Chance und Herausforderung für die Automobilindustrie

CRM in the Digital Age
Chance und Herausforderung
für die Automobilindustrie
Automobilhersteller können eine Vielzahl neuer digitaler Möglichkeiten
für die Intensivierung ihrer Kundenbeziehungen einsetzen. Dabei kommt
Data Management & Analytics als neuem Herzstück von CRM eine
zentrale Rolle zu.
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Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016
Mobile Devices, Social Media und das Internet of Things bieten
Unternehmen und Kunden ganz neue Möglichkeiten, miteinander
in Kontakt zu treten – überall, zu jeder Zeit und mit unterschiedlichsten Darstellungsformen. Analysen von Datenbeständen, die
als Folge der Digitalisierung quasi „nebenbei“ erzeugt werden,
erlauben neue Erkenntnisse über Kunden, Interessenten und
deren Bedarfe in bislang unbekannter Breite und Tiefe. Dies
tangiert die wesentlichen Eckpfeiler von Customer Relationship
Management:
• Kenne deinen Kunden und seine Bedarfe!
• Biete ihm zu seinen Bedarfen passende Angebote!
• Kommuniziere in der für ihn individuell geeignete Form!
•Erzeuge dadurch ein positives und emotionales Kundenerlebnis,
um Kundenbegeisterung auszulösen und seine Loyalität zu
gewinnen!
• Und: Tue all das möglichst wirtschaftlich, also unter Einsatz
von effizienten Prozessen und unterstützt von adäquaten
Systemen!
Digitale Customer Journey
Am Beispiel der Automobilindustrie sei verdeutlicht, welche
Chancen und Herausforderungen die Digitalisierung für das
Management der Kundenbeziehungen hat. Für die klassische
Customer Journey eines (Neu-)Fahrzeugkaufs ebenso wie für die
Customer Journey im Aftersales für Werkstattleistungen ergeben
sich drei zentrale Änderungen:
1. Neue digitale Touchpoints
Es entstehen neue digitale Touchpoints. Beispiele hierfür sind
die „Always-on“-Smartphones und Tablets der Kunden, die eine
permanente Verbindung zwischen Kunden und Automobil­
herstellern sowie Händlern und Werkstätten ermöglichen. Dies
bringt gleichzeitig die Forderung mit sich, Kunden eine nutzbringende App bereitzustellen, um nicht den Kontakt zu verlieren.
Zentral ist das Adjektiv „nutzbringend“ – eine App um der App
willen wird schnell als „Blindgänger“ enttarnt und birgt das
Potenzial einer Karteileiche. Der Nutzen muss nicht notwendiger­
weise direkt mit dem Automobil verbunden sein. Auch spielerische
„Entertainmentelemente oder hilfreiche Funktionen für andere
Bereiche des Alltags wie Smart Home, Smart Logistics, intermodale
Mobilität oder Smart Health bringen Kunden zur regelmäßigen
Nutzung einer App und binden ihn an die Marke. Smartphones
bieten im Zusammenspiel mit iBeacons oder GPS-basierten
Diensten die Möglichkeit, Kunden an bisher unbesetzten Orten
einen „virtuellen Point of Sales“ bereitzustellen, an dem Location
Based Services genutzt werden können. Connected Car spielt für
das CRM in der Automobilindustrie eine ganz besondere Rolle:
Zum einen wird das Fahrzeug selbst zum permanenten digitalen
Touchpoint, den der OEM im Moment des Produkterlebnisses
besonders wirksam für die Kommunikation nutzen kann. Zum
anderen eröffnen sich bisher nicht da gewesene Möglichkeiten
für die Sammlung von Fahrzeug- und fahr- oder nutzungs­
relevanten Daten.
2. Digitalisierung existierender Touchpoints
Der Umgang mit der digitalen Kommunikation ist selbstverständlich geworden, nicht nur für die „Digital Natives“. Wer die
Kommunikation über die digitalen Kanäle nicht beherrscht,
erreicht seinen Kunden nicht mehr. Dies gilt für elektronische
Medien wie E-Mail und klassische Webauftritte ebenso wie für
Customer Interaction Center und stationäre Retailformate. Auch
im Customer Care ziehen Videochat und Nutzung der SocialMedia-Plattformen als eine Form des Customer Self-Service ein.
