Falsch verstandene Solidarität mit dem Tessin: Wir wollen kein «vergiftetes Geschenk» Mario Branda, Stadtpräsident Bellinzona Der Bevölkerung in der ganzen Schweiz wird vorgemacht, dass das Tessin eine zweite Strassenröhre braucht und will. Das ist falsch. Was glauben Sie, warum sind die Gemeindepräsidenten von Chiasso, Mendrisio oder Manno wie ich gegen eine 2. Röhre? Warum sind meine Amtskollegen von der CVP und FDP gleicher Meinung wie ich? Unsere Strassen sind bereits heute völlig verstopft mit Autos und Lastwagen. Wir haben enormen täglichen Grenzverkehr, nicht nur den Transitverkehr. Eine zweite Röhre würde uns einen ‚transito infernale‘ bringen, das Tessin in eine Transithölle verwandeln. Wir leben direkt an der Gotthard-Strecke, deshalb sehen wir sehr genau, was da passiert. Was das Tessin will, ist wieder gesündere Luft für seine Kinder. Die Schadstoffe machen uns alle krank. Fast 70 Prozent der Leute im Sottoceneri sind beispielsweise Feinstaubkonzentrationen von über 30 μg/m3 ausgesetzt – der schweizerische Durchschnitt liegt bei zirka 3 Prozent. Mit einer zweiten Tunnelröhre würde das noch viel schlimmer. Im Juni 2016 geht der längste Bahntunnel der Welt auf und wird das Tessin innert kürzester Zeit mit dem Mittelland verbinden. Darauf wartet das Tessin. Die Verbindung Bellinzona – Zürich wird nur eineinhalb Stunden dauern und eröffnet die Gelegenheit, unsere Mobilität zu überdenken. Es wird auch vorgegaukelt, der Sanierungstunnel würde aus Solidarität mit dem Tessin gebaut. Und dass er der wirtschaftlichen Kohäsion dienen werde. Doch obwohl es bis 1980 keinen Tunnel gab, ging es unserer Wirtschaft auch gut. Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Tessin und der übrigen Schweiz hängen nicht nur von einem Strassentunnel ab. Das gilt auch für den Tourismus. Seit 1980 – also der Eröffnung des ersten Strassentunnels – gehen im Tessin die Übernachtungszahlen bei uns zurück. Eine zweite Röhre kann also nicht das Rezept für eine Wiederbelebung des Tourismus sein. Vielmehr würde unsere schöne Landschaft infolge einer zweiten Röhre von Strassen zerstört. Welche Folgen das hat, ist in der Leventina zu sehen. Dort hat der massive Mehrverkehr die Abwanderung der Bevölkerung begünstigt. Würde eine zweite Röhre gebaut, befürchte ich eher Verluste als Gewinne für die Tessiner Wirtschaft. Daher unser Appell: Liebe Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, misstrauen Sie den scheinheiligen Behauptungen der Röhrenbefürworter. Stimmen Sie solidarisch mit dem Tessin und legen ein Nein zur 2. Röhre in die Urne. Wir wollen kein vergiftetes Geschenk. Diese absurde Tunnel-Konstruktion würde Natur und Umwelt wie auch unserer Gesundheit zusetzen. Die Arbeitspendler im Sottoceneri würden zwischen Lugano und Chiasso noch häufiger im Stau stehen als heute. Nein, das will das Tessin nicht. Bern, 12. Januar 2016
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