Ex-UBS-BankerRaoulWeil wagtsicherneutindenKampf

NZZ am Sonntag 8. November 2015
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Ex-UBS-Banker Raoul Weil
wagt sich erneut in den Kampf
SALVATORE VINCI
Er gewann bereits einen Strafprozess in den USA. Jetzt stellt sich die einstige
Nummer 3 der UBS auch in Frankreich dem Verfahren. Von Sebastian Bräuer
Zurück in der Heimat: Raoul Weil, vier Tage
nach seinem Freispruch in den USA,
mit dem die wenigsten gerechnet hatten.
(Zürich, 7. November 2014)
D
emnächst wird Raoul Weil
seine Memoiren veröffentlichen. Der ehemalige Chef der
UBS-Vermögensverwaltung
hat in diesem Jahr, das er
wieder als freier Mann verbringen durfte, viel Zeit in
seinem Ferienhaus in den Bergen verbracht,
um seine Geschichte zu Papier zu bringen.
Ein wichtiges Kapitel wird aber wohl noch
fehlen. Wie jetzt bekanntwird, erfuhr Weil im
Juni, dass französische Staatsanwälte gegen
ihn ermitteln. Bereits seit längerem untersuchen sie, ob Kundenberater der UBS in Frankreich beim Verschleiern von Steuerbetrug halfen. Es ist denkbar, dass in vielen Fällen mangels Lizenz bereits die Betreuung der Kunden
illegal war. Jetzt wollen die Pariser Ermittler
den Nachweis erbringen, dass Weil, einst
globaler Chef aller Kundenberater, zwischen
2004 und seinem Rücktritt im November
2008 von möglichen Verfehlungen wusste
oder sie sogar anordnete.
Angeklagt ist Weil nicht. Er hätte zunächst
abwarten können, wie sich die Dinge entwickeln. Stattdessen entschied er sich, offensiv
mit der Angelegenheit umzugehen, wie sein
Bereits in seinem Prozess
in den USA errang
Weil einen Sieg, der weit
über seinen Fall hinaus
Symbolkraft hat.
französischer Anwalt Jean-Yves Dupeux schildert. Der ehemalige Banker selbst wollte sich
diese Woche nicht zur Sache äussern. Im Juli
flog Weil laut seinem Anwalt nach Paris und
liess sich von einem Zollbeamten befragen.
«Er hatte keinerlei Grund, das nicht zu tun»,
sagt Dupeux. Im September reiste er demnach
erneut an, um vor den Richter zu treten, der in
jenem Monat eine formelle Untersuchung eröffnete. Der Richter verlangte eine Kaution
von 200 000 €, die voraussichtlich in den
nächsten Tagen fällig wird.
Sollte es zum Prozess kommen, wäre das
laut Dupeux voraussichtlich erst 2017 der Fall.
Weil würde erneut nach Paris fahren und versuchen, seine Unschuld zu beweisen. «Er bestreitet mit gutem Grund sämtliche Vorwürfe», sagt Dupeux. Das Frankreich-Geschäft
sei, gemessen an sämtlichen von der UBS verwalteten Geldern, sehr klein gewesen. Weil
habe sich als globaler Chef der Vermögensverwaltung praktisch nie um Frankreich gekümmert und sei auch nicht über angebliche Missstände informiert worden. «Er sieht die Untersuchung entspannt.» Weil habe vor der Wahl
gestanden, sich entweder zu stellen oder einen internationalen Haftbefehl zu riskieren.
Selbstverständlich wirkt die Entscheidung
keinesfalls. Der Streit zwischen Weils einstigem Arbeitgeber und dem französischen Staat
ist in ungutem Masse eskaliert. 2014 musste
die UBS mit 1,1 Mrd. € die höchste Kaution
hinterlegen, die in Frankreich bisher je von einem Unternehmen verlangt wurde. Immerhin
ist die Kaution verzinst. In einer Erklärung
bezeichnete es die Bank als «inakzeptabel»,
1,1
Mrd. €
musste die UBS in
Frankreich als Kaution hinterlegen. Bis
heute ist das Rekord.
