Ohne Knete keine Fete - Übersetzer in Bellevue Der Bundespräsident ist ein guter, durch und durch demokratischer Gastgeber. Er empfängt nicht nur gekrönte Häupter, sondern auch – wie am 27. Mai dieses Jahres – ungekrönte Textarbeiter. Da es nur eine englische Königin, aber Tausende Übersetzer gibt, konnten nicht alle physisch vertreten sein. Die Ehrung und Würdigung durch Joachim Gauck gilt jedoch der gesamten Zunft, das hat er nicht nur in seiner fundierten und von aufrichtiger Anerkennung zeugenden Rede deutlich gemacht, sondern auch durch den Vorsitzenden des VdÜs ausrichten lassen. Es ging ihm im Kern darum, „den großen Dank, den die Gesellschaft den Übersetzern schuldet, wenigstens einmal symbolisch zum Ausdruck bringen, und er kann vielleicht ein Schritt weiter auf dem Weg sein, der zur besseren, auch ökonomischen Anerkennung des Dienstes und des Verdienstes der Übersetzer führen mag.“ Zum Ausdruck kam bei diesem Anlass auch, dass der Bundespräsident seinen Gästen offenbar vertraut. Die Sicherheitskontrolle war schnell passiert, niemand schien zu befürchten, dass einer von uns eine Stinkbombe oder ein Kammmesser mit sich führte (von dieser Waffe habe ich erst durch ein Übersichtsplakat im Wächterhäuschen erfahren, ganz nebenbei Weltwissen und Wortschatz erweiternd). So entspannt blieb die Atmosphäre die ganze Zeit über, auch wenn das vielseitige Programm eine Fülle von literaturübersetzerischen Themen und Topoi quer durch Raum und Zeit aufbot, vom Turmbau zu Babel über das Johannesevangelium nach Goethes Faust und das Pfingstwunder bis zum von Erika Fuchs so findig nacherbauten Entenhausen. Das war nicht zuletzt dem Moderator Dennis Scheck zu verdanken, der so heiter wie kundig und diszipliniert durch den Abend führte. Da gab es sogar für Übersetzungsprofis, die mit vielerlei Zungen vertraut sind und für die das Wort so oder so am Anfang von Allem steht, Neues und Überraschendes zu erfahren. Péter Esterházy bekannte freimütig, „ungarische Ohren“ zu haben, sodass die deutsche Sprache, die er „fließend schlecht“ beherrsche, ihn vollkommen kalt lasse. Ein Glück für diesen besonderen Schelm, dass seine Übersetzerin, die Schriftstellerin Terézia Mora, von klein an in beiden Sprachen heimisch ist, auch emotional. Beim Werkstattgespräch mit Leila Chammaa (Übersetzerin aus dem Arabischen, einem Sprachraum von unübersehbarer Vielfalt), Frank Günther (dem ersten Shakespeare-Gesamtwerk-Übersetzer der Weltgeschichte) und Rosemarie Tietze (die unter anderem Giganten wie Tolstoi und Bitow aus ihrer „Vatersprache“ Russisch überträgt) zeigte sich, wie unterschiedlich die Haltungen und Wege sein können, die zum ersehnten Ziel führen – eine werkgetreue Übersetzung, die alle Freiheiten der Gestaltung nutzt. Rosemarie Tietze plädierte für ein selbstbewusstes Auftreten der Übersetzer, die schließlich eine schöpferische Eigenleistung erbringen, während Frank Günther daran erinnerte, dass Shakespeare, der einen gewaltigen Figurenkosmos erschaffen habe, selbst vollständig hinter seinem Werk zurücktrete (im Gegensatz etwa zu Bertolt Brecht). Angesichts der unzähligen Übersetzungen von europäischen Klassikern wie „Anna Karenina“ wies Leila Chammaa darauf hin, dass Übersetzungen aus dem Arabischen keine vergleichbare Tradition haben, was vielleicht eine unbefangenere Herangehensweise ermögliche. Ganz unbefangen geht auch der Lyriker und Lyrik-Übersetzer Jan Wagner mit seinen Vorlagen um, wie er am Beispiel des Gedichts „Errata“ von Kevin Young, einem Dichter aus Chicago, eindrucksvoll vorführte. Damit bewies auch Wagner, dass größtmögliche Freiheit mit größtmöglicher Treue einhergehen kann: „Nimm diesen Sing“. Die kurzweiligen, dabei durchaus tiefgründigen Vorträge und Diskussionen wurden von einem ebenso abwechslungsreichen musikalischen Programm eingerahmt. Neben der „Übersetzung eines kompositorischen Einfalls“ aus Mozarts „Zauberflöte“ durch Beethoven in zwölf Variationen für Violoncello und Klavier und zwei unterschiedlichen Vertonungen eines Lieds von Heinrich Heine („Sie haben heut Abend Gesellschaft“) durch Sigismund Thalberg und Hugo Wolf trug Frank Heibert (im Hauptberuf Literaturübersetzer), begleitet von seinem Pianisten Christoph Mudrich, zwei frech, aber liebevoll umgetextete Jazzklassiker vor: „I Can't Give You Anything but – Books““ und „Black Coffee“. Die Wirkung dieses schwarzen Kaffees war so anregend, dass viele Übersetzer das so überaus und in jeder – auch leiblichen – Hinsicht gastfreundliche Bellevue erst lange nach Mitternacht verließen. (Patricia Klobusiczky)
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