Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 3.6 c Rudolf Scharlau 223 Verallgemeinerte Eigenräume und Jordansche Normalform Definition und Bemerkung 3.6.1 a) Ein Endomorphismus eines Vektorraumes V bzw. eine Matrix N heißt nilpotent, falls ein m ∈ N existiert mit N m = 0. b) Der einzige Eigenwert eines nilpotenten Endomorphismus ist 0. Dieser Eigenwert tritt tatsächlich auf, sobald V 6= {0} ist. Beweis zu b): Es sei m ≥ 0 so, dass N m 6= 0, aber N m+1 = 0; wähle v1 ∈ V mit N m (v1 ) 6= 0. Dann ist v := N m (v1 ) ein nichttrivialer Vektor des Kerns, N (v) = 0, mit anderen Worten, ein Eigenvektor zum Eigenwert 0. Wir können auch wie folgt argumentieren: wenn 0 kein Eigenwert wäre, dann wäre N injektiv, also invertierbar. Da andererseits N m = 0 für passendes m, wäre die Nullabbildung bijektiv, was nur für den (ausgeschlossenen) trivialen Vektorraum V = {0} möglich wäre. Wir müssen noch ausschließen, dass es einen weiteren Eigenwert λ 6= 0 gibt. Dann wäre aber, wenn w einen zugehörigen Eigenvektor bezeichnet, N m (w) = λm w 6= 0 für alle m ∈ N, im Widerspruch dazu, dass N nilpotent ist. Lemma 3.6.2 Sei V 6= {0}. Jeder nilpotente Endomorphismus von V ist trigonalisierbar, und zwar mit Diagonalelementen 0. Beweis: Wir konstruieren eine Fahne invarianter Unterräume und gleichzeitig eine Basis B so, dass MBB (N ) eine obere Dreiecksmatrix ist. Dazu setzen wir V1 = Kv1 , wobei v1 ein Eigenvektor zum Eigenwert Null ist (siehe 3.6.1). Seien N -invariante Unterräume V1 ⊂ V2 ⊂ · · · ⊂ Vk mit k < n und dim Vi = i für i = 1, . . . , k bereits konstruiert. Wähle zunächst irgendein v ∈ V rVk . Sei dann r ∈ N0 so, dass N r (v) ∈ / Vk , N r+1 (v) ∈ Vk , setze vk+1 := N r (v) und Vk+1 = Vk + Kvk+1 . Dann ist Vk+1 wieder N -invariant (sogar N (Vk+1 ) ⊆ Vk ). Das Vektorsystem B = (v1 , v2 , . . . , vn ) ist eine Basis mit der oben angegebenen Eigenschaft. Wegen der Eigenschaft N (Vk+1 ) ⊆ Vk für alle k hat die so konstruierte Darstellungsmatrix die Diagonalelemente Null. Das gilt in der Tat für jede Darstellungsmatrix in oberer Dreiecksgestalt, denn auf der Diagonale stehen die Eigenwerte und diese sind alle Null nach Bemerkung 3.6.1 b). Bemerkung: Lemma 3.6.2 ist in der Tat eine Verschärfung von Bemerkung 3.6.1 b): Der Eigenwert 0 hat die algebraische Vielfachheit n = dim V , bzw. das charakteristische Polynom eines nilpotenten Endomorphismus eines n-dimensionalen Vektorraumes ist das Polynom (−X)n . Wir wenden uns nun der angekündigten Reduktion des Normalformenproblems auf den Fall eines einzigen Eigenwertes zu. 224 Lineare Algebra II – Sommersemester 2015 c Rudolf Scharlau Satz und Definition 3.6.3 (Haupträume) a) Es sei F ∈ End V und λ ein Eigenwert von F . Dann gibt es ein k ≤ n mit Kern(F − λ IdV )l = Kern(F − λ IdV )k für alle l ≥ k . Der Raum Hr(F, λ) := Kern(F − λ Id)k ist F -invariant und heißt Hauptraum von F zum Eigenwert λ. b) Die Einschränkung Fλ von F auf Hr(F, λ) ist von der Form Fλ = λ Id +N , wobei N nilpotent ist. Fλ ist trigonalisierbar mit einzigem Eigenwert λ und charakteristischem Polynom (λ − X)m , m = dim Hr(F, λ). Beweis: siehe Vorlesung. Der Hauptraum zu einem Eigenwert ist als Vergrößerung (tatsächlich: als Obermenge) des entsprechenden Eigenraumes entstanden. Wir wissen schon aus 3.4.6, dass die Summe aller Eigenräume direkt ist. Es ist auf den ersten Blick überraschend, aber in Wirklichkeit nicht viel schwieriger zu beweisen, dass dieses Resultat erhalten bleibt, wenn man die Eigenräume durch die Haupträume ersetzt. Wir erinnern daran, dass die Voraussetzung über das Polynom PF über dem Körper C der komplexen Zahlen immer erfüllt ist. Satz 3.6.4 Es sei F ein Endomorphismus von V , dessen charakteristisches Polynom in Linearfaktoren zerfällt: r Y PF = (−1) (X − λi )mi , r X i=1 i=1 n mi = n = dim V , wobei λ1 , . . . , λr alle verschieden sind. Dann ist V die direkte Summe der Haupträume: V = Hr(F, λ1 ) ⊕ Hr(F, λ2 ) ⊕ · · · ⊕ Hr(F, λr ), wobei dim Hr(F, λi ) = mi für i = 1, . . . , r . Beweis: siehe Vorlesung. Die vorangegangenen Sätze 3.6.4 und 3.6.3 b) reduzieren das oben formulierte Normalformenproblem auf den Fall, dass der Endomorphimus nur einen Eigenwert hat. Für Details siehe das abschließende Theorem 3.6.6 unten. Wir wollen nun das Normalformenproblem für trigonalisierbare Endomorphismen und Matrizen vollständig lösen. Lineare Algebra II – Sommersemester 2014 c Rudolf Scharlau 225 Definition 3.6.5 Eine Jordanmatrix ist eine quadratische Matrix der folgenden Gestalt: λ 1 λ 1 . .. Js (λ) = λ 1 λ Der Index s gibt die Größe der Matrix an. Theorem 3.6.6 (Jordansche Normalform) a) Es sei F ein Endomorphismus von V , dessen charakteristisches Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Dann gibt es eine Basis B von V derart, dass die Darstellungsmatrix von F bezüglich B eine Blockmatrix aus Jordanmatrizen ist: Js1 (µ1 ) Js2 (µ2 ) B . MB (F ) = . .. Jst (µt ) Dabei sind die Paare (s1 , µ1 ), (s2 , µ2 ), . . . , (st , µt ), si ∈ N, µi ∈ K bis auf ihre Reihenfolge durch F eindeutig bestimmt. b) Zu jeder quadratischen Matrix A, deren charakteristisches Polynom in Linearfaktoren zerfällt, gibt es eindeutig (bis auf die Reihenfolge) bestimmte Paare (s1 , µ1 ), (s2 , µ2 ), . . . , (st , µt ) derart, dass A ähnlich zu der unter a) beschriebenen Matrix aus Jordanblöcken ist. Beweis und Rechenverfahren: siehe Vorlesung und zusätzliches Handout.
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