CB cinebulletin.ch N. 482 | Dezember 2015 | 6 Fr. cinebulletin.ch Neues vom Verband AFAT, der Ticino Film Commission, der Regionalförderung und Koproduktionen mit Italien. Film Studieren an der Ecal Porträt der Filmausbildung in Lausanne. Und wie eine Studentin die Masterausbildung an der ECAL/HEAD erlebt. cinebulletin.ch Das Tessin und die Branche 40 Jahre Cinébulletin Emmanuel Cuénod, ehemaliger Co-Chefredaktor, blickt zurück. Abschluss der Textreihe zum Jubiläum. Amateur Teens von Niklaus Hilber SRF For this is my body de Paule Muret RTS 7 giorni di Rolando Colla RSI Heidi von Alain Gsponer SRF La vanité de Lionel Baier RTS Schellen-Ursli von Xavier Koller SRF, RTR Amnesia von Barbet Schroeder SRF Per una cinematografia svizzera di successo Per ina cinematografia da success en Svizra Pour le succès de la création cinématographique suisse Für ein erfolgreiches Filmschaffen in der Schweiz www.srgssr.ch Editorial 3 « Hladivie » von Jonas Scheu entstand 2014, im Rahmen des Masterworkshops «Atelier Grand Voyage» von ECAL/HEAD in Sarajevo. Die Schweiz mag klein sein, doch landesweit bieten immerhin fünf Hochschulen Filmausbildungen an: die ZHdK in Zürich, die ECAL in Lausanne, die HEAD in Genf, die HSLU in Luzern (mit den Studienrichtungen Video und Animation) sowie das Cisa in Lugano. Wir waren schon in Genf und in der Deutschschweiz zu Gast, nun richten wir unseren Fokus auf die ECAL. Die école cantonale d'art de Lausanne bietet einen Bachelor- und – gemeinsam mit der HEAD – einen Master-Ausbildungsgang an. Wir stellen die Waadtländer Talentschmiede und den Master-Lehrgang vor. Ausserdem lassen wir Carmen Jaquier zu Wort kommen. Die ECAL-Studentin spricht über ihren Werdegang, ihren Alltag und darüber, was es heute bedeutet, Studentin und junge Schweizer Filmschaffende zu sein. Auch in anderer Hinsicht ist die Schweiz reich (wenn das nicht sogar ihr grösster Reichtum ist): Sie umfasst vier Sprachregionen. Zwar weht überall die gleiche Flagge, dennoch unterscheiden sich Sprache, Kultur, Lebensrhythmus und Kino (Rätoromanen mögen uns verzeihen, wenn wir sie hier ausser Acht lassen). Die Schweiz besitzt also eigentlich drei Filmkulturen. Man mag uns vorwerfen, dass wir den Schweizer Film nicht als Ganzes, sondern in seinen Differenzen beleuchten, aber es sind tatsächlich drei Regionen, die Talente hervorbringen, Projekte entwickeln, schreiben, drehen, vermitteln. Wenn die Westschweiz und Deutschschweiz auch dominieren, es wäre falsch, die Tessiner Filmkultur zu ignorieren. Diese existiert, und wie! 2012 wurde der Verband AFAT (Associazione Film Audiovisivi Ticino) gegründet, der die Interessen der lokalen Filmbranche vertritt. Weitere Initiativen zielen darauf hin, die lokale Filmbranche südlich des Gotthards zu stärken. Am Ende des Jahres möchten wir dieser oft marginalisierten Branche den Puls fühlen. Zu dem äussert sich Andres Pfaeffli, Produzent von ventura film, über (Ko-)Produktionen aus dem Tessin und mit Italien sowie über den Graben, der das Tessin manchmal vom Rest der Schweiz trennt. Und schliesslich erinnert sich Emmanuel Cuénod zum Abschluss unserer Serie zum 40-Jahre-Jubiläum von Cinébulletin an seine Zeit als Co-Chefredaktor. Wir wünschen Ihnen allen frohe, von (sehr) schönen Filmen erfüllte Festtage. Winnie Covo Editorial Fünf Schulen für drei Filmkulturen Editorial « Bei rechtlichen und vertraglichen Fragen sind SUISSIMAGE und SSA mit ihrer kompetenten, freundlichen und schnellen Beratung meine erste Adresse. » Sehen Sie der Zukunft mit Zuversicht entgegen. Wir schützen Ihre Rechte und vergüten die Nutzung Ihrer Werke. In der Schweiz und im Ausland. www.swisscopyright.ch CB 210 x 297 + 3 Schweizerische Genossenschaft für Urheberrechte an audiovisuellen Werken Berne | T. 031 313 36 36 Lausanne | T. 021 323 59 44 [email protected] | www.suissimage.ch Verwaltung der Urheberrechte für Bühnen- und audiovisuelle Werke Lausanne | T. 021 313 44 55 [email protected] | www.ssa.ch – Karen Schmutz & Hadrien Gliozzo Bettina Oberli, Regisseurin Inhalt 5 Impressum Inhalt Cinébulletin N° 482 / Dezember 2015 Zeitschrift der Schweizer Film- und Audiovisionsbranche www.cinebulletin.ch Herausgeber Verein Cinébulletin Verlagsleitung Lucie Bader Tel. 079 667 96 37 [email protected] Redaktion (Deutsche Schweiz) Kathrin Halter, Co-Chefredaktorin Neugasse 93, 8005 Zürich Tel. 043 366 89 93 [email protected] Übersetzungen Claudine Kallenberger, Kari Sulc Korrektur Mathias Knauer, Virginie Rossier Inserateannahme / Régie publicitaire Beilagen / Encarts Daniela Eichenberger Tel. 031 313 36 54 (Mo/Mi/Do) [email protected] Abonnements und Adressänderungen Daniela Eichenberger [email protected] Tel. 031 313 36 54 (Mo/Mi/Do) Abonnements online: www.cinebulletin.ch Druck Saint-Paul Bd de Pérolles 38 - Case postale 256 1705 Fribourg ISSN 1018-2098 Nachdruck von Texten nur mit Genehmigung des Herausgebers und mit Quellen angabe gestattet . Editorial Fünf Schulen für drei Film kulturen / S. 3 40 Jahre Cinébulletin Emmanuel Cuénod blickt zurück / S. 16 Filmhochschulen der Schweiz (Teil 4): Die ECAL Die «École cantonale d'art de Lausanne» ist ein Talentlabor. Fokus auf das Masterstudium / S. 6 Innenteil Kaleidoskop / S. I Mitteilungen / S. II Filmförderung / S. V Gespräch mit der Masterstudentin Carmen Jaquier über ihre Ausbildung bei ECAL/HEAD / S. 8 Neues aus der Tessiner Filmbranche Wie sich der Filmverband AFAT und die Ticino Film Commission für die Interessen der Branche einsetzen / S. 11 Gespräch mit dem Produzenten Andres Pfaeffli / S. 14 Titelbild Dreharbeiten im Tessin: «Rider Jack» (2015) von This Lüscher. Produktion: Langfilm, SRF und RSI ONLINE-BESTELLUNG UNTER WWW.CINEBULLETIN.CH Inhalt Grafikdesign Ramon Valle «Köpek» von Esen Isik. Ab 10. Dezember im Kino in der Deutschschweiz. Inhalt Rédaction (Suisse romande) Winnie Covo, Corédactrice en chef Rue du Général-Dufour 16, 1204 Genève Tél. 022 321 96 70 [email protected] ECAL Das Talentlabor Anne Delseth, Koordinatorin für die Masterausbildung bei ECAL/HEAD, über die Filmausbildung an der Ecole cantonale d'art in Lausanne und das von ihr organisierte Ausbildungsprogramm. Von Winnie Covo 6 Vor einem Jahr haben wir die Serie über Filmhochschulen der Schweiz begonnen, hier nun die Fortsetzung mit einem Bericht über die Abteilung Film an der ECAL. Ihr 2006 ins Leben gerufener Masterstudiengang bietet den Studenten mit dem Anschluss an die Waadtländer Kunsthochschule und an die Abteilung «Cinéma du réel» der Genfer HEAD eine ganz besondere