Das Ziel der Geschichte

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Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 13.07.2015
9.05 Uhr/B2
AUFNAHME:
STUDIO:
GESCHICHTE
Ab 9. Schuljahr
TITEL:
Das Ziel der Geschichte
Wie sieht´s aus im letzten Akt?
AUTOR/AUTORIN: Julia Devlin
REDAKTION:
Thomas Morawetz
REGIE:
PERSONEN
Sprecherin
Zitator Johannes-Offenbarung
Zuspielungen
Dr. theol. Robert Mucha, LMU/Gasteig, Dr. theol. Matthias
Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor
des Instituts für Zeitgeschichte, München
Besondere Anmerkungen:
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ZITATOR (drohend) (Offenbarung des Johannes, Kap. 14)
Und ich sah eine weiße Wolke. Und auf der Wolke saß einer, der gleich war einem
Menschensohn; der hatte eine goldene Krone auf seinem Haupt und in seiner Hand
eine scharfe Sichel. Und ein andrer Engel kam aus dem Tempel und rief dem, der
auf der Wolke saß, mit großer Stimme zu: Setze deine Sichel an und ernte; denn die
Zeit zu ernten ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist reif geworden. Und der auf
der Wolke saß, setzte seine Sichel an die Erde und die Erde wurde abgeerntet.
SPRECHERIN
Aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 14.
ZITATOR (drohend)
Und ein andrer Engel kam aus dem Tempel im Himmel, der hatte ein scharfes
Winzermesser. Und ein andrer Engel kam vom Altar, der hatte Macht über das Feuer
und rief dem, der das scharfe Messer hatte, mit großer Stimme zu: Setze dein
scharfes Winzermesser an und schneide die Trauben am Weinstock der Erde, denn
seine Beeren sind reif! Und der Engel setzte sein Winzermesser an die Erde und
schnitt die Trauben am Weinstock der Erde und warf sie in die große Kelter des
Zornes Gottes. Und die Kelter wurde draußen vor der Stadt getreten, und das Blut
ging von der Kelter bis an die Zäume der Pferde, tausendsechshundert Stadien weit.
SPRECHERIN
Das letzte Buch der Bibel, die sogenannte Johannes-Apokalypse. In ihr wird ein
Endzeit-Szenario beschrieben, mit drastischen, teils grausigen Bildern.
ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 1
8.09 Der Verfasser der Johannesapokalypse geht einfach davon aus, alles auf dieser
Welt ist einfach schlecht und schlimm, ...
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SPRECHERIN
Der Theologe Dr. Robert Mucha hat sich in seiner Dissertation mit der Apokalypse
beschäftigt.
ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 2
5.52 Also im ganz Kurzen gesagt, das Geschichtsdenken der Apokalyptik ist: Wir
leben in einer Welt, die dem Abgrund entgegen läuft, jeder Tag wird nur noch
schlimmer, und es geht alles stetig bergab, und an dem Punkt, wo es eigentlich nicht
mehr schlimmer kommen kann, da wird das Eingreifen Gottes erwartet, und Gott
greift dann ein durch eine Heilsgestalt, durch einen Messias, durch einen Retter, das
wird an ganz unterschiedlichen Bildern eben auch beschrieben, und dann geht alles
wieder steil nach oben, und dann geht die Gottesherrschaft los. Also im Grunde ein
ganz simples Parabeldenken, also die Parabel verläuft zunächst nach unten und
dann ganz steil nach oben im Reich Gottes.
SPRECHERIN
Die Johannesapokalypse entstand vermutlich am Ende des ersten Jahrhunderts
nach Christus in Kleinasien. Zu dieser Zeit waren die Christen eine unterdrückte
Minderheit im römischen Reich, sie wurden verfolgt, viele erlitten den Märtyrertod. In
solchen Zeiten großer Verunsicherung stellt sich die Frage nach dem Ende und dem
Ziel der Geschichte mit besonderer Dringlichkeit.
