Monster in der japanischen Literatur

Manuskript
radioWissen
SENDUNG: 03.11.2015
9.05 Uhr/B2
AUFNAHME:
STUDIO:
Literatur
Ab 8. Schuljahr
TITEL:
Monster in der japanischen Literatur
Von verzauberten Füchsen und Rachegeistern
AUTOR:
Jenny von Sperber
REDAKTION:
Petra Herrmann
REGIE:
Martin Trauner
TECHNIK:
Christiane Gerheuser Kamp
SPRECHER:
Sprecher
Friedrich Schloffer
Sprecherin
Hemma Michel (PS)
Zuspielungen: Dr. Elisabeth Scherer, Japanologin, Uni Düsseldorf
Nicole Fujimoto, Japanologin, LMU München
Prof. Peter Pörtner, Japanologe, LMU München
Besondere Anmerkungen:
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
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2
Geräusch rasender Zug
SPRECHER
In einem Schnellzug der Tokyo-Yokohama-Linie sieht der Zugführer plötzlich eine
unbekannte Bahn direkt auf sich zurasen. Zum Bremsen ist es zu spät. In voller
Fahrt steuert er auf den entgegenkommenden Zug zu.
Geräusch Zugsignal
Musik Hello Night von Zoe Keating (Privat)
Doch es passiert - nichts! Alles, was er später entdeckt, ist ein toter Fuchs
zwischen den Vorderrädern.
Musik Dren is sick Z9400979 006
SPRECHER
Geheimnisvolle Geschichten von Geistern und übernatürlichen Phänomenen
erzählt man sich oft in Japan. Schon in den ersten literarischen Werken des
Landes kommen Geisterwesen und Spukgestalten vor.
Geräusch Fuchsschrei
SPRECHER
Ja sogar bevor die ersten Gespenstergeschichten niedergeschrieben wurden,
wimmelte es in Japan schon von Geistern und Dämonen.
Musik aus
Der Japanologe Peter Pörtner von der Uni München erklärt das mit dem uralten
japanischen Glauben: Dem Shintoismus.
Denn für Shintoisten haben nicht nur Menschen und Tiere, sondern alle
Naturerscheinungen eine Seele.
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Zsp 1: Pörtner
Man kann also sagen, dass ganz am Anfang der japanischen Geschichte, eine
Welt voller Geister stand. Jedes Naturphänomen, Wasser, Bäume, Wolken usw
galten als beseelt und in so fern (x) als Geister.
SPRECHER
Später mischte sich der Shintoismus mit dem Buddhismus. Das beflügelte die
Geisterwelt Japans noch.
Zsp 2: Pörtner
Im Rahmen des Buddhismus sind ja sehr viele Geschichten, die man durchaus als
Geistergeschichten interpretieren kann, überliefert. Und die sind eben schon in
Sammlungen von sogenannten Setsuwa, also in religiösen Erzählungen, im 9., 10.
Jahrhundert entstanden.
SPRECHER
Musik Japanese theater C1461150013
Die vielen irren Figuren, die aus diesen Geschichten entstanden sind und seit dem
durch die Jahrhunderte spuken, nennt man Yokai: Einige sind gruselig mit
verzerrten Gesichtern und zerzausten Haaren, die ein Eigenleben führen. Andere
sind eher lustig mit Stielaugen oder dicken Bäuchen. Wieder andere scheinen wie
erotische Phantasien. Abbilder von Yokai entdeckt man in Japan überall – auch
heute noch.
Musik aus
Wer ein paar von Japans Geistern kennenlernt, erfährt dabei erstaunlich viel über
das fernöstliche Land.
Musikakzent Typhon CD881050004
Musik Hisho C1260230004
Geräusch Fuchsschrei
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SPRECHERIN:
Erster Spuk-Steckbrief: die Füchse
Ihre Gestalt:
SPRECHER
Fuchsgeister sehen aus wie normale Füchse, können sich aber in alles
verwandeln: Sie nehmen die Gestalt eines Schnellzuges an, ebenso wie die einer
schönen Frau.