Und auch im Händlerbetrieb sowie in der Werkstatt wollen die
Kunden digital „bespielt“ werden. In der Folge stellt die Digitalisierung ganz neue Anforderungen an die Orchestrierung der
Kommunikation über die verschiedenen digitalen und nichtdigitalen Kanäle. Die Komplexität des Multi- oder gar Omnikanal­
managements wächst im Zuge der Digitalisierung enorm. Darüber
hinaus verschwimmt die Grenze zwischen Kommunikation mit
bekannten Kunden auf Basis vorhandener Kontaktdaten – CRM
im engeren Sinne – und Ansprache von anonymen, nicht identifizierten Kunden, also klassische Werbung. Die Auswertung von
Device-spezifischen Informationen und Verhaltensweisen des
Nutzers eines digitalen Endgeräts, beispielsweise mittels Cookies,
erlaubt oftmals eine individuelle und bedarfsgerechte Ansprache
auch ohne Kenntnis der Identität des Kunden oder Interessenten.
Damit werden die wesentlichen Merkmale von CRM erfüllt,
auch ohne Identifizierung des Kunden.
3. Auflösung der vordefinierten Sequenz der Customer
Journey
Digitalisierung verändert grundlegend die Art und Weise, in der
Kunden eine Kaufentscheidung vorbereiten: Sie nutzen die vielfältigen Möglichkeiten, sich über Produkte und Services zu
informieren, unabhängig von Ort und Zeit. Jederzeit können
zusätzliche Details erforscht werden. Die Informationsbeschaffung
erfolgt daher häppchenweise und nicht mehr am Stück wie bei
einem traditionellen Händlerbesuch. Es wird eine viel größere
Anzahl unterschiedlicher Quellen herangezogen, weil die Kosten
der Informationsbeschaffung nahezu null sind. Darüber hinaus
ist es gängige Praxis, die „Peer Group“ über aktuelle Tätigkeiten
mittels sozialer Medien zu informieren und sie an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Die Kommunikation zwischen dem
Automobilhersteller beziehungsweise dem Händler und dem
Kunden wird laufend ergänzt durch Kommunikation der
Kunden untereinander mit entsprechender Auswirkung auf
die Ent­scheidungsfindung.
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Detecon Management Report dmr • Special CRM 1 / 2016
Touchpoint Hopping erhöht Abstimmungsaufwand
Die Customer Journey eines Kunden ist nicht mehr „linear“,
sondern geprägt durch ein schnelles und nur schwer vorher­
sehbares „Touchpoint Hopping“.
Mit Blick auf den in der Automobilindustrie üblichen dreistu­figen
Vertrieb kann ein durchgängiges und einheitliches Kunden­
erlebnis nur dann erzeugt werden, wenn alle an der Kundeninteraktion Beteiligten – Hersteller, Importeur (Wholesaleebene)
und Händler/Werkstatt (Retailebene) – reibungslos zusammenarbeiten. Bisher waren nahezu ausschließlich der Importeur und
der Händler im direkten Kundenkontakt: der Importeur im
Wesentlichen in den frühen Phasen der Leadgenerierung, der
Händler in der anschließenden Verkaufsabwicklung. Und im
Aftersalesgeschäft ist bislang nahezu ausschließlich die Werkstatt
das Gesicht für den Kunden, im Bedarfsfall unterstützt durch
Customer Care Center des Importeurs.
