Wellengleichung - Universität Wien

Wellengleichung
Johannes Wallmann
23. Juni 2015
1
Einleitung
Die Wellengleichung ist eine partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung.
Sie modelliert die Schwingungen eines elastischen Körpers (z.B. Saite oder
Luftsäule) und lautet für eine Funktion u : (0, +∞) × [0, 1] → R,
2
∂ 2u
2∂ u
=
c
,
∂t2
∂x2
1.1
c ∈ R.
(1)
Beispiel: Schwingende Luftsäule
Bei vielen Blasinstrumenten wird der Ton dadurch erzeugt, dass ein Luftband
durch einen Spalt auf eine Kante (Labium) geblasen wird und durch Wirbelbildungen an dieser Kante Druckunterschiede entstehen. So auch beispielsweise bei einer Orgelpfeife. Der Druck p(t, x) innerhalb des Pfeifenkörpers ist
Abbildung 1: Querschnitt einer Orgelpfeife (Labialpfeife) [5]
1
von der Zeit t ∈ (0, +∞) sowie dem Ort x ∈ [0, L] für 0 < L ∈ R abhängig.
Druckunterschiede verursachen einen Luftstrom s(t, x). Bei Überdruck wird
Luft an einem bestimmten Ort x weg strömen und umgekehrt, somit ergibt
sich ein negatives Vorzeichen im Zusammenhang:
s(t, x) = −a
∂p
(t, x),
∂x
a ∈ (0, +∞).
Falls die Änderung des Luftstromes nicht konstant ist, ändert sich die Menge
der Luft und dadurch auch der Druck. Wie schnell sich der Druck ändert,
hängt damit zusammen, wie sich der Luftstrom an einem Ort ändert. Dort wo
∂s
(t, x)des Luftstroms s größer ist, fällt der Druck p schneller
die Änderung ∂x
ab:
∂s
∂
∂p
∂ 2p
(t, x) = −b (t, x) = −b
−a (t, x) ,
b ∈ (0, +∞).
∂t2
∂x
∂x
∂x
√
Fasst man beide Proportionalitätskonstanten mit c := ab zusammen, erhält
man die Wellengleichung wie in (1):
2
∂ 2p
2∂ p
(t,
x)
=
c
(t, x).
∂t2
∂x2
(2)
Für eine an beiden Enden offene Pfeife der Länge L gelten, da die Luft an
beiden Seiten abströmen kann, die Randbedingungen:
p(t, 0) = 0
und
p(t, L) = 0
∀t ≥ 0.
(3)
Ist die Pfeife an einer Seite verschlossen (gedackt) kann hier keine Luft mehr
strömen und es gelten die Randbedingungen:
p(t, 0) = 0
1.2
und
∂p
(t, x) = 0
∂x
∀t ≥ 0.
(4)
Beispiel: Schwingende Saite
Eine schwingende Saite kann dadurch beschrieben werden, dass für jeden
Ort zu jedem Zeitpunkt die Auslenkung a(t, x) angegeben wird. Die Kraft
F auf die Saite wirkt immer in Richtung der Saite. Diese Kraft kann in
eine longitudinale mit FL = F cos ϕ und eine transversale mit FT = F sin ϕ
Komponente aufgespaltet werden. Zudem gilt in dem betrachteten kleinen
2
Abbildung 2: Kraftwirkung auf ein kleines Saitenstück
Da die betrachteten Winkel
Teilstück der Saite, dass tan ϕ = a(t,x+∆x)−a(t,x)
∆x
ϕ sehr klein sind, gilt die Näherung cos ϕ ≈ 1 und sin ϕ ≈ tan ϕ ≈ ϕ. Somit
ergibt sich für die nach rechts wirkende Kraft
a(t, x + ∆x) − a(t, x)
FL ≈ F
und
FT ≈ F ·
∆x
und für die nach links gerichtete Kraft
a(t, x − ∆x) − a(t, x)
FL ≈ −F
und
FT ≈ F ·
∆x
In Summe heben sich die longitudinalen Kräfte auf und die transversalen
Kräfte ergeben zusammen
a(t, x + ∆x) + a(t, x − ∆x) − 2a(t, x)
F·
∆x
Das Saitenstück der Länge ∆x hat eine Masse von ρA∆x, wobei A die Querschnittsfläche und ρ die Dichte ist. Die Beschleunigung die darauf ausgeübt
wird, ist:
F a(t, x + ∆x) + a(t, x − ∆x) − 2a(t, x)
∂ 2 a(t, x)
≈
·
2
∂t
ρA
∆x∆x
Im Grenzwert für ∆x → 0 erhält man
∂ 2 a(t, x)
F ∂ 2a
≈
·
(t, x)
∂t2
ρA ∂x2
Fasst man die Materialkonstanten
und die Spannung der Saite zu einer Konp
stante zusammen c := F/ρA, erhält man die bekannte Wellengleichung
wie in (1) oder (2):
2
∂ 2p
2∂ p
(t,
x)
=
c
(t, x)
(5)
∂t2
∂x2
Die Randbedingungen ergeben sich dadurch, dass die Saite links und rechts
eingespannte ist:
a(t, 0) = 0
und
a(t, L) = 0
3
∀t ≥ 0
(6)
2
Seperationsansatz
Um eine Lösung für die Wellengleichung (1) auf dem Bereich (0, +∞) × [0, L]
mit der Randbedingung (3) zu bekommen, verfolgen wir den Separationsansatz. Dabei suchen wir eine Lösung der Gestalt:
u(t, x) = v(t)w(x)
v ∈ C 2 (0, +∞), w ∈ C 2 [0, L].
