144 IV. Taylor-Formel und Reihenentwicklungen 32 Das Newton-Verfahren Mit Hilfe der Taylor-Formel entwickeln wir nun ein wichtiges Iterationsverfahren zur Lösung (nichtlinearer) Gleichungen f (x) = 0 . (1) 32.1 Herleitung des Newton-Verfahrens. Es seien I ⊆ R ein offenes Intervall, f ∈ C 1 (I, R) und xn eine Näherung für eine Lösung von (1). Zur Berechnung einer besseren Näherung ersetzt man f durch sein Taylor-Polynom erster Ordnung in xn , d. h. man versucht f (xn ) + f ′ (xn ) (x − xn ) = 0 (2) zu lösen. Für f ′ (xn ) 6= 0 ist dies offenbar möglich; die Lösung xn+1 := xn − f (xn ) f ′ (xn ) (3) wird dann als nächste Näherung verwendet. Geometrisch bedeutet dies, daß die Funktion f durch ihre Tangente in xn ersetzt und deren Schnittpunkt mit der x Achse bestimmt wird. √ 32.2 Beispiel. Für a > 0 und 2 ≤ p ∈ N benutzt man zur Berechnung von p a die Funktion f (x) := xp − a . Als Newton-Verfahren erhält man: xn+1 1 xp − a = xn − n p−1 = p p xn (p − 1) xn + a xp−1 n (4) . Der Fall p = 2 wurde in Satz 4.18 behandelt: Für beliebige Startwerte√ x0 > 0 ist die Folge (xn )n∈N monoton fallend, und sie konvergiert quadratisch gegen a . Analoges gilt auch für p > 2 . 1 wurde in Beispiel 5.2 b) 32.3 Beispiel. Für das Polynom P (x) = 15 x3 + 21 x2 − 10 mit dem Intervallhalbierungsverfahren die Näherung x7 = 0.41406 für eine Nullstelle ermittelt. Das Newton-Verfahren liefert mit diesem Startwert dann x8 x9 x10 x11 = = = = 0, 4142135965 0, 4142135623730967 0, 4142135623730950488016887242138 0, 414213562373095048801688724209698078569671875 , und diese Ziffern sind bereits alle korrekt. Allgemein gilt nun (vgl. [K1], 35.5): 32.4 Theorem (Newton-Verfahren). Es seien I ⊆ R ein Intervall, f ∈ C 2 (I, R) , und es gebe a ∈ I mit f (a) = 0 . Es gelte M := sup | f ′′ (x) | < ∞ und m := inf | f ′(x) | > 0 . Für einen Startwert x∈I x∈I x0 ∈ I und d := | x0 − a | gelte [a − d, a + d] ⊆ I und q := M 2m d < 1. 32 Das Newton-Verfahren 145 a) Dann wird durch (3) rekursiv eine Folge (xn ) mit | xn − a | ≤ d definiert; für n ∈ N0 gilt xn+1 − a = | xn+1 − a | ≤ R a ′′ 1 xn f (t) (a f ′ (xn ) M | xn − a |2 . 2m − t) dt , (5) (6) b) Die Folge (xn ) konvergiert quadratisch gegen a ; a priori- und a posteriori-Abschätzungen | xn − a | ≤ | xn − a | ≤ 2m 2n q , n ∈ N, M 1 M | f (xn ) | ≤ 2m m genauer gelten die 2 | xn − xn−1 | . (7) (8) Formel (5) ergibt sich aus der Taylor-Formel 2. Ordnung mit Integral-Restglied. 