Dieses Zusammenspiel ändert sich durch die Digitalisierung
dramatisch: Ein Großteil der Informationsversorgung kann
zentral durch den Hersteller erfolgen, weil die digitalen Abruf­
kanäle durch das Internet überall auf der Welt zur Verfügung
stehen. Hier können bedeutende Skaleneffekte durch die Zentralisierung erzielt werden. Über das Connected Car, dessen Vertrags­
partner für die mobilen Services rund um das Auto der Hersteller
selbst ist – nicht mehr der Importeur oder der einzelne Händler –,
kommt der Hersteller erstmals originär in die direkte Kundenbeziehung. Der Abstimmungsaufwand zwischen den einzelnen
Dealership
„Next Generation Digital“-Kunde
Auch der Kunde selbst verändert sich mit all seinen Erwartungen
und Bedürfnissen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass der Verkauf
von Autos an 18- bis 34-jährige Käufer signifikant zurückgegangen ist. Mobilität steht im Vordergrund, das Eigentum an einem
Auto ist dagegen nicht mehr wichtig. Hat sich die Automobil­
industrie insgesamt schon ausreichend auf diesen Wandel eingestellt? Und kennt sie diese neue Generation und ihre Bedarfe?
Die sogenannten Millennials sind die erste Generation, die mit
digitaler Technik aufgewachsen ist. Kommunikation und Austausch mit der Außenwelt über digitale Medien und Endgeräte
sind integraler Bestandteil ihres Alltags. Dementsprechend
unterscheiden sich auch ihre Erwartungen an die Kommuni­
kation. Die Auswahl eines Kanals erfolgt aufgrund individueller
Präferenzen oder der jeweiligen Situation. Unabhängig vom
Kanal setzen diese Kunden heute voraus, dass sowohl der Inhalt
als auch die Darstellung eines Produkts oder einer Marke ohne
Brüche mit einer einheitlichen Stimme sprechen. Darüber hinaus
wird erwartet, dass eine App oder ein Webportal neben einer
Web / App
E-Mail / Letter
Configurator
Call Center
Social Media
Digital Advertising
etc.
Abb. 1: „Touchpoint Hopping“ in der digitalen Customer Journey
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Touchpoints erhöht sich in zweifacher Hinsicht: Erstens steigt
die Anzahl der Touchpoints und der beteiligten Interakteure auf
allen drei Vertriebsebenen. Und zweitens erzeugt das „Touchpoint Hopping“ die Notwendigkeit eines wechselseitigen und
jederzeitigen Informationsaustauschs über die bereits durchgeführten Interaktionen an vorhergegangenen Touchpoints, um
den Kunden auf Augenhöhe im nächsten Schritt bedienen zu
können.
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Customer Portal
Connected Car
hohen Performance durch schnelle Reaktionszeit intuitiv
bedienbar und nutzbar ist. Kunden möchten keine Zeit
darauf verwenden, die Technik zu verstehen. Wenn
man bedenkt, dass in dieser Zielgruppe 65 Prozent
„Internet of
der Kunden ihre Customer Journey auf einem
(Every)Things“
mobilen Endgerät starten, kann man nachvollziehen, wie viel der Content und das
Storytelling an Bedeutsamkeit gewinnen,
die der Nutzer beim Herunterscrollen
am mobilen Endgerät sieht. Die ersten
zwei bis drei Sekunden des Contents
sind entscheidend – sie lassen den
Daumen stoppen oder sich weiter­People always on
bewegen.
Connected Society
New Mobility
World
Smart Energy
Seamless Experience
of Digital Touchpoints
Smart City
Seamless Connectivity
Ausbau der Customer Intelligence
Touchpoint Hopping
Data Analytics
Als dritten wesentlichen Aspekt der
Digitalisierung müssen Automobilhersteller den Blick nach außen auf
das Marktgeschehen um sie herum
Communications
wenden. Die Digitalisierung hat
disruptive Veränderungen im Umgang
Smart Health
mit Daten hervorgebracht. Unzählige
Geschäftsmodelle der digitalen Big Player
basieren vollständig auf der Sammlung, Ausund Verwertung von Daten. Die Customer
Intelligence, die das für CRM so grundlegende
Smart Parking
Smart Logistics
Wissen um Kunden und ihre Bedürfnisse bereitstellt,
liegt nunmehr überwiegend in den Händen anderer.
