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12 Nachrichten
Der Banker Raoul Weil zwang die US-Justiz in
«George Clooney
wäre mein
Favorit!»
CHRISTINE MAIER
A
uf den ersten Blick
hat er nichts von einem Helden, wie
man ihn sich gemeinhin
vorstellt. Er ist zwar gross,
eine beinahe imposante Erscheinung – aber sein Lächeln wirkt schüchtern, die
Stimme leise. Er spricht
konzentriert, dem Vis-àVis schaut er freundlich,
doch mit kritischer Distanz
in die Augen.
Er ist kein Mann der
grossen Gesten. Die Hände
liegen während des ganzen
Gesprächs ruhig auf dem
Tisch. Hin und wieder gleitet sein Blick in die Ferne,
dann macht Raoul Weil
den Eindruck, er wäre jetzt
– statt Fragen zu beantworten – lieber mit seinem
Wheaten Terrier Madhu im
Wald. Auf die Frage, ob er
sich als Helden sieht, zögert er. Nein, eher als Winkelried, den man allerdings – er sagt es mit einem
Schmunzeln, «in die Speerspitzen schubsen musste».
Für viele ist der ehemalige Chef der globalen Vermögensverwaltung der
UBS ein David, der gegen
Goliath obsiegte: Der
Schweizer Banker zwang
die US-Justiz im November
2014 in einem aufsehenerregenden Prozess in die
Knie, was viele im aufgeheizten Steuerstreit zwi-
schen der Schweiz, ihren
Banken und den USA für
unmöglich hielten. Besonders waghalsig war , dass
er einen Deal mit dem
Staatsanwalt ausschlug –
obwohl bekannt war, dass
das US-Justizdepartement
in 95 Prozent vergleichbarer Fälle das Rennen gemacht hatte und obwohl
ein Kollege von Weil ihn
zuvor bei einem solchen
Deal anschwärzte, um die
eigene Haut zu retten.
Wie sah der Deal aus,
Herr Weil?
Raoul Weil: Ich hätte mich
selber kriminalisieren müssen. Zugeben müssen, dass
ich Beihilfe zum Steuerbetrug geleistet hatte. Dafür
hätte ich ein Jahr und einen
Tag Knast kassiert. Das war
undenkbar für mich. Ich war
unschuldig! Meine Frau und
ich entschieden, uns diesem
Prozess zu stellen.
Raoul Weil gewann fulminant: Am 3. November
2014 verkündet der Sprecher der zwölf Geschworenen nach rekordverdächtigen 45 Minuten Beratung:
«Unschuldig!» Der Basler
war nach zwei Monaten
Gefängnis in Bologna und
11 Monaten Hausarrest in
den USA ein freier Mann.
Träumen Sie noch von
diesem Moment?
Nein, ich staune selber, ich
träume gar nie von dieser
Zeit. Weder vom Gefängnis
in Bologna oder Fort Lauderdale, noch von den Monaten im Hausarrest in
New Jersey. Manchmal
kommt es mir vor, als sei
das alles in einem anderen
Leben passiert.
Sie wirken sehr gelassen,
scheinen nicht verbittert.
Auch nicht über den Verrat ehemaliger Kollegen.
Wissen Sie, wenn Sie so etwas erlebt haben, können
Sie hadern und sich mit ne-
Persönlich
Raoul Weil (57) sieht
sich nicht als Held. Eher
als Winkelried, den man
in die Speerspitzen habe
schubsen müssen. Mehr
als ein Jahr verbrachte
der Ex-Chef der UBSVermögensverwaltung in
italienischer Haft und
unter Hausarrest in den
USA. Die Anklage: Beihilfe zum Steuerbetrug. Im
November 2014 wurde
der Basler freigesprochen. l
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AKTUELL
3. April 2016
die Knie – nun soll sein Fall verfilmt werden
gativen Gedanken vergiften. Oder sie können sich
entscheiden, darüber hinwegzukommen und das
Leben zu geniessen. Das
tun wir ganz bewusst, meine Frau Susanne und ich.
