Ansehen - Berliner Dom

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Thomas C. Müller
8. Sonntag nach Trinitatis, 26. Juli 2015, 10.00 Uhr
Predigt zu Matthäus 5, 13-16
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für den 8. Sonntag nach Trinitatis steht im Matthäusevangelium im 5. Kapitel, Verse 13 bis 16.
Jesus sagte: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist
zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid das
Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht
ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im
Hause sind.
sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren
Vater im Himmel preisen.
Liebe Gemeinde,
manchmal wird einem eine Ehre zu teil, die schmeichelhaft klingt, die man aber eigentlich gleich ablehnen
möchte, weil sie doch etwas zu hoch gegriffen erscheint. Man ahnt, dass, wenn man sie dennoch annehmen
würde, eine Menge Verpflichtung aufgeladen bekäme, um dieser Ehre dann auch in der Folge gerecht zu werden.
„Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt, “ sagt Jesus zu seinen Jüngern. Eine steile Behauptung
mit einem gesalzenen Nachsatz. „Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts
mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“
Manche werden denken: Salz der Erde, klingt schön, aber nein, ich lehne dankend ab. Ich bin ja schon froh, wenn
ich einigermaßen über die Runden komme; meinen Beruf, meinen Alltag bewältige. Mich zusammenreiße, wenn
der Kollege mir auf die Nerven geht. Keinen Nervenzusammenbruch bekomme, wenn der Tagesplan oder
Familienmanagement wegen irgendeiner Kleinigkeit in sich zusammenbricht. Licht der Welt zu sein? Nein, nicht
wenn man schlecht geschlafen und Kopfschmerzen hat. Ein gewöhnliches Leben mit übergroßem
Sendungsbewusstsein aufzublasen, dagegen spricht schon das gesunde Schamgefühl.
„Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein,“ sagt Jesus, aber
viele Christen möchten heute auch eher unauffällig bleiben. In weiten Teilen der Gesellschaft wird es als exotisch
empfunden, wenn jemand seine Glaubensgesinnung durchscheinen lässt. Selbst in kirchlich geprägten Kreisen
meidet man den Eindruck, man könnte missionarisch Ambitionen haben. Solange man seinen Glauben privat
leben kann und daran nicht gehindert wird, ist alles in Ordnung. Aber ins Gemeinwesen hineinstrahlen? Wo doch
die Gesellschaft heute empfindlicher denn je reagiert, wenn um religiöse Einwirkungen auf den öffentlichen
Bereich geht - und Christen oft keine bessere Lösung für die großen Probleme bereithalten. Auch die Kirche als
Ganzes, als Institution, wird mit diesem Wort auf vermintes Gelände gezogen. Wie wirkt eine Kirche heute,
wenn sie sich hinstellt und vollmundig der Welt da draußen verkündet: „Wir sind Salz der Erde. Wir sind das
Licht der Welt.“ Sie setzt sich dem Spott der Zeitgenossen aus, die jede Verfehlung, jede Schwäche genüsslich
vorführt und den hehren Anspruch zu Staub verfallen lässt.
„Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ Es spricht eigentlich alles dagegen. Es sprach auch damals
alles dagegen.