Ausbildung. Die Abteilung Film wird seit 2002 vom Filmemacher Lionel Baier geleitet und von diesem seither immer wieder als Talentlabor bezeichnet. Eine Art Labor – genau das ist die ECAL, trotz ihres akademischen Status: Während andere Schulen wie die HEAD dem «Cinéma du réel» oder Luzern (mit seinen Studienrichtungen Video und Animation) eher dem Dokumentar- und Experimentalfilm sowie dem Animationsfilm zugewandt sind, bleibt der Bachelor der ECAL für alle Genres offen. «Es gibt Ateliers zum Dokumentar- und zum Spielfilm. Jeder Student muss ein Projekt pro Genre realisieren und wählt dann für seine Diplomarbeit definitiv ein Format», erklärt Anne Delseth, Koordinatorin des Masters ECAL/HEAD und fügt hinzu, dass auch das Fernsehen einen wichtigen Platz einnehme, obwohl der Kinofilm das Herzstück der Lehre sei. Die Studierenden werden ermutigt, alles Mögliche auszuprobieren und sind so ständig in ihrer Neugier gefordert. Das Bachelor-Programm richtet sich an Studierende, die sich für das bewegte Bild im weitesten Sinn interessieren, sei es nun Spiel-, Dokumentar-, Experimental- , Auftragsfilm oder Fernsehformate. Und auch wenn der Studiengang hauptsächlich auf Regie setzt, können die Bachelor-Studenten die Optionen Drehbuch oder Kamera wählen. Die Suche nach Koproduzenten Eine weitere Spezialität der Abteilung im Vergleich mit den andern Schulen sind die obligatorischen Pitchings für die Bachelor- und Master-Studenten. Diese müssen in der Vorproduktions phase ihre Diplomarbeit vor einer Gruppe von Deutsch- und Westschweizer Produzenten präsentieren – manchmal sind auch Franzosen dabei. Ziel ist es, sich dadurch Sichtbarkeit und ein Netzwerk zu schaffen und die Suche nach Koproduzenten zu erleichtern. Denn man geht davon aus, dass die Diplomarbeiten je länger je mehr als Koproduktionen realisiert werden. In Kursen und Ateliers mit namhaften Fachleuten können sich die Studenten vertiefte Kenntnisse verschiedener Bereiche wie etwa Inszenierung, Schnitt, Schauspielführung, Drehbuchschreiben oder Produktion aneignen. Nach dem Abschluss fahren einige der Studenten mit dem gemeinsamen Master von ECAL und HEAD fort. «Man braucht einen Bachelor (fast jeder beliebige wird anerkannt), um zum Master zugelassen zu werden», erklärt Anne Delseth und ergänzt: «Unsere Studierenden kommen aus allen Richtungen, einige haben Geisteswissenschaften, andere Philosophie oder Literatur studiert. Alle haben aber schon in irgendeiner Form in der Filmbranche, bei Festivals oder anderswo gearbeitet». Baier und Perret bringen ihr eigenes Netzwerk mit Dieses Jahr kommt von den 14 Studierenden (ausgewählt aus über 200 Bewerbungen) die Hälfte ursprünglich aus dem Kunstsektor. Zwei waren vorher an der HEAD, drei an der ECAL, einer hat eine Ausbildung im Modebereich und wieder zwei andere sind Grafiker (siehe dazu das Gespräch mit Carmen Jaquier S.8). Die meisten kommen aus der Schweiz, ein Student stammt aus Griechenland, zwei aus Frankreich. Alle aber haben ein gemeinsames Ziel: In zwei Jahren ein Projekt (einen Film, ein Drehbuch, eine Schnitt- oder Tonarbeit) zu entwickeln und fertigzustellen. Dafür folgen sie keinem herkömmlichen Stundenplan, sondern nehmen an Workshops, Ateliers und Kursen verschiedener Dozenten teil. Wie bei jedem Aufnahmeverfahren gehören auch hier ein Motivationsschreiben sowie ein erster Beschrieb der Projektidee ins Dossier. «Ganz oft entsprechen die Abschlussfilme nach zwei Jahren Arbeit nicht mehr der Anfangsidee», so die Koordinatorin des Programms. ECAL ECAL Dreharbeiten zu «Muchachas» (2014) von Juliana Fanjul, Masterstudentin an der ECAL. ECAL «Unser Programm ist deshalb so vielfältig, weil wir durch den Verbund von HEAD und ECAL unterschiedliches Fachwissen anbieten können, das von Lionel Baier und von Jean Perret.» (Anne Delseth) 7 Der Inhalt der Kurse ist nicht schon zum Voraus definiert, sondern wird je nach Ausrichtung (Regie, Drehbuch, Schnitt, Ton oder Produktion) angepasst – wobei es aber nicht möglich ist, ein komplett massgeschneidertes Programm auszuarbeiten. «Unser Programm ist deshalb so vielfältig, weil wir durch den Verbund zweier sehr unterschiedlich ausgerichteter Schulen verschiedenes Know-how, nämlich das von Lionel Baier und das von Jean Perret, Direktor der Filmabteilung ‹Cinéma du réel› der HEAD, anbieten können», erklärt Anne Delseth. «Beide haben ein enormes, aber nicht unbedingt das gleiche Fachwissen, zudem bringt jeder sein eigenes Netzwerk mit. Ein weiterer Vorteil ist unser Anschluss an das Netzwerk Cinema CH, so können wir von der Verschiedenheit der hiesigen Universitäten und Filmschulen profitieren», fügt sie an. ECAL Studienreisen zum Beispiel nach Sarajewo Je nach Interesse und Spezialisierung teilen die Studenten ihre Stunden auf Lausanne und Genf auf. Das Material der einen Schule kann immer auch von der andern genutzt werden. Jeder wird zudem von einem Tutor begleitet, der zu seinem Projekt passt. So profitieren die Studenten von der Hilfe von Filmemachern wie Eyal Sivan und Ulrike Koch (gewählt von Jean Perret) für das essayistische Kino oder von Sébastien Lifshitz, Quatell Quillévéré oder Marianne Tardieu (eingeladen von Lionel Baier) für die Fiktion. «Diese sind nicht frei wählbar, sondern werden nach der allgemeinen Tendenz der Projekte ausgewählt», präzisiert Anne Delseth. Jedes Jahr wird auch eine grössere Studienreise organisiert. Letztes Jahr beispielsweise besuchten die Studenten zusammen mit dem Filmemacher Béla Tarr die Film Factory in Sarajevo. Der Master ECAL/HEAD wird alle zwei Jahre angeboten (seit dem 17. November kann man sich für den nächsten Studiengang anmelden). Neu werden die Ausrichtungen Ton, Schnitt und Produktion angeboten. «Unser Ziel ist es nicht, nur Regieleute auszubilden», betont Anne Delseth. Beim «Atelier Grand Voyage» in Sarajevo, 2014. Partnerschaften mit Festivals und Institutionen Auch wenn die Mehrheit der Studenten Schweizer sind, ist es der Schule wichtig, dem Programm eine internationale Ausstrahlung zu geben. «Wir haben Partnerschaften mit zahlreichen Institutionen, wir arbeiten viel mit der französischen Fémis zusammen (École nationale supérieure des métiers de l’image et du son). Deren Schnittleute schneiden übrigens unsere Bachelorfilme und umgekehrt. Zudem haben wir viele Partnerschaften mit Festivals wie Angers, Namur oder Clermont-Ferrand. Und durch die Doppelfunktion all unserer Dozenten streut sich der Name unseres Masters weitherum», schliesst Anne Delseth, die selber nicht nur Koordinatorin des Programms ist, sondern auch für den CityClub in Pully sowie für die Quinzaine des Réalisateurs programmiert. Filmpromotion by A L I V E film.ch Plakataushang Kulturplakatstellen Flyerverteilung Sandwichmen Werbeaktionen Das grösste Schweizer Kultur-Werbe-Netzwerk seit 1973 Alive Media AG Hafnerstrasse 60 8005 Zürich Telefon 044 270 80 90 www.alive.ch CB Alive 7.7.15.indd 1 06.07.15 14:06 ECAL ECAL «Neugierde und Naivität sind legitimiert» Carmen Jaquier macht das Master-Studium bei ECAL/HEAD. Ein Gespräch über die Ausbildung, ihre Mitwirkung bei «Heimatland» und ihr Leben als junge Drehbuchautorin und Regisseurin. 