Sie wurden auch schon
als «sanfter Riese» beschrieben. Zu recht?
Oh je (lacht), das habe ich
noch nie gehört! Sagen wir
es so: Es war mir schon immer wichtig, mit mir selber
in der Balance zu sein. Nur
so kann ich glücklich sein.
Konnten Sie auch im
Knast von Bologna gelassen sein?
Zuerst war es schwierig.
Aus einem warmen Hotelbett rausgerissen zu werden und in einer winzigen
Zelle mit zwei Kriminellen
zu landen, ist gewöhnungsbedürftig.
Hatten Sie Angst vor den
beiden?
Nein, sie waren immer anständig zu mir. Aber zu Beginn war ich schon sehr
naiv. Ich kam zwei-, dreimal in Situationen, in denen es richtig gefährlich
wurde. Da hatte ich plötzlich eine Klinge am Hals.
Ich musste schnell lernen,
mich richtig zu verhalten
und mich einzufügen.
Was heisst das?
Ich war extrem vorsichtig,
versuchte, nie mit jemandem alleine zu sein.
Warum wurden Sie bedroht?
Die Mithäftlinge hatten
einen Bericht über
mich im italienischen Fernsehen gesehen
und
ihn
falsch verstanden.
Sie meinten, ich
hätte
200
Millionen
USDollar
in
einem Bankraub gestohlen.
Das Geld wollten sie aus
mir herauspressen. Es hat
ein Weilchen gedauert, bis
ich Ihnen mit Händen und
Füssen klarmachen konnte,
dass ich kein Bankräuber
bin, der irgendwo einen
Haufen Geld vergraben hat.
Was war das Schlimmste
daran, eingesperrt zu
sein? Der Verlust von
Freiheit und Selbstbestimmung?
Das ist natürlich gravierend, aber nicht lebensbedrohlich. Ich war mehr am
Anschlag, weil ich nicht
wusste, wie lange ich in Bologna bleiben würde, und
weil ich gesundheitliche
Probleme bekam.
Welche?
Ich war niedergeschlagen –
insbesondere, weil man
mehrfach den gewünschten Hausarrest in Italien
ablehnte. Und mir war sehr
kalt. Es war Oktober, ich
war nicht gut ausgerüstet,
bis mir meine Frau aus der
Schweiz warme Sachen
brachte. Ich bekam Gichtanfälle, Probleme mit den
Zähnen. Aber ich habe
Glück, weil ich keine bleibenden gesundheitlichen
Schäden davontrug.
Sind Sie ein religiöser
Mensch?
Ja, allerdings nicht im organisierten Sinn. Ich wurde protestantisch erzogen,
hatte aber einen atheistischen Vater. Wenn Sie
mich jetzt fragen, was mir
am nächsten liegt, dann
würde ich sagen: Durch die
Zeit, die ich in Asien lebte,
hat der Buddhismus ein
bisschen abgefärbt.
Bedeutet das, dass Sie
der Zeit im Gefängnis,
dem Hausarrest in New
Jersey und dem Prozess
einen Sinn abgewinnen?
Das hat was: Der ganze Fall
war eine Art Weckruf für
mich. Ich war zuvor im
Hamsterrad
gefangen,
ständig unterwegs, hatte
keine Zeit, mal innezuhalten und mich zu fragen,
was eigentlich wichtig ist.
Haben Sie heute eine
Antwort?
Am Ende gibt es nichts
Wichtigeres als Gesundheit, eine gute Beziehung,
ein intaktes familiäres Umfeld. Freunde zu haben, die
zu einem stehen, sein inneres Gleichgewicht zu finden. Alles andere ist sekundär.
In Ihrem Buch beschreiben Sie das Verhältnis zu
Ihrer Ehefrau Susanne
als sehr innig und liebevoll...
Spannung entgegen. «Die
zwei Monate im italienischen Knast. Auf engstem
Raum mit Schwerverbrechern. Der Hausarrest in den
USA, der harte Kampf mit
dem Staatsanwalt vor Gericht, das fulminante Happy
End – was Raoul Weil erlebte, ist ein veritabler, hochpolitischer Krimi». Weil selber
sei ein «feiner Kerl», er entspreche so gar nicht dem Klischee eines Bankers.
