NZZ am Sonntag 8. November 2015 VW-Chef Müller Schreiben an den Bundesrat 35 Datenschutz Europa droht die Ohnmacht 37 Falten-weg-Spritze Botox verdrängt Schönheits-OP 33 Ex-UBS-Banker Raoul Weil wagt sich erneut in den Kampf SALVATORE VINCI Er gewann bereits einen Strafprozess in den USA. Jetzt stellt sich die einstige Nummer 3 der UBS auch in Frankreich dem Verfahren. Von Sebastian Bräuer Zurück in der Heimat: Raoul Weil, vier Tage nach seinem Freispruch in den USA, mit dem die wenigsten gerechnet hatten. (Zürich, 7. November 2014) D emnächst wird Raoul Weil seine Memoiren veröffentlichen. Der ehemalige Chef der UBS-Vermögensverwaltung hat in diesem Jahr, das er wieder als freier Mann verbringen durfte, viel Zeit in seinem Ferienhaus in den Bergen verbracht, um seine Geschichte zu Papier zu bringen. Ein wichtiges Kapitel wird aber wohl noch fehlen. Wie jetzt bekanntwird, erfuhr Weil im Juni, dass französische Staatsanwälte gegen ihn ermitteln. Bereits seit längerem untersuchen sie, ob Kundenberater der UBS in Frankreich beim Verschleiern von Steuerbetrug halfen. Es ist denkbar, dass in vielen Fällen mangels Lizenz bereits die Betreuung der Kunden illegal war. Jetzt wollen die Pariser Ermittler den Nachweis erbringen, dass Weil, einst globaler Chef aller Kundenberater, zwischen 2004 und seinem Rücktritt im November 2008 von möglichen Verfehlungen wusste oder sie sogar anordnete. Angeklagt ist Weil nicht. Er hätte zunächst abwarten können, wie sich die Dinge entwickeln. Stattdessen entschied er sich, offensiv mit der Angelegenheit umzugehen, wie sein Bereits in seinem Prozess in den USA errang Weil einen Sieg, der weit über seinen Fall hinaus Symbolkraft hat. französischer Anwalt Jean-Yves Dupeux schildert. Der ehemalige Banker selbst wollte sich diese Woche nicht zur Sache äussern. Im Juli flog Weil laut seinem Anwalt nach Paris und liess sich von einem Zollbeamten befragen. «Er hatte keinerlei Grund, das nicht zu tun», sagt Dupeux. Im September reiste er demnach erneut an, um vor den Richter zu treten, der in jenem Monat eine formelle Untersuchung eröffnete. Der Richter verlangte eine Kaution von 200 000 €, die voraussichtlich in den nächsten Tagen fällig wird. Sollte es zum Prozess kommen, wäre das laut Dupeux voraussichtlich erst 2017 der Fall. Weil würde erneut nach Paris fahren und versuchen, seine Unschuld zu beweisen. «Er bestreitet mit gutem Grund sämtliche Vorwürfe», sagt Dupeux. Das Frankreich-Geschäft sei, gemessen an sämtlichen von der UBS verwalteten Geldern, sehr klein gewesen. Weil habe sich als globaler Chef der Vermögensverwaltung praktisch nie um Frankreich gekümmert und sei auch nicht über angebliche Missstände informiert worden. «Er sieht die Untersuchung entspannt.» Weil habe vor der Wahl gestanden, sich entweder zu stellen oder einen internationalen Haftbefehl zu riskieren. Selbstverständlich wirkt die Entscheidung keinesfalls. Der Streit zwischen Weils einstigem Arbeitgeber und dem französischen Staat ist in ungutem Masse eskaliert. 2014 musste die UBS mit 1,1 Mrd. € die höchste Kaution hinterlegen, die in Frankreich bisher je von einem Unternehmen verlangt wurde. Immerhin ist die Kaution verzinst. In einer Erklärung bezeichnete es die Bank als «inakzeptabel», 1,1 Mrd. € musste die UBS in Frankreich als Kaution hinterlegen. Bis heute ist das Rekord. 