8 2007 haben Sie die Bachelor-Ausbildung an der Ecal begonnen. Was veranlasste Sie dazu? Wie ist Ihr Werdegang? Ich wurde in Genf geboren. Nach meinem Grafikstudium an der Ecole d’arts appliqués, das ich mit einem Diplom abschloss, war ich zwei Jahre im Grafikbereich tätig. Ich merkte jedoch bald, dass mir dieses Leben – Büroarbeit, fremde Ideale vertreten, regelmässige Arbeitszeiten – nicht behagte. Ich hatte mit einer Freundin bereits einen ersten Film realisiert, «Bouffe moi!», der 2004 am Festival Image in Vevey mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Schon damals wusste ich, dass ich mich eines Tages wieder dem Drehbuchschreiben, Geschichtenerzählen, der Inszenierung zuwenden würde. Als Kind schrieb ich mehrere Drehbücher und liess mich dabei von meinen Lieblingsfilmen inspirieren. Ausserdem verliebte ich mich in einen jungen Mann, der an der Ecal in Lausanne studierte. Das gab mir vermutlich den letzten Anstoss. War es schwierig, einen Platz in der Filmabteilung der Ecole cantonale d'art in Lausanne zu erhalten? Meine Erfahrungen im Grafikbereich waren sicher ein Vorteil. Bei dieser Art Aufnahmeverfahren hängt der Wert des Bewerbungsdossiers teilweise davon ab, wie es präsentiert wird und ob man damit Interesse wecken kann. Was das Auswahlverfahren an sich betrifft, so besteht die grösste Schwierigkeit darin, dass sich viele Kandidaten um wenige Plätze bewerben. wo ich mich im Alltag austauschen und Leute treffen konnte. Beim Schreiben ist man sehr allein, und ich wünschte mir eine Begleitung für meinen ersten Langfilm. Was haben Sie dort gelernt? Auf Bachelor-Niveau lernt man ein bisschen von allem! Das Schwergewicht liegt auf der Regie, doch man bringt uns auch die Grundlagen des Schreibens, des Tons oder des Schnitts bei. Zu Beginn unserer Ausbildung müssen wir unsere Projekte von A bis Z selber umsetzen. Das hilft uns, die wichtigsten Aspekte jeder Berufssparte besser zu verstehen, und wir lernen, unsere Visionen präziser zu kommunizieren. In dieser Übergangszeit drehten Sie vier Kurzfilme: «Le bal des sirènes», «Les vagues», «Rome à la troisième heure de la nuit» (in Co-Regie mit Anissa Cadelli und Soumeya Ferro- Luzzi) und «La rivière sous la langue». Arbeiteten Sie da mit Kollegen der ECAL zusammen, obwohl Sie keine Kurse mehr belegten? Ja, sicher. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen, die zu Freunden geworden sind, unterstützen mich beim Schreiben der Drehbücher, auf dem Set und bei der Postproduktion. Wir sind wie eine Familie, wir haben uns parallel entwickelt, das vereint uns vermutlich unser ganzes Leben lang. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie sich an den Master wagen würden? Überhaupt nicht! Als ich 2011 meinen Bachelor in der Tasche hatte, dachte ich nicht im Traum daran, einen Master an der ECAL zu machen. Nach vier Jahren an der Schule wollte ich eine Veränderung und suchte eine neue Arbeits- und Lebensform. Es kommt eine Zeit, da man Distanz zur Ausbildung braucht und alles hinterfragt. Nach meiner Ausbildung machte ich drei Jahre lang Filme, die meisten in Eigenproduktion. Dann kam nach und nach das Bedürfnis nach einem Ort auf, «Le tombeau des filles» (2011), Carmen Jaquiers Kurzfilm über zwei Schwestern. ECAL ECAL Das Gespräch führte Winnie Covo Waren Sie nach dem Bachelor darauf vorbereitet, Finanzierungsgesuche einzureichen und andere administrative Schritte zu unternehmen, die für die Verwirklichung eines Filmprojekts nötig sind? In meiner Bachelor-Ausbildung wurden die Diplomfilme noch von der Schule produziert. Wir stellten unsere Gesuche also in einem vertrauten Umfeld, was ECAL 9 «Rome à la troisième heure de la nuit» hat Carmen Jaquier mit Anissa Cadelli und Soumeya Ferro-Luzzi inszeniert. Nun sind Sie seit 2014 in der Master- Ausbildung. Wie läuft sie ab? Ich mache im Moment eine zweijährige Ausbildung an den Schulen ECAL und HEAD. Ich habe mich aufs Drehbuchschreiben spezialisiert. Nach diesen zwei Jahren sollte ich eine Drehbuchversion für meinen ersten Langfilm abgeschlossen haben. Während der ganzen Ausbildung hatten wir das Glück, von brillanten Referentinnen begleitet zu werden. Im ersten Jahr war es die Filmemacherin Katell Quillévéré. Dieses Jahr arbeiten wir mit der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Florence Seyvos und der Regisseurin Delphine Gleize. Alle drei sind engagierte Frauen, die wissen, wie Sie uns beim Schreiben beraten können. Seit Beginn dieser Ausbildung begegne ich regelmässig Menschen, mit denen ich mich austauschen kann und die mehr Comedien-annonce-170X44_DE.pdf 1 Sie haben bei der Realisation des Films «Heimatland» mitgewirkt. Wie kamen Sie dazu? Mein Freund Gregor Frei, mit dem ich an der Ecal den Bachelor machte, hatte direkten Kontakt zum Filmproduzenten. Über ihn hörte ich vom Projekt, das Michael Krummenacher und Jan Gassmann lanciert hatten. Das Abenteuer startete in meinem letzten Bachelor-Jahr. Die Dreharbeiten fanden letztes Jahr statt, als ich die ersten Masterkurse belegte. Das war ein höchst spannendes Projekt, das einen langen Atem erforderte. 