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Achtsamkeitsbasierte Internet-Intervention bei Zwang:
Untersuchung eines Selbsthilfemanuals
Barbara Cludius (M.Sc. Psychologie)
AG Klinische Neuropsychologie
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Behandlungslücke
 Für psychische Störungen besteht weltweit eine große Behandlungslücke (Kohn et al.,
2004)
- Nur ca. die Hälfte der Betroffenen mit einer Zwangsstörung erhalten eine Therapie (Marques et
al., 2010)
 Beginn einer adäquaten Behandlung bei einer Zwangsstörung liegt im Mittel fast 10
Jahre nach Erkrankungsbeginn (Marques et al., 2010)
 Gründe sind u.a. (Mancebo et al., 2011):
- Keine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) verfügbar oder diese wird von der Krankenkasse
nicht übernommen
- KVT wird von den Patienten als nicht nützlich eingeschätzt oder Exposition offen abgelehnt
- Angst vor Stigmatisierung
Niedrigschwellige und leicht zugängliche Interventionen sind dringend nötig
Selbsthilfe und Therapie über das Internet können eine Alternative darstellen
Selbsthilfe als Alternative
 Selbsthilfe ist mit mittleren bis großen Effektstärken (fast) ähnlich effektiv wie face-toface Behandlungen bei Angst und Depression (Van‘t Hof et al., 2009) und zeigt positive
Effekte bei Zwangsstörung (Moritz et al., 2011, Sarris et al. 2012)
 Selbsthilfe wird von Patienten mit Zwangsstörung häufig genutzt
- Ein Großteil der Betroffenen hat mind. ein Selbsthilfebuch in der Vergangenheit gelesen (Moritz
et al., 2011)
 Die Akzeptanz gegenüber Verfahren, die online zur Verfügung gestellt werden, ist hoch
(Wootton, 2011)
 Am meisten untersuchte Form der Online- und Selbsthilfetherapie ist kognitive
Verhaltenstherapie (Cuijpers et al., 2013; Van‘t Hof et al., 2009)
Achtsamkeit als weitere Möglichkeit
 KVT zählt mit großen Effektstärken (g = 1.39) zu den erfolgreichsten Therapien der
Zwangsstörung (Olantunji et al., 2013)
 Trotzdem beginnt ca. ein Viertel der Patienten trotz Empfehlung keine KVT und weitere
30% brechen die Therapie frühzeitig ab
 Angst vor KVT wird häufig als Grund von den Patienten genannt (Mancebo et al., 2011)
 Achtsamkeitsbasierte Therapie könnte eine Alternative oder Ergänzung zur KVT
darstellen (Fairfax, 2008)
Achtsamkeitsbasierte Therapie
 Achtsamkeit = eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die absichtsvoll ist, sich auf
den gegenwärtigen Moment bezieht und nicht wertend ist (Kabat-Zinn, 2003)
 Achtsamkeitsbasierte Therapien nutzen eine Vielzahl von Meditationstechniken, z.B.
Body Scan oder Sitzmeditation
 Ziel ist es sich auf das „hier und jetzt“ zu fokussieren, um den Auswirkungen von
Stressoren gegen zu wirken
 Das Erlernen von Achtsamkeit soll folgendes bewirken (Kabat-Zinn, 2003):
- Verringerung von Rumination
- Verhinderung einer exzessive Orientierung auf die Zukunft oder Vergangenheit
- Aufbau von flexiblen und adaptiven Coping-Strategien (Kuyken et al., 2010)
 Dies könnten auch Wirkmechanismen bei der Behandlung von Patienten mit
Zwangsstörung sein (Cisler et al.; 2009)
Effekte von achtsamkeitsbasierten Therapien
 Mindfulness Based Stress Reduction (Kabat-Zinn, 1982)