12,2
Mrd. €
liessen Vermögende
im kritischen Zeitraum von UBS France
verwalten. Davon
sind laut Ermittlern
mindestens 80% vor
den Steuerbehörden
verheimlicht worden.
Raoul Weil
Raoul Weil begann seine Karriere nach dem
Abschluss des Militärdienstes im Jahr 1984
beim Schweizerischen Bankverein. Nach
mehreren Stationen im In- und Ausland
stieg er 2002 zum Leiter der Vermögensverwaltung der UBS auf. Im November
2008 trat er zurück, nachdem er in den USA
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
angeklagt worden war, stellte sich aber
zunächst nicht. Für einige Zeit arbeitete er
bei einem Vermögensverwalter im Kanton
Schwyz. Im Oktober 2013 wurde Weil bei
einer privaten Reise in Italien festgenommen und kurz darauf in die USA ausgeliefert. Nach einem dreiwöchigen Prozess
wurde er im November 2014 freigesprochen. Weil wird in wenigen Tagen 56. (smb.)
dass die Angelegenheit «politisiert wurde»,
und klagte sich erfolglos durch mehrere französische Instanzen. Jetzt hat sich die UBS an
den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. «Es wäre intelligenter, diskret
zu verhandeln», kritisiert Eric Vernier, Finanzexperte beim Institut de relations internationales et stratégiques (Iris) in Paris.
Dabei ist der Vorwurf, das Verfahren sei politisiert, sogar berechtigt. Im Herbst 2014 zitierte die Enthüllungsplattform «Mediapart»
aus einem Schreiben der für die UBS zuständigen Staatsanwälte Serge Tournaire und Guillaume Daiëff, in dem sie der Schweiz im
Kampf gegen Steuerhinterziehung mangelnde
Kooperation vorwarfen. Mit dem «fragwürdigen» Argument, einfache Steuerhinterziehung sei in der Schweiz kein Straftatbestand,
habe die Justiz Amtshilfegesuche abgewiesen.
104 Gesuche seien unbeantwortet geblieben.
Ein Sprecher der Eidgenössischen Steuerverwaltung sagte dazu diese Woche, die
Schweiz behandle alle Amtshilfegesuche ausländischer Behörden im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten gleich. Aber: «Sobald wir
zur Einschätzung kommen, dass Anfragen auf
gestohlenen Daten beruhen, lehnen wir sie
grundsätzlich ab.» Es ist somit gut möglich,
dass Gesuche, die dank Informationen des Datendiebs Hervé Falciani zustande kommen,
genauso abgelehnt werden wie solche, die
sich auf UBS-Whistleblower stützen.
Mitten in dieser aufgeheizten Atmosphäre
versucht nun der ehemalige Top-Banker Weil
ein zweites Mal, das Funktionieren des
Rechtsstaates zu beweisen. Er will zeigen,
dass die zuständigen Richter in Paris, anders
als möglicherweise die Staatsanwaltschaft,
völlig unabhängig von der Politik agieren.
Sollte er siegen, wäre das ein Signal an andere
Banker, die im Ausland unter Druck stehen.
Bereits in seinem Prozess in den USA errang
Weil einen Sieg, der weit über seinen Fall hinaus Symbolkraft hat. Statt einen Deal mit der
Staatsanwaltschaft auszuhandeln wie mehrere Schweizer Banker vor ihm, plädierte Weil
auf unschuldig. Nach nur 15-minütiger Beratung sprachen die Geschworenen Weil von
sämtlichen Vorwürfen frei. Das Urteil bewies,
dass es unter bestimmten Voraussetzungen
legal war, undeklarierte Konti von US-Kunden
zu verwalten. Und es belegte, dass Schweizer
Banker gut beraten sind, selbstbewusster aufzutreten, als das seit 2008 oft der Fall war.
Vielleicht verhilft Weil der verunsicherten
Branche jetzt auch in Frankreich zu einem
Durchbruch. Vernier von der Denkfabrik Iris
sagt: «Weil riskiert eine Gefängnisstrafe. Aber
das Risiko ist äusserst gering. Die Staatsanwaltschaft wird es sehr schwer haben, ihm
eine Mitwisserschaft nachzuweisen.»