32.5 Bemerkungen. a) In der Situation von Theorem 32.4 ist stets f ′ (x) 6= 0 . Daher f ist streng monoton; somit hat f höchstens eine Nullstelle in I und diese ist einfach. Die in Theorem 32.4 vorausgesetzte Existenz einer solchen Nullstelle a ∈ I von f kann oft mit dem Zwischenwertsatz gezeigt werden. b) Ist diese garantiert und f ′ (a) 6= 0 , so konvergiert das Newton-Verfahren quadratisch gegen a , wenn der Startwert x0 bereits nahe genug an a liegt. Einen solchen Startwert kann man sich etwa mit dem Intervallhalbierungsverfahren (vgl. 5.2) verschaffen. Liegt x0 nicht nahe genug an a , so kann das Newton-Verfahren divergieren. c) Theorem 32.4 gilt sinngemäß auch in C oder Rn . Das Hauptproblem ist meist das Auffinden eines geeigneten Startwertes. Für konvexe oder konkave Funktionen gilt: 32.6 Satz. Es sei f ∈ C 2 [a, b] mit f (a) · f (b) < 0 und f ′ (x) · f ′′ (x) 6= 0 für alle x ∈ [a, b] . Für einen Startwert x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) · f ′′ (x0 ) > 0 konvergiert das Newton-Verfahren (3) monoton gegen die eindeutig bestimmte Lösung ξ ∈ [a, b] der Gleichung f (x) = 0 . Beweis. Nach dem Zwischenwertsatz gibt es genau ein ξ ∈ [a, b] mit f (ξ) = 0 . Nun sei f streng monoton wachsend und konvex. Dann liegen Tangenten stets unterhalb des Graphen von f ; aus f (x0 ) > 0 folgt daher induktiv auch f (xn ) > 0 und ξ ≤ xn+1 ≤ xn . Nach Satz 4.14 existiert η := lim xn , und mit n → ∞ in (3) folgt n→∞ f (η) = 0 , also η = ξ . Ab einem Index n0 gilt dann M 2m d < 1 , und man hat quadratische Konvergenz. 32.7 Beispiel. Die Funktion log ist konkav auf (0, ∞) mit Nullstelle ξ = 1 . Das Newton-Verfahren xn+1 := xn − xn log xn konvergiert monoton für Startwerte 0 < x0 < 1 . Für x0 ≥ e jedoch ist x1 < 0 , und das Verfahren bricht zusammen. 146 IV. Taylor-Formel und Reihenentwicklungen 32.8 Bemerkungen. a) Auch im Fall f ′ (a) = 0 hat man oft Konvergenz des Newton-Verfahrens, allerdings keine quadratische. b) Für f (x) = xp , p > 1 und x0 > 0 hat man xn+1 := xn − xpn p xp−1 n = (1 − 1p ) xn , also xn → 0 mit der linearen Konvergenzrate 1 − p1 . c) Ist m die Ordnung der Nullstelle von f , so hat man für das Verfahren xn+1 := xn − m · f (xn ) f ′ (xn ) (9) quadratische Konvergenz. Allerdings ist m i. A. nicht bekannt. 32.9 Beispiele und Bemerkungen. a) Auch komplexe Nullstellen können mit Hilfe des Newton-Verfahrens berechnet werden. Ist etwa P ∈ C[z] ein komplexes Polynom mit deg P ≥ 1 , so konvergiert die Newton-Iteration zn+1 := zn − P (zn ) P ′ (zn ) (10) gegen eine Nullstelle von P , falls der Startwert z0 nahe genug an einer solchen gewählt wurde. Im Fall einfacher Nullstellen kann der Beweis wie der von Theorem 32.4 geführt werden; in der Tat gilt nach (8.12) eine Taylor-Formel 0 = P (a) = P (zn ) + P ′ (zn ) (a − zn ) + P ′′ (zn ) 2 (a − zn )2 + O(| a − zn |3 ) . Man erhält dann wieder quadratische Konvergenz. b) Für das Polynom P (z) := z 5 + z + 1 und den Startwert z0 = 1 + i erhält man z1 z2 z3 z4 z5 = = = = = 0, 89 0, 87068 0, 87693 0, 8774393 0, 877438833123 + + + + + i · 0, 84 i · 0, 75970 i · 0, 74478 i · 0, 74486159 i · 0, 744861766619 , und diese Ziffern sind bereits alle korrekt.
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