1. Funktionen einer reellen Variablen

1 Woche_17 4 14
1. Funktionen einer reellen Variablen
1.1
Grafische Darstellung im kartesischen Koordinatensystem
Eine Funktion y = f(x) lässt sich als Kurve im rechtwinkligen Koordinatensystem darstellen.
Einfache Änderungen des Funktionsverlaufs / Kurvenbilds der Funktion f(x):
f(-x)
→ spiegele f(x) an y-Achse
- f(x)
→ spiegele f(x) an x-Achse
- f(-x)
→ spiegele f(x) am Koordinatenursprung
f(x-a)
→ verschiebe f(x) um a nach rechts
f(x) + b
→ verschiebe f(x) um b nach oben
Die Funktion f(x) heißt gerade bzw. ungerade wenn f ( x ) = f (− x ) bzw. f ( x ) = − f (− x ) gilt.
Die gerade Funktion ist symmetrisch bzgl. der y-Achse, die ungerade symmetrisch zum
Koordinatenursprung.
Jede Funktion f(x) ist eindeutig als Summe aus einer geraden und einer ungeraden Funktion
darstellbar
f (x) =
1
[f ( x ) + f (− x )] + 1 [f ( x ) − f (− x )] .
2 442443 1
2 442443
1
gerade
ungerade
• Umkehrfunktion, inverse Funktion
Bei eineindeutiger Zuordnung der Elemente des Werte- und des Definitionsbereichs von
y = f ( x ) lässt sich x als Funktion x = g( y) von y auffassen.
x = g( y) ist die Umkehrfunktion von y = f ( x ) , oder die zu y = f ( x ) inverse Funktion.
■
Aus y = e x
wird x = ln y .
Die Logarithmusfunktion x = ln y ist invers zur Exponentialfunktion y = e x . Es gilt
e ln y = y , ln e x = x .
1
■
Im Fall der Funktion y = x 2 entsprechen einem y- zwei unterschiedliche x-Werte.
Die beiden Äste der Parabel sind einzeln invertierbar
y = x2
→ x = y für 0 ≤ x < ∞
y = x2
→ x = − y für - ∞ ≤ x < 0
AUFGABE: Typen elementarer Funktionen wiederholen (z.B. Bronstein, Kap. 2.2)
1.2
Stetigkeit einer Funktion
Die Funktion y = f(x) ist an der Stelle x = a stetig, wenn sie in der Umgebung von x = a sowie
in x = a selbst definiert ist, und wenn der Grenzwert
lim f ( x ) = f (a )
x →a
existiert und gleich dem Funktionswert an der Stelle a ist. Anders ausgedrückt:
∀ ε > 0 ∃ δ(ε) so dass f ( x ) − f (a ) < ε für alle x aus x − a < δ .
Einseitige Stetigkeit. In x = a existieren nur rechts- oder linksseitiger Grenzwert, diese sind
gleich dem Funktionswert:
lim f ( x ) = f (a ) oder
x →a −0
lim f ( x ) = f (a ) .
x →a +0
2
Unstetigkeitsstellen einer Funktion, wie Polstellen, Sprünge usw., können verschiedenen
Ursachen haben, z.B.
→ f(a) nicht definiert,
→ f (a ) ≠ lim f ( x ) ,
x→a
→ lim f ( x ) existiert nicht,
x→a
→ Funktionsverlauf ins Unendliche (Polstellen),
■
Gebrochen rationale Funktion f ( x ) =
p( x )
, p(x) und q(x) Polynome, besitzen
q( x )
Polstellen bei x = a, wenn p(a ) ≠ 0 , q(a ) = 0 . Verschwinden Zähler und Nenner gleichzeitig
bei x = a, muss die Vielfachheit der Nullstelle des Nenners größer als die des Zählers sein.