12.12.14 13:28 Die Masterausbildung von ECAL und HEAD ist am Netzwerk Cinema.CH beteiligt. Haben Sie als Studentin Beziehungen zu Ihren Kolleginnen und Kollegen an anderen Schulen? Wir haben einen Austausch mit der ZHdK, ungefähr an vier Tagen pro Jahr. Das ist nicht genug, um intensive Beziehungen zu pflegen – allerdings spreche ich hier von mir. Doch würde ich einige meiner Kolleginnen und Kollegen im Rahmen eines Projekts wieder antreffen, C M J CM MJ CJ CMJ www.comedien Die professionellen frankophonen Schauspieler online [email protected] N ECAL oder weniger denselben Arbeitsrhythmus haben. Im Drehbuchbereich teilen wir Momente des Glücks, der Verirrungen, der Erkenntnisse sowie eine grosse Verletzbarkeit. Als Studierende haben wir den Vorteil, dass wir alle Fragen stellen und an alle Türen klopfen dürfen. Unsere Neugier und Naivität sind gewissermassen legitimiert. Doch leider verschwinden diese Eigenschaften meist, wenn der Status ändert. nicht dasselbe ist, wie wenn man sie beim Bundesamt für Kultur einreichen muss. Dossiers zusammenstellen lernte ich erst richtig, als ich allein oder mit Produktionsfirmen zu arbeiten begann. Hatten Sie keine Probleme mit Ihrem Zeitplan? Die Master-Studenten sind in der Regel 25 bis 35 Jahre alt. Wir können uns nicht ausschliesslich unserer Ausbildung widmen, sondern müssen gleichzeitig auch unseren Beruf ausüben. Das ist sehr wichtig. Das letzte Jahr war sehr intensiv. Ich stellte «La rivière sous la langue» und meinen Beitrag zu «Heimatland» fertig. Beide Filme waren im August in Locarno zu sehen. Angesichts der Arbeitsbelastung konzentrierte ich mich einige Zeit etwas weniger intensiv auf mein Drehbuch. Doch es sind genau solche Projekte, die mich letztlich zu meinen Drehbüchern inspirieren. Für mich war es unbedingt nötig, dieses Leben neben dem Master weiterzuführen. In einem Zug zwischen Lausanne und Neuenburg las ich neulich einen Satz von Jean Piaget. Man müsse den Schülern das Denken lehren, doch in einer autoritären Situation könne das Denken unmöglich gelernt werden. Ich sehe einen hohen Nutzen in dieser Parallelität von Ausbildung und Leben. ECAL ECAL ECAL 10 Welchen Bezug haben Sie zum Schweizer Film? Als ich klein war, zeigten mir meine Eltern die Filme von Godard, Goretta, Tanner, Murer, Schmid. Ich habe wunderbare Erinnerungen daran! Seitdem sind gute Filme meiner Meinung nach seltener geworden, doch ich habe den Eindruck, dass sich etwas bewegt. Dazu tragen auch die Schulen bei und die Beziehungen, die zwischen den Studierenden und Dozierenden entstehen, die ja aus allen Teilen der Welt kommen. Ich habe in den letzten Monaten einige hervorragende Erst- und Zweitlingsfilme gesehen. Sie kommen demnächst heraus, und ich versichere Ihnen: Es gibt den Nachwuchs! Hatten Sie keine Lust, die Schweiz zu verlassen und anderswo zu studieren? Ich mag Paris sehr und habe einen Teil meiner Freunde, meiner «Filmfamilie», Carmen Jaquier dort. Ich arbeitete mehrmals in dieser Stadt und träumte davon, mich dort niederzulassen. Doch schliesslich kehrte ich doch immer wieder in die Schweiz zurück. Für mich als junge Schweizer Filmmacherin ist es vorteilhaft, die Finanzierung meiner Filme hier zu suchen. Die Schweiz ist für die jüngeren Generationen ein inter essantes Land, da sie noch relativ unerforscht ist. Und das Land ist insofern faszinierend, als es noch viel zu erzählen gibt. Das wirkt befreiend und dürfte die Filmschaffenden zu Experimenten anregen. Die Welt ist klein, wenn man Filme macht. Man muss nur an Festivals gehen, um das zu merken. Dort entstehen Beziehungen, die zu verschiedenen Arten von Zusammenarbeit führen können. Letztes Jahr drehte ich mit zwei Freundinnen einen Film in Rom, und wir fanden dort, mit wenigen Mails von der Schweiz aus, unglaublich gute Leute, mit denen wir dann gearbeitet haben. Es heisst manchmal, Studierende seien in ihren Diplomfilmen mutiger als später in der «realen» Welt. Was meinen Sie dazu? Ich habe keine Meinung dazu, aber wenn ich jeweils an einem Festival die Kurzfilmprogramme studiere, bin ich selten überwältigt. Hat das mit der künstlerischen Linie des Festivals oder mit der Produktion zu tun? Es soll doch jeder die Filme machen, die ihn interessieren, und die Welt abbilden, die den eigenen Wünschen entspricht. Das gehört auch zum Filmemachen. Während der Studienzeit braucht man Vorbilder, man reproduziert, was man mag, um die Machart zu verstehen. Der heutige Zustand der Welt zwingt junge Menschen, sich in die Zukunft zu versetzen. Das kann lähmend sein und die Entfaltung und Risikofreude hemmen. Leider ist die Schule kein Ort der Revolte mehr. Soweit ich das beurteilen kann, ist sie eher eine Wohlfühlzone, in der man zwar lernt, aber gleichzeitig den Schritt in die Welt hinauszögern kann. Eine Welt, die meiner Ansicht nach äusserst brutal ist. Die Angst schafft viele brave kleine Soldaten. Wird in der Schweiz genug für den Nachwuchs getan? Ja, nein – ich weiss nicht so recht. Das hängt von vielen Dingen ab. Alle wissen, dass der Nachwuchs, in welchem Bereich auch immer, für die Weiterentwicklung eines Landes unverzichtbar ist. Nicht nur ein Nachwuchs, der etablierte Wertsysteme bestätigt, sondern auch ein Nachwuchs, der einen kritischen, unorthodoxen, scharfsichtigen und/oder visionär neuen Blick auf die Welt hat. Doch es liegt auch an der jungen Generation, Unterstützung zu fordern und sich Gehör zu verschaffen. Wir müssen uns auch daran machen, neue Herstellungsmodelle zu entwickeln und für die Zukunft des Schweizer Films ein vielfältiges und anspruchsvolles Umfeld zu gestalten. «Le bal des sirènes», ein weiterer Kurzfilm von Jaquier, entstand 2013. ECAL so hätten wir zumindest eine gemeinsame Basis. Beim Projekt «Heimatland», an dem Filmschaffende aus der ganzen Schweiz mitwirkten, kam ich mit Leuten aus anderen Ausbildungsstätten in der Schweiz oder im Ausland in Kontakt. Da merkte ich, wie unterschiedlich die Filmkulturen sind. Mit Filmschaffenden aus der Deutschschweiz zu arbeiten, war manchmal fast wie ein Schock. Solche Unterschiede innerhalb unseres Landes ermöglichen einen Austausch, bewirken Kontroversen und sind deshalb interessant und wichtig für mich. Filmbranche Tessin (1) Von der Schwierigkeit, über den Gotthard zu kommen Gegenüber dem Rest des Landes fühlt sich die Tessiner Filmbranche oft benachteiligt. Nun will der Filmverband AFAT die Finanzierung italienischsprachiger Filme erleichtern und erhält Unterstützung aus dem BAK. Und die Ticino Film Commission betreibt Standortförderung. 