SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Jean Echenoz: Die Caprice der Königin
Miniaturen
Hanser Verlag Berlin
144 Seiten
17,90 Euro
Rezension von Susanne von Schenck
Mittwoch, 06. Juli 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Jean Echenoz ist bekannt als eleganter Stilist. Für den Roman "Ich gehe jetzt" wurde der
französische Schriftsteller 1999 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. „14“, sein Buch
über den Ersten Weltkrieg, in dem der vielseitige und stets formvollendete Autor diesen
Krieg auf das persönliche Drama von Zivilisten fokussiert, wurde hochgelobt. Nun ist ein
neues Buch von Jean Echenoz erschienen: „Die Caprice der Königin“. Susanne von
Schenck hat es gelesen.
„Die Caprice der Königin“ ist ein hübscher Titel, der an einen dicken und doch leicht
lesbaren historischen Roman denken lässt. Doch der Eindruck trügt: Jean Echenoz hat
unter diesem Titel sieben, recht unterschiedliche Miniaturen publiziert. Die älteste entstand
bereits 1988, die anderen verfasste er in den vergangenen zehn Jahren und
veröffentlichte sie in verschiedenen Magazinen und Zeitschriften.
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Warum hat Echenoz nun zwischen „14“, seinem Roman über den Ersten Weltkrieg, und
der vor kurzem in Frankreich erschienenen Spionagegeschichte „Envoyée spéciale“ mal
eben ein paar alte Prosastückchen zusammengestellt, mag man sich fragen. Um im
Gespräch zu bleiben?
Keineswegs. Erstens hat der französische Meister des formvollendeten Stils das nicht
nötig. Zweitens verbindet diese scheinbar wahllos zusammengestellten Prosastücke so
etwas wie eine geheime Ordnung, deren verbindendes Element das Thema
Vergänglichkeit ist. Und drittens kann man die sieben Texte als Überlegungen Echenoz’
zur Kunst des Schreibens lesen.
Zum Beispiel die titelgebende Kurzprosa „Die Caprice der Königin“. Raffiniert spielt Jean
Echenoz mit der Erwartungshaltung des Lesers, der sich zunächst vielleicht ein
amouröses Abenteuer vorstellt. Stattdessen beschreibt der Autor ganz präzise eine
Landschaft im nordwestfranzösischen Departement Mayenne. Der Text erinnert an eine
exercice de style, eine Stilübung, in der sein Verfasser zugleich darüber sinniert, welche
Prioritäten man bei der Schilderung einer Landschaft setzen soll.
„Nelson“, ein weiterer Text des Buches, ist eine „Minibiographie“ des ruhmreichen
Admirals von Trafalgar. Wie bereits in seinen biographisch geprägten Romanen über den
Musiker Ravel, den Physiker Tesla und den Läufer Zapotek spielt Echenoz auch hier
unbekümmert mit Fakten und Fiktion. Wenige Seiten genügen ihm, um Horatio Nelson zu
beschreiben. Schauplatz ist ein englisches Landhaus, in dem der Held Mittelpunkt einer
Tischgesellschaft ist, allerdings, so schildert ihn der Autor, „sehr fragil, zerbrechlich, stets
von irgendwelchen Brüchen bedroht“.
Die längste und beste Erzählung, fast ein kleiner Roman, heißt „Hoch- und Tiefbau“ und
führt den Leser in die USA. Eine Tragödie aus dem Jahr 1980 inspirierte den Schriftsteller
zu dieser Geschichte. Hauptfigur ist ein erfolgreicher Ingenieur namens Gluck, der nach
dem Tod seiner Frau die Welt bereist, um Brücken zu besichtigen, nichts anderes.
Echenoz fügt einen kleinen Exkurs ein, in dem er die komplexe Geschichte des
Brückenbaus lässig auf ein paar Seiten zusammenschnurren lässt – ohne sich in
technischen Details zu verlieren. Trocken und mit Tempo erzählt er von Brücken, die
entstehen und vergehen, wie die Menschen, die sie erbauen und benutzen.
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Einige der Miniaturen spielen in der Vergangenheit, andere, wie „Drei Baguettes in Le
Bourget“ hat Echenoz in der Gegenwart angesiedelt. In dem Ich-Erzähler dieser
Geschichte könnte man den Autor selbst vermuten. Wiederholt fährt er mit der Bahn in
den Pariser Vorort Le Bourget, einzig und allein, um dort ein Sandwich zu verzehren.
Zugleich reflektiert er über die Kunst des Schreibens und registriert wie ein Seismograph
Veränderungen, zum Beispiel wie am Kiosk die linke Presse von der rechtsextremen
verdrängt wird. Oder er beobachtet mit leiser Melancholie, wie ein Kino verwahrlost und
eine Kirche herunterkommt.
Alle Geschichten in „Die Caprice der Königin“ hat Hinrich Schmidt -Henkel, inzwischen der
Echenoz-Übersetzer, übertragen. Erneut hat er den leichten und eleganten Ton des
Franzosen wunderbar getroffen, sodass es ein Vergnügen ist, die Geschichten nun auf
Deutsch zu lesen.
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