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 1
4.22 Ich denke, die Frage nach dem Ende ist so alt wie die Menschheit. Es gibt
natürlich Zeiten, wo diese Frage akuter wird, in Krisen, in Übergangszeiten. Wenn wir
in die Geschichte des Christentums sehen, dann erkennen wir, dass diese Frage
natürlich auch schon von Anfang an eine Rolle gespielt hat, wann kommt Christus
wieder, gibt es den entsprechenden Tag, an dem Christus wieder kommen wird, er
hat ja seine Wiederkunft verheißen, er hat verheißen einen neuen Himmel und eine
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neue Erde. Und da haben sich natürlich Menschen die Frage gestellt, wann dieser
Zeitpunkt sein wird.
SPRECHERIN
So der Theologe Dr. Matthias Pöhlmann. Er ist Beauftragter für Sekten- und
Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 2
12.20 Leitend ist der Gedanke, dass man einen biblischen Endzeitfahrplan
entschlüsseln könne. Das heißt, es tritt also jemand auf, der dann sagt, in der Bibel
sind alle Daten enthalten, und demzufolge kann man die Endzeitereignisse genau in
einer Reihenfolge beobachten und auch ablesen.
SPRECHERIN
Krise trifft auf Endzeitfahrplan. Das kam in der Geschichte häufiger vor. Wie oft
wurde nicht schon das Ende vorhergesagt, als Untergang der gegenwärtigen Welt, in
einem Weltgericht oder einer Katastrophe, und danach ein Neuanfang, eine Zeit des
Friedens. So berechneten Gelehrte des Mittelalters das Weltende für das Jahr 1000,
dann für 1033 - tausend Jahre nach Jesu Kreuzestod. Aber auch in späteren
Jahrhunderten flackerten solche Prophetien auf, damals wie heute oft in religiösen
Splittergruppen.
Musikakzent
SPRECHERIN
Nun ist das Mittelalter und auch die Frühe Neuzeit ja schon eine Weile her.
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Erstaunlicherweise hören aber die Visionen vom letzten Akt der Geschichte, von
einer wie auch immer gearteten Endzeit, nicht mit der Aufklärung auf. Im Gegenteil jetzt nehmen sie eigentlich erst richtig Fahrt auf. Dr. Matthias Pöhlmann:
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 3
6.32 Vor allem im 19. Jahrhundert. Das war sozusagen eine sehr stark apokalyptisch
produktive Zeit. Man muss sich klarmachen, das 19. Jahrhundert ist geprägt von
enormem technischen Fortschritt, große Errungenschaften, Elektrizität, die
Eisenbahn, und gleichzeitig natürlich das Gefühl der inneren Verunsicherung. Wohin
führt uns auch die Technikfaszination, die Begeisterung, der Fortschritt, kann es nicht
sein, dass uns die Technik am Ende dann auch in große Bedrängnis bringen wird?
SPRECHERIN
So ist gerade diese Zeit des technischen und naturwissenschaftlichen Aufbruchs
auch eine Zeit, in der Endzeiterwartungen Hochkonjunktur hatten.
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 4
7.48 Im 19. Jahrhundert sind eine Reihe von verschiedenen endzeitlich
ausgerichteten Gemeinschaften, oder Sekten, wie man auch sagte, entstanden, z. B.
der sogenannte Adventismus. Advent heißt ja Ankunft, also Gemeinschaften, die
sehr stark mit dem nahen Ende oder mit der Wiederkunft Jesu Christi gerechnet
haben. Daraus hervorgegangen sind auch die "Ernsten Bibelforscher", heute Zeugen
Jehovas genannt, die natürlich einen ganz starken Endzeitfahrplan oder eine starke
Endzeiterwartung haben.
SPRECHERIN
Bei der Erwartung einer Endzeit geht es auch darum, Zeichen lesen zu können, die
auf das Nahen des letzten Stadiums hinweisen.
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Nur Eingeweihte können angeblich diese Zeichen richtig interpretieren. Der Theologe
Robert Mucha steht diesem Zeichenlesen kritisch gegenüber.
ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 3
32.24 Hier ist eben auch nur die Gefahr, wenn man jetzt heute durch die Lande
stapfen würde und jedes Kind, das mit einem Finger mehr geboren wird, oder jeder
rote Regen, der von Eisenoxidwolken daherregnet, wenn man das alles gleich als
Wunder oder als Zeichen versteht, kommt man natürlich auch auf dieses Drama. Und
da ist eben die Gefahr Missinterpretation zu betreiben.
MUSIKAKZENT
SPRECHERIN
Traditionell waren die Endzeitvorstellungen religiös geprägt. In der Zeit nach der
Aufklärung kommt aber ein ganz neues Element dazu. Die Vorstellungen vom letzten
Akt nehmen eine weltliche Prägung an. Sie sind nun eher Ausdruck…
ZUSPIELUNG O-Ton Wirsching 1
5.08 eines neuen Umgangs mit der diesseitigen Welt und der Realität seit der Mitte
des 18. Jahrhunderts. Also es ist ja auch häufig gesagt worden, dass sich die
Zeitwahrnehmung, die Zeitvorstellung, mit dem Beginn der Neuesten Zeit ändert,
insofern als man beginnt zu glauben und dann auch konkrete Bemühungen
unternimmt, dass die Wirklichkeit rational planbar, auch veränderbar ist. ...
5.40 Und da spielt natürlich die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt ...schon eine
wichtige Rolle. Und dann über die Idee einer Herstellung einer gerechteren Welt
auch die Vorstellung man könnte gewissermaßen aus der Zeit aussteigen und hat so
ein zeitloses Phänomen vor sich, eine zeitlos funktionierende Gesellschaft.
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SPRECHERIN
Professor Andreas Wirsching ist Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München.
Er beschäftigt sich mit Utopieverlust und Enttäuschung. Für ihn hat sich in den
Endzeitvorstellungen seit dem 18. Jahrhundert etwas grundsätzlich verändert. Der
Grund dafür ist die Säkularisierung, der Prozess der Verweltlichung, ausgelöst durch
Humanismus und Aufklärung. Durch ihn wird die Bedeutung der Religion
zurückgedrängt und die menschliche Vernunft zum Maß aller Dinge erhoben.
ZUSPIELUNG O-Ton Wirsching 2
9.35 Dass also die Tendenz zur Verdiesseitigung der Weltvorstellung zur
Konsequenz hat, wir können auch diesseits rationaler an die Welt rangehen und
nach menschlichen Vorstellungen die Welt gestalten. Und das ist der Prozess des
18. Jahrhunderts.
SPRECHERIN
Die Menschen warten nun nicht mehr nur passiv auf Veränderungen. Sie greifen
vielmehr selbst aktiv in Prozesse ein, um sie zu verändern, ja mehr noch, um
möglichst einen Idealzustand zu erreichen.
ZUSPIELUNG O-Ton Wirsching 3
12.26 Da spielen eben keine metaphysischen Letztbegründungen, keine Götter und
keine Schicksale ...mehr eine Rolle, sondern das ist Menschenwerk. Menschenwerk
for the better or for the worse, sozusagen.
SPRECHERIN
Leider häufig for the worse, wie sich im 20. Jahrhundert zeigen sollte.
Das Paradies auf Erden zu schaffen, die Endzeit nach eigenen Vorstellungen
herbeizuführen, das scheiterte mitunter entsetzlich.
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ZUSPIELUNG O-Ton Wirsching 4
12.50 Diese Idee einer Entwicklungsgeschichte, die auch menschlichen
Steuerungsmöglichkeiten unterliegt, die liegt den ideologischen Großutopien des 20.
und teilweise auch 19. Jahrhunderts zugrunde. Die Idee ist ja, dass der Mensch aktiv
in alle Bereiche der Gesellschaft und Politik eingreifen und sie eben verändern kann,
unter Verfolgung quasi naturgesetzlicher Entwicklungslinien,.. dass man, wenn man
nur die Naturgesetze, die Quasi-Naturgesetze der politischen und gesellschaftlichen
Entwicklung kennt, dann kann man sie auch fördern, und entsprechend beeinflussen.