→ Sprung der Funktion f(x) beim Durchlaufen des Punktes x = a ,
■
lim e
x → a− 0
y=e
1
x −a
1
x −a
besitzt einen unendlicher Sprung an der Stelle x = a, da
= 0 und
lim e
x → a+ 0
1
x −a
=∞.
→ …
Häufig auftretende Arten von Unstetigkeiten vgl. Bronstein, Kap. 2.1.5.3:
3
1.3
Differenzierbarkeit von Funktionen. Ableitung einer Funktion y = f(x)
• Definition und Schreibweise: Ableitung an der Stelle x
y′ ≡
df
f ( x + ε) − f ( x )
,
≡ f ′( x ) = lim
ε→0
ε
dx
vorausgesetzt, der Grenzwert existiert. Anschauliche geometrische Bedeutung der Ableitung:
Der Grenzwert ε → 0 entspricht dem Übergang der Sekanten zwischen den Punkten P1 = (x +
ε, f(x + ε)) und P = (x, f(x)) in die Tangente an die Kurve f(x) im Punkt P. Es gilt
f ' ( x ) = tan α , wobei α der Tangentenneigungswinkel ist.
• Differenzierbarkeit: y = f(x) differenzierbar in x = a genau dann, wenn links- und
rechtsseitiger Grenzwert des Differentialquotienten existieren und einander gleich sind.
Ist y = f(x) an der Stelle x = a differenzierbar, so ist sie dort auch stetig.
Beispiele:
[
]
■
d 3
1
x 3 + 3 x 2 ε + 3 x ε 2 + ε3 − x 3
3
3
x = lim
( x + ε) − x = lim
= 3x2
ε
→
ε
→
0
0
dx
ε
ε
■
⎡ x − ( x + ε) ⎤
d ⎛1⎞
1⎛ 1
1⎞
1
=− 2
− ⎟ = lim ⎢
⎜
⎜ ⎟ = εlim
⎥
dx ⎝ x ⎠ → 0 ε ⎝ x + ε x ⎠ ε → 0 ⎣ ε ( x + ε) x ⎦
x
■
"Produktregel"
d
[f ( x ) g( x )] =
dx
⎤
1⎡
⎢
lim
f ( x + ε ) g ( x + ε) − f ( x ) g ( x + ε) + f ( x ) g ( x + ε) − f ( x ) g ( x ) ⎥
1444442444443
ε→0 ε ⎢
⎥
"nahrhafte Null"
⎣
⎦
d
[f ( x ) g( x )] = d [f ( x )] g( x ) + f ( x ) d [ g( x )]
dx
dx
dx
■
⇒
"Kettenregel"
usw.
4
• Unstetigkeit der Ableitung
■
y = 3 x in x = 0 nicht differenzierbar, da Grenzwert ∞ / Tangente ⊥ zur x-Achse
■
y=e
x −2
⎧e x −2 , x ≥ 2
= ⎨ 2− x
⎩e , x ≤ 2
ist bei x = 2 stetig aber nicht differenzierbar, denn
rechts- und linksseitiger Grenzwert sind verschieden.
⎧ ex e− 2 , x > 2
⎧1
Ableitung: y′ = e e = ⎨ − x 2
, y′(2 ± 0) = ⎨
⎩− 1
⎩− e e , x < 2
x
2
• Ableitung der inversen Funktion
y = f ( x ),
dy
= f ′( x ) ⇔ x = g ( y),
dx
dx
1
=
dy f ′( x )
Merkregel: Differentialquotienten 1. Ordnung sind wie Brüche behandelbar.
■
y = cos x,
dy
= − sin x
dx
0≤ x ≤π
↔
x = arccos y,
dx
1
1
1
=−
=−
=−
2
dy
sin x
1 − cos x
1 − y2
• Ableitungen höherer Ordnung
d dy d 2 y d 2 f
≡ 2 ≡ 2 ≡ f ′′( x ) ≡ f ( 2 ) ( x )
zweite Ableitung y′′ =
dx dx dx
dx
n-te Ableitung f
(n)
dn
(x) = n f (x)
dx
5
1.4
Approximation von Funktionen
• Potenzreihen
In der Physik werden Funktionen f(x) häufig durch Potenzreihen
∞
f (x) = ∑ a n x n
n =0
approximiert.