Facebook, Google, Apple und andere sitzen auf einem
Smart Home
wahren Schatz an Detailkenntnis über Kunden, die dieses
–2–
Wissen teils bewusst, teils unbewusst zur Verfügung stellen.
Abb. 2: „Next Generation Digital“-Kunde ist always on
Insbesondere die Kombination ganz verschiedener Puzzleteile
aus dem Leben eines Kunden bringt wertvolle Erkenntnisse
über sein Verhalten und seine Bedarfe. Denn Google & Co.
beschränken sich nicht auf einen bestimmten Bereich, beispielsWenn man sehr abstrakt weiterdenkt und die Geschwindigkeit
weise die Automobilität, sondern sammeln und kombinieren
der Digitalisierung vor Augen hat, verwundert es nicht, dass erste
alle Spuren, die Kunden hinterlassen – auf welchen Pfaden sie
Stimmen aus Google & Co. das Auto lediglich als ein weiteres
mit ihrem mobilen Device auch immer wandeln. In Kombination
Mobile Device betrachten. Der Wissensvorsprung im Umgang
mit mächtigen Analysewerkzeugen werden so Segmentierungen
mit der Digitalisierung und die Kompetenz bezüglich Data
möglich, die eine extrem genaue Adressierung erlauben. Da die
Management und Analytics bergen das Risiko, von Non-OEMs
digitalen „Datensammler“ diese Daten und Erkenntnisse an
wie Google und Apple verdrängt zu werden. Eigene digitale
sich nicht herausgeben, sondern dem Meistbietenden ertragMobilitätsprodukte bis hin zum autonomen Auto sind bekanntreich den Kommunikationskanal zu den Zielgruppen eröffnen,
lich bereits jetzt konkreter als jede Zukunftsvision. Dies zeigt,
müssen Automobilhersteller diese Kanäle mit nutzen, um nicht
dass bei Mobilitätsdienstleistungen in Zukunft das Wissen um
ins Hintertreffen zu geraten. Und sie sollten nach Möglichkeiten
den Kunden und damit das Erkennen und Befriedigen seiner
suchen, selbst Daten zu sammeln und bezüglich der Customer
Bedürfnisse einen mindestens ebenso hohen Stellenwert haben
Intelligence nicht vollständig in Abhängigkeit zu geraten.
wie die traditionelle Kenkompetenz „Blech und Motor“.
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Dealership
E-Mail / Letter
Call Center
Digital Advertising
etc.
Web / App
Analytics
Configurator
+ External Data
Social Media
Big Data & Prediction
Data Management
Identification & Combination
Data
r
Integration Laye
Customer Portal
Connected Car
Abb. 3: Data Management & Analytics
Data Management & Customer Analytics als Herzstück
Wie können sich Automobilhersteller all diesen Herausforderungen stellen? Indem sie sich auf die digitale Transformation
einlassen und als Chance begreifen! Für die Digitalisierung der
Customer Journey bedeutet das zunächst die konsequente
Nutzung digitaler Kommunikationskanäle und ihre Orchestrierung durch Multi-/Omnikanalmanagement. Des Weiteren
bedeutet es die Implementierung ganz neuer digitaler Touchpoints und ihrer Einbindung in die Gesamtinteraktionen mit
den Kunden. Vor allem aber kommt dem Kundendatenmanagement eine zentrale Rolle zu: Da die Anzahl der Touchpoints und
die Frequenz der Touchpointbesuche steigen, es aber keine
planbare Reihenfolge der Touchpointbesuche mehr gibt und
sich außerdem die Anteile der Interaktionen durch die drei
Vertriebsstufen OEM, Importeur und Retail stark verschieben,
ist für digitales CRM die Sammlung aller Informationen über
die Kundeninteraktionen und umgekehrt die Bereitstellung an
allen Touchpoints der Schlüssel zum Erfolg. Der digitale Kunde
erwartet jederzeit die ubiquitäre Verfügbarkeit von Interaktionsmöglichkeiten am Touchpoint seiner Wahl. Er erwartet darüber
hinaus, dass sein Gegenüber informiert ist über ihn, seine
Bedarfe und insbesondere über die zuvor durchgeführten
Schritte seiner Reise, damit der diese „nahtlos“ fortführen kann.