13.41 Und das ist natürlich im Marxismus etwa ist das ein ganz wichtiges Element.
Aber auch später dann, wenn man an völkisches Ideengut denkt, Rassismus etwa,
der ganz stark mit quasi naturgesetzlichen Vorstellungen argumentiert.
SPRECHERIN
In den beiden beherrschenden Ideologien des 20. Jahrhunderts, dem Kommunismus
und dem Nationalsozialismus, spielten Endzeitvorstellungen eine große Rolle. Beide
Ideologien waren stark auf die Zukunft ausgerichtet. Sie strebten die Überwindung
der Gegenwart mit ihren Mängeln an und wollten eine neue Zeit anbrechen lassen,
oft nach einem apokalyptischen Erlösungsszenario.
Musikakzent
SPRECHERIN
Karl Marx prophezeite in seinem "Kommunistischen Manifest" ein Zukunftsreich, in
dem kein Privateigentum und keine Klassenunterschiede mehr existierten, in dem
der Mensch keine entfremdete Arbeit mehr leisten müsste, in dem keine Kriege mehr
geführt würden, weil globaler Reichtum herrschte. Ein Leben in Frieden und Freiheit.
Doch auf dem Weg dorthin hieß es: Klassenkampf, Diktatur des Proletariats. Der
Feind musste vernichtet werden. Eine typisch dualistische Denkweise: Das Gute und
das Böse, das Licht und die Finsternis, ringen miteinander.
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Auch das ist bereits bekannt aus der Apokalypse. Bei Marx heißt Gut und Böse:
Revolutionär und Reaktionär, Proletarier und Kapitalist.
Musikakzent
SPRECHERIN
Auch bei den Nationalsozialisten herrschte ein dualistisches Endzeitdenken. Hier
hieß es aber nicht: Klassenkampf, sondern Rassenkampf - zwischen Ariern und
Juden oder anderen als minderwertig betrachteten Menschen, sogenannten
"Volksfremden". Hitler strebte so ein klassenloses großgermanisches Reich von
Volksgenossen an, in dem alle Gegensätze aufgehoben sein würden. Aber erst,
nachdem in einem apokalyptischen blutigen letzten Gefecht alle Feinde
niedergerungen, alle nach rassischen Vorstellungen unerwünschten Elemente
ausgemerzt waren.
Musikakzent
SPRECHERIN
So finden sich im Kommunismus und im Nationalsozialismus Vorstellungen einer
Heilsgeschichte wieder - in säkularisierter Form: Hinarbeiten auf die Zukunft mit
ihrem Versprechen einer besseren Welt, Endkampf, schließlich Erlösung. Bei den
Kommunisten mit internationalen Ambitionen, bei den Nationalsozialisten nur auf die
eigenen Gruppe bezogen.
ZUSPIELUNG O-Ton Wirsching 5
14.41 Also die Idee, dass die totalitären Ideologien zugleich politische Religionen
gewesen sind, die ist ja schon zeitgenössisch auch formuliert worden. Und ich
glaube, dass da schon was dran ist insofern, als eben so eine Endzeit, so ein
klassenloser Zustand oder eben eine rassenreine Herrschaft der Herrenrasse in
Anführungszeichen natürlich alles gesagt, dass der dann so ein Endzustand ist, der
dann auch die Geschichte stilllegt, wo die Geschichte im Sinne dieses
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Entwicklungsprozesses dann eben auch aufhört und in irgendeiner Weise dann ein
neuer, utopischer Zustand erreicht wird. ... 15.24 Das ist ein Ersatz für die
Metaphysik der Religionen, und insofern ist der Begriff politische Religionen ...
durchaus brauchbar.