- Zentrale Komponenten sind: Sitzmediation, Hatha-Yoga und Body Scan
 Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT; Segal et al., 2013)
- eine Kombination aus achtsamkeitsbasierter Therapie und kognitiver Verhaltenstherapie
- Wurde als Rückfallprophylaxe bei Depression entwickelt
 Achtsamkeitbasierte Therapien:
- Reduzieren das Risiko eines Rückfalls in eine depressive Episode und weiteren psychischen
Störungen (Piet & Hougaard, 2011, Hofmann et al. 2010)
- Wirken auf akute Symptome von Depression und Angst (Hofmann et al., 2010; Strauss et al., 2014)
- Führen zu einer Verbesserung auf der Subskala „Zwang“ der Symptom Checkliste 90-R bei
Patienten mit Panikstörung oder generalisierter Angststörung (Kim et al., 2009)
- Reduzierten Symptome einer Zwangsstörung bei Teilnehmern mit subklinischen Zwängen im
Vergleich zu einer Warte-Kontrollgruppe (Hanstede et al., 2008)
Methode und Hypothesen: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
Studienübersicht:
 Achtsamkeitsbasierte Therapie wurde mit progressiver Muskelrelaxation verglichen (=
aktive Kontrollgruppe)
 Beide Interventionen wurden in Form eines Selbsthilfemanuals online vorgegeben
 Teilnehmer waren Patienten mit Zwangsstörung
 Annahme:
- Es wurde ein stärkere Symptomreduktion bei Patienten erwartet, die das achtsamkeitsbasierte
Manual erhalten hatten
- Die Akzeptanz und Anwendbarkeit des Manuals sollte zusätzlich überprüft werden
Methode: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
 Teilnehmer wurden über das Internet rekrutiert
- 87 Personen mit Zwangsstörung
 Paranoia-Obsession-Depression Scale
- Depression: Allgemeine Depressionsskala (Hautzinger & Brähler, 1993)
- Zwangssymptome: Obsessive-Compulsive Inventory-Revised (Foa et al., 2002)
 Selbsthilfemanuale: Achtsamkeitsbasiertes Manual vs. Progressive Muskelrelaxation
(PMR) Manual
- Manual erklärt Hintergrund der jeweiligen Methode
- Übungen werden vorgegeben und mit Audio-Dateien begleitet
 Manual wurde am Ende der Umfrage randomisiert zur Verfügung gestellt
 Posterhebung fand sechs Wochen später statt
Methode: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
Achtsamkeitsmanual
Methode: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
Beispiel: Atemübung (Achtsamkeitsmanual)
Ergebnisse: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
Subjektive Bewertung der Interventionen („stimme etwas“ bis „stimme vollkommen zu“)
Gruppe
Item
MF
(n=17)
PMR
(n=15)
Statistics
100%
100%
χ2(2) = 0.02, p = .99
100%
100%
χ2(2) = 1.16, p = .56
100%
100%
χ2 (2) = 2.20, p = .33
65%
67%
χ2 (2) = 1.24, p = .74
Ich musste mich überwinden, die Übungen regelmäßig
anzuwenden.
88%
87%
χ2 (2) = 2.77, p = .44
Ich halte das Training eher im Rahmen einer
Psychotherapie für anwendbar.
47%
47%
χ2 (2) = 2.34, p = .50
100%
80%
χ2 (1) = 3.75, p = .053
14.12
(10.12)
9.73
(8.22)
t(30) =1.33, p = .19
Ich finde das Training für die Selbstdurchführung geeignet.
Ich fand das Trainingshandbuch verständlich geschrieben.
Ich habe das Traininghandbuch als nützlich empfunden.
Ich habe es geschafft, die Übungen regelmäßig anzuwenden.