Die Unterscheidung zwischen den drei Vertriebsstufen interessiert
ihn nicht. Deshalb darf es keinen Bruch in der vom Kunden
wahrgenommenen Interaktion geben, wenn de facto ein Wechsel
von beispielsweise Retail- auf OEM-Ebene stattfindet, weil
der Kunde sich nach dem Händlerbesuch im Webportal weiter
informiert oder seine begonnene Konfiguration fortsetzt.
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Voraussetzung hierfür ist die Bereitstellung des 360°-Blicks auf
den Kunden, jederzeit und an allen Touchpoints. Die zentrale
Rolle übernimmt die einheitliche Customer ID, die an allen
Touchpoints die Aktionen von bereits bekannten Kunden zu
besagtem 360°-Blick verbindet. Denn nur durch die Zusammen­
führung aller Aktionen der Kunden entsteht dieses umfassende
Bild. Für Aktionen, die anonym auf digitalen Endgeräten erfolgen,
können diese (zunächst) über temporäre IDs, zum Beispiel
Cookies, gesammelt und zusammengeführt werden. Zum
geeigneten Zeitpunkt kann dann über entsprechende Anreize
die Identifizierung oder Deanonymisierung des Kunden forciert
werden, um auch diese digitalen Spuren dem Gesamtprofil
hinzuzufügen.
Für die Umsetzung sind neben technischen Aspekten der
Datenzusammenführung (Data Integration Layer) auch organisa­
torische und legale Aspekte zu berücksichtigen, weil die Beteilig­
ten auf den drei Vertriebsstufen rechtlich selbstständig agierende
Einheiten sind und sie nicht ohne Weiteres alle Details über
„ihren“ Kunden austauschen dürfen. Hier greifen erweiterte
Konzepte für Marketingeinverständniserklärungen. Neben dem
Dürfen muss allerdings auch das Wollen für den Kundendatenaustausch bei allen Beteiligten hinreichend adressiert werden:
Jedem Interakteur muss der Vorteil durch das Data Sharing
bewusst gemacht werden. Erst die Transparenz über den Kunden
und seine Bedürfnisse ermöglicht wahres CRM!
Connected Car – Connected Customer
„Next Generation” CRM
Daten über Kunden, die dritte Marktakteure in großem
Umfang sammeln, sind in Einzelfällen als „externe Daten“ den
eigenen Kundendaten hinzuzufügen, um zielgenauere Segmentierungen und Kundenansprachen zu ermöglichen. Dies ist
allerdings sehr teuer – schließlich beruht das Geschäftsmodell
von Google & Co. auf den Einnahmen hieraus. Daher ist für
Automobilhersteller die Erweiterung der eigenen Datensammlung besonders interessant: Connected Car bietet grundsätzlich
die Möglichkeit, fahrzeugspezifische Bedarfe sowie mobilitäts­
relevantes Verhalten der Fahrer zu erfassen*.
Zweifelsohne schafft die Digitalisierung wertvolle Chancen für
die Automobilindustrie, um dem Kunden näher zu kommen:
Neue digitale Kanäle erschaffen ein vielfältiges Potpourri in der
Kundenkommunikation, Kunden sind überall und zu jeder Zeit
erreichbar. Allerdings ergibt sich daraus auch das Versprechen,
selbst permanent ansprechbar zu sein für die Anfragen des
Kunden – und zwar auf dem von ihm gewählten Kanal.
Omnikanal­management gewinnt an Bedeutung für ein kanal­
übergreifendes einheitliches Kundenerlebnis.