SPRECHERIN
Säkulare wie religiöse Endzeitvorstellungen haben eine große Gemeinsamkeit. Sie
schaffen in Hinblick auf die Zukunft eine Gemeinschaft in der Gegenwart. Denn nach
dem Endkampf wird es nur für die einen gut ausgehen. Der Theologe Matthias
Pöhlmann:
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 5
7.58 Verbunden mit einem Exklusivismus, wonach klar ist, wer zu der Gemeinschaft
gehört, wird auch zu den Geretteten gehören, 8.36 die Rede ist dann von
Harmaggeddon, der endzeitlichen Entscheidungsschlacht, wo eben dann die
Getreuen Jehovas überleben sollen, während die anderen eben vernichtet werden
oder eben keinen Zugang zum Paradies haben werden.
SPRECHERIN
Und das gilt für jegliche Gruppierung mit Endzeitvorstellung.
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 6
8.40 Damit ist natürlich ganz klar, wenn ich mich zu dieser Gemeinschaft halte und
diese Vorstellung ist bis heute aktuell, dann gehöre ich auch zu den Geretteten. Und
das ist für viele natürlich eine faszinierende Vorstellung, die feste Überzeugung
nämlich, zu einer auserwählten Gemeinschaft zu gehören.
SPRECHERIN
Zu einer auserwählten Gemeinschaft, deren Treue am Schluss belohnt wird, deren
Traum von Gerechtigkeit schließlich erfüllt wird.
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ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 5
24.22 Der Trost resultiert aus dem Gedanken, dass am Ende doch irgendeine Form
von Gerechtigkeit steht. Dass da eben die irdischen Taten in irgendeiner Weise doch
Auswirkungen haben auf so etwas wie eine jenseitige Welt. Und das ist durchaus
etwas, das bis in die heutige Theologie Einzug gefunden hat. Also dass da dieser
Gedanke des Gerichts, der Gedanke von Himmel, von Hölle, auch von Fegefeuer, im
Katholizismus etwa, im Grunde etwas ausdrücken, was die Johannesapokalypse
auch ausdrückt, nämlich einen Ort zu schaffen für die Einen wie auch die Anderen.
Wie das himmlische Jerusalem ein Ort für die Guten ist, und der Feuersee ein Ort für
die Schlechten.
SPRECHERIN
Die Apokalypse, der Traum von der Endzeit ist eine bildmächtige Metapher, die die
Zeiten überdauert hat. Dr. Robert Mucha:
ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 6
22.16 Sehr viele, sehr starke Bilder liefert da die Johannesapokalypse, deswegen ist
sie auch das am meisten abgebildete Buch...22.57 Auch im Film ist es ... etwas, was
extrem häufig vorkommt, also auch Anspielungen auf die Johannesapokalypse, die
man als normaler Mensch so gar nicht verstehen würde. Wenn man mit einem
theologischen Blick auf Filme guckt, ist es ziemlich häufig, dass man da einfach die
Motivik der Siebener-Reihen, des Antagonismus zwischen Gut und Böse, der
Himmlischen Frau in Offenbarung 12, der Hure Babylon, auch diese Vergleiche
zwischen der Hure und der Sternenfrau, die oftmals auch mit Maria konnotiert wird,
23.38 also man muss in München nur auf den Marienplatz gehen, schon hat man ein
apokalyptisches Bild, weil hier Maria auch als die Sternenfrau dargestellt wird.
ZITATOR (Offenbarung des Johannes Kap. 12, 1)
Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet,
und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone mit zwölf goldenen
Sternen.
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SPRECHERIN
Endzeitszenarien sind also allgegenwärtig, nicht auf einzelne Epochen beschränkt.