Ist f(x) beispielsweise die unbekannte Lösung einer gewöhnlichen Differentialgleichung, kann
man zur Lösung einen Potenzreihenansatz versuchen. Lassen sich die konstanten
Koeffizienten an bestimmen und die Reihe konvergiert in einem x-Intervall, so stellt sie dort
die gesuchte Funktion f(x) dar.
Offensichtlich enthalten Reihen gerader (ungerader) Funktionen nur gerade (ungerade)
Potenzen.
∞
1
= ∑ x n , konvergiert für x < 1 (geometrische Reihe)
1− x n =0
■
• Taylor-Reihe für unendlich oft differenzierbare Funktionen f(x)
∞
f (x) = ∑
n =0
∞
1 (n )
f ( n ) (a )
n
f (x)
(x − a ) ≡ ∑
( x − a ) n , n!= n (n − 1)(n − 2) ⋅ ... ⋅1 (n – Fakultät)
=
x
a
n!
n!
n =0
Geometrisch entspricht die Taylor-Reihe der Approximation einer Funktion durch Polynome
ex = 1 + x +
■
∞
x2 x3
xn
+ + ... = ∑
2! 3!
n =0 n!
x2
e = 1 + x + O( x ) = 1 + x +
+ O( x 3 ) usw. sind je nach geforderter Genauigkeit nützliche
2
x
2
Approximationen für x << 1.
6
Weitere Beispiele:
■
∞
x 2 n +1
x3 x5
n
sin x = x − + ... = ∑ (−1)
(2n + 1)!
3! 5!
n =0
■
aus
d
[− ln(1 − x )] = 1 = 1 + x + x 2 + ... folgt
dx
1− x
− ln(1 − x ) = x +
■
x 2 x3
x2 x3 x4
+ + ... bzw. ln(1 + x ) = x − + − ± ...
2
3
2
3
4
⎛
⎞
x3 x5
⎛1+ x ⎞
damit ln ⎜
⎟ = ln(1 + x ) − ln(1 − x ) = 2 ⎜⎜ x + + + ...⎟⎟ usw.
3
5
⎝1− x ⎠
⎝
⎠
Die Entwicklung in eine Taylor-Reihe ist häufig nützlich bei der Bestimmung von
Grenzwerten oder bei der Untersuchung des asymptotischen Verhaltens von Funktionen:
■
lim
⎞
ε2 x 2
eε x − 1
1⎛
= lim ⎜⎜1 + ε x +
+ ... − 1⎟⎟ = x
ε→0 ε
ε
2
⎝
⎠
■
lim
⎛ x2
⎞
x − x 3 / 3! ± ...
sin x
= lim
= lim ⎜⎜1 − ± ...⎟⎟ = 1
x →0
x →0
3!
x
x
⎝
⎠
■
ε→0
x →0
1
1
~ 2
2
1+ x
x
für
x→∞
Durch Entwicklung nach Potenzen von 1/x2 für x >> 1 findet man "genauer"
⎛ ⎛ 1 ⎞4 ⎞
1
1
1
1 ⎛
1
1
⎞ 1
⎜⎜ ⎟ ⎟
=
=
−
+
±
=
+
1
...
O
⎜
⎟
2
⎜⎝ x ⎠ ⎟
1 + x 2 x 2 1 + 1/ x 2 x 2 ⎝ x 2 x 4
⎠ x
⎝
⎠
Beachte: Nicht jede Funktion kann überall in eine Taylor-Reihe entwickelt werden.