Ich werde die Methode auch in der Zukunft anwenden
Anzahl der Tage, an denen ich geübt habe
Beachte: MF = Mindfulness, PMR = Progressive Muscle Relaxation
Ergebnisse: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
22
20
18
16
14
12
10
Achtsamkeit
Muskelentspannung
Zwang Prä
Zwang Post
Ergebnisse: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
45
40
35
30
25
20
15
Achtsamkeit
Muskelentspannung
Depression Prä
Depression Post
Diskussion und Ausblick: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
 Achtsamkeit und PMR als Selbsthilfeintervention führen nicht zu unterschiedlichen
Veränderungen in depressiver oder Zwangssymptomatik
 Patienten mit Zwangsstörung profitieren (im Bezug auf Zwangssymptomatik sowie
depressive Symptomatik) von keiner der beiden Interventionen
 Möglicherweise ist Therapeutenkontakt notwendig, um Achtsamkeit erlernen zu können
(vgl. z.B. Ly et al., 2014)
- Trotz vieler Selbsthilfebücher im Bereich Achtsamkeit (z.B. Kabat-Zinn, 2013) basierten frühere
Studien zu Achtsamkeit ausschließlich auf Interventionen mit Therapeutenkontakt
- Die Hälfte der Teilnehmer gab an, dass sie die Intervention hilfreicher in Kombination mit
Psychotherapie gefunden hätte
Diskussion und Ausblick: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
 Möglicherweise ist ein längerer Interventionszeitraum notwendig
- MBSR oder MBCT Kurse dauern meist 8 Wochen, während unser Interventionszeitraum nur 6
Wochen lang
- Möglicherweise ist ein längerer Zeitraum notwendig, um das Konzept der Achtsamkeit zu
verstehen und zu verinnerlichen
- Allerdings gab es keinen Zusammenhang zwischen Anzahl der Übungstage und der
Symptomreduktion
- Vermutlich führt also weiteres Üben allein nicht zu einer Symptomreduktion
- In einer Population von Patienten mit Psychose konnte ein Effekt des Achtsamkeitsmanuals
dagegen gezeigt werden (Cludius et al., in press, Eur Psychiatry)
Diskussion und Ausblick: Achtsamkeit als Selbsthilfe
bei Zwang
 Obwohl geringe Adhärenz ein generelles Problem in Online- und
Selbsthilfeinterventionen ist, sollten zukünftige Studien versuchen diese zu erhöhen
z.B. durch
- regelmäßige Erinnerungen, Therapeuten- oder Peerkontakt (Kelders et al., 2012)
 Patienten profitieren stärker von Online- und Selbsthilfeinterventionen mit
Therapeutenkontakt als reine Selbsthilfe (Herbst et al., 2012)
Fazit: Achtsamkeit als Selbsthilfe über das Internet
bei Zwang
 Alternative und leicht zugängliche Interventionen sind auf Grund der Behandlungslücke
bei der Behandlung der Zwangsstörung notwendig
 Selbsthilfe (über das Internet) kann eine Alternative bieten
 Untersuchungen von reinen Selbsthilfemaßnahmen sollten darauf fokussieren, die
Adhärenz zu steigern
 Weitere Studien sind notwendig, um die Effektivität von Achtsamkeit (als Selbsthilfeoder Onlineintervention) bei Patienten mit Zwangsstörung zu untersuchen
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
Name of exercise
Description of exercise
Short breathing meditation *
A 3-minute exercise bringing awareness to the process of one's own breathing. Can
be performed in a lying or sitting position.
Body Scan *
Classical 20-minute mindfulness exercise in which the focus of attention is directed
through around the body in a supine position.
Short Body scan *
Similar to the body scan, but shorter and in a sitting position.
Inner Smile Meditation *
Instructions for a "slight inner smile".
Mindfulness in everyday
activities
Invitation to perform routine activities with mindfulness and awareness (e.g. taking a
shower, drinking coffee, walking, eating, brushing teeth).
Slow Down
Exercise in which the speed of daily activities shall be consciously reduced.
S.T.O.P. - Meditation
Pausing to become aware of what one is currently doing and what that feels like. To
decide whether one wants to continue in the same way or not.
Being mindful of needs
Pausing for a conscious perception of the current physical needs (e.g. hunger,
thirst, muscle tensions, uncomfortable posture).
Bean Exercise
Exercise for a more conscious perception of positive experiences in everyday life.
Sensory Circuit Training
Exercise to imagine positive experiences from the past with all five senses.
Eigene Publikationen zu achtsamkeitsbaiserter
Intervention
Cludius, B., Hottenrott, B., Alsleben, H., Peter, U., Schröder, J., & Moritz, S. (2015).
Mindfulness for OCD? No evidence for a direct effect of a self-help treatment approach.
Journal of Obsessive-Compulsive and Related Disorders, 6, 59–65.
doi:10.1016/j.jocrd.2015.05.003
Moritz, S., Cludius, B., Hottenrott, B., Schneider, B. C., Saathoff, K., Kuelz, A. K., &
Gallinat, J. (2015). Mindfulness and relaxation treatment reduce depressive symptoms in
individuals with psychosis. European Psychiatry : The Journal of the Association of
European Psychiatrists. doi:10.1016/j.eurpsy.2015.05.002
Külz, A. K., Landmann, S., Cludius, B., Hottenrott, B., Rose, N., Heidenreich, T., …
Moritz, S. (2014). Mindfulness-based cognitive therapy in obsessive-compulsive disorder:
protocol of a randomized controlled trial. BMC Psychiatry, 14, 1–9. doi:10.1186/s12888014-0314-8