ZUSPIELUNG O-Ton Mucha 7
13.14 Die Apokalypse hat immer Konjunktur. Das ist das Interessante an dem Buch.
... Eigentlich gibt es ja kein Jahr ohne wirkliche Krisen. Auch wenn man keine Krise
hat, macht man sich ja eine. Wenn man zum Beispiel auf den Jahrtausendwechsel
guckt, da gab´s ja keine Krise, da wurde einfach nur aufgrund dieses
Datumswechsels eine Endzeitstimmung heraufbeschworen, quasi aus dem Nichts
heraus. Oder denken Sie an 2012 mit diesem Maya-Kalender. Gerade in diesen
etwas mystisch und mythisch aufgeladenen Situationen wird immer wieder ... die
Johannesapokalypse rausgeholt, und dann werden die Bilder auch als Folie auf
diese entsprechenden Endzeiterwartungen draufgelegt, und da findet man immer
irgendetwas.
SPRECHERIN
Also selbst in unserer so aufgeklärten Gegenwart kommt es immer wieder zu solch
irrationalen Erwartungen. Trotz aller Wissenschaft und auch
Wissenschaftsgläubigkeit bleiben die Menschen anfällig für geheimnisvolle
Prophezeiungen. Denn die Wissenschaft bietet keine Antwort auf eine der
grundsätzlichsten Fragen der Menschheit, nämlich die nach dem Sinn des Ganzen.
MUSIKAKZENT
SPRECHERIN
Und in dieser Sinnfrage liegt vielleicht der Antrieb aller Endzeitszenarien, so
unterschiedlich sie durch die Jahrhunderte sein mögen. Denn jedem Menschen steht
eine unvermeidliche Apokalypse bevor, und das ist der Tod. Sich seiner eigenen
Sterblichkeit, seiner eigenen Bedrohtheit bewusst zu sein, ist Grundausstattung des
Menschen. Religionen und Mythen antworten auf diese Untergangsängste.
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13
Prägend für die biblische Apokalypse ist aber nicht der schreckliche Untergang,
sondern das hoffnungsvolle Danach. So betont Dr. Matthias Pöhlmann, als er auf die
Johannesapokalypse zu sprechen kommt:
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 8
5.35 … dass dieses Buch eigentlich keine Schreckensbilder entwerfen will, sondern
letztendlich Seelsorge ist für Geängstigte. Man muss sich auch die Zeitumstände
ansehen, wann dieses Buch entstanden ist, es ist die Zeit der Christenverfolgungen.
Es sind akute Fragen, die hier auftauchen. Hat sozusagen die Bedrängnis das letzte
Wort, oder gibt es Hoffnung darüber hinaus? Und da entwickelt der Apokalyptiker
eine Antwort und sagt: Gott hat euch immer begleitet, und er wird euch weiterhin
auch begleiten. ... und da gibt es die schöne Formulierung in Offenbarung 21: Denn
er wird abwischen alle Tränen. Es wird kein Geschrei und keine Angst mehr sein.
Eigentlich ein sehr mutmachendes, tröstendes Bild.
SPRECHERIN
In vielen modernen Untergangsfantasien ist der Trostgedanke allerdings verloren
gegangen. Stattdessen wird nur die Zerstörung betont. Vor allem in Filmen begegnet
man Untergangsszenarien. Kometen, Flutwellen oder Mikroorganismen zerstören die
menschliche Zivilisation oder gar alles Leben auf der Erde.
Solche Visionen kommen der menschlichen Natur entgegen, die negativen
Informationen eine größere Aufmerksamkeit schenkt als positiven. Und die
resultierende Angst lässt sich auch gut als Druckmittel instrumentalisieren, wie es
mitunter Sekten tun.
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 9
13.36 Dass es natürlich Anlass gibt für Furcht, für Verunsicherung, das ist klar, wenn
man sich die Nachrichten ansieht, oder die weltpolitische Lage mit zahlreichen
Krisenherden, aber dass dann eine Art Endzeitfahrplan entwickelt werden kann,
damit wird die Bibel instrumentalisiert und letztendlich missbraucht.
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SPRECHERIN
Der Theologe Dr. Pöhlmann sieht dagegen eine ganz andere Perspektive:
ZUSPIELUNG O-Ton Pöhlmann 10
13.52 Es gibt ja selbst die Stelle im Neuen Testament: Man weiß weder Tag noch
Stunde. Und das ist auch gut so (lacht).
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