SPRECHERIN
Ihr Charakter:
SPRECHER
Fuchsgeister sind sehr schlau und manchmal gemein. Wenn sich ein Mensch im
Wald verläuft, verwandeln sie sich gern in eine alte Frau und weisen dem Verirrten
einen falschen Weg noch tiefer in den Wald hinein.
SPRECHERIN:
Magische Besonderheiten:
Musikakzent Hello Night von Zoe Keating (Privat)
SPRECHER:
Fuchsgeister können Boten der Fruchtbarkeitsgöttin Inari sein. Manchmal sind sie
auch Inari selbst. Sie sind Meister der Verwandlung. Hin und wieder verwandelt
sich einer in ein wunderschönes junges Mädchen und heiratet einen Menschen.
Doch wenn der Mann die wahre Identität seiner Gattin entdeckt, ist die Beziehung
beendet.
Musik Hisho aus
Für Peter Pörtner wird bei den Fuchsgeistern ein typischer Wesenszug
japanischer Geister besonders deutlich: Ihre Unberechenbarkeit durch ständige
Verwandlung.
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Zsp 3 – Pörtner
Das heißt, sie können gut sein, müssen aber nicht gut sein, sie können böse sein,
müssen aber nicht böse sein. Das ist ganz abhängig von der Art, wie man ihnen
begegnet, wie man mit ihnen umgeht, ob man sie zu besänftigen, zu erfreuen
versteht. ((evtl dazu: 7.45) . (x) Es besteht immer die Gefahr, dass sie ihr
Unwesen, Unfug treiben können. Und das versucht man eben zu verhindern.
Durch eine gewisse Freundlichkeit. Ein Entgegenkommen.))
SPRECHER
Wer auf alles gefasst ist, sich vorsichtshalber höflich verhält und die Geister als
Wandelwesen annimmt, dem wird nichts passieren.
Zsp 4 – Pörtner
Da ist eine wichtige Botschaft drin: Dass man im Umgang mit den Geistern das
Unerwartbare erwarten lernt. Ich glaube dass: Ganz prinzipiell in Japan die
Geister, auch die Totenseelen und später die folkloristischen Vorstellungen von
Gespenstern, haben damit zu tun, dass man mit dem Unerwartbaren umzugehen
lernt. Man kann es nicht vermeiden, aber wenn man sich darauf einlässt,
gastfreundlich ist, wird die Gefahr, die sich dahinter vielleicht verbirgt, gebannt.
Das scheint mir die wichtigste Funktion zu sein, dass die Menschen lernen mit
dem nicht Vermeidbaren, ja nicht einmal Erwartbaren auf eine gelassene Weise
umzugehen.
SPRECHER
Dahinter steht sicher auch die alte Erfahrung der Japaner mit einer
unberechenbaren Natur: Die erscheint in Japan mit ihren zarten Kirschblüten und
dem buntem Herbstlaub zwar meistens wunderschön und friedlich. Aber immer
wieder töten Tsunamis, Erdbeben und Taifune viele Menschen und zerstören ihr
Zuhause. Mit dieser Unberechenbarkeit muss man in Japan seit jeher leben.
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Dr. Elisabeth Scherer ist Japanologin an der Universität Düsseldorf. Sie sieht in
den vielen Yokai-Geschichten auch den Versuch, Naturkatastrophen zu erklären.
Ganz besonders während der Heian-Zeit („heean“), rund um das Jahr 1000:
Zsp 5: Scherer
In der Heian-Zeit war es so, dass man verschiedene verheerende Augenblicke auf
Geister zurückgeführt hat. Das konnten Erdbeben sein, das konnten
Blitzeinschläge sein oder auch Seuchen, die unter den Menschen kursiert sind.
SPRECHER
Während der Heian-Zeit wimmelte es nur so von Geistern, die ständig Glück und
Unglück der Menschen bestimmten:
Zsp 6: Pörtner
Die Yingyangmeister der Heian-Zeit hatten alle Hände voll zu tun. Jeden Tag
mussten die rausfinden, in welche Richtung der Kaiser – wenn er überhaupt
irgendwohin gegangen ist – gehen durfte, um nicht Unglück oder bösen Geistern
zu begegnen.