Zum einen können Unternehmen Meldungen der Steuergeräte –
Warnmeldungen, Fehlermeldungen oder auch nur Hinweise
auf den nächsten fälligen Service – zum Anlass nehmen, dem
Kunden konkrete Angebote für genau diesen Wartungs- oder
Reparaturbedarf des Fahrzeugs zukommen zu lassen. Und zwar
im zeitlichen und räumlichen Kontext mit dem Entstehen des
Bedarfs, am besten direkt auf die On-Board Unit des Fahrzeugs
oder die dazugehörige App. Die hohe Qualität der vom Fahrzeug direkt erzeugten Aftersales Leads überwindet auch die
sonst übliche Skepsis der Retailebene in Bezug auf die Qualität
der seitens des Herstellers bereitgestellten Leads: Die Ernsthaftig­
keit (Richtigkeit) des Bedarfs und die Zeitgerechtheit des
Bedarfs sind nicht zu übertreffen. Lediglich am Willen des Kunden
müssen Händler und Werkstatt eventuell noch arbeiten …
Zum anderen können aus der ständigen Verbindung mit dem
Auto wertvolle Daten über die Situation des Autos – Kilometerstand, Alter, Geschwindigkeit, Drehzahl, Getriebestellung, Öltemperatur, Außentemperatur – und über die Position des Autos
zum Rückschluss auf Straßenzustand, Höhenmeter, Steigung
oder Wetterbedingungen gewonnen werden. Diese Daten können
ohne signifikanten Inhaltsverlust auch anonym gesammelt und
ausgewertet werden, um Zusammenhänge zwischen Daten und
Fahrzeugbedarfen wie Ersatzteilen, Wartungs- oder auch mögliche
Reparaturbedarfe zu erkennen. Im Zuge von Predictive Marketing können Unternehmen auf dieser Datenbasis fahrzeug­
spezifisch passende Angebote unterbreiten. Und im Zuge von
Predictive Maintenance können sie Kunden frühzeitig ansprechen,
um drohende Ausfälle in der Werkstatt beseitigen zu lassen,
bevor die Fahrzeuge auf der Autobahn liegen bleiben. So werden
negative Kundenerlebnisse vermieden.
*Weitere Details zu den Potenzialen von Connected Car für CRM siehe
Padberg/Seel: „Kundenbindung im Aftersales“, Detecon Management Report
„Special Automotive 2015“, September 2015, Seite 68–71.
Connected Car bietet neue Möglichkeiten, mit dem Kunden in
Kontakt zu kommen – und zwar im direkten Kontext mit der
Produktnutzung: Die Kundenansprache kann die emotionale
Situation des Fahrerlebnisses bewusst mit nutzen. Gleichzeitig
entstehen ungeahnte Möglichkeiten für die Erweiterung der
Customer Intelligence, indem Fahrzeug und Mobilitätsdaten
gesammelt und ausgewertet werden – die Klärung rechtlicher,
datenschutzrelevanter und organisatorischer Fragen in Bezug
auf Datensammlung und -nutzung vorausgesetzt. Wichtig ist,
dass der konkrete Mehrwert sowie die Begeisterung bezüglich
der angebotenen Dienstleistung in Summe größer sind als die
Ressentiments, die der Kunde haben könnte, während er seine
Daten bereitstellt.
Automobilhersteller müssen sich künftig intensiv mit dem
Herzen von CRM beschäftigen. Data Management & Analytics
avancieren zum Gradmesser für die Fähigkeit eines Unter­
nehmens, im digitalen Zeitalter mitspielen zu können.
AUTOREN
Dr. Jürgen Padberg
ist Partner im Bereich Automotive und Leiter der Global
Practice CRM, Sales & Service. Er begleitet Klienten in
ihrer digitalen Transformation, um mithilfe innovativer
Technologien neue Wege der Kundenkommunikation und
„Customer Experience“ zu gestalten.
Yujin Schmidt
ist Management Consultant und verfügt über mehrjährige
Projekterfahrung in den Branchen Automotive und Telekommunikation. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen im
Bereich Neue Mobilität und Connected Car sowie bei den
Themen Customer Relationship Management, Customer
Experience Management und digitale Geschäftsmodelle.
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