■
Beispielsweise ist f ( x ) = e
1
x
an der Stelle x = 0 nicht durch eine Taylor-Reihe
approximierbar, da Funktionswert und Ableitungen beliebiger Ordnung hier divergieren
(wesentliche Singularität).
Fazit: Potenzreihen sind in der Physik nützlich um Funktionen zu approximieren. Wir werden
später sehen, dass sie hilfreich bei der Lösung von Differential- oder Integralgleichungen und
bei der Störungsrechnung sind.
7
■ Beispiel: Relativistische Energie eines Teilchens (A. Einstein, 1905)
m c2
E ( v) = m ( v) c 2 =
v2
1− 2
c
.
Gesucht wird die Reihenentwicklung nach Potenzen von v2/c2 << 1 .
⎛ v2 ⎞
f ( v) = ⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
⎝ c ⎠
−1 / 2
, f (0) = 1
2
⎛ 1 ⎞⎛ v ⎞
f ′( v) = ⎜ − ⎟⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
⎝ 2 ⎠⎝ c ⎠
1 ⎛ v2 ⎞
f ′′( v) = 2 ⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
c ⎝ c ⎠
−3 / 2
−3 / 2
2
⎛ 2v ⎞ v ⎛ v ⎞
⎜ − 2 ⎟ = 2 ⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
⎝ c ⎠ c ⎝ c ⎠
v ⎛ 3 ⎞⎛ v 2 ⎞
+ 2 ⎜ − ⎟⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
c ⎝ 2 ⎠⎝ c ⎠
−5 / 2
−3 / 2
, also f ′(0) = 0
2
⎛ 2v ⎞ 1 ⎛ v ⎞
⎜
⎟
=
−
1
−
⎜ 2⎟
2 ⎜
2 ⎟
⎝ c ⎠ c ⎝ c ⎠
−3 / 2
v2 ⎛ v2 ⎞
+ 3 4 ⎜⎜1 − 2 ⎟⎟
c ⎝ c ⎠
−5 / 2
, also f ′′(0) =
usw. Wir finden
⎛ 1 v2 3 v4
⎞
E = m c 2 ⎜⎜1 +
+
+ ...⎟⎟ =
2
4
8c
⎝ 2c
⎠
■
m
c2
{
Ruheenergie
Masse ↔ Energie
+
m 2
v
2
{
+
nichtrelat. kin . Energie
3 2 v2
mv 2 + ...
8424
c
1
3
( )
1. relat. Korrektur
Anderer Lösungsweg: Betrachte
f ( x ) = (1 + x ) n = 1 + nx +
n (n − 1) 2
x + ... , konvergiert für x < 1 .
2
Für natürliche Zahlen n = 1, 2, … ist das die Binomische Reihe. Die Taylor-Entwicklung
f ( x ) = (1 + x ) n , f (0) = 1
f ′( x ) = n (1 + x ) n −1 , f ′(0) = n
f ′′( x ) = n (n − 1)(1 + x ) n −2 , f ′′(0) = n (n − 1)
zeigt die allgemeinere Gültigkeit. Im vorliegenden Fall ist x = −
⎡ ⎛ v ⎞⎤
⎢1 + ⎜⎜ − 2 ⎟⎟⎥
⎣ ⎝ c ⎠⎦
2
−1 / 2
⎛ 1 ⎞⎛ 1 ⎞
⎜ − ⎟ ⎜ − − 1⎟
⎛ 1 ⎞⎛ v ⎞ ⎝ 2 ⎠⎝ 2 ⎠
= 1 + ⎜ − ⎟ ⎜⎜ − 2 ⎟⎟ +
2!
⎝ 2 ⎠⎝ c ⎠
2
v2
1
, x << 1 , n = − , also
2
c
2
2
⎛ v2 ⎞
v2 3 v4
⎜⎜ − 2 ⎟⎟ + ... = 1 + 2 +
+ ...
2 c 8 c4
⎝ c ⎠
wie oben ( ).
8
1
c2