Musik Futen God of the wind CD968360 035
SPRECHER
Etwas später tauchten die ersten Bilder von Yokai auf: Meterlange Bildrollen, die
lange Geisterparaden zeigen. Auffällig unter den Dämonen sind die vielen zum
Leben erwachten Haushaltsgegenstände:
Zsp 7 – Pörtner: tsukumogami (6.46)
Ja, das sind zum Beispiel Küchengerätschaften, Kessel, Töpfe Schirme usw. Das
sind nicht irgendwelche Gegenstände! Da wird nicht plötzlich ein Stein lebendig,
sondern das sind Gegenstände, die von Menschen gebraucht wurden. Und diese
Vorstellung, dass der lange Gebrauch im Haushalt – vor allen Dingen bei
Nähnadeln – dass dieser Gebrauch dazu führt, dass diese Gegenstände also
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einen Teil des Lebens dessen, der sie gebraucht hat, annehmen, die ist sehr
verbreitet.
Musik aus
SPRECHERIN
Zweiter Spuk-Steckbrief – Die Tsukumogami
Geräusch Geklapper und Haushaltsgerät-Lärm
Ihre Gestalt:
Musik Dren is sick Z9400979 006
Musik Hello Night von Zoe Keating (Privat)
SPRECHER
Die Tsukumogami sind zum Leben erwachte Haushaltsgegenstände. Es können
Kerzen mit Füßen sein oder Teekessel mit Augen. Häufig sind auch alte
Strohsandalen und Regenschirme dabei.
SPRECHERIN
Ihr Charakter
SPRECHER
Tsukumogami sind eher harmlos. Meist ziehen sie nachts in einer Parade alle
gemeinsam durchs Haus.
SPRECHERIN
Magische Besonderheiten:
Geräusch Geklapper und Haushaltsgerät-Lärm
SPRECHER
Nur Haushaltsgegenstände, die älter als 100 Jahre in Gebrauch sind, können
nachts zum Leben erwachen.
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Musik und Geräusch aus
SPRECHER
Der Gedanke, dass diese Dinge beseelt sein können, deutet wieder auf den alten
Glauben, den Shintoismus hin. Die Tsukumogami sind also vermutlich Geister mit
Vorfahren aus der ganz frühen Geschichte Japans.
Zsp 8: Pörtner
Was sich im Gespensterglauben der Japaner zeigt, ist eine bestimmte Beziehung
zu den Dingen. Weil sie Dinge irgendwie als belebt erfahren. Solche Geschichten,
dass Gerätschaften plötzlich lebendig werden, die findet man schon in den frühen
Setsuwa. ((Allerdings, dass man sich systematisch mit den Gespenstern
auseinandergesetzt hat, ihnen Namen gegeben hat und dass Bildrollen
entstanden sind, wo man sieht, wie 100 Gespenster in der Nacht ihr Unwesen
treiben, das ist erst später entstanden, so seit dem 14. Jh und hat sich dann in
verschiedene Richtungen ausgeprägt.))
SPRECHER
Einen regelrechten Boom erlebten die Yokai in der Edo-Zeit. Das war eine lange
Friedensperiode in Japan zwischen 1603 und 1868. Elisabeth Scherer:
Zsp 9: Scherer Edo-Geister-Boom (14.12)
Zu dieser Edo-Zeit waren die ein ganz wichtiger Teil der bürgerlichen Kultur. Die
Kultur hat sehr floriert in dieser Friedenszeit. Viele japanische Künste haben sich
damals entwickelt. Zum Beispiel das Kabuki-Theater oder der Farbholzschnitt.
Verschiedene Künste haben sich entwickelt und in dieser Zeit haben auch die
Geister und Ungeheuer eine besondere Blüte erfahren und wurden ein Teil der
Populärkultur. (Das heißt nicht, dass sie nicht auch unheimlich gewesen wären.
Das hat sich da stark gemischt. Es gab humoristische kleine Heftchen, in denen
lustige Dinge mit den Monstern passiert sind. Es gab auch Geschichten, die sehr
unheimlich waren. Es gab erotische Geschichten mit diesen Ungeheuern, also das
war ne unglaubliche Vielfalt.)
