9 Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der

§ 9 Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Sache
a) Überblick
aa) Ziel des §§ 985: Sicherung des Eigentums
• § 985 rei vindicatio ‐ dinglicher Anspruch, da auf Verwirklichung des dinglichen Rechts gerichtet
• Voraussetzung: Trennung von Eigentum und Besitz = Auseinanderfallen von Recht zur Sachherrschaft mit tatsächlicher Sachherrschaft
• § 985 verwirklichtes Eigentum
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 42
bb) Grenzen des Herausgabeanspruchs
• Recht zum Besitz seitens des Besitzers schränkt Eigentum ein
• Dieses kann dingliches oder obligatorisches Recht sein; • bei obligatorischem Recht  dieses muss gegenüber dem Eigentümer weichen; ein obligatorisches Recht gegenüber dem Nichteigentümer hindert die Herausgabepflicht nicht (vgl. § 986 I 2)
• Verhältnis zu anderen Ansprüchen strittig: herrschende Meinung, freie Konkurrenz: Schutz des Eigentums soll möglichst umfassend sein
• Mindermeinung: subsidiäre Geltung: § 985 will Herausgabepflicht für den Fall begründen, dass vertragliche oder gesetzliche Regeln fehlen.
• Recht zum Besitz schließt die rei vindicatio aus: Entgegen dem Wortlaut des § 986 I 1 ist Recht zum Besitz nicht „Einrede“, sondern „Einwendung“
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 43
cc) Herausgabepflicht und Nebenansprüche
• §§ 985 f. regeln den Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer
• Nebenansprüche: Beseitigung der Folgen des unrechtmäßigen Besitzes hinsichtlich
 Nutzungen (ziehen von Sach‐ und Rechtsfrüchten, Gebrauchsvorteilen, § 99 f.)
 Beschädigung und Zerstörung
 Ausgleich sachbezogener Aufwendungen = Verwendungen (vgl. § 10)
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 44
b) Einzelerläuterungen zum § 985
• Aktivlegitimation (aa)?
• Passivlegitimation (bb)?
• Anspruchsinhalt (cc)?
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 45
aa) Voraussetzungen in der Person des Eigentümers = Aktivlegitimation
Der Herausgabeberechtigte muss Eigentümer des Herausgabeobjektes (Grundstück oder bewegliche Sache) sein.
Um dies zu prüfen, ist die Eigentümerstellung des die Herausgabe Fordernden zu untersuchen. Erwerbsgründe: Realakt, Gesetz, Rechtsgeschäft; Beendigungsgründe: Realakt (Zerstörung) oder Veräußerung
Hauptanwendungsfälle von § 985 sind
• fehlerhafte Besitzrecht‐Begründung
• fehlgeschlagene Übereignung oder
• Veräußerer ist nicht Eigentümer, weil Sache abhanden gekommen ist und der Erwerb dennoch redlich ist
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 46
bb) unrechtmäßiger Besitzer = Passivlegitimation
Passivlegitimation: Besitz und fehlendes Recht zum Besitz
Besitzerstellung = Innehabung des unmittelbaren oder mittelbaren Besitzes; nicht Besitzdienerstellung
Problematisch: Vindikation gegenüber mittelbarem Besitzer; Frage: Worauf ist der Anspruch gerichtet (BGHZ 53, 29)?
Antwort: § 886 ZPO: Titel gegen mittelbaren Besitzer berechtigt zur Vollstreckung gegenüber unmittelbaren Besitzer
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 47
Recht zum Besitz  dingliches oder obligatorisches Recht zum Gebrauch der Sache gegenüber Eigentümer
Recht auf Sachnutzung (Miete, Pacht) oder Recht zum Behaltendürfen (Verwahrung, Pacht)
Besitzrecht besteht auch bei verhaltenen Ansprüchen (§§ 604 III, 695)
Hauptanwendungsfälle für die fehlenden Besitzerrechtsbegründung:
• Rechtsgeschäft, das auf Rechtsbegründung gerichtet ist, ist unwirksam
• Erwerber ist unredlich
• Sache ist abhanden gekommen oder • der Besitzer hat sich eigenmächtig in den Besitz gesetzt
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 48
2 Probleme:
• Besitzrecht aufgrund unwirksamen Kaufs indes fehlgeschlagener Übereignung?
• Zurückbehaltungsrecht als Recht zum Besitz?
§ 986 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 regeln die Fragen des Herausgabeanspruchs, falls der unmittelbare Besitzer sein Recht von einem mittelbaren Besitzer ableitet, der nicht Eigentümer ist. E(ig) ‐ M(ie) ‐ U: ist M gegenüber E und U gegenüber M zum Besitz berechtigt (§§ 535, 549)  keine Herausgabepflicht
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 49
§ 986 Abs. 1 Satz 2 regelt, was gilt, falls Besitzrechtskette lückenhaft ist: Fehlt Besitzrecht E ‐ M  E  U § 985
Fehlt Besitzrecht M ‐ U  E  U  Besitz an M (§§ 985, 986 I 2)
§ 986 Abs. 2 erhält dem unmittelbaren Besitzer Einwendungen gegen den Eigentümer auch nach Eigentumsübertragung (§ 931); § 571 regelt Entsprechendes für Grundstücksübereignung, für die § 931 nicht gilt
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 50
cc) Inhalt
Der Anspruch ist auf Herausgabe gerichtet. Er kann nicht eigenhändig durchgesetzt werden, bedarf vielmehr gerichtlicher Durchsetzung.
Eigentümer benötigt Titel gegen Besitzer; die Vollstreckung richtet sich nach §§ 883, 885 ZPO.
Der Gerichtsvollzieher setzt den Besitzer aus und den Eigentümer in die Sache ein.
Geschuldet ist Herausgabe an den Eigentümer = Besitzübertragungsanspruch
Wertvindikation nach herrschender Meinung ausgeschlossen
Rechtskrafterstreckung bei Sachübertragung nach Rechtshängigkeit (§§ 265, 325, 727 ZPO)
Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer / Vorlesung Sachenrecht I
Folie 51