Nachdem Sie den Bestseller «Der Fall Weil»
Raoul Weil vergangene Woche
im Gespräch mit
SonntagsBlickChefredaktorin
Christine Maier.
… das ist es auch. In solchen Extremsituationen
zeigt sich schnell, wie gross
die Liebe wirklich ist, was
eine Beziehung aushalten
kann. Viele zerbrechen.
Wir hatten Glück.
Im Herbst ist bekannt geworden, dass sich auch
die französische Justiz
Schweizer Banken vorknöpft. Sie sollen in Paris
befragt worden sein. Was
ist der Stand der Dinge?
Das ist ein laufendes Verfahren, ich darf mich dazu
nicht äussern.
Ihre Erlebnisse sollen
verfilmt werden. Wer
wäre Ihr Favorit für die
Hauptrolle?
George Clooney, der ist
aber finanziell ausser
Reichweite (lacht).
Die renommierte Schweizer
Firma C-Films, die Kassenschlager wie «Der Verdingbub», «Dr Goali bin ig», oder
«Mein Name ist Eugen» produzierte, hat sich die Rechte
gesichert. Co-Geschäftsleiter
Peter Reichenbach (siehe
Box)sieht dem Projekt mit
schrieben: Werden Sie
auch am Drehbuch mitarbeiten?
Nein, das traue ich mir
nicht zu.
Was macht der ehemalige Top-Banker Raoul
Weil eigentlich heute?
Ich habe ein paar Beratungsmandate, nach wie
vor im Banking und im Bereich e-commerce, daran
habe ich wirklich Freude.
Sind Sie noch mit der
UBS verbunden?
Ich habe 25 Jahre für diese
Bank gearbeitet, war lange
im Ausland, habe Freunde
gefunden. Diese Freundschaften bestehen weiter.
Wegen der Gehälter ihres
Topmanagements macht
die UBS wieder Schlagzeilen. CEO Sergio Ermotti bezog 2015 über 14
Millionen Franken. Haben
die Banker nichts aus der
Krise gelernt?
Ich kenne Herrn Ermotti
nicht. Ich möchte zu diesem Thema nur Folgendes
sagen: In dieser Liga spielt
wie im Fussball der Markt.
Haben Sie seinerzeit als
Chef der weltweiten Vermögensberatung auch in
dieser Grössenordnung
verdient?
Nicht in diesen Dimensionen, aber ja, ich verdiente
gut damals. Doch Geld war
für mich nicht der Hauptmotivator.
Welche Bedeutung hat
Geld für Sie?
Es ist beruhigend, wenn
man tun kann, was man
gerne tut. Aber wir leben
normal, meine Frau und
ich. Protz und Statussymbole interessieren uns
nicht. Wir hatten nie eine
Segelyacht, leben in einer
Mietwohnung, fahren einen Kombi, damit Mahdu
hinten reinpasst.
Letzte Frage: Der Schweizer Bankenplatz steht
unter Druck. Es kommt
zu Personalabbau. Machen Sie sich Sorgen?
Ich bin sehr zuversichtlich.
Auch wenn die Banken allenfalls
noch
etwas
schrumpfen müssen. Die
grössten Anpassungen haben wohl bereits stattgefunden. Und längerfristig
wird die Qualität des
Schweizer Bankenplatzes
überzeugen. l
«So gar nicht das Klischee»
C-Films-Produzent
Peter Reichenbach
(61, Foto), der das
Leben des ehemaligen Basler TopBankers verfilmen
möchte: «Raoul
Weil entspricht so
gar nicht dem Klischee des
Bankers.» Seine eigene
Sicht hat Weil in dem Best-
seller «Der Fall Weil
– Wie mein Leben in
den Fängen der USJustiz zum Albtraum wurde» festgehalten (unten):
WörtersehVerlag, 368 Seiten, 39.90 Franken. l