mit
Der Seperationsansatz in die Wellengleichung eingesetzt, führt zu
v 00 (t)w(x) = c2 v(t)w00 (x) ⇔
w00 (x)
1 v 00 (t)
=
.
c2 v(t)
w(x)
Da die linke Seite der Gleichung unabhängig von x und die rechte Seite der
Gleichung unabhängig von t ist, gilt, dass beide Seiten unabhängig von x und
t seien müssen, d.h. konstant seien müssen. Wir können daher eine Konstante
λ ∈ R wählen, für die gilt:
1 v 00 (t)
w00 (x)
=
=λ
c2 v(t)
w(x)
∀(t, x) ∈ (0, +∞) × [0, L].
(7)
Aus dieser Gleichung ergeben sich zwei gewöhnliche Differenzialgleichungen:
v 00 (t) = c2 λv(t)
(8)
w00 (x) = λw(x).
(9)
und
Die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung (9) lautet:
√
w̃(x) = α̃e
λx
+ β̃e−
√
λx
,
x ∈ [0, L].
Für λ ≥ 0 folgt, in die Lösung eingesetzt, mit den Randbedingungen w(0) = 0
und w(L) = 0, dass α = β = 0 und somit u ≡ 0. Diese triviale Lösung
schließen
wir aber aus. Somit bleibt nur noch die Möglichkeit λ < 0. Hier gilt
√
λ ∈ C \ R = {x ∈ C : x = ±ir, r ∈ R} und somit für die Lösung:
w(x) = α Re(eirx ) + β Im(eirx ) = α cos(rx) + β sin(rx),
√
beziehungsweise durch r = −λ ∈ R ausgedrückt:
√
√
w(x) = α cos( −λx) + β sin( −λx).
4
Die Randbedingung w(0) = 0 √
erzwingt α = 0, wodurch sich durch die Randbedingung w(L) = 0 = β √
sin( −λx) ergibt. Die Voraussetzung β 6= 0 kann
nur erfüllt sein, wenn sin( √
−λx) = 0. Der Sinus
nimmt seine Nullstellen bei
√
Vielfachen von π an, somit −λL = nπ ⇔ −λ = nπ/L. Die einzigen nicht
trivialen Lösungen für (9) sind also:
nπ x ,
β 6= 0, n ∈ Z \ {0}.
(10)
wn (x) = β sin
L
Da die Konstante λ < 0, ist die Lösung für die Differenzialgleichung (8)
ebenfalls:
√
√
v(t) = a cos( −λct) + b sin( −λct)
2 2
und für λ = − nLπ2 :
vn (t) = a cos
nπc nπc t + b sin
t ,
L
L
n ∈ Z \ {0}.
(11)
Die Teillösungen (10) und (11) führen laut Seperationsansatz zur Gesamtlösung:
un (t, x) = vn (t)wn (x),
beziehungsweise eingesetzt:
h
nπc nπc i
nπ un (t, x) = a cos
t + b sin
t sin
x , n ∈ Z \ {0}. (12)
L
L
L
√
π, wobei n ∈ Z und
Für die Radbedingung (4) ergibt sich −λ = − 2n+1
2L
somit die Lösung der Wellengleichung mit:
2n + 1
2n + 1
2n + 1
un (t, x) = a cos
πct + b sin
πct sin
πx (13)
2L
2L
2L
3
Beispiele
Abbildung 3 ist die Darstellung der Wellenfunktion (12) einer Orgelpfeife mit
der Randbedingung (3). Die Werte wurden mit a = b = n = 1, L = 0.24 und
c = 300 angenommen. Die Frequenz des erzeugten Tons ergibt sich aus dem
Argument der Winkelfunktionen:
2π =
nπc
1
nc
t⇔ =
L
t
2L
5
Abbildung 3: Plot der Wellenfunktion
Im Fall der oben genannten Größen in SI-Einheiten, ergibt sich eine Frequenz
von:
1
= 625Hz
t
Der Ton dis2 hat bei einer gleichstufigen Stimmung eine Frequenz von rund
622Hz.
Literatur
[1] Aslak Tveito und Ragnar Winther, Einführung in partielle Differentialgleichungen: Ein numerischer Zugang, Springer Berlin Heidelberg 2002,
S. 159ff
[2] Kolumban Hutter, Fluid- und Thermodynamik: Eine Einführung, 2. Auflage, Springer 2003, S. 345ff
[3] Maria Charina, Seminarunterlagen, Universität Wien 2015
[4] Richard Neumann, Orgeln und Flöten , Physik der Musikinstrumente, Universität Regensburg 2005, Url: http://www.physik.uniregensburg.de/forschung/schwarz/PhysikMusik-2005/08FloetenOrgeln.pdf (aufgerufen 14.6.2015)
[5] Url: http://www.musikakustik.de/arbeit2.htm (aufgerufen 14.6.2015)
6