12,2 Mrd. € liessen Vermögende im kritischen Zeitraum von UBS France verwalten. Davon sind laut Ermittlern mindestens 80% vor den Steuerbehörden verheimlicht worden. Raoul Weil Raoul Weil begann seine Karriere nach dem Abschluss des Militärdienstes im Jahr 1984 beim Schweizerischen Bankverein. Nach mehreren Stationen im In- und Ausland stieg er 2002 zum Leiter der Vermögensverwaltung der UBS auf. Im November 2008 trat er zurück, nachdem er in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt worden war, stellte sich aber zunächst nicht. Für einige Zeit arbeitete er bei einem Vermögensverwalter im Kanton Schwyz. Im Oktober 2013 wurde Weil bei einer privaten Reise in Italien festgenommen und kurz darauf in die USA ausgeliefert. Nach einem dreiwöchigen Prozess wurde er im November 2014 freigesprochen. Weil wird in wenigen Tagen 56. (smb.) dass die Angelegenheit «politisiert wurde», und klagte sich erfolglos durch mehrere französische Instanzen. Jetzt hat sich die UBS an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. «Es wäre intelligenter, diskret zu verhandeln», kritisiert Eric Vernier, Finanzexperte beim Institut de relations internationales et stratégiques (Iris) in Paris. Dabei ist der Vorwurf, das Verfahren sei politisiert, sogar berechtigt. Im Herbst 2014 zitierte die Enthüllungsplattform «Mediapart» aus einem Schreiben der für die UBS zuständigen Staatsanwälte Serge Tournaire und Guillaume Daiëff, in dem sie der Schweiz im Kampf gegen Steuerhinterziehung mangelnde Kooperation vorwarfen. Mit dem «fragwürdigen» Argument, einfache Steuerhinterziehung sei in der Schweiz kein Straftatbestand, habe die Justiz Amtshilfegesuche abgewiesen. 104 Gesuche seien unbeantwortet geblieben. Ein Sprecher der Eidgenössischen Steuerverwaltung sagte dazu diese Woche, die Schweiz behandle alle Amtshilfegesuche ausländischer Behörden im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gleich. Aber: «Sobald wir zur Einschätzung kommen, dass Anfragen auf gestohlenen Daten beruhen, lehnen wir sie grundsätzlich ab.» Es ist somit gut möglich, dass Gesuche, die dank Informationen des Datendiebs Hervé Falciani zustande kommen, genauso abgelehnt werden wie solche, die sich auf UBS-Whistleblower stützen. Mitten in dieser aufgeheizten Atmosphäre versucht nun der ehemalige Top-Banker Weil ein zweites Mal, das Funktionieren des Rechtsstaates zu beweisen. Er will zeigen, dass die zuständigen Richter in Paris, anders als möglicherweise die Staatsanwaltschaft, völlig unabhängig von der Politik agieren. Sollte er siegen, wäre das ein Signal an andere Banker, die im Ausland unter Druck stehen. Bereits in seinem Prozess in den USA errang Weil einen Sieg, der weit über seinen Fall hinaus Symbolkraft hat. Statt einen Deal mit der Staatsanwaltschaft auszuhandeln wie mehrere Schweizer Banker vor ihm, plädierte Weil auf unschuldig. Nach nur 15-minütiger Beratung sprachen die Geschworenen Weil von sämtlichen Vorwürfen frei. Das Urteil bewies, dass es unter bestimmten Voraussetzungen legal war, undeklarierte Konti von US-Kunden zu verwalten. Und es belegte, dass Schweizer Banker gut beraten sind, selbstbewusster aufzutreten, als das seit 2008 oft der Fall war. Vielleicht verhilft Weil der verunsicherten Branche jetzt auch in Frankreich zu einem Durchbruch. Vernier von der Denkfabrik Iris sagt: «Weil riskiert eine Gefängnisstrafe. Aber das Risiko ist äusserst gering. Die Staatsanwaltschaft wird es sehr schwer haben, ihm eine Mitwisserschaft nachzuweisen.»
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