11 Von Kathrin Halter ihre drängendsten Fragen, geht es immer wieder um dasselbe: Was kann man tun, um im Norden und Westen des Landes besser wahrgenommen zu werden? Wie kann die Filmfinanzierung, wie können Koproduktionen – insbesondere mit Italien – erleichtert werden? Und was kann man tun, um das Tessin auch als Standort und Schauplatz aufzuwerten. Jüngst gibt es gleich mehrere Initia tiven, die die lokale Branche stärken und das Verhältnis zur übrigen Schweiz sowie zu Italien verbessern wollen: 2012 wurde der Verband AFAT gegründet, kurz für Associazione Film Audiovisivi Ticino, der sich (bereits erfolgreich) für die Inter essen der Tessiner Branche einsetzt. Seit einem Jahr gibt es die Ticino Film Commission, eine Stiftung mit dem Ziel, Filmproduktionen ins Tessin zu holen. Und 2017 soll der Palazzo del Cinema in Locarno eröffnet werden. Der neue Verband Gegen aussen ist AFAT noch nicht stark in Erscheinung getreten, was auch daran liegt, dass der Verband zu klein ist, um ein Filmbranche Tessin (1) Am deutlichsten sagt es Andres Pfaeffli, Produzent von ventura film. Kulturell sei das Tessin doppelt marginalisiert: Aus italienischer, zumal aus Römer Sicht, sei das Tessin praktisch inexistent. «Viele Italiener wissen oft gar nicht, dass hier 350’000 Bewohner leben, die dem italienischsprachigen Kulturraum angehören.» Von der Deutschschweiz und Romandie wiederum werde man vor allem als Feriendestination wahrgenommen; an das Vorhandensein einer Tessiner Filmkultur erinnere sich die Branche meist nur während des Filmfestivals von Locarno: «Es ist tatsächlich unser Problem, über den Gotthard zu kommen.» Auch Adriano Kestenholz, Filmemacher und Kunstkritiker aus Ascona, erlebt die kulturelle Situation zwischen Italien und der übrigen Schweiz als schwierig: Innerhalb des Landes fühle sich die italienischsprachige Minderheit und ihre Filmbranche oft isoliert; vom Austausch mit Italien profitiere man handkehrum nur wenig. Spricht man mit Produzenten und Filmschaffenden aus dem Tessin über eigenes Sekretariat zu finanzieren. Etwas symptomatisch scheint, dass seine Website keine englische oder gar deutschoder französische Sprachversion enthält. Präsidiert wird AFAT von Adriano Kestenholz. Es habe bereits vorher Versuche gegeben, die Interessen der Branche zu vertreten. Nun soll dies AFAT leisten und dabei ein Ort für ganz unterschiedliche Ideen und offene Diskussionen bleiben. So sind im Verband fast alle dabei, von den Filmproduzenten und -autoren über die Werbe- und Auftragsfilmer bis hin zu kleineren Audiovisionsfirmen im Umfeld von Radiotelevisione Svizzera italiana. Schwierige Finanzierung Vorstandsmitglied Niccolò Castelli umschreibt die Ziele von AFAT so: Es brauche «innovative Ideen und Lösungen, um unsere minoritäre Kultur zu schützen». Deshalb müsse man neue Wege der Finanzierung, der Filmentwicklung und der Distribution finden, um für italienisch sprachige Filme ein grösseres Publikum zu finden. Stichwort Finanzierung: Im Vergleich mit anderen Kantonen ist die Filmbranche Tessin (1) Berge, Wälder und Flüsse: Dreharbeiten zur SRF-Realityshow «Das Experiment» im Tessin. Die Ticino Film Commission will mehr Filmproduktionen ins Tessin locken. Filmbranche Tessin (1) Filmbranche Tessin (1) Regionalförderung im Tessin tatsächlich schwach dotiert, was die Finanzierung italienischsprachiger Filme erschwert (siehe dazu das folgende Gespräch mit dem Produzenten Andres Pfaeffli). Auch die automatische Förderung des Kantons hat nicht viel Geld zur Verfügung. Ein Treffen mit Folgen Nun soll sich die Situation aber verbessern: Vor einem Jahr hat AFAT ein Treffen mit Ivo Kummer, Susa Katz und Laurent Steiert im Tessin initiiert. Konkret ging es dabei um eine Erneuerung des Vertrags von FilmPlus der italienischen Schweiz, der einerseits durch den Kanton Tessin, andererseits durch das Bundesamt für Kultur mitfinanziert wird. Nun soll diese automatische Förderung ab nächstem Jahr erhöht werden: Laut Ivo Kummer beabsichtigt das BAK ab 2016 bis 2020 die heute bestehende Beteiligung an FilmPlus auf jährlich 400ʼ000 Franken zu verdoppeln, «sofern der Kanton Tessin ebenfalls in derselben Höhe mitzieht». Damit verknüpft sei die Bedingung, dass nebst der Herstellungsförderung auch die Förderung der Entwicklung von Treatments und Drehbüchern möglich werde. (Inwieweit letzteres automatisiert werden könne, werde im Tessin noch diskutiert). Die RSI und andere Partner seien «herzlich eingeladen», bei FilmPlus mitzuwirken; eine diesbezügliche Initiative müsste aber von den Verbänden im Tessin ausgehen. Beim Tessiner-Treffen zwischen BAK und AFAT wurde auch die Problematik von Koproduktionen mit Italien sowie das Anliegen eines Abkommens für das Co-Development von Projekten zwischen der Schweiz und Italien angesprochen. Laut Kummer könnte dieses in einem kleinen Zusatzvertrag zwischen der Schweiz und Italien geregelt werden. «Es ist vorgesehen, dies im nächsten Jahr beim Treffen der ‹commission mixte› zwischen den beiden Ländern unter Einbezug von Produzenten aufzugleisen.» Ein neuer Pragmatismus «Wir müssen unsere Kollegen zuerst dazu bringen, dass sie die Tessiner Filmkultur überhaupt wahrnehmen», sagt Regisseur Niccolò Castelli («Tutti Giù»). Nun fällt Castelli weder durch Selbstmitleid auf noch durch jene Art von Überempfindlichkeit, die bei kulturellen Minderheiten irritieren kann. Der gebürtige Luganesi ist bestens vernetzt, spricht sehr gut Französisch und Deutsch und hat längere Zeit auch in Zürich (wo er an der ZHdK studierte) und in München gelebt. Wohl gerade deshalb wünscht er sich einen besseren Austausch «mit unseren Kollegen in der Deutschschweiz und in der Romandie». AFAT müsse «Brücken über den Gotthard» bauen, auch hin zur Romandie, das sei für ihn das Wichtigste. Ähnliche Ziele verfolgt die Gruppe Regisseure und Drehbuchautoren der italienischen Schweiz («Gruppo registi e sceneggiatori della Svizzera italiana», GRSI), eine Interessengruppe des ARF/FDS. Doch obwohl es an Kontinuität in der Arbeit fehle, also zu wenig Aufträge gebe, oft mit der Folge, dass Leute wegziehen Doris Longoni ist Direktorin der Ticino Film Commission. Filmbranche Tessin (1) 12 oder nur noch fürs Fernsehen RSI arbeiten, erkennt Castelli Fortschritte. Zum Beispiel hätten in den letzten Jahren vermehrt auswärtige Filmproduktionen im Tessin gedreht. Wie gross denn das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Tessiner Kollegen sei, fragt man Castelli noch. Das gebe es schon, besonders innerhalb der jüngeren Generation und auch dank Produktions-Kollektiven wie dem REC-Verband, der Produktionsfirma Inmagine von Alberto Meroni (der mit «Arthur» soeben die erste italienischsprachige Webserie koproduziert hat) oder neuer Orte wie dem Spazio 1929 in Lugano, einem Gemeinschaftsatelier und Kulturzentrum, wo neben Castelli auch Erik Bernasconi (der Regisseur und Präsident der GRSI), Produzentin Michela Pini (Cinédokké Sagl) oder Produzent Nicola Bernasconi arbeiten. Für Adriano Kestenholz sind es gerade solche «jungen Talente», die mitverantwortlich seien für den neuen Pragmatismus und die Professionalisierung, die er in der Branche beobachtet, eine gewisse Dynamik auch und das Gefühl, dass man etwas erreichen könne. Die Ticino Film Commission Doris