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SPRECHER
Die Spukgestalten der Edo-Zeit sind das Fachgebiet von Nicole Fujimoto von der
Uni München. An Quellen mangelt es ihr nicht: Aus dieser Zeit stammen nämlich
die unterschiedlichsten Schriften über Geister, Bilder, Theaterstücke und sogar
regelrechte Enzyklopädien:
Zsp 10: Fujimoto, Sekien (05.00)
Einen großen Anteil dieser Popularität hat sicher auch Toriyama Sekien. Das war
eigentlich ein Maler, der angefangen hat mit Yokai-Heften, man muss fast sagen
Yokai-Kataloge, da sind über hundert Figuren drin enthalten. ((Er hat erst nur ein
Buch (x) herausgegeben und die wurden dann so (x) populär und wurden auch so
gut verkauft, dass er dann insgesamt fünf von diesen Bänden geschrieben hat.))
Und da hatten die Yokai plötzlich alle einen Namen, man kannte sie und konnte
sich über sie unterhalten. Es gab immer eine kurze Beschreibung dieser Figuren.
(x) Und all das, was lange schon im Volksglauben in ganz unterschiedlichen
Regionen in Japan vorhanden war, hatte dann plötzlich einen Namen und ein Bild,
das man zuordnen konnte.
(1776, „nächtlicher Zug der hundert Dämonen“)
SPRECHER
Noch heute orientieren sich Comiczeichner und Zeichentrick-Filmemacher am
„nächtlichen Zug der hundert Dämonen“, dem Yokai-Katalog von Toriyama Sekien
aus dem 18. Jahrhundert.
Einer der berühmtesten und bis heute beliebtesten Yokai ist dabei der Kappa.
Auch der wurde in der Monster-Enzyklopädie von Sekien standardisiert:
SPRECHERIN
Dritter Spuk-Steckbrief: Der Kappa
Musik Dren is sick Z9400979 006
Musik Typhoon CD881050 004
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Seine Gestalt:
Zsp 11: Scherer.
Ein Kappa ist ein Wasserwesen und eine Mischung zwischen einer Schildkröte
und einem menschenähnlichen Wesen, er lebt im Wasser, hat einen Panzer und
hat Schwimmhäute zwischen den Händen und Füßen und häufig hat er auch so
ne Art Schnabel. Das Besondere an ihm ist, dass er auf dem Kopf eine Vertiefung
hat, in der sich eine Flüssigkeit befindet und das ist seine Lebensenergie.
SPRECHERIN
Sein Charakter:
Musiken aus
Musik Scherer The Fire (Privat)
SPRECHER
Die traditionellen Kappa sind grausam. Sie leben im dunklen Wasser und ziehen
schwimmende Kinder oder Pferde in die Tiefe, um ihnen die Seele aus dem
Körper zu reißen.
Sie gelten aber auch als sehr höflich. Wer sie trifft und sich höflich verbeugt, den
grüßt ein Kappa ebenfalls mit Verbeugung. Dabei verliert er die Flüssigkeit in
seiner Kopfmulde und wird geschwächt.
Musik aus
SPRECHER
Regelrechte Berühmtheiten wurden viele Yokai in der Edozeit durch die neu
entstehenden Bildhefte. Sie wurden per Holzdruck in Massen angefertigt, zeigten
vor allem große Bilder und wenig Text. Die Geschichten dieser Bildhefte spielten
häufig in der Welt der Geister und Dämonen.
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Zsp 12
Das waren Hefte, die unheimlich beliebt und populär waren gerade bei den
einfachen Leuten. Die waren günstig zu kaufen (x) darüber hinaus wurden die
auch verliehen und sicherlich von mehreren angeschaut. Das heißt, sie hatten ein
unglaublich breites Publikum. (00.25) Die haben auch sehr viel dazu beigetragen,
dass sehr viele normale Leute auch schon lesen konnten.