Jesus redete zu Jüngern, die oft einen ziemlich verwirrten Eindruck machen. Aber Jesus sprach auch all diejenigen
an, die ihm auf einen Berg gefolgt waren und nun um ihn herum saßen. Menschen, die genauso gebrochen,
ambivalent, oft schwach und inkonsequent waren, wie die meistens von uns auch heute sind. Menschen aber, die
eines taten: ihm zuzuhören. Und die dabei eine Erfahrung machten. Denen bei seinen Worten das Herz weit
wurde, weil ihr Leben im Lichte Gottes betrachtet, aus der Bedeutungslosigkeit heraustrat. Frauen und Männer,
die in seiner Gegenwart einen Geschmack davon bekommen hatten, das Glaube kein starres Religionssystem war,
sondern etwas mit Liebe und Hoffnung zu tun hat, mit Versöhnung in uns und mit anderen. Mit anderen
Worten: Es war Licht in sie hineingefallen und sie hatten von dem Salz gekostet, das ihr Leben aus der Fadheit
und Leere befreite. Genau in dem Augenblick, in dem man etwas empfängt, verändert sich etwas. Wer Licht
empfängt, und sei es nur ein kleiner Funke, soll wissen, dass er zum Lichtträger für andere geworden ist. Man
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kann den Glauben nicht für sein seelisches Gleichgewicht nutzen und nichts weiter. Glauben ist immer Nehmen
und Geben. Genau in dieser Reihenfolge.
„Ihr seid das Licht der Welt.“
Nein, es ging Jesus nicht um die Glorifizierung einer vermeintlichen Elite. Es ging ihm darum, Menschen, so wie
sie nun einmal sind, zu ermutigen, den Blick auf das Licht zu werfen, das -trotz all der Schattenseiten - in ihnen
ist, auf die Gaben, die dann anfangen zu leuchten, wenn sie als Gaben Gottes erkannt werden, die nicht nur mir
selbst dienen, sondern auch anderen.
„Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet
es allen, die im Hause sind.“
In der Bildsprache, die Jesus benutzte, ist es ein natürlicher Vorgang, dass Licht leuchtet. Es ist kein Vorgang,
der besonderer Anstrengung bedarf. Im Gegenteil: Es bedarf besonderer Anstrengung, damit das Licht nicht mehr
leuchtet, z.B. in dem man es unter den Scheffel stellt, was soviel bedeutet, wie: einen Eimer umgedreht über
einen Kerzenleuchter stellen. Das macht keinen Sinn. Und dennoch geschieht es – immer wieder. Menschen
lassen das Licht, das ihnen geschenkt ist, von ihren dunklen Gedanken verschlucken. Gedanken, die um sich
selbst kreisen. Gedanken des Neides, der Gleichgültigkeit. Gedanken aber auch des Selbstzweifels und der
Selbstentwertung. Sie sind der Scheffel, unter dem wir unser Licht zum verlöschen bringen. Wir können nicht
verhindern, dass solche Gedanken immer wieder in uns auftauchen. Aber wir können verhindern, dass sie das
Licht, das auch immer in uns da ist, auslöschen. Wir können es, indem wir das Licht als die Gabe Gottes an uns
konsequent im Blick behalten. „Das Auge ist das Licht des Leibes“, sagt Jesus wenig später in der Bergpredigt.
„Wenn dein Auge hell ist, so wird den ganzer Leib Licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer
Leib finster sein.“
Nelson Mandela sagte, in seiner berühmtgewordenen Antrittsrede im Jahr 1994 folgende Sätze, die in manchem
wie eine Fortsetzung der Bergpredigt klingen:
"Jeder Mensch ist dazu bestimmt, zu leuchten! Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind,
unsere tiefgreifendste Angst ist, über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein. (…)
Dich selbst klein zu halten, dient nicht der Welt. Es ist nichts Erleuchtetes daran, sich so klein zu machen, dass
andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen. Wir sind alle bestimmt, zu leuchten, wie es die Kinder tun.
Wir sind geboren worden, um den Glanz Gottes, der in uns ist, zu manifestieren. Er ist nicht nur in einigen von
uns, er ist in jedem einzelnen. Und wenn wir unser Licht erscheinen lassen, geben wir anderen Menschen die
Erlaubnis, dasselbe zu tun.“
Liebe Gemeinde,
„Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde.“ Eine Zusage. Und ein Auftrag. Es ist wahr: Er erscheint
uns oft zu groß, wenn wir auf unser realexistierendes Leben schauen und die Ohnmacht, die uns gerade heute
immer wieder heimsucht. Denn Hiobsbotschaften erreichen uns in immer größerem Tempo. Viele spüren in sich
den Impuls, all das von sich zu schieben, die äußeren und inneren Grenzen dicht zu machen. Wir wollen doch
einfach unser Leben so weiterleben. Aber selbst wenn ich die Dinge nicht auf Distanz halten will: Was soll man
den tun? Es ist eine Zeit angebrochen, in der die dunklen, fatalistischen, und dann auch schnell selbstbezogenen
Gedanken, wieder stärker werden. Vielleicht besteht der Auftrag für uns heute gerade darin, dem grassierenden
Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen. Das Bild vom Salz der Erde ist – entgegen des ersten Eindruckes – ein
gnädiges Bild, das uns dabei helfen könnte. Ein gnädiges Bild, weil es uns davon befreit zu denken, wir könnten
erst etwas tun, wenn wir selbst ganz durchdrungen und erfüllt sind; wenn wir die Kraft haben, große Dinge zu
bewegen. Wenn wir eine Lösung präsentieren können. Denn: Was ist Salz? „Salz ist fast nichts“, sagte frére Alois,
der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, anlässlich seines Besuchs hier im Berliner Dom. „Salz ist fast
nichts, und doch nicht nichts, sondern etwas.“ Als weltpolitisch bedeutungslose Christen Anfang der 60er Jahre
fragten sich die Brüder damals, wie sie damit umgehen sollten, dass die Spaltung Europas zwischen Ost und West
nun durch einen eisernen Vorgang unumstößlich zementiert wurde. Und er erzählte, dass sie anfingen, Besuche
zu machen. Besuche sind fast nichts. Und doch nicht nichts. Viele Kontakte entstanden. Kontakte, die fünf
Jahrzehnte später dazu führen, dass sich in Taizé heuten russische und ukrainische Jugendliche begegnen und
reden. Es war fast nichts, zwei Zimmermannsnägel aus der 1940 von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale
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von Coventry zu einem Kreuz zusammenzuschmieden, es zu einem Zeichen des Verzichts auf Rache zu machen.
Heute ist das Nagelkreuz von Coventry ein Symbol, das an vielen Orten steht und auch in Zeiten, in denen das
Vergeltungsdenken in der Politik wieder die Macht ergreift, an eine andere Wahrheit erinnern wird.
Es gibt so viele Dinge, die fast nichts sind und doch nicht nichts.
Der kleine Lichtschein, der in mich fällt, und mir ein wenig Trost gibt. Und wenn du es zulässt, dass er deine
Gesichtszüge aufhellt, ermutigt er vielleicht den zum Leben, der den ganzen Tag in finstere Gesichter blickt. Ein
Augenblick des Friedens mit dir selbst, den du nicht vorüberziehen lässt, sondern ergreifst, zu einem Wort der
Versöhnung werden lässt, kann eine lange verschlossene Tür öffnen. Ich löse mich von der Fixierung auf das, was
nicht möglich ist, und so wird das Salzkörnchen der Einsicht darüber, was ich jetzt tun kann, den anderen
erstaunen und fragen lassen, was er tun kann. Welches kleine Licht leuchtet jetzt in mir? Es gibt immer die Tat,
in der es durchscheinen kann.
„So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel
preisen.“ Es ist keine Aufforderung immer im Rampenlicht zu stehen. Oft bleiben diese kleinen Dinge ganz für die
große Bühne unsichtbar, so wie das Salz, das in der Speise, die es konserviert und würzt, auch nicht mehr
erkennbar bleibt, wenn es sich auflöst. Und dennoch gibt es dem ganzen einen anderen Geschmack. Einen
Geschmack von einem Leben, das Sinn macht. Einen Geschmack, der es Menschen möglich macht, doch an eine
Güte zu glauben und ihr zu danken. Der Macht, die stärker ist als Dunkelheit und Leere. Der Güte Gottes.
Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus. Amen.
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