische Grauzonen: Darf man, soll man beschreiben, wie Mares mit Sophie im KZ intim wird? Schließlich ringt Formánek als Autor selbst mit der Geschichte, die er aufschreiben soll, und macht Mares, dem ehemaligen SS-Mann und KP-Funktionär, moralische Vorhaltungen. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Am Ende zeigt der Autor Mares als vom Schicksal geläuterten, in seinem Lebenswillen ungebrochenen Menschen, dem er große Lebensweisheit zuschreibt. Als es mit Mares’ Gesundheit bergab geht, pflegt Formánek ihn wie einen Familienangehörigen. „Die Wahrheit sagen“ ist ein sperriges, herausforderndes Buch aus einem Prager Verlag, der sicher noch für die eine oder andere Überraschung sorgen wird. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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