SPRECHER
Die frühen Bildhefte wurden wohl vor allem von weniger gebildeten Menschen
angeschaut und gelesen. Die Späteren aber waren voller Witz und subtiler Satire.
Gerade die Geistergeschichten waren häufig eine Form von amüsanter
Gesellschaftskritik. Oft spielten sie in einer abstrusen Parallelwelt, in der das
gesellschaftliche Leben der Edo-Zeit parodiert wurde.
So bekommen in einer Geschichte zwei Langhalsgespenster ein wunderschönes
Menschenkind. Die Eltern sind entsetzt, weil ihr Kind ihnen so gar nicht ähnlich
sieht. Also setzen sie diese Missgeburt im Wald aus und bald wird das schöne
Menschenkind in Schaustellerbuden ausgestellt.
Musik The Fire von Peter Scherer (Privat)
SPRECHERIN
Vierter Spuk-Steckbrief – die Rokurokubi
Geräusch Atmen
Ihre Gestalt:
Musik Hello Night von Zoe Keating (Privat)
SPRECHER
Die Rokurokubi ist ein Langhalsgespenst. Sie gibt sich tagsüber als ganz normale
Frau aus. Nachts jedoch, wenn ihr Körper schläft, fährt sie ihren Hals aus und
schickt ihren Kopf auf Wanderschaft.
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SPRECHERIN
Ihr Charakter:
SPRECHER
Die Rokurokubi kann eine liebende Ehefrau und Mutter in der Geisterwelt sein.
Doch den Menschen jagt sie gerne Angst ein.
Musik aus
Zsp 13: Fujimoto
In den Bildern ist sie deshalb so beliebt gewesen, weil mit dem Hals man ne
ganze Menge darstellen kann. ein Missgeschick: Also sie wickelt ihren Hals
versehentlich um einen Baum. Oder sie hat n Knoten im Hals. Oder ihr Hals wird
zu was ganz anderem, wie zu ner Brücke. (x) Oder sie wird mit ihrem eigenen
Hals gefesselt.
SPRECHER
Nicole Fujimoto sieht in den Yokai der Edozeit zwar einerseits leichte
Unterhaltung, aber auch moralische Hinweise. Die Yokai machen auf Missstände
in der Gesellschaft aufmerksam. Ihre unberechenbare Existenz warnt die
Menschen auch davor, sich unmoralisch zu verhalten. Der Besuch von
Prostituierten zum Beispiel könnte ein versehentlicher Abstecher in die
Geisterwelt sein.
Zsp 14: Fujimoto
Es hieß, dass die Grenze zwischen Mensch und Yokai relativ dünn ist und es
schien, dass die Freier, die sich mit Prostituierten vergnügten, hatten vielleicht ein
schlechtes Gewissen, zumindest aber eine große Angst hatten, dass die Frau
neben ihnen dann plötzlich in der Nacht den Hals verlängern könnte und ein Yokai
ist.
Musik, Titelmusik gegege no Kitaro
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SPRECHER
Und heute?
Wimmelt es in Japan auch heute noch von irren Spuk- und Wandelwesen, wie
damals?
Musik aus
Nicole Fujimoto ist überzeugt davon:
Zsp 15: Fujimoto
Also die unheimlichen Wesen, die wir ja schon lange in Japan kennen, leben auch
heute weiter. Man kann aber sagen, dass sie sich über die Zeit immer wieder
gewandelt haben und mit neuen Bedeutungen aufgeladen worden sind. Also zum
Beispiel der Kappa, war früher gefährlich, konnte Menschen ins Wasser ziehen,
konnte Menschen umbringen, indem er ihnen zB die Leber gestohlen hat. Und
heute fungiert der meistens eher als eine Art Umweltbotschafter.
SPRECHER
In dem beliebten Zeichentrick-Film von Kuu, dem kleinen Kappa, kämpft der
Kappa gegen die Umweltzerstörung und sucht nach einem Lebensraum für sich
und seine Artgenossen.
Viele moderne Yokai sind nicht mehr scheußlich-gefährlich, sondern niedlich.
Manchmal kitschig. Sie klimpern als Handy-Anhänger am Telefon oder zieren
Visitenkarten. Sie sind Maskottchen von Unternehmen, von Spielsalons und
Banken oder laufen durch Computerspiele. Die Yokai haben sich wieder mal an
die Zeit angepasst. Bestes Beispiel: Das Totoro.
Musik Dren is sick Z9400979 006
SPRECHERIN
Letzter Spuk-Steckbrief – Das Totoro
Musik tonari no totoro von Azumi Inoue (Privat)
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Seine Gestalt:
SPRECHER
Totoros sind niedliche graue Wuschelwesen mit großen Augen, die in allen
Größen vorkommen.
SPRECHERIN
Ihr Charakter
Musik tonari no totoro von Azumi Inoue (Privat)
SPRECHER
Totoros sind völlig harmlos. Sie leben im Stamm großer alter Bäume, können
fliegen und spielen manchmal Flöte. Sichtbar sind sie nur für Kinder. Erwachsene
bemerken höchstens einen Luftzug, wenn sie vorbeifliegen.
Musik aus
SPRECHER
Peter Pörtner, Nicole Fujimoto und Elisabeth Scherer, den drei Japanologen, sind
bei den modernen Yokai unterschiedliche Aspekte besonders aufgefallen.
Zunächst Elisabeth Scherer:
Zsp 16: Scherer – (25.28)
Die Geister sind eigentlich immer populär geblieben in Japan. Und sie dienen
eigentlich immer auch dafür, bestimmte gesellschaftliche Probleme zu
thematisieren auf eine etwas andere Weise. (x) In den 90er Jahren wurde dieses
Thema gerade wieder sehr populär. Und damals diente es vor allem dazu, auf das
Leben in der Großstadt hinzuweisen, auf Probleme die damit in Zusammenhang
stehen, auch Angst in ner finanziellen und wirtschaftlichen Krise. In Japan war ja
die Wirtschaftsblase geplatzt und die Träume, die damit in Verbindung stehen sind
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vergangen. Und damit stehen die Filme auch in Zusammenhang: Angst vor
Unsicherheit.
SPRECHER
Ein Totoro oder ein kleiner Kappa Kuu sind trotzdem keine Yokai mehr, wie sie
mal waren, findet Nicole Fujimoto:
Zsp 17: Fujimoto 3, (13.00)
Heute ist das Ambivalente nicht mehr so gegeben. Und das Komische sicher auch
nicht. Heute sind Yokai einfach nur niedlich und werden als Maskottchen für
Kreditkarten verwendet. Oder sie sollen in den modernen Horrorfilmen Angst und
Schrecken einjagen. Also, ich kann mir das nicht anschauen.
Musik Ju-On 1 C129481 001
SPRECHER
Vielleicht haben die wandelbaren Yokai der Jahrhunderte vor allem das
gemeinsam: Sie können überraschen und erschrecken. Sie können bewegen und
rühren. Und wenn sie überzeugend dabei sind, bekommen die Betrachter, die
Leser und Zuschauer eine Gänsehaut. Peter Pörtner weist noch auf eine weitere,
skurrile Funktion der Yokai hin: Menschen einen angenehmen Schauer über den
Rücken zu jagen. Deshalb habe man sich die Geschichten schon früher vor allem
im August erzählt hat: Das sind die heißesten Wochen im Jahr.
Musik aus
Zsp 18: Pörtner – Aircon Funktion (11.15)
Die Funktion von Air Conditioning so zu sagen. Das kennen wir ja auch: Wenn
man eine haarsträubende Geschichte hört, entwickelt man eine Art von
Gänsehaut. (Das ist nicht die schlechteste Reaktion auf Schwüle.)
Musik Futen CD968360 035
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SPRECHER
Die japanischen Geister sind Maskottchen, Götterboten, Moralapostel oder AirConditioning. Sie sind Wandelwesen, die sich bis heute weigern, eine konkrete
Form anzunehmen. Sie spuken durch die lange Geschichte Japans und verändern
sich dabei. Nichts bleibt wie es ist. Alles ist im Fluss und verändert sich. Auch das
macht die Yokai so japanisch.
Musik aus
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