Longoni ist Direktorin der 2014 gegründeten Ticino Film Commission (TFC). Die Stiftung soll Filmproduktionen ins Tessin locken, indem sie bei der Suche nach Schauplätzen und beim Einholen von Drehbewilligungen hilft, indem sie Kontakte zu lokalen Filmschaffenden und Technikern herstellt sowie logistische Unterstützung bietet. Der Tessiner Staatsrat verspricht sich von der Film Commission Werbung für den Tourismus, aber auch eine Unterstützung der einheimischen Filmbranche. Bislang hat die TFC laut Longoni elf Produktionen begleitet, so eine Staffel der Filmbranche Tessin (1) Adriano Kestenholz, Regisseur, Kunstkritiker und Präsident von AFAT. Niccolò Castelli, Regisseur («Tutti giù») und Netzwerker. Erik Bernasconi, Regisseur und Drehbuchautor («Fuori mira»). Filmbranche Tessin (1) Das Projekt «Palacinema» 2017 soll die Ticino Film Commission in den Palazzo del Cinema in Locarno einziehen. Der «Palacinema» ist ja überhaupt das grösste Tessiner Vorzeigeprojekt nach dem soeben eröffneten Kulturzentrum LAC in Lugano: Das Filmfestival Locarno wird dort Räume beziehen, es gibt drei grosse Kinosäle und eine Zweigstelle der Cinémathèque suisse, Focal will dort Seminare abhalten und das Cisa vermutlich den dritten Jahrgang seiner Filmausbildung. Und das ist noch nicht alles (wir werden später separat und ausführlich berichten). Wie intensiv das Filmhaus dereinst von der Branche genutzt wird, in der Berufspraxis und auch ausserhalb der Festivaltage, wird sich zeigen. Vielleicht verkürzt sich ja auch die Distanz zum Norden und Westen des Landes. In beide Richtungen. 13 Filmbranche Tessin (1) Fernseh-Realityshow «Das Experiment», die italienisch-schweizerische Koproduktion «Beyond the Mist» (ein Spielfilm von Giuseppe Varlotta), einige Werbespots, den Trailer eines indischen Films sowie ein paar Kurzfilme. Viel ist das noch nicht. Die eigentliche Arbeit der TFC beginnt allerdings erst Anfang 2016, wenn die TFC – nach einer einjährigen Aufbauphase – richtig aufgestellt ist und auch über ein jährliches Budget von rund 480ʼ000 Franken verfügt. Danach kann die Film Commission auch finanzielle Unterstützung bieten, etwa durch die Einladung von Produzenten auf Location-Suche oder mit Beiträgen an Aufentshalts- und Personalkosten (falls die Mitarbeiter aus dem Tessin stammen). Indirekte finanzielle Unterstützung gibt es auch für Kurzfilme, etwa in Form von Locationmiete (wie beim Cisa-Diplomfilm «Hotel Düsseldorf» von Riccardo Silvestri). Dies unterscheidet die Film Commission etwa vom Zürich Film Office und von Standortförderern aus anderen Kantonen, die keine finanzielle Unterstützung bieten. Vom seco wurde die Commission als eidgenössisches Pilotprojekt anerkannt; zudem hat man sich unter anderem der EUFCN (European Film Commissions Network) angeschlossen, um von der Erfahrung anderer Film Comissions lernen zu können. Filmbranche Tessin (2) «Das Tessin gerät immer mehr ins Hintertreffen» Andres Pfaeffli, Produzent von ventura film, über Regionalförderung im Tessin, Koproduktionen mit Italien und die Kluft zwischen dem Tessin und dem Rest der Schweiz. 14 Wie sieht es mit der Regional Wie wichtig sind, aus Tessiner förderung im Tessin aus? Sicht, Koproduktionen mit Italien? Die Höhe der selektiven FilmSo wie sich die Westschweiz nach Frankreich orientiert und die förderung ist im Tessin direkt Deutschschweiz nach dem deutschan die Billettsteuer geknüpft, im Moment sind das pro Jahr sprachigen Raum, orientiert sich das nur etwa 230ʼ000 bis 240ʼ000 Tessin nach Italien; das ist nahelieFranken. Vor ein paar Jahren gend. Wobei die Zusammenarbeit haben wir es zudem geschafft, schwierig ist. eine kleine automatische Regio So sind wir im Tessin doppelt nalförderung auf die Beine zu gestraft. Neben den grossen Pools stellen: Wenn ein Projekt einen Zürich und Westschweiz ist unsere Beitrag von mindestens zwei der Regionalförderung viel kleiner. Und drei wichtigsten Geldgeber FernItalien ist sei eh und je in der Krise, besonders in der Filmfinanzierung: sehen, BAK oder Kanton Tessin Das italienische Kulturministerium erhält, folgt der Automatismus. gibt nur noch sehr kleine Beiträge Dafür standen in den letzten Jahfür italienische Filme; Koproduktioren jeweils etwa 400ʼ000 Franken pro Jahr zu Verfügung. Nun soll nen mit der Schweiz sind da natürder Betrag mit Hilfe des BAK ab lich zuhinterst auf der Liste. Das nächstem Jahr auf 800ʼ000 Franerschwert unsere Arbeit schon. Verbessert hat sich die Situation, ken jährlich aufgestockt werden. seit es in verschiedenen italienischen Die italienischsprachige Schweiz Regionen eine relativ gut funktioniekommt so jährlich neu also auf rund eine Million Franken – man rende Regionalförderung gibt. Da vergleiche den Betrag mit den 10 haben wir allerdings das Problem, Millionen Franken, die die Zürdass wir nicht als europäisches Land gelten – als europäischer Produzent Tiziana Soudani (Amka Films), Elsa Guidinetti und Andres Pfaeffli (ventura film) cher Filmstiftung zur Verfügung kann man direkt eingeben, ohne hat... Umweg über einen italienischen Koproduzenten. Um dort eingeben zu können, Welche italienischen Städte sind noch Schweizer hingegen sind auf Partner am ehesten cinéphil? braucht es zumindest ein Büro im Kanin Italien angewiesen, die zum Beispiel Die italienische Filmstruktur ist sehr ton Zürich.... als ausführende Produzenten fungieren. zentralistisch. Da ist Rom – und nichts Es braucht mehr als das. Ich zum Beispiel So kann man den sogenannten Tax Credit anderes. Mailand ist die Hauptstadt des wohne offiziell im Kanton Zürich, bin beim Kulturministerium MIBACT (Mini Werbefilms. Doch ausgerechnet Mailand eigentlich Zürcher. Die Stiftung akzeptiert stero dei beni e delle attività culturali e und die Lombardei – eine der wohlha- das jedoch nicht, weil mein Lebensmitteldel turismo) beantragen, was massive bendsten Regionen Italiens – haben keine punkt im Tessin liegt. Einsparungen bei den Sozialabgaben mit mit finanziellen Mitteln ausgestattete Das ist unser Problem: Dass wir je länger sich bringt. regionale Filmförderung . desto mehr ins Hintertreffen geraten, weil sich die Schere zwischen dem Tessin Wie wichtig ist Italien für den Vertrieb Welche Regionalförderung ist am wich- einerseits und Zürich und der Romanvon Filmen? tigsten in Italien? die mit ihrer starken Regionalförderung Der italienische Kinomarkt ist stark Die im Südtirol, dort wollen im Moment anderseits immer weiter öffnet. Eigentlich monopolisiert. alle hin; 5 Millionen Euro werden jährlich braucht es ein vierblättriges Kleeblatt, Es gibt zwei, drei grosse Kinoketten, vergeben. Schweizer können dort auch damit ein Film aus dem Tessin gut finandie kaum Arthouse-Filme spielen. Dann ohne italienische Partner direkt eingeben. ziert werden kann: Das BAK, das Fernsegibt es ein paar kleine Verleiher und das Bei «Fuori Mira» von Erik Bernasconi zum hen, die Regionalförderung sowie einen Istituto Luce, das vom Staat den Auftrag Beispiel haben wir selektive Förderung ausländischen Partner. erhalten hat, Erst- und Zweitlingsfilme zu erhalten und konnten, weil italienische vertreiben; diese arbeiten aber mit weni- Schauspieler und Techniker mitwirkten, Brisantes Dauerthema im Tessin sind gen Kopien und beschränkten Mitteln. So zugleich Tax Credit beantragen, was den die italienischen Grenzgänger, hinzu verschwinden die Filme in der Regel nach Betrag von der Regionalförderung quasi kommt der hohe Frankenkurs – inwieverdoppelt hat. zwei Wochen wieder aus dem Programm. fern ist die Tessiner Filmbranche davon Filmbranche Tessin (2) Filmbranche Tessin (2) Das Gespräch führte Kathrin Halter Filmbranche Tessin (2) 15 Welches Thema beschäftigt Sie als Tessiner Produzent sonst noch? Es gibt ein Abkommen zwischen Italien und Frankreich, ebenso wie zwischen Italien und Deutschland, wonach eine gewisse Anzahl Projekte in Co-Developement entwickelt werden, Projekte, die schon auf Entwicklungsstufe als Koproduktionen zwischen den beiden Ländern angedacht sind und deshalb bessere Chancen bei der Finanzierung haben. Ein solches Abkommen braucht es dringend auch zwischen der Schweiz und Italien. Zudem besteht mit der neuen Standortförderung die Gefahr, dass das Tessin noch mehr ins Hintertreffen fällt, weil momentan von einem Mindestbudget von 2,5 Millionen die Rede ist. Diesen Betrag bringe ich hier nicht zusammen. Die Kluft zwischen dem Tessin und dem Rest der Schweiz droht sich so noch zu verschärfen. Andres Pfaeffli lebt und arbeitet in Meride (Tessin), geboren wurde er 1954 in Zürich. Seit 1979 ist er als Produzent und Regisseur tätig. 1991 Gründung von ventura film, zusammen mit Elda Guidinetti (im Bild links, am Filmfestival Locarno bei der Verleihung des Premio Cinema Ticino 2013 an ventura film und Amka Films Productions). Andres Pfaeffli hat untern anderem folgende Filme, meist mit europäischen Partnern, (ko-)produziert: «Fuori mira» von Erik Bernasconi, «They Chased Me Trough Arizona» von Matthias Huser, «Die Frau des Polizisten» und «Die grosse Stille» von Philip Gröning, «Per altri occhi» und «Il comandante e la cicogna» von Silvio Soldini, «Via castellana bandiera» von Emma Dante oder «The Substance» und «Dutti der Riese» von Martin Witz. Filmbranche Tessin (2) Das neue Radio- und Fernsehgesetz wurde von der Tessiner Bevölkerung abgelehnt, obwohl die RSI wichtiger Arbeitgeber für die Audivisionsbranche ist und der Kanton am stärksten vom Verteilschlüssel profitiert. Haben Sie eine Erklärung für das Nein? Das Fernsehen wird vor allem von rechts ständig angeschossen, weil es als linkslastig gilt – es sind die alten Vorurteile. Politisch wirkt das verheerend, wenn es danach auf Selbstzensur hinausläuft. Schliesslich möchte niemand auf der Frontseite der Lega-Gratiszeitung Il Mattino della Domenica erscheinen, wo regelmässig unter die Gürtellinie gezielt wird. Als 2013 zum Beispiel «Sangue» von Pippo Delbono in Locarno lief, ein durchaus provozierender Film, veranstaltete die Lega ein Riesengeschrei, weil der Film vom Fernsehen mit einem kleinen Beitrag unterstützt wurde. Jetzt produzieren wir seinen neuen Film zu einem ganz anderen Thema – das Fernsehen getraut sich offenbar nicht mehr, sich daran zu beteiligen. «Es braucht ein vier blättriges Kleeblatt, damit ein Film aus dem Tessin gut finanziert werden kann: Das BAK, das Fernsehen, die Regionalförderung sowie einen ausländischen Partner.» Filmbranche Tessin (2) betroffen? Wie gross ist die Konkurrenz von filmtechnischen Betrieben in Italien? Beim Fernsehen werden schon Aufträge nach Italien vergeben. Zum Beispiel machte die RSI vor ein paar Jahren einen Eigenwerbungsspot. Da wurden wir von der italienischen Firma, die den Auftrag bekam, angefragt, ob wir ihnen bei der Suche nach Drehorten helfen könnten... Das war schon merkwürdig. Es sollte zumindest eine Ausschreibung erfolgen, bei der Firmen aus dem Tessin mithalten können. Auftragsproduzenten stellen meines Wissens gelegentlich Grenzgänger an, um Geld zu sparen. Bei uns, in der freien Filmproduktion, ist das weniger der Fall. Wir haben eher das Problem, dass unser Einzugsgebiet so klein ist, dass jene paar Schauspieler, die italienischsprachig sind und zugleich den Schweizerpass besitzen, an einer Hand abzuzählen sind. Ähnlich ist es bei den technischen Berufen. Wenn ich einen Chefkameramann suche, engagiere ich meist jemanden aus Zürich oder Italien; bei den Cuttern ist es dasselbe. Manche Funktionen wie zum Beispiel Regie assistenten gibt es im Tessin eigentlich gar nicht. 40 Jahre Cinébulletin Im Sog der Kulturpolitik Emmanuel Cuénod, redaktioneller Co-Leiter der Zeitschrift von 2010 bis 2013, über Kommunikation als Drahtseilakt, die Personalisierung der Filmpolitik und andere lehrreiche Erfahrungen. Abschluss unserer Textreihe «40 Jahre Cinébulletin». 16 Anfang an, also ab Oktober 2010, überlegen zu können, welchen Kurs wir mit der Zeitschrift einschlagen wollten, war nicht nur intellektuell bereichernd, sondern wegleitend für alles, was in den folgenden Monaten geschah. Françoise Deriaz, die für mich die Galionsfigur des Cinébulletins ist, und Nina Scheu, mit der ich so gern zusammenarbeitete, haben in ihren Chroniken zutreffend den Kontext geschildert, in dem Nina und ich in die Chefredaktion gewählt wurden. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, sondern nur einen Punkt erwähnen: Die andauernde Personalisierung der eidgenössischen Filmpolitik, ihre exzessive Medialisierung und die rüden Beziehungen zwischen den Akteuren der Berufsverbände und der Institutionen in der Zeit, da Nicolas Bideau, Olivier Müller (Leiter der selektiven Filmförderung) und Thierry Spicher (damals Präsident des Ausschusses Spielfilm und Mitglied der Eidgenössischen Filmkommission) für die Sektion Film des Bundesamts für Kultur tätig waren, schufen ein schädliches Klima, das in der gesamten Filmbranche tiefe Spuren hinterliess. Die Politik mischt sich ein Cinébulletin wurde voll in den Strudel hineingezogen, weil es auf die unzulässige Einflussnahme der Politik auf die redaktionelle Position der Zeitschrift reagieren musste. Sie ging geschwächt daraus hervor. Nun war es an der Zeit, sie wieder zu Emmanuel Cuénod leitet heute das Genfer Festival Tous Écrans Als letzter «Abgänger» und letzter der früheren Redaktoren von Cinébulletin weiss ich es zu schätzen, dass ich mich zum Werdegang dieser Zeitschrift äussern kann. Dies, weil ich die Gelegenheit hatte, die Texte meiner Vorgängerinnen und Vorgänger zu lesen, die sich an die Höhen und Tiefen der Schweizer Filmbranche erinnern. Vor allem aber bin ich froh, weil mir bei allen ein gemeinsamer Gesichtspunkt aufgefallen ist: die Schwierigkeit, eine Zeitschrift zu leiten, die widersprüchliche Erwartungen erfüllen muss. Sie soll in erster Linie der Kommunikation innerhalb der Audiovisionsbranche dienen, doch diese Branche erscheint so oft in verschiedene Lager gespalten, dass jede Kommunikation zum Drahtseilakt wird. Ein Schritt zu weit nach links, und schon befindet man sich unweigerlich im Sog der Kulturpolitik. Von der Rolle des Beobachters wird man in die eines Handelnden katapultiert, was für einen Journalisten fatal ist. Ein Schritt zu weit nach rechts, und man fällt ins andere Extrem: zu viel Distanz zur Branche, deren Subtilitäten einem dann entgehen. Diese mögen zwar byzantinisch wirken, doch ist es immer gut, sie zu kennen, wenn man die ständige Aufregung verstehen möchte, die die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren in dieser seltsamen Berufswelt prägt. Filmpolitik wird personalisiert Einen solchen Dampfer auf so bewegter See zu führen, hat etwas von einer Atlantiküberquerung im Alleingang. Der Vorschlag, die Chefredaktion auf zwei Personen auszudehnen, hatte eine heilsame Wirkung. Und ich muss sagen: Mit Nina Scheu von 40 Jahre Cinébulletin 40 Jahre Cinébulletin Von Emmanuel Cuénod 40 Jahre Cinébulletin 17 Die neue Leistungsvereinbarung Die Neulancierung von Cinébulletin beanspruchte zuerst Nina Scheu und mich, dann ab 2012 ihre Nachfolgerin Kathrin Halter besonders intensiv. Uns war von Anfang an klar, dass wir die neue verlegerische und visuelle Ausrichtung nicht im Alleingang umsetzen wollten. Wir hatten zwar unsere Vorstellungen. Doch was nützen Vorstellungen von einer Branchenzeitschrift, wenn die Leute aus der Branche sie möglicherweise nicht mittragen, ja vielleicht sogar in Bausch und Bogen ablehnen? Deshalb führten wir in der Branche eine gross angelegte Umfrage durch, die zum Sammelbecken aller zukünftigen Änderungen wurde. Mir war es ein besonderes Anliegen, die Unabhängigkeit der Zeitschrift zu festigen. Ich konnte dabei auf die wertvolle Unterstützung von Vincent Adatte zählen und erreichte, dass das Produktionszentrum in der Maison des arts du Grütli bleiben konnte. Zuerst stellte uns Swiss Films die Räumlichkeiten zur Verfügung, dann bezogen wir ein eigenes Büro, das von der Stadt Genf subventioniert wird. Zudem versuchte ich in Partnerschaft mit mehreren Westschweizer Medien, dem breiten Publikum die Herausforderungen des Schweizer Films näherzubringen. Wir begannen, Sondernummern herauszugeben, was sich heute erfolgreich etabliert hat. Und last but not least gaben wir dem neuen Cinébulletin einen ersten Schliff. Die Neuaushandlung der Leistungsvereinbarung zwischen der Zeitschrift und dem Bundesamt für Kultur – sie stand nun unter einem besseren Stern – beschleunigte den Prozess. Dank der gemeinsamen Bemühungen der Chefredaktion, des Trägervereins und der neuen Leitung der Sektion Film verfügten wir endlich über die Mittel, die für die praktische Umsetzung der Branchenvorschläge nötig waren. Gleichzeitig endete meine Zeit in der Redaktion von Cinébulletin: Der unerwartete Rücktritt von Claudia Durgnat stellte das Festival Tous Ecrans vor existenzielle Probleme. Man bat mich, ihre Nachfolge anzutreten, und natürlich nahm ich das Angebot an. Allerdings werde ich immer den fahlen Geschmack des Unvollendeten in mir haben, wenn ich an Cinébulletin zurückdenke. Eine leidenschaftliche Strapaze Unter der Leitung des Duos Winnie Covo/Kathrin Halter entwarf der Grafiker Ramon Valle ein Design, das, wie in den Printmedien selten zu finden, Eleganz und Übersichtlichkeit verbindet. Winnie Covo konnte mit ihren Erfahrungen im Webbereich viel zum Internetauftritt der Zeitschrift beitragen. Ich weiss aber aus Erfahrung, dass es noch viele Hürden zu nehmen gibt. In Zeiten, da die Finanzierung von Printmedien je länger, je unsicherer ist, eine Publikation am Leben zu erhalten, ist eine grosse Herausforderung. Auch der Vorstand von Cinébulletin hat sich entschlossen, sich neu aufzustellen, und es ist noch zu früh, um zu wissen, was dabei herauskommt. Ich weiss nur, dass es für mich eine leidenschaftliche Strapaze und die wohl lehrreichste Erfahrung überhaupt war, wie einst Walter Ruggle, Françoise Deriaz, Michael Sennhauser oder Nina Scheu das Cinébulletin geleitet zu haben. ..................................... rechtzeitig vorgesorgt .................... www.vfa-fpa.ch 40 Jahre Cinébulletin stärken, indem wir uns vom Konflikt distanzierten, ohne jedoch dessen Bedeutung und die Auswirkungen auf die Branche zu verschweigen. Es ist bemerkenswert, dass einer der ersten Entscheide der neuen Chefredaktion, noch unter dem wachsamen Auge von Françoise Deriaz, war, Nicolas Bideau ein langes Interview zu gewähren. Darin sollte der zu Präsenz Schweiz wechselnde Kulturchef seine Politik erklären und eine persönliche Bilanz seiner fünfjährigen Tätigkeit im BAK ziehen. Die Redaktionsneulinge bekräftigten die Unabhängigkeit von Cinébulletin, indem sie jenem das Wort gaben, der den Schweizer Film personalisiert hatte und daraufhin zum Prügelknaben der Branche wurde. Wir verdanken es der Offenheit und Weitsicht von Françoise Deriaz und Micha Schiwow, der damals Herausgeber der Zeitschrift und Direktor von Swiss Films war, dass sie diesen Entscheid mittrugen, obwohl sie selbst auch schwierige Zeiten durchgemacht hatten. Später versuchten wir mehr oder weniger erfolgreich, diese Linie zu halten. Im breiten Fazilitationsprozess zwischen dem Bundesamt für Kultur und den wichtigsten Berufsorganisationen und Interessengruppen des Schweizer Films gelang es uns zweifellos nicht immer, unsere eigenen Präferenzen für das eine oder andere Förderungssystem ganz zu unterdrücken. Sie sind je nach Artikel da und dort erkennbar, oft auch zwischen den Zeilen. Doch ich kann bestätigen, dass wir allen das Wort gegeben und die Meinung aller respektiert haben. 40 Jahre Cinébulletin
